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Plakat beim Dyke* March in Hamburg 2024 (Foto von mir.)

Hass und Hillbillies

Rassistische Ausschreitungen in Großbritannien, transfeindliche Hetze gegen Sportlerinnen und ein möglicherweise zukünftiger US-Präsident, der kinderlosen demokratische Rechte entziehen will. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW31

Montag, 29. Juli

Am Montag griff ein 17-Jähriger im britischen Southport eine Kinder-Tanzgruppe an. Mit einem Messer tötete er drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren und verletzte acht weitere Kinder und zwei Erwachsene. Die Misogynie der Tat ist kaum zu leugnen, bedenkt man, dass es sich um einen Ferien-Tanzkurs zur Musik von Taylor Swift handelte, an dem nur oder überwiegend Mädchen teilnahmen. Das Internet, nein, MENSCHEN im Internet, haben aber erfahrungsgemäß ihre eigene Agenda bei schrecklichen Gewalttaten wie dieser, insbesondere dann, wenn ein Messer involviert ist. So auch hier: Rechtsextreme verbreiteten schnell die Falschmeldung, beim Täter handle es sich um einen „undokumentierten“ Geflüchteten, der kürzlich erst nach Großbritannien gekommen sei. Der rechte Journalist David Atherton (Selbstbezeichnung: „libertarian, free markets, free speech“), der auf X (Twitter) mehr als 200.000 Follower*innen hat, behauptete in einem inzwischen gelöschten Tweet: „Er steht angeblich auf der Beobachtungsliste des MI5, hatte ‚psychische Probleme‘ und war ein Migrant aus dem Ärmelkanal“. Nur wenige Stunden später stellten die Ermittlungsbehörden klar, dass der Täter in Cardiff geboren wurde, als Sohn ruandischer Eltern. Ein terroristisches Motiv wurde ausgeschlossen. Für Rassist*innen und Neonazis spielt das natürlich keine Rolle, sie mutzten die schreckliche Tat für ihre Zwecke. In Southport, aber auch in London kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen von Neonazis, die muslimische Einrichtungen, nicht-weiße Menschen und auch die Polizei angriffen. Hannah Rose, Analystin beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), erklärte, für die Angriffe hätten verschiedene muslimfeindliche und antimigrantische Netzwerke mobilisiert. So hätten u.a. Mitglieder der Patriotic Alternative (PA), einer weißen nationalistischen Gruppe, sowie der „English Defense League“ (EDL) in Telegramgruppen zu Protesten aufgerufen. Es sei deutlich geworden, „dass die britische radikale Rechte immer noch in der Lage ist, schnell und gewaltsam zu mobilisieren“. Im Verlauf der Woche kam es auch in anderen Städten, wie Liverpool, Leeds, Manchester, Nottingham und Belfast zu gewalttätigen Ausschreitungen. In Hall wurden die Scheiben eines Hotels eingeworfen, in dem Asylsuchende untergebracht waren. Während der Mehrfachmord von Montag nicht als terroristisch eingestuft wird, sollte der darauffolgende rassistische Gewaltausbruch unbedingt so bezeichnet werden. Der britische Journalist Taj Ali beschreibt in einem Artikel für das muslimische Onlinemagazin „Hyphen“, wie sich Angst und Schrecken in den muslimischen oder muslimisch gelesenen Communities ausbreiten: „Die schlimmsten Auswirkungen waren bisher in nördlichen Städten mit kleinen muslimischen Gemeinden zu spüren. Dies stellt einen gefährlichen Strategiewechsel der Rechtsextremen dar, deren Anhänger sich in der Regel in großen Metropolen versammeln“, schreibt er. Darüber hinaus würden „durch die erfolgreiche Einschüchterung ganzer Gemeinschaften die Unterstützer ermutigt und ein Präzedenzfall für größere oder willkürlichere Angriffe anderswo geschaffen. Infolgedessen sind nicht nur die Muslime in diesen Gemeinschaften zunehmend gefährdet, sondern Minderheiten überall.“

Dienstag, 30. Juli

Fast ein Viertel der Mädchen und jungen Frauen unter 20, die in einer Beziehung sind, erlebt Partnerschaftsgewalt. Das ergab eine Studie im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO, die in „The Lancet“ veröffentlicht wurde. Rund 19 Millionen Menschen zwischen 15 und 19 Jahren betrifft das weltweit, vor allem aber im sogenannten Globalen Süden. „Während in Mitteleuropa zehn Prozent betroffen sind, haben in der Region Ozeanien 47 Prozent solche Erfahrungen gemacht. In Afrika südlich der Sahara beträgt der Wert 40 Prozent“, heißt es auf Tagesschau.de. Geld, Bildung, aber auch gesellschaftspolitische Strukturen beeinflussen der Untersuchung zufolge die Zahlen. „Partnerschaftsgewalt gegen heranwachsende Mädchen war in Ländern und Regionen mit niedrigem und niedrigem bis mittlerem Einkommen höher als in Ländern und Regionen mit hohem Einkommen. In Ländern mit einer höheren Schulbesuchsquote von Frauen an weiterführenden Schulen und in Ländern mit einem Erbrecht, das die Gleichstellung der Geschlechter fördert, war die Prävalenz von Partnergewalt gegen heranwachsende Mädchen geringer“, heißt es in der Studie. Auch in Gesellschaften, in denen Kinderehen häufiger sind, wird mehr häusliche Gewalt verzeichnet.

Mittwoch, 31. Juli

In Deutschland kannten die wenigsten J.D. Vance. Wenn überhaupt, dann als Autor des 2017 in deutscher Übersetzung erschienen Bestsellers „Hillbilly-Elegie“ (das der Ullstein-Verlag wegen der politischen Positionen des Autors nicht mehr neu auflegen will). Inzwischen sollte der Namen mindestens den Menschen ein Begriff sein, die sich auch nur am Rande für Politik interessieren, denn Donald Trump hat Vance zu seinem designierten Vize gemacht. Seit der Bekanntgabe am 15. Juli läuft es für den republikanischen Senator aus Ohio jedoch alles andere als rund. Vance, der führende Politiker*innen der Demokraten als „kinderlose Soziopathen“ bezeichnete, die „kein wirkliches Interesse an diesem Land haben“, gerät immer mehr in die Kritik. Am Mittwoch fragte die Tagesschau „Wird Vance zur Belastung für Trump?“ und widmete der aktuellen Kampagne der Republikaner eine Analyse. Und auch ein Sprecher für den Parteitag der Demokraten, Alex Flloyd, fand deutliche Worte. Vance sei „ein realitätsfremder Ultra-MAGA-Widerling, der Freiheiten abschaffen, unsere Demokratie bedrohen und eine rechtsextreme Agenda für das Projekt 2025 verfolgen will“. J.D. Vance, der die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, als „childless cat lady“ (kinderlose Katzenfrau) herabwürdigte, fährt seit Jahren einen radikalen Kurs gegen jegliche Abweichung zur heterosexuellen Kleinfamilie. U.a. forderte er, kinderlose sollen weniger demokratische Mittbestimmungsrechte haben als Menschen mit Kindern. Er sagte: „Wenn man in diesem Land zur Wahl geht, sollte man mehr Macht haben – mehr Möglichkeiten, seine Stimme in unserer demokratischen Republik zu erheben – als Leute, die keine Kinder haben (…) Wenn man nicht viel in die Zukunft dieses Landes investiert, dann sollte man vielleicht nicht annähernd die gleiche Stimme bekommen.“ Der 40-jährige Vater von drei Kindern macht den Geburtenrückgang für den Untergang des Abendlands verantwortlich, eine These, die in rechtsextremen Kreisen als „der große Austausch“ bezeichnet wird: weiße Frauen kriegen weniger Kinder, während sich nicht-weiße (insbesondere muslimische) Menschen vermehren würden. Die Folge: das Aussterben der weißen „Rasse“, der schlimmste Albtraum der Rassist*innen. Schuld daran sind übrigens der Feminismus, Migrationsbewegungen und laut Vance auch die „Eliten“, die den Menschen Angst vor der Klimakatastrophe einredeten. Zu seinen Plänen zur Förderung der Geburtenrate in den USA gehören selbstredend auch das Verbot von Abtreibungen und Einschränkungen des Rechts auf Scheidung.

Kamala Harris ist übrigens Stiefmutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern.

Donnerstag, 1. August

Seit Donnerstag können sich Menschen über 18 Jahren, die eine deutsche oder die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Lands bzw. eine Aufenthaltserlaubnis haben, für die personenstandsrechtliche Änderung des Namens und Geschlechtseintrags anmelden. (Minderjährige brauchen die Zustimmung der Sorgeberechtigten, unter 14 Jahren ist zudem eine vorangegangene Beratung vorgeschrieben.) Mit Inkrafttreten des „Selbstbestimmungsgesetz“ am 1. November können Geschlechtseintrag und Vornamen gegenüber dem Standesamt selbst erklärt werden, es ist keine medizinisch-psychologische Begutachtung mehr vorgeschrieben. Der Gesetzgeber hat allerdings eine dreimonatige Wartezeit ins Gesetz geschrieben (warum auch immer) und dementsprechend beginnt die Anmeldungsfrist bereits am 1. August. Eine weitere Voraussetzung zur Änderung oder Streichung des Geschlechtseintrags ist die Wahl eines „geschlechtseindeutigen“ Namens. Personen, die den Eintrag „divers“ wählen möchten oder den Eintrag streichen lassen möchten, müssen sich entsprechend einen „geschlechtsambivalenten“ Namen geben lassen, der weder eindeutig männlich noch weiblich ist. Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass die Standesämter die neue Regelung unterschiedlich auslegen. Während im Gesetz nirgendwo etwas über die Anzahl der Vornamen steht, behaupten einige Behörden, die Anzahl der Vornamen dürfe nicht geändert werden. Auf der Webseite https://sbgg.info hat ein Bündnis verschiedener Verbände und Interessenvertretungen hilfreiche Informationen zusammengestellt.

Freitag, 2. August

Eine gute Nachricht in dieser Woche war auf jeden Fall das Urteil des Landgerichts Halle, das am Freitag bestätigte, dass der notorische Rechtsextremist Sven Liebich wegen Volksverhetzung und übler Nachrede für eineinhalb Jahre ins Gefängnis muss. Liebich hatte u.a. in seinem Nazi-Onlineshop einen Baseballschläger mit der Aufschrift „Abschiebehelfer“ vertrieben – Volksverhetzung, wie das Gericht bestätigte. Der Rechtsextremist, der seit Jahren insbesondere in Halle sein Unwesen treibt und antifaschistische Aktivist*innen beleidigt und bedroht, konnte dies lange Zeit recht unbehelligt tun, immer wieder wurden Verfahren gegen ihn eingestellt. „Oftmals mit nicht nachvollziehbaren Begründungen“, sagte Valentin Hacken zur taz, der als Teil des Bündnisses „Halle gegen Rechts“ auch den Prozess beobachtete. Diese besorgniserregende Untätigkeit der Staatsanwaltschaft in Halle ist auch Thema des sehr hörenswerten Podcasts „Extrem rechts – Der Hass-Händler und der Staat“.

Samstag, 3. August

Am Samstag jährte sich der Völkermord an den Jesid*innen zum zehnten Mal. Mindestens 5.000, andere Quellen sprechen von 10.000 Menschen, wurden vor zehn Jahren vom selbsternannten „Islamischen Staat“ ermordet, mehr als 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, vergewaltigt und versklavt. Hunderttausende Jesid*innen mussten fliehen, viele von ihnen leben bis heute in Flüchtlingslagern, z.B. im Irak. Doch die irakische Regierung macht Druck, will die Lager schließen und die Menschen vertreiben, ohne dass es einen sicheren Ort für sie gibt. „Grundsätzlich wäre es gut, wenn die Jesidinnen und Jesiden endlich die Lager verlassen und ein normales Leben führen könnten. Doch genau das passiert nicht: Denn die Jesidinnen und Jesiden können in ihrer Herkunftsregion Sinjar im Irak nicht sicher leben – und auch in anderen Regionen im Irak nicht. Ohne diese Camps drohen sie obdachlos, mittellos und schutzlos zu werden, zudem verlieren sie ihre Schulen und ihre Gesundheitsversorgung“, betont Shokh Mohammed von Wadi e.V. in einer gemeinsamen Erklärung mit Pro Asyl e.V. Dessen Geschäftsführer Karl Kopp appelliert an die Bundesregierung endlich einen bundesweiten Abschiebestopp zu beschließen: „Aus Deutschland dürfen keine Opfer des Völkermords abgeschoben werden. Die Jesid*innen brauchen Sicherheit und ein Bleiberecht hier. Statt den Überlebenden dieses vom Bundestag anerkannten Genozids diese Sicherheit zu gewähren, droht die Abschiebung an den Ort des Völkermords“.

Sonntag, 4. August

Die Federgewicht Boxerin Lin Yu-ting aus Taiwan gewann heute bei den Olympischen Spielen gegen die Bulgarin Svetlana Staneva. Lin Yu-ting, die mal erzählt hat, dass sie mit dem Boxen anfing, um ihre Mutter vor der häuslichen Gewalt beschützen zu können, war bereits vor dem heutigen Viertelfinalkampf massiver Hetze ausgesetzt. Sie und eine weitere Boxerin, Imane Khelif aus Algerien, wurden als „trans Frauen“ oder „Männer“ bezeichnet, deren Teilnahme an den Spielen unzulässig sei. Der Hass, die Falschbehauptungen, die rassistische, misogyne und transmisogyne Hetze nahm in wenigen Tagen ein solches Ausmaß an, dass sich das Olympische Komitee (IOC) gezwungen sah, eine offizielle Erklärung zu den Sportlerinnen abzugeben. Darin heißt es: „Wir haben in Berichten irreführende Informationen über zwei Athletinnen gesehen, die an den Olympischen Spielen Paris 2024 teilnehmen. Die beiden Athletinnen nehmen seit vielen Jahren an internationalen Boxwettbewerben in der Kategorie der Frauen teil, unter anderem an den Olympischen Spielen Tokio 2020, an Weltmeisterschaften der International Boxing Association (IBA) und an von der IBA sanktionierten Turnieren“. Die Disqualifizierung der beiden Frauen bei den IBA-Weltmeisterschaften 2023 nennt das IOC „plötzlich und willkürlich“ und „ohne ein ordentliches Verfahren“. Weiter erklärt das IOC, „die gegenwärtige Aggression gegen diese beiden Sportlerinnen beruht ausschließlich auf dieser willkürlichen Entscheidung“, was so nicht ganz richtig ist. Die gegenwärtige Aggression ist vielmehr das Ergebnis einer seit Jahren andauernden und sich radikalisierenden transmisogynen Stimmungsmache, die am Donnerstag nach dem Weltergewicht-Achtelfinale überkochte, als Imane Khelif ihre italienische Gegnerin besiegte. Die bekanntermaßen transfeindliche Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling, nannte Imane Khelif „einen Mann, der weiß, dass er von einer frauenfeindlichen Sport-Organisation geschützt wird, die sich an der Not einer Frau erfreut, der er gerade einen Kopfschlag versetzt hat“ und Alice Schwarzer sagt zur Neuen Osnabrücker Zeitung, der „tragische Boxkampf“ sei ein Beleg gegen die Behauptung, dass „ein als Mann geborener Mensch (…)  durch Hormone und Operationen einen Körper wie eine Frau haben“ könne. Frauen, die nicht dem kolonialen Bild von weiblicher Zartheit entsprechen, die „zu wenig“ Kurven und „zu viele“ Haare haben, sind seit jeher Angriffen ausgesetzt, die ihr Geschlecht infrage stellen. Die südafrikanische Leichtathletin Caster Semenya ist das vielleicht berühmteste Beispiel, aber es trifft regelmäßig so viele Frauen – insbesondere solche, die nicht weiß sind. Das Motiv? Rassismus! Darauf machen antirassistische genauso wie trans weibliche Aktivist*innen seit Jahrzehnten aufmerksam. Nur hört ihnen kaum jemand zu. Dass sich im Falle von Imane Khelif und Lin Yu-ting nun zahlreiche Journalist*innen und Prominente auf die Seite der Athletinnen stellen, ist zwar prinzipiell ein schönes Zeichen, zeigt aber auch die tiefsitzende Transmisogynie der Debatte. „Die sind ja gar nicht trans“, ist der Grundton. Und dieses vermeintlich schlagende Argument basiert darauf, dass hier cis Frauen zu Unrecht als trans bezeichnet werden. Ein progressiver Ansatz erkennt Transfeindlichkeit jedoch nicht erst, wenn cis Frauen davon (fälschlich) betroffen sind, sondern schützt tatsächliche trans Frauen, die genauso ein Recht haben, am sportlichen Wettkampf teilzunehmen, wie ihre cis Geschlechtsgenossinnen. Das alles habe ich mir übrigens nicht ausgedacht, sondern es ist das Ergebnis der Arbeit von trans Menschen, insbesondere trans Frauen, die hier die Expertise haben, die der aktuellen medialen Auseinandersetzung komplett zu fehlen scheint.

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