Ociel Baena wurde ermordet, Olaf Scholz plappert SWERF-Propaganda nach, Hessen will gendergerechte Sprache verbieten und Russland die „LGBTQ-Bewegung“. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW46
Montag, 13. November
„Versammlungsfreiheit nur für Deutsche“ – das forderte sinngemäß die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Sonntag im WDR-Magazin „Westpol“. Wörtlich sagte sie: „Wenn die Versammlung in NRW angemeldet wird, dann muss geprüft werden, wie die Staatsangehörigkeit ist, denn das ist eines der wenigen Grundrechte, das nur Deutschen zusteht“ und bezog sich dabei auf Demonstrationen in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Die frühere Justizministerin, die aktuell Antisemitismusbeauftragte in NRW ist, erläuterte: „Die allermeisten Grundrechte gelten ja für alle in Deutschland lebenden Menschen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit“, aber die Versammlungsfreiheit stehe ausdrücklich nur Deutschen zu. In Artikel 8 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Am Montag ruderte sie dann zurück und bedauert, mit „missverständlichen Aussagen“ für „Irritationen“ gesorgt zu haben, blablabla. Ihre Worte sind nun aber in der Welt und wir kennen diese Taktik der Diskursverschiebung (siehe auch Overton Window).
Nochmal Montag
Am Montag protestierten überall in Mexiko Menschen gegen Queerfeindlichkeit und trauerten um Ociel Baena und their Partner, Dorian Daniel Nieves Herrera. Angehörige und Freund*innen des Paares sind sich sicher, dass beide ermordet wurden, vermutlich aus queerfeindlicher Motivation. Ociel Baena war Mexikos erste nicht-binäre Person im Richteramt und eine einflussreiche Figur der LGBTQIA+ Community. Baena hatte außerdem eine Professur an der Autonomen Universität von Aguascalientes, führte als erste Person offiziell einen nicht-binären Magistratstitel und besaß seit Mai den ersten nicht-binären Reisepass des Landes. „Die Tatsache, dass Ociel Beamte*r ist, war einer der greifbarsten Beweise für den Fortschritt, den wir gemacht haben“, sagte Enrique Torre Molina, Mitbegründer der LGBTQ+ Organisation Colmena 41. Ociel Baena erhielt vor deren Tod zahlreiche Morddrohungen, trotzdem berichteten mexikanische Behörden schnell, dass sie davon ausgehen, dass they von their Partner getötet worden sei, bevor dieser sich selbst das Leben genommen habe. Zwischen 2018 und 2022 hat Letra S, eine weitere LGBTQIA+ Organisation in Mexiko, 453 Morde an queeren Menschen dokumentiert, die tatsächliche Zahl wird noch deutlich höher sein. Am häufigsten wurden trans Personen getötet, 13 allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023. Ociel Baena wurde 38 Jahre alt.
Dienstag, 14. Oktober
CDU und SPD wollen in Hessen gendersensible Sprache faktisch verbieten. Das ist wohl die Sprachpolizei, vor der wir so lange gewarnt wurden. Im Eckpunktepapier zur neuen Regierungskoalition heißt es, „dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat der deutschen Sprache erfolgt“, also kein Gendersternchen, -Doppelpunkt oder -Unterstrich, keine Sprechpause zum Beispiel beim Wort „Bürger*innen“. Der Erste Vorsitzende des hessischen Landesverbands des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Knud Zilian, nennt die Pläne „eine ungeheuerliche politische Einflussnahme“ und betont: „Eine Anweisung, auf das Gendern zu verzichten, wäre rechtswidrig.“ Die Rundfunk- und Pressefreiheit seien im Grundgesetz geschützt: „Und dazu gehört auch das Recht, sich sprachliche Gestaltungsmöglichkeiten nicht nehmen zu lassen.“
Mittwoch, 15. November
Olaf Scholz schließt sich Dorothee Bär (CSU) und anderen sogenannten „Prostitutionsgegner*innen“ an und erklärte am Mittwoch in einer Fragestunde im Bundestag, „Prostitution ist schlimm“, dürfe nicht akzeptiert und müsse zurückgedrängt werden. Ein „Sexkauf“-Verbot müsse diskutiert werden. Der Kanzler sagte wörtlich: „Ich finde es nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen. Das ist etwas, was mich moralisch immer empört hat“ und reproduziert damit den hurenfeindlichen Talking Point, vom „Frauen kaufen“. Das suggeriert, die Sexarbeiterin sei eine Ware, die (gegen ihren Willen) gekauft würde, ohne dabei ein Mitspracherecht zu haben. In Wahrheit besteht Sexarbeit jedoch genau darin, dass nicht die Frau oder ihr Körper ver- bzw. gekauft wird, sondern eine Dienstleistung gegen Geld, bei klarer Vereinbarung von Inhalt, Umfang und Preis der Leistung. Die Vorstellung des „Frauenkaufens“ macht die Sexarbeiterin zum passiven, handlungsunfähigen Objekt und bedeutet in der Konsequenz, dass Sex gegen Geld stets gegen den Willen der Sexarbeiterin passieren würde. Dagegen wehren sich die Arbeiter*innen und ihre Interessensvertretungen schon lange. „Wie alle andere Personen haben Sexarbeiter*innen das Recht, ihre Einwilligung, Sex zu haben oder zu verkaufen, jederzeit [zu] ändern oder [zu] widerrufen. Dies muss von allen Parteien respektiert werden. Wenn die Zustimmung nicht freiwillig und fortdauernd ist, oder auch wenn die geänderte oder aufgehobene Zustimmung einer Person nicht respektiert wird, stellt dies eine Vergewaltigung dar, ist eine Menschenrechtsverletzung und muss als Straftat behandelt werden“, erklärt der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, BeSD. Ich glaube nicht, dass Olaf Scholz jemals mit aktiven Sexarbeiter*innen über deren Lebensumstände oder deren Forderungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen gesprochen hat. Aber ich weiß, dass Huschke Mau, die vielleicht umtriebigste der selbsternannten „Abolitionist*innen“, kürzlich auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag war. Mau hat schreckliche Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Menschenhandel gemacht, die sie z.B. in ihrem Buch „Entmenschlicht“ sehr grafisch beschreibt. Mau hat u.a. den sexarbeitsfeindlichen Verein „Sisters e.V.“ mitgegründet und das „Netzwerk Ella“, das Frauen beim „Ausstieg“ aus der Sexarbeit unterstützt (nicht zu verwechseln mit Organisationen, die Sexarbeiter*innen unterstützen! Hier gibt es die Hilfe nur für die, die aufhören wollen). Huschke Mau und ihre Mitstreiter*innen setzen sich aktiv für die Einführung des „Nordischen Modells“ ein, das Kund*innen von Sexarbeiter*innen bestraft (und damit die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen massiv verschlechtert). Warum das sogenannte „Sexkaufverbot“ eine Gefahr für Sexarbeiter*innen darstellt, haben Fachverbände und Beratungsstellen bereits vor vier Jahren dargelegt. Die Deutsche Aidshilfe erklärt: „Das Angebot sexueller Dienstleistungen wird durch ein Sexkaufverbot nicht weniger, sondern verlagert sich ins Verborgene. Prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse werden verschärft, die Betroffenen werden weiter marginalisiert. (…) Wer wirklich etwas für Menschen in der Sexarbeit tun will, muss ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern. Das gilt ganz besonders für Frauen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen und ohne Krankenversicherung.“ Für mehr Informationen und Hintergründe zum Thema Sexarbeit kann ich die Handreichung „Sexarbeit. Realitäten, Identitäten und Empowerment“ empfehlen, sie ist als PDF-Download verfügbar und kann auch kostenlos bestellt werden.
Auch am Mittwoch
Auf dem Magdeburger Westfriedhof wurden zwischen Dienstag und Mittwoch muslimische Gräber beschmiert. Auf drei Grabsteine wurden Hakenkreuze auf vier weitere Davidsterne mit silberner Farbe gesprüht. „Die Schändung der Ruhestätte ist nicht nur eine feige Straftat, sondern verletzt auch religiöse Wertvorstellungen ebenso wie unser demokratisches Grundverständnis“, erklärte das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA) in einer schriftlichen Stellungnahme.
Donnerstag, 16. November
Die Erfurter Gleichstellungsbeauftragte hat beim Amtsgericht Erfurt eine Kündigungsschutzklage eingereicht, das berichtete der MDR am Donnerstag. Mary-Ellen Witzmann wurde Ende Oktober von ihrem Arbeitgeber, dem Oberbürgermeiste der Landeshauptstadt Thüringens, beurlaubt und kurz darauf fristlos entlassen. Grund dafür war, dass Witzmann mit der „Thüringer Allgemeinen“ über die Vorwürfe des Missbrauchs am Erfurter Theater gesprochen hatte. Die Zeitung selbst schreibt dazu: „Witzmann bestätigte damals, dass ihr Anzeigen von sechs Personen vorlägen. ‚Ich halte es für meine Aufgabe, zunächst für größtmögliche Transparenz zu sorgen‘, begründet sie ihr Motiv, die Anfrage dieser Zeitung nicht unbeantwortet gelassen zu haben.“ Aus Sicht der Stadt Erfurt habe die Gleichstellungsbeauftragte eigenmächtig gehandelt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen hat sich mit einem Schreiben an den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein gewandt und die Kündigung kritisiert. Darin heißt es: „Grundlegend ist festzuhalten, dass die Begleitung der von sexueller Belästigung im Theater Erfurt betroffenen Frauen unter die Zuständigkeit der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Erfurt, Frau Witzmann, fällt. (…) Im Hinblick auf diese rechtlichen Grundprämissen und dem uns vorliegenden Sachverhalt ist die Suspendierung und die anschließende fristlose Kündigung von Frau Witzmann nicht nachvollziehbar. Auch für die Betroffenen von sexueller Belästigung hat dieses Vorgehen ernsthafte Konsequenzen, da so die in der Stadtverwaltung rechtlich zuständige Ansprech- und Vertrauensperson vollständig aus dem Verfahren genommen wird. Somit ist auch nicht mehr gewährleistet, dass die Stimmen und Perspektiven der Betroffenen weiterhin vollumfänglich gehört werden.“
Freitag, 17. November
Russland plant, die „LGBTQ-Bewegung“ zu verbieten. Wie die Tagesschau am Freitag berichtete, hat das Justizministerium beim Obersten Gerichtshof beantragt, die „internationale öffentliche LGBTQ-Bewegung“ für extremistisch zu erklären und zu verbieten. Das Ministerium teilte mit, es seien „Aktivitäten der auf dem Territorium der Russischen Föderation tätigen LGBT-Bewegung verschiedene Anzeichen und Erscheinungsformen einer extremistischen Ausrichtung festgestellt“ worden, „darunter die Aufstachelung zu sozialem und religiösem Hass“. Die Situation für queere Menschen wird in Russland immer unerträglicher. 2021 wurde die 2011 gegründete Stiftung „Sphere“ auf Antrag des Justizministeriums aufgelöst, zu der das „LGBT Network“ und weitere Community-Organisationen. Seit 2013 gilt in Russland ein Gesetz gegen „Homo-Propaganda“, das u.a. Pride-Paraden und Demonstrationen verbietet. Die Stimmungsmache gegen queere Menschen trägt Früchte, eine Umfrage von 2019 kam zu dem Ergebnis, dass 87 Prozent der Bevölkerung die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen; rund 12 Prozentpunkte mehr als noch 2005. Das seit 2013 geltende Gesetz wurde letztes Jahr nochmals verschärft: So dürfen bspw. keinerlei Informationen an Jugendliche herausgegeben werden, die „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ zeigen. Daraufhin wurde u.a. die bei Jugendlichen beliebte Comicreihe „Heartstopper“ in Russland vom Markt genommen.
Samstag, 18. November
In der Nacht zu Samstag griffen in der Stadt Braunsbreda in Sachsen-Anhalt mindestens zwei Personen ein Wohnhaus an, im dem asylsuchende Menschen wohnen. Mindestens auf ein Fenster wurde ein Stein geworfen und es wurden Hakenkreuze auf die Fassade gesprüht. Die Bewohner*innen, die vom Steinwurf geweckt wurden, sahen zwei Personen auf Krads flüchten.
Auch am Samstag
Im bayerischen Wemding fand von Freitag bis Sonntag ein „Reichsbürgerkongress“ in einem Hotel statt. Auf der, als „Zukunftskongress“ bezeichneten, Veranstaltung sollten u.a. „Mögliche Wege ins Deutsche Reich“ diskutiert werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern erwartete eins „der größten Treffen“ der Szene in Deutschland. Am Samstag führte die Polizei am Abend eine Razzia durch, weil gegen zwei der Teilnehmenden ein Haftbefehl vorlag. Ein 66 Jahre alter Mann blieb gegen Zahlung „der bislang unbeglichenen Geldbuße in unbekannter Höhe“ auf freiem Fuß, eine 57-jährige Frau wurde festgenommen. „Gegen sie liegen laut Polizei zwei Haftbefehle vor, weswegen ist unbekannt“, berichtet der BR. Das Reichsbürgertreffen war nicht die einzige Ansammlung von Nazis dieses Wochenende. In Thüringen traf sich die AfD zum Landesparteitag und wählte den Rechtsextremisten Höcke mit knapp 88% der Stimmen zum Spitzenkandidaten für die kommende Landtagswahl. Die AfD ist nach aktuellen Umfragen mit 34% stärkste Kraft in Thüringen.
Sonntag, 19. November
In einem Vorort von Paris wurde am 27. Juni ein 17-jähriger Junge bei einer Verkehrskontrolle von der Polizei erschossen. Nahel Merzouk war einer von vielen Jugendlichen und jungen Männern mit nordafrikanischem oder subsaharischem Hintergrund, die in Frankreich rassistischer Polizeigewalt, nicht selten mit tödlichem Ausgang, ausgesetzt sind. „Für diese Jugend ist Ungerechtigkeit nicht nur ein Gefühl. Die Fälle werden häufig nicht weiter verfolgt und die mörderischen Polizist*innen selten verurteilt. Die Angst, in eine Polizeikontrolle zu geraten, wird nur von ihrem Hass auf die Institutionen eines Systems übertroffen, das nur dazu da ist, diese Schichten von Jugendlichen aus den Arbeitervierteln zu unterdrücken und zu erniedrigen“, schrieb die französische Gruppe „Alternative Socialiste Internationale“ (ASI) in einer Stellungnahme, die in deutscher Übersetzung hier nachgelesen werden kann. Die Polizei hatte zunächst behauptet, Nahel sei mit seinem Auto auf sie zugerast, doch ein Video der Szene belegte schnell das Gegenteil. Nun wurde der Polizist, der Nahel getötet hat, aus der Untersuchungshaft entlassen. Hunderte Menschen versammelten sich daraufhin am heutigen Sonntag in Nanterre zum Protest und riefen „Gerechtigkeit für Nahel“. Auch die Mutter des erschossenen Jugendlichen sprach bei der Kundgebung. Die Freilassung des Polizisten ist für sie nicht nachvollziehbar: „Für mich ist das unzulässig“, sagte sie unter Tränen. Er habe nicht nur Nahels Leben genommen, sondern auch ihres: „Er hat mich im gleichen Moment umgebracht.“
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