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In Berlin wurden diese Woche zwei Frauen ermordet. (Illustration von mir)

Die Betonung liegt auf rechts

Deutschland schiebt wieder nach Afghanistan ab und verweigert Geflüchteten basale Menschenrechte, zwei Femizide in Berlin interessieren wie gewohnt kaum jemanden und wieder hat die Polizei drei Menschen erschossen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW35

Montag, 26. August

Ein Jahr ist die „Flugblattaffäre“ um Hubert Aiwanger schon her. Erinnert ihr euch noch? Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident hatte einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge in seiner Jugend ein antisemitisches Flugblatt erstellt und verbreitet, auf dem einem „Vaterlandsverräter“ ein „Freiflug durch den Schornstein von Ausschwitz“ versprochen wurde. Aiwanger wand sich raus, sein Bruder übernahm die Verantwortung, Aiwangers Weste wieder so weiß wie das Deutschland, dass er sich erträumt. Söders Vize macht einfach so weiter wie eh und je. Cancel Culture existiert eben nur dann, wenn es den Rechten nutzt. „Was wurde aus dem Aiwanger-Skandal?“, fragte die Tagesschau am Montag und stellte fest, dass der Eklat dem Chef der Freien Wähler zwar kurzzeitige Wahlerfolge bescherte („Bei der Landtagswahl nur wenige Wochen später bekommt seine Partei mit 15,8 Prozent das beste Ergebnis, das sie je hatte“), inzwischen aber „verpufft“ ist. Lediglich die jüdischen Gemeinden seien weiterhin skeptisch. Der Forderung u.a. von Markus Söder, Aiwanger solle verlorenes Vertrauen wieder aufbauen, kam der 53-Jährige nicht nach. „Nachgehakt bei mehreren jüdischen Gemeinden in Bayern, heißt es: Aiwanger habe sich bei ihnen nicht gemeldet.“

Dienstag, 27. August

Die AfD ist nach dem tödlichen Attentat in Solingen im siebten Himmel. So eine Vorlage hätten sie sich im Wahlkampfendspurt nicht erträumen können. In Brandenburg (Landtagswahlen am 22. September) veröffentlichte die Fraktion am Dienstag einen Entschließungsantrag, der u.a. vorsieht, dass Geflüchtete von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen werden sollen. Konkret wird die Landesregierung aufgefordert, „ein Betretungsverbot öffentlicher Veranstaltungen für Asylantragsteller, Asylberechtigte, ukrainische Kriegsflüchtlinge sowie vollziehbar ausreispflichtige, geduldete und subsidiär schutzberechtigte Ausländer zu erlassen“. Darüber hinaus fordert die Partei u.a. „eine Brandenburgische Grenzschutzpolizei“ aufzubauen und „nur noch eine zentrale Erstaufnahmeeinrichtung mit verbundenem Rückkehrzentrum zu betreiben und sicherzustellen, dass Asylbewerber während des gesamten Verfahrens in dieser Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind“. Das Recht auf Asyl wollen die Rechtsextremist*innen ganz abschaffen und fordern „konsequent abzuschieben“. Während das letztere so auch von der Bundesregierung unterschrieben wird, geht die AfD noch weiter und ergänzt den Antrag um die Forderung nach einem Verbot von „Regenbogenflaggen“ an öffentlichen Gebäuden und die Unterstützung des Aktionsbündnis „Tolerantes Brandenburg „unverzüglich zu beenden und daraus resultierende finanzielle Zuwendungen einzustellen“. Das Dokument macht deutlich, dass es der AfD nicht um „Sicherheit“ geht (für wen auch?), sondern um eine radikale Abkehr von Menschenrechten, Demokratie und Zivilgesellschaft. Es ist kein Zufall, dass die Partei ihre Hetze gegen Geflüchtete direkt mit Drohungen gegen die offene Gesellschaft verbindet. „Vielfalt ist keine Stärke“ heißt es gleich zu Beginn im Papier und im finalen Punkt wird die Landesregierung aufgefordert, „sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, die Abgabenordnung so zu ändern, dass allen Vereinen, die sich in ihrem Vereinszweck auf Vielfalt berufen, die Gemeinnützigkeit aberkannt werden kann“. Dass der Entschließungsantrag im Landtag letztlich abgelehnt wurde, ist nur eine Momentaufnahme. Nach den Wahlen wird er so oder so ähnlich sicher wieder auf der Tagesordnung landen.

Mittwoch, 28. August   

Es gab auch gute Nachrichten diese Woche. In Hamburg ist das Volksbegehren „gegen die Gendersprache“ offenbar gescheitert. Wie der MDR am Mittwoch berichtete, wurden nur rund 50.000 statt der erforderlichen 66.000 Unterschriften gesammelt. Bei der Initiative ist jetzt das Gejammer groß und natürlich sind „die da oben“ Schuld. Der Notar und „Vertrauensmann“ der Initiative Jens Jeep ist sich sicher, dass sie 100.000 Unterschriften bekommen hätten, wenn die Sammlung nicht während der Ferien stattgefunden hätte. Die Hamburger Bürgerschaft hätte eine Verschiebung verhindert, um dem Volksbegehren zu schaden. Außerdem seien Menschen eingeschüchtert worden. So klingen Verlierer, Jens – findet euch doch einfach damit ab, dass die Hamburger*innen keinen Bock auf eure Sprachpolizei haben. Hier, nur für euch, noch drei extra Gendersternchen: *** Ätschibätsch.

Donnerstag, 29. August

Menschenrechte sind in Deutschland auf Sand gebaut, zumindest für die Menschen, die die Dominanzkultur als „fremd“ und „anders“ markiert. Ich glaube, dass der Mehrheit überhaupt nicht bewusst ist, dass selbst der Faschismus nicht für alle „schlimm“ ist. Bist du weiß, cis und hetero, rechts, in der bürgerlichen „Mitte“ oder „unpolitisch“, christlich oder konfessionslos, ohne Behinderung und mit einem deiner Geschlechterrolle entsprechenden Verhalten hast du gar nicht so viel zu befürchten. Also es sei denn, du interessierst dich nicht nur für deine eigenen Rechte. Für die Menschenrechte von Geflüchteten zum Beispiel. Die werden hier ohnehin seit jeher mit Füßen getreten, aber in dieser Woche noch mal mehr. Zahlreiche schutzsuchende Menschen sollen in Deutschland zukünftig nur noch „Bett, Brot und Seife“ erhalten. Keinen Cent sollen sie bekommen, weder Geldleistungen noch „Bezahlkarte“. Dem Vorschlag von Finanzminister Christian Lindner folgend, einigte sich die Ampelkoalition (ja, mit den Grünen) in ihrem am Donnerstag vorgestellten „Sicherheits- und Asylpaket“ darauf, dass Geflüchtete, die über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist sind, nur noch die allernötigste Versorgung erhalten sollen, damit sie nicht „verhungern“, wie Nancy Faser sagte. Die Politik der Härte soll vor allem dazu dienen, die Menschen aus Deutschland zu vertreiben, oder wie Lindner es nannte: „Der Magnetismus des deutschen Sozialstaats muss beendet werden.“ Ein „besonderes Ausweisungsinteresse“ soll zukünftig Jugendlichen gelten. Als Anlass für diese nächste rassistische Eskalationsstufe der Bundespolitik wurde das Attentat in Solingen herangezogen (Sicherheit, blabla). Wenige Tage vor zwei Landtagswahlen setzt die Regierung AfD-Forderungen um. Wenn ihr mich fragt, passiert das aber nicht deshalb, weil so ein Wahlerfolg der Rechtsextremen verhindert oder gemindert werden soll, sondern weil man sich hier schlicht einig ist. Deutschland einig Rassistenland.

Freitag, 30. August

Letzte Woche habe ich an dieser Stelle noch darauf verwiesen, dass Olaf Scholz‘ Herzenswunsch, Abschiebungen nach Afghanistan, sich bislang nicht erfüllt, weil dafür mit den radikalislamistischen Taliban verhandelt werden müsste. Überraschung! Das hat offenbar bereits seit Monaten stattgefunden, denn am Freitag wurden 28 Menschen mit einem Flugzeug von Qatar(!) Airways nach Kabul deportiert. Eine „Bankrotterklärung für den Rechtsstaat„, wie es Tareq Alaows, flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, formulierte. Die Bundesinnenministerin redet sich raus. In einem Interview mit ZDF Heute betonte sie mehrfach die „Rechtsstaatlichkeit“ des Verfahrens. Verhandelt habe man nicht mit den Taliban, sondern mit „Partnern„, erklärte Nancy Faeser. Und am Ende ist ihr das mit den Menschenrechten auch ein bissi egal: „Die Sicherheit Deutschlands geht für mich vor.“ Wie die Bundesregierung sicherstellen könne, dass den abgeschobenen Menschen in Afghanistan jetzt „nicht Schlimmstes droht […] der Tod zum Beispiel“, fragt der Moderator und Faeser antwortet mit: „Davon gehen wir nicht aus“. Konkrete Garantien gibt es dafür nicht, sie sagt lieber nochmal „Rechtsstaatlichkeit„. Insgesamt sieben Mal fallen die Worte „rechtsstaatlich“ und „Rechtsstaatlichkeit“ in dem Interview. Die NSDAP handelte übrigens auch rechtsstaatlich, just saying.

Auch am Freitag

Gleich zwei Femizide ereigneten sich diese Woche in Berlin. Am Freitag tötete ein 45 Jahre alter Mann seine 28-jährige Expartnerin an deren Wohnungstür in Friedrichsfelde. Der Mann stach mehrfach auf die Frau ein, sie starb kurz nach der Tat im Krankenhaus. Die zweifache Mutter hatte den Mann bereits wegen Stalking angezeigt. „Es gebe Anzeichen von häuslicher Gewalt in der Beziehung“, sagte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Am vorangegangenen Mittwoch wurde eine 36-Jährige im Stadtteil Zehlendorf von ihrem 50 Jahre alten Ex-Mann erstochen. Die Frau hinterlässt vier Kinder. Gegen den Täter lag ein Näherungsverbot vor. „Während der Ehe habe es bereits mehrfach Fälle von häuslicher Gewalt gegen die Frau gegeben“, schreibt der SPIEGEL. Partnerschaftsgewalt wird in Deutschland nach wie vor als „Privatsache“ behandelt, zwei tödliche Messerattacken in einer Woche, aber da die Taten nicht islamistisch motiviert waren, sondern aus misogynem Hass geschahen, bleibt das öffentliche Entsetzen aus.

Die Autonomen Frauenhäuser fordern die Bundesregierung auf, sich an den Koalitionsvertrag zu halten und „eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherzustellen, das Hilfesystem auszubauen und dabei Bundesmittel einzusetzen“. Die Petition „Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben! Gewalthilfegesetz für alle Frauen – Jetzt!“ kann hier mitgezeichnet werden.

Samstag, 31. August

In Berlin ist am Samstag mal wieder ein Mensch in seiner eigenen Wohnung von der Polizei erschossen worden. Ein 46-Jähriger, der Medienberichten zufolge „psychische Probleme“ hatte und unter Betreuung stand, soll zuvor einen anderen Mann auf einem Wohnwagenplatz mit einer Schusswaffe bedroht haben, ließ sich aber vertreiben. Der Bedrohte rief daraufhin die Polizei, die mit einem SEK das Ein-Zimmer-Appartement des 46-Jährigen stürmte, das „sehr unaufgeräumt“ gewesen sei. Der Mann soll beim Eindringen der Cops „sofort das Feuer eröffnet haben“, heißt es in einer Polizeimeldung, daraufhin wurde er getötet. Regelmäßig werden Menschen, sehr häufig mit psychischer Erkrankung, von der Polizei erschossen. Fast immer bleibt es für die Täter ohne juristische oder dienstliche Konsequenz. Thomas Feltes, Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum, erklärte bereits 2017 in einem Interview mit der taz: „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Polizei die Bedeutung des Problems wirklich realisiert. Sie tendiert eher dazu, ihr ­Handeln zu rechtfertigen und Fehler herunterzuspielen oder gar zu vertuschen. Mit der Begründung, in Notwehr gehandelt zu haben, wird der Einsatz dann legitimiert. Dabei wird die eigentliche Notwehrsituation oftmals erst durch den Polizeieinsatz ausgelöst.“ Statt psychologisch geschultes Personal, bspw. psychiatrische Krisendienste zurate zu ziehen, geht die Polizei meist in Rambo-Manier gegen Menschen in psychischer Ausnahmesituation vor. Mit Hunden, Pfefferspray und gezogenen Waffen. Feltes fordert: „Jeder Fall, in dem eine psychisch kranke Person Opfer von Polizeigewalt wird, muss durch unabhängige Ombudsleute oder Polizeibeschwerdestellen aufgearbeitet werden – nicht nur polizeiintern.“ Erst am Dienstag war in Moers (NRW) ein 26-jähriger Mann, der mit einem Messer bewaffnet Passant*innen angegriffen haben soll, von der Polizei erschossen worden. Auch in diesem Fall gibt es Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Mannes. Einen Tag später, am Mittwoch, erschoss die Polizei einen 33-Jährigen in einem Wohnhaus in Recklinghausen. Drei Tote durch Polizeischüsse in einer Woche, keine Sondermeldungen, keine Talkrunden, keine Politiker*innen, die „Konsequenzen“ fordern.

Sonntag, 1. September

Gleich schließen die Wahllokale in Sachsen und Thüringen und ich verschiebe meinen Kommentar zum Ergebnis lieber auf nächste Woche. Für heute will ich euch bitten, über eine Fördermitgliedschaft beim Netzwerk Polylux nachzudenken.

Polylux unterstützt Initiativen, Vereine, Projekte und Gruppen in den ostdeutschen Bundesländern. Die Idee ist simpel, aber wirkungsvoll: zivilgesellschaftliches Engagement muss unabhängig von der regierenden Politik werden. Wenn also eine zukünftige Landesregierung entscheidet, Projekten die finanzielle Förderung zu entziehen, sollten diese Projekte trotzdem weiterarbeiten können – durch Fördergelder aus der Zivilgesellschaft. Mit einer Fördermitgliedschaft können Menschen von überall die Zivilgesellschaft im Osten stärken und stützen. Das geht per Bankeinzug oder per Dauerauftrag:

Netzwerk Polylux e.V.
IBAN DE19 8306 5408 0004 1674 06
BIC GENO DEF1 SLR
Deutsche Skatbank

„Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen“, hat Esther Bejarano gesagt. Verlassen wir uns lieber aufeinander.

Das wars für heute, ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, die Arbeit am Wochenrückblick dauerhaft zu finanzieren.

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