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Lamin Touray wurde in Nienburg von der Polizei erschossen. (Foto @TheAlkambaTimes auf X, Collage von mir)

Nichts mit Respekt

Wieder wurden zwei Menschen von der Polizei erschossen, auf die Synagoge in Oldenburg wurde ein Brandsatz geworfen und Luke Mockridge vergleicht sich mit einem Säureopfer. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW14

Montag, 1. April

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei kassierte die Partei des rechtskonservativen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan eine gepfefferte Niederlage. Die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, „Republikanische Volkspartei“) hat u.a. die fünf größten Städte, Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa und Antalya, gewonnen. Der CHP-Vorsitzende, Özgür Özel, sagte mit einem klaren Seitenhieb auf Erdoğan: „Bei diesen Wahlen haben unsere Bürger nicht nur über ihre Bürgermeister abgestimmt, sondern auch darüber, wie dieses Land regiert werden sollte. Unser Volk hat jenen, die sein Einkommen reduziert, die Demokratie mit Füßen getreten und den Rechtsstaat zerstört haben, eine klare Botschaft übermittelt: Wir wollen, dass unser Land seine Rechtsstaatlichkeit zurückerlangt.“ Im Osten der Türkei hat die Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie (DEM) viele Provinzen gewonnen. Die DEM ist eine linke Partei, Nachfolgerin der HDP, stark kurdisch geprägt, und den islamistisch-konservativen Kräften im Land dementsprechend ein Dorn im Auge. DEM-Europasprecherin Eda Duzgun sagte in einem Interview mit der „jungen Welt“: „Insbesondere der Wahlsieg in Istanbul zeigt erneut, wie die Kurden durch ihre politische Haltung die politische Landschaft des Landes gestalten und färben“. Sie erklärt, dass die Wahlen „in einem unfreien, unfairen und undemokratischen Umfeld abgehalten“ wurden und „mehr als 50.000 illegale Wähler in den kurdischen Gebieten registriert“ worden seien, „nur um das Wahlergebnis zu manipulieren und den Willen der Bevölkerung zu beeinträchtigen“. In Wan (Van) gewann das genderparitätische Co-Kandidat*innen-Duo der DEM-Partei (Abdullah Zeydan und Neslihan Şeda) mit 55,5 Prozent der Stimmen. Doch die Wahlbehörde ernannte den AKP-Kandidaten Abdulahat Arvas zum Oberbürgermeister, der 27,1 % der Stimmen erhielt. Der türkische Justizminister hatte Einspruch gegen die Ernennung von Abdullah Zeydan eingelegt, weil dieser mehr als fünf Jahre als „Terrorverdächtiger“ im Gefängnis saß.  Als er sich für die Kandidatur beworben hatte, hatte der Wahlausschuss allerdings keinerlei Einwände. „Jetzt ist klar, warum. Der Putsch gegen die DEM scheint lange geplant“, schreibt die kurdische Nachrichtenagentur ANF. Bei Protesten setzte die Polizei Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke gegen die demonstrierenden Menschen ein, mehrere Menschen wurden verletzt, laut Tagesschau wurden zwei Personen getötet.

Dienstag, 2. April

Die israelische Armee tötete am Montagabend sieben Mitarbeiter*innen der Hilfsorganisation „World Center Kitchen“. Die NGO bestätigte das am Dienstag. „Ein tragischer Vorfall“ sagte Benjamin Netanjahu, und: „das passiert im Krieg“. Die WCK-Mitarbeiter*innen waren gerade dabei, rund hundert Tonnen Nothilfe abzuladen, die auf dem Seeweg in den Gazastreifen geliefert wurden, als ihr Konvoi beschossen wurde. Die Tagesschau gibt den Angriff folgendermaßen wieder: „Eine israelische Drohne habe schließlich nacheinander drei Raketen auf den Konvoi gefeuert. Einige Helfer seien aus dem zuerst angegriffenen Wagen in eines der beiden anderen Fahrzeuge geflüchtet, hieß es weiter. Wenige Sekunden später wurde dem Bericht zufolge dann auch dieses getroffen. Die Überlebenden hätten die Verwundeten dann zum dritten Wagen gebracht, das schließlich ebenfalls angegriffen worden sei.“ Die Getöteten kamen aus Australien, Polen, Kanada, USA und Großbritannien sowie aus den palästinensischen Gebieten. Weltweit wurde um sie getrauert, ihre Namen und Fotos verbreitet. Sie bekamen wortwörtlich ein Gesicht. Der Kontrast zu den inzwischen 33.137 getöteten Palästinenser*innen und über 13.000 getöteten Kindern (Stand 6. April, Quelle: AP), die zum allergrößten Teil für die Weltöffentlichkeit gesichts- und namenlos bleiben, ist unübersehbar. Die deutsche Hilfsorganisation „Wir packen’s an“ schrieb auf der Plattform, die früher Twitter hieß: „Nach dem Tod von 7 Mitgliedern der NGO World Central Kitchen in Gaza, drücken wir unsere Anteilnahme aus. Dass es uns gerade dann trifft, wenn ‚weiße‘ Helfer:innen getötet werden, führt uns unsere eigenen blinden Flecke und unseren eigenen Rassismus vor Augen.“

Mittwoch, 3. April

„Aufgrund einer Bedrohungslage ist eine Person durch Dienstwaffengebrauch eines Polizisten verletzt worden“, so beschreibt ein Sprecher der Polizei Dortmund den zweiten Fall tödlicher Polizeigewalt innerhalb weniger Tage in Deutschland. Anders formuliert: Am Mittwochabend tötete ein Polizist einen 52-jährigen wohnungslosen Mann, der sich in psychischem Ausnahmezustand befand. Der Mann soll aggressiv gewesen sein und eine 2,5 Meter lange Eisenstange gehalten haben. Die Einsatzkräfte sollen ihn aufgefordert haben, die Stange fallen zu lassen, doch der Mann habe damit gegen eine Kirchentür geschlagen. Die Polizei setzte daraufhin mehrfach eine Taserwaffe gegen den 52-Jährigen ein. „Weil sich der Beschuldigte mit der erhobenen Eisenstange weiter auf Polizeibeamte zubewegte, gab schließlich ein Polizeibeamter einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab“, wird ein Polizei-Sprecher zitiert. Der Mann starb kurz darauf im Krankenhaus. Bei einem weiteren Fall tödlicher Polizeigewalt am Ostersamstag in Nienburg (Niedersachsen) feuerten Polizisten acht Kugeln auf den 46 Jahre alten Lamin Touray, zwei waren tödlich. Der Mann aus Gambia habe sich seit Tagen in einer psychischen Notlage gefunden. Seine Freundin und ein Freund hatten versucht ihm zu helfen und aus Sorge um ihn schließlich die Polizei angerufen (nachdem ein Rettungswagen, ohne zu helfen, wieder abgefahren war). Eine ausführliche Rekonstruktion könnt ihr bei der taz nachlesen. Entgegen der Darstellung der Polizei habe Lamin Touray sie nicht mit einem Messer bedroht bestätigen die Freundin und ein weiterer Augenzeuge. Er habe das Messer erst gezogen, nachdem die Polizei vor der Tür gestanden hätte. Die Freundin habe den Einsatzkräften angeboten, die Situation zu deeskalieren, doch die Polizei lehnte ihre Hilfe ab und kündigte an, einen Polizeihund einzusetzen. Kurz darauf fielen die Schüsse. „Statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, sagt die Freundin des Getöteten. Sie sei daraufhin wie eine Verbrecherin behandelt worden. Auch eine Nachbarin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte. Stundenlang habe die nackte Leiche von Lamin Touray ohne Sichtschutz auf der Terrasse gelegen: „Mit Menschenwürde oder auch nur Respekt vor Toten hatte das nichts zu tun“ sagte sie zur taz. Gegen die 14 Einsatzkräfte wird jetzt wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Eine Polizistin soll während des Einsatzes ebenfalls von einer Polizeikugel getroffen und schwer am Bein verletzt worden sein.

Donnerstag, 4. April

Am Donnerstag erschien im Magazin Stern ein ellenlanges Interview mit Luke Mockridge, dem zahlreiche Frauen übergriffiges Verhalten vorgeworfen haben. „Über Vergewaltigungsvorwürfe und das Weiterleben“ heißt es auf dem Magazincover unter einem Foto des „Comedians“. Ich will diesem Menschen hier keine große Plattform geben (hab auch zu viel Angst vor seinen Anwälten, um ehrlich zu sein). Aber lasst mich kurz auf zwei Details eingehen, die er im Interview sagt. Er vergleicht die Vorwürfe gegen ihn mit „einem Säureangriff“ und macht damit deutlich WIE wenig er kapiert hat. Säureattentate werden in den meisten Fällen auf Frauen verübt – von Männern. Sie sind eine relevante Größe im Spektrum misogyner Gewalt. Dass Mockridge seinen „Karriereknick“ damit vergleicht, ist respektlos, schlicht ekelhaft. An anderer Stelle bezeichnet er sein übergriffiges Verhalten als „spätpubertär“, er stamme aus einer Zeit, in der es „Heldenstorys waren, wenn man gestern noch eine geklärt hat“ und es hätte dafür „High fives und Schulterklopfen“ gegeben. Luke Mockridge und ich sind fast gleichalt. Wir waren in derselben Zeit „spätpubertär“. Ich kann nur für mich sprechen, aber euch versichern: auch damals war dieses Verhalten übergriffig, ekelhaft, belästigend und unangemessen. Die „High fives“ hat er sicher nicht von Frauen bekommen.

Freitag, 5. April

Am Freitagnachmittag warf eine unbekannte Person (oder vielleicht auch mehrere Täter*innen) einen Brandsatz auf die Tür der Synagoge in Oldenburg. Dem Polizeibericht zufolge hatten Hausmeister des benachbarten Kulturzentrums das Feuer bemerkt und gelöscht, verletzt wurde zum Glück niemand, zum Zeitpunkt des Brandes waren keine Menschen in der Synagoge. Oldenburgs SPD-Oberbürgermeister Jürgen Krogmann sagte nach dem Anschlag „Angriffe auf Synagogen sind Angriffe auf uns alle“ und bewies damit, dass er nicht viel begriffen hat. Angriffe auf jüdische Einrichtungen sind Angriffe auf Jüdinnen*Juden. Antisemitismus betrifft nicht „uns alle“. Wer das so darstellt, verharmlost nicht nur die Tat und deren Motivation, sondern ignoriert auch die Angst, die jüdische Menschen vor genau solchen Anschlägen haben. Seit dem 7. Oktober 2023 ist diese Angst nochmal stärker geworden. Diese Angst kennen weiße Deutsche nicht. Sie sind nicht kollektives Ziel von Hass und Terror. Wer diese Angst hingegen gut kennt, ist die muslimische Community in Deutschland. Am 21. März verübte ein Unbekannter einen Brandanschlag auf die Moschee in Wuppertal. Währenddessen haben rund 1.451 Rechtsextreme und sogenannte „Reichsbürger“ in Deutschland ganz legal Waffen. Die von der Regierung angekündigte „Entwaffnung“ geht „offenbar nur schleppend voran“, wie die Tagesschau am Freitag berichtete. Gleichzeitig werden gegen rund 400 Polizeibeamte der Länder Ermittlungen oder Disziplinarverfahren wegen Verdachts auf eine rechtsextremistische Gesinnung geführt. Aus Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen gibt es keine aktuellen Zahlen, die Anzahl rechtsextremer Polizist*innen liegt also insgesamt deutlich höher. Uli Grötsch, Polizeibeauftragter des Bundes, erklärte: „Wir leben in Zeiten, in denen von Rechtsextremen gezielt versucht wird, die Polizeien zu destabilisieren.“ Die Gefahr sei so groß wie noch nie.

Samstag, 6. April

In Halle (Sachsen-Anhalt) wurde am Samstag ein 36-Jähriger in dessen Wohnung festgenommen, nachdem dieser vom Balkon aus rassistische Parolen gebrüllt und Passant*innen mit einem Gewehr bedroht hatte. In der Wohnung fanden die Einsatzkräfte einen Gegenstand, bei dem es sich um einen zündfähigen Sprengsatz handeln soll. Die rund 50 Bewohner*innen des Mehrfamilienhauses wurden vorübergehend evakuiert. Das Gewehr soll sich als Attrappe herausgestellt haben.

Sonntag, 7. April

Zum Wochenabschluss noch diese Info: „Keine andere im Bundestag vertretene Partei finanziert sich prozentual so stark aus staatlichen Geldern wie die AfD“– das meldete der MDR unter Berufung auf den heute veröffentlichten Rechenschaftsbericht der Partei. Zwar erhält die AfD in absoluten Zahlen die geringsten Staatsgelder aller Bundestagsparteien (10,4 Millionen), aber diese machen 44,9 % der Einnahmen aus. Nur 16,5 % speisen sich aus Mitgliedsbeiträgen. In Jüterbog wählten die Delegierten des Landesparteitags der AfD Brandenburg den, laut Verfassungsschutz „erwiesen rechtsextremen“, Hans-Christoph Berndt zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen im September. Der 67-Jährige ehemalige Personalratsvorsitzende der Berliner Charité bekannte sich in seiner Rede sowohl zur „Jungen Alternative“ als auch zum Konzept der „Remigration“, also der rassistischen Idee von Massenabschiebungen nicht weißer Menschen. Die AfD steht mit 25 % an der Spitze der Wahlumfragen und könnte im September stärkste Kraft in Brandenburg werden.

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