Asha Hedayati hasst True Crime, im Irak droht queeren Menschen bald Gefängnis, Europa vermisst 51.433 Kinder und Jugendliche und rechte Gewalt macht den Wahlkampf zur Gefahr. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW18
Montag, 29. April
In Irak müssen queere Menschen zukünftig Haftstrafen fürchten. Das Parlament verabschiedete am vergangenen Samstag ein Gesetz, das bis zu 15 Jahre Gefängnis für Homosexualität vorsieht. Die in einem früheren Entwurf vorgeschlagene Todesstrafe droht nicht, trotzdem bedeutet das neue Gesetz eine massive Verschärfung der ohnehin katastrophalen Situation queerer Iraker*innen. Am Montag erklärte die Sprecherin des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Ravina Shamdasani: „Dieses Gesetz verstößt gegen mehrere vom Irak ratifizierte Menschenrechtsverträge und -konventionen, einschließlich des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, und sollte aufgehoben werden.“ Sollte das Gesetz in Kraft treten, müssten u.a. Organisationen, die queere Menschen unterstützen, ihre Arbeit einstellen, bzw. werden sie gleich ganz verboten werden, denn die „Bewerbung von Homosexualität“ soll in Zukunft mit bis zu sieben Jahren Haft bestraft werden. Auch trans Personen, ohnehin eine der gefährdetsten Gruppen in Irak, dürfen dann nicht mehr existieren, ohne dafür ins Gefängnis gesteckt zu werden. Das „Imitieren des anderen Geschlechts“ ist dann verboten, geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen sowieso, und auch Ärzt*innen machen sich strafbar, wenn sie Menschen in der Transition unterstützen. Bisher war in Irak die Abweichung der cis-heteronormativen Dominanzkultur nicht offiziell strafbar, doch das bedeutet nicht, dass queere Menschen hier in Frieden leben konnten. Vor zwei Jahren veröffentlichte die NGO „Human Rights Watch“ einen Report zur Situation der LGBTQIA-Community in Irak mit dem Titel „Alle wollen mich tot sehen“. Es geht um Tötungen, Entführungen, Folter und sexualisierte Gewalt durch bewaffnete Gruppen. Rasha Younes von Human Rights Watch, nannte die Verabschiedung des Gesetzes „einen schweren Schlag gegen die grundlegenden Menschenrechte“.
Die Bundesrepublik Deutschland schiebt übrigens ohne Einschränkung Menschen nach Irak ab.
Dienstag, 30. April
51.433 Kinder und Jugendliche auf der Flucht gelten in Europa offiziell als vermisst. Das ist das Ergebnis einer Datenrecherche des europäischen Journalistennetzwerks „Lost in Europe“. Es gäbe zudem „erhebliche Defizite bei der Erhebung der Daten über verschwundene minderjährige Geflüchtete“, berichtete die Tagesschau am Dienstag: „Von den zuständigen Behörden in 31 europäischen Ländern haben lediglich 15 auf die Anfragen des Recherchenetzwerks geantwortet. Während einige Länder wie Italien und Österreich besonders drastische Zahlen melden, mit jeweils mehr als 20.000 verschwundenen Kindern und Jugendlichen, sammeln andere wie zum Beispiel Spanien oder Griechenland gar keine Informationen über unbegleitete Kinder und Jugendliche.“ 51.433 unbegleitete, minderjährige Geflüchtete, die in Europa Sicherheit suchen und in einem System des Totalversagens landen, das sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht um sie kümmert. Theresa Keil vom Deutschen Kinderhilfswerk warnt: „Wenn Kinder als vermisst gelten, müssen wir davon ausgehen, dass sie besonderen Risiken ausgesetzt sind. Das kann sein, dass sie kriminellen Organisationen in die Hände fallen, dass sie ausgebeutet werden, sexuellen Missbrauch erfahren. Solche Fälle kennen wir.“
Mittwoch, 1. Mai
„Ich hasse natürlich nicht nur ZEIT Verbrechen, sondern das gesamte Genre True Crime“, sagt die Anwältin und Autorin („Die stille Gewalt„) Asha Hedayati im Interview mit der ZEIT, das am Mittwoch erschienen ist. Die Lust an True Crime ist für mich ebenfalls ein Rätsel. Aus feministischer Perspektive lässt sich nicht viel beschönigen an diesem Genre. Nicht nur wird hier häufig der Fokus auf die (männlichen) Täter und deren vermeintliche „Genialität“ gelenkt, während die (meist weiblichen) Opfer objektifiziert werden und ihre Geschichte auf das Opfersein beschränkt wird. Darüber hinaus trägt True Crime durch seine popkulturelle Verbreitung dazu bei, die Wahrnehmung geschlechtsbasierter Gewalt zu verzerren. Frauen lernen, dass der öffentliche Raum eine Gefahr für sie darstellt, während doch in Wahrheit das eigene Zuhause der gefährlichste Ort für sie ist. Dazu kommt das in den US-Podcasts verbreitete „Missing White Woman Syndrome“, also die Überrepräsentation weißer Frauen als Gewaltopfer, obwohl in Wahrheit „Schwarze, hispanische oder indigene Frauen (…) statistisch gesehen ein wesentlich höheres Risiko haben, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden“. Asha Hedayati begründert ihre Aversion gegen True Crime so: „Weil eine ganz merkwürdige Sensationsgeilheit bedient wird. Es soll möglichst brutal, möglichst dark sein. Das verdeckt, wie normal und üblich die Gewalt in unserer Gesellschaft ist. Durch Einzelfälle findet eine Verantwortungsverschiebung statt. Wir müssen uns ja den gewaltvollen Strukturen nähern, die dazu führen, dass Menschen zu Tätern oder Opfern werden.“
Am Mittwoch wurde eine trans Frau Opfer einer Körperverletzung in der Kurfürstenstraße. Ein Unbekannter schlug der 31-Jährigen mit einem Gürtel gegen den Kopf, sodass eine Platzwunde entstand. Es sind keine weiteren Details zu dem Vorfall bekannt, aber angesichts des Tatorts liegt zumindest der Verdacht nahe, dass es sich um eine Gewalttat gegen eine Sexarbeiterin auf dem Straßenstrich handeln könnte. Die Anfeindungen und Übergriffe häufen sich hier seit Jahren. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur berichtete Caspar Tate von der Peer-to-Peer-Initiative Trans*Sexworks bereits vor zweieinhalb Jahren: „Etwa seit einem Jahr bemerken wir diesen starken Gewaltanstieg (…) Menschen denken häufig, dass hier auf dem Straßenstrich halt Gewalt passiert aufgrund von Kunden oder Zuhälterei oder so. Aber jetzt, so seit einem Jahr, sehen wir vor allem ein enormes Gewaltpotenzial durch die Nachbarschaft.“ Die taz berichtete im November über die Übergriffe im Kiez.
Donnerstag, 2. Mai
Diese Woche hat die EU einen milliardenschweren Deal mit Libanon auf den Weg gebracht, um Geflüchtete daran zu hindern, europäischen Boden zu erreichen. Das ist aus EU-Sicht natürlich gut investiertes Geld, denn in Libanon ist das Realität, was sich AfD und deren Gesinnungsgenoss*innen auch für deutsche Außengrenzen wünschen: Brutale Gewalt und alltägliche Menschrechtsverletzungen gegen Geflüchtete. 1,5 Millionen geflüchtete Syrer*innen leben in Libanon, dem Land, das im Verhältnis zur Einwohnerzahl weltweit am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. „Über die Hälfte der registrierten Flüchtlingsbevölkerung im Libanon ist jünger als 18 Jahre. 37% der Kinder zwischen 6 und 14 Jahren gehen nicht in die Schule“, berichtet die UNO-Flüchtlingshilfe. Geschätzte 90 % der Geflüchteten leben in extremer Armut. Dazu kommt die alltägliche Bedrohung durch gewalttätige Banden. Libanon steckt tief in der Krise und die Geflüchteten werden als Sündenböcke für Kriminalität und Inflation verantwortlich gemacht. Human Rights Watch berichtete laut Tagesschau, „dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer (…) willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten“. Viele Syrer*innen versuchen mit Booten nach Zypern zu gelangen, doch dort sind sie genauso wenig willkommen. Die EU will sich nun freikaufen und verspricht der Iran-treuen Hisbollah-Regierung in Beirut Milliarden, wenn sie sich um die Menschen „kümmert“, d.h., sie von Europa fernhält. „Die EU verrät mit dieser Politik des planvollen Wegschauens täglich ihr Bekenntnis zu Pakten wie der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der UN-Flüchtlingskonvention. Und sie gibt ihre grenzüberschreitende Anwaltschaft für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit auf“, schreibt Ursula Rüssmann in der Frankfurter Rundschau über den Deal.
Freitag, 3. Mai
Am Freitag widmete sich das ND dem neuen Buch von Christina Clemm, das „Gegen Frauenhass“ heißt und für den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Die Anwältin vertritt seit über 30 Jahren Betroffene von Partnerschaftsgewalt und versucht mit ihrem Buch die „Einzelfall“-Rhetorik bei patriarchaler Gewalt zu durchbrechen und den Blick auf das misogyne System zu lenken. „Ich habe viele fadenscheinige Erklärungen von Tätern gehört, habe den Erläuterungen ihrer angeblichen Verzweiflung, ihren Rechtfertigungen, ihren Versuchen, den Frauen die Schuld zuzuschieben, schon zu viel Aufmerksamkeit geschenkt“, schreibt sie. „Was mich interessiert, ist nicht, warum sie es tun, sondern vielmehr, warum sie es nicht lassen. Und weshalb sie nicht daran gehindert werden.“ Das Buch ist bei Hanser Berlin erschienen und kostet 22 Euro. Es ist auch als Hörbuch verfügbar.
Samstag, 4. Mai
„Wir werden sie jagen“, drohte Spitzenkandidat Alexander Gauland, als die AfD im Jahr 2017 mit 13,4% erstmals in den Bundestag einzog. Seine Gesinnungsgenoss*innen setzen dies längst in die Tat um. Im Wahlkampf wird die Gewalt gegen den politischen Gegner tagtäglich sichtbar. Allein in den letzten zehn Tagen sind mir die folgenden Meldungen begegnet:
Am 26. April wurden in Zwickau zwei Wahlhelfer der Grünen beim Plakatieren von vier Männern verbal und kurz darauf auch körperlich attackiert. Gleichzeitig kam es in Leipzig zu einem Angriff auf einen Wahlhelfer von Volt. Dem 25-Jährigen wurde ins Gesicht geschlagen. Auch in Schöneiche bei Berlin kam es zu einem gewalttätigen Übergriff, bei dem zwei Kandidaten der Linken im Alter von 32 und 44 Jahren von einer Gruppe Jugendlicher bedroht und geschlagen wurden.
Am 27. April wurde in Chemnitz ein 37-Jähriger beim Anbringen von Wahlplakaten der Grünen angegriffen und die Leiter entrissen. Weitere Angriffe habe es am gleichen Tag in Zwickau, Freiberg und Penig gegeben, so der MDR.
Im Kreis Barnim (Brandenburg) wurde die Grünen-Politikerin Kathrin Göring-Eckart nach einer Wahlkampfveranstaltung von mehreren Männern bedroht. Die Tagesschau berichtete, dass sich „schätzungsweise etwa 40 bis 50 Demonstranten“ vor dem Veranstaltungsort versammelt und die Politikerin auf dem Weg zu ihrem Dienstwagen bedrängt hätten. Die Männer hätten „dabei in aggressiver Stimmung auf das Fahrzeug“ geschlagen und die Abfahrt des Autos rund 45 Minuten blockiert. „Alkoholisierte Pöbler standen vor unserem Fahrzeug, in dem ich saß, hielten uns auf, fuchtelten mit Bierflaschen herum“, erzählte die Politikerin danach.
In der Nacht zu Samstag kam es dann in Dresden zu einem besonders brutalen Übergriff auf den SPD-Spitzenkandidat in Sachsen, Matthias Ecke. Der 41-Jährige sei, laut Polizeiangaben, im Stadtteil Striesen von vier Unbekannten überfallen worden, als er gerade dabei war, Plakate aufzuhängen. Ecke sei dabei so schwer verletzt worden, dass er ins Krankenhaus kam, wo er operiert werden musste. Kurz zuvor soll vermutlich die gleiche Männergruppe bereits ein Wahlkampteam der Grünen geschlagen und getreten haben.
Die Gewalt ruft nun auch Politiker*innen auf den Plan, die selbst zur feindseligen Stimmung aktiv beitragen. So sagte bspw. Christian Lindner von der FDP: „Die Enthemmung der politischen Auseinandersetzung betrifft uns alle (…) Jeder kann der nächste sein.“ Der Bundesfinanzminister lässt es bewusst so aussehen, als habe die die jeweilige Parteizugehörigkeit der Opfer nichts mit den Angriffen zu tun. Als wären es nicht linke (oder von Rechten als linke wahrgenommene) Politiker*innen und Wahlkampfhelfende, die zum Ziel der rechten Gewalt werden. Für Lindner sind die brutalen Übergriffe eine willkommene Vorlage für sein Hufeisengefasel. Deshalb hier in aller Klarheit: Die Gewalt kommt von rechts! Die Antwort ist Antifaschismus.
Sonntag, 5. Mai
Der 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Das nehme ich zum Anlass, euch mit ein paar Daten und Fakten auszustatten:
- In Deutschland leben ca. 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen.
- Nur 3 % der Behinderungen sind angeboren, d.h. 97 % der behinderten Menschen bekommen die Behinderung im Laufe des Lebens.
- Die Vereinten Nationen rügen Deutschland dafür, dass die UN-Behindertenrechtskonvention nicht konsequent genug umgesetzt bzw. die Umsetzung vorangetrieben wird.
- Rund 270.000 Menschen arbeiten in einer der etwa 735 Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM).
- Drei Viertel der Beschäftigten in WfbM arbeiten rund 40 Stunden pro Woche. Und bekommen 1,30 Euro Stundenlohn. Durchschnittlich haben sie einen Monatslohn von 226 Euro.
- Weniger als 1 % der Menschen verlässt die Werkstatt in eine reguläre Beschäftigung. 2019 waren es 504 Personen. 14 % davon arbeiteten später wieder in einer WfbM.
- Menschen mit Schwerbehinderung sind sehr viel häufiger arbeitslos als die Durchschnittsbevölkerung. Die allgemeine Arbeitslosenquote ist mit 10,8 Prozent doppelt so hoch wie die Quote in der Gesamtbevölkerung.
„Theoretisch gilt ein Diskriminierungsverbot gegenüber Menschen mit Behinderung“, schreibt Patricia Fritze in ihrem Beitrag für ZEIT Online: „In der Praxis gilt das leider weder in Universitäten noch in der Berufswelt. Nachteilsausgleiche? Recht auf Teilzeit? Quoten? Interessiert die wenigsten. Wer dich loswerden will, findet Wege.“ Sie hat noch 29 weitere Dinge aufgeschrieben, die sie gelernt hat, seit sie im Rollstuhl sitzt. Hier könnt ihr sie lesen.
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