In Berlin wurde eine Sexarbeiterin ermordet und ein Klimaaktivist von der Polizei misshandelt, während in Ungarn ein queerfeindliches Gesetz vorerst gestoppt wurde und es in Italien die Pille künftig kostenlos gibt. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW16
Montag, 17. April
In Berlin-Friedrichshain wurde in einem Wohnungsbordell eine Leiche gefunden. Die 56-Jährige mit „asiatischen Gesichtszügen“ (so die Polizei) wurde „durch massive Gewalt gegen den Oberkörper“ getötet. Gefunden wurde sie vom 75-jährigen Vermieter bzw. Betreiber. Immer wieder werden Sexarbeiter*innen Opfer tödlicher Gewalt. Auch weil den Mördern bewusst ist, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nicht übermäßig engagiert ermitteln, wenn das Opfer in der Sexarbeit tätig war. Das gesellschaftlich weit verbreitete Urteil über Sexarbeiter*innen hält sich hartnäckig. Diese seien in gewisser Weise „selbst schuld“, wenn sie in dieser gefährlichen Branche arbeiten, sie würden es mehr oder weniger „darauf ankommen“ lassen, dass ihnen Gewalt widerfährt. Sexarbeiter*innen, vor allem mehrfach marginalisierte (BIPoC, nichtdeutsche, trans, behinderte…) werden von der Mehrheitsgesellschaft entweder übersehen und ignoriert oder als passive Opfer bzw. verkommene Gefährdung der Moral angesehen, selten jedoch als Menschen mit gleichen Rechten und erhöhtem Schutzbedürfnis. Und auch die Ermordung der Sexarbeiterin aus Friedrichshain wird nun von Gruppen instrumentalisiert, die sich für mehr Kriminalisierung einsetzen. Vereine wie „Sisters e.V.“ oder das „Netzwerk Ella“ behaupten, um die 56-Jährige zu trauen und fordern im gleichen Atemzug die Einführung des „Nordischen Modells“ in Deutschland. Verkürzt stellt dieses Konzept ein „Sexkauf-Verbot“ dar, bei dem angeblich nur die Kund*innen bestraft würden und nicht die Sexarbeiter*innen. In der Realität führt es jedoch dazu, dass der Arbeit nicht mehr oder weniger sicher nachgegangen werden kann. Denn es wird nicht nur der Kauf verboten, auch das Vermieten von Räumen für Sexarbeit wird unter Strafe gestellt. Prekarisierung und der Rückzug in die Illegalität sind die Folge – alles andere als eine Verbesserung der Situation. Erfahrungen aus den Ländern, in denen das Modell zur Umsetzung kam, zeigen, dass Polizeigewalt steigen und (aufsuchende) die Arbeit von Beratungs- und Unterstützungsstellen erschwert wird. Der Menschenhandel verringert sich nicht. Statt der Kriminalisierung ihrer Arbeit fordern Sexarbeiter*innen (wie die Sektion Sexarbeit in der Gewerkschaft FAU) bessere Arbeitsbedingungen und Sicherheitsvorkehrungen (unabhängig vom Arbeitsort, ob auf der Straße, im Bordell oder Hotelgeschäft) sowie den Abbau des Stigmas, das Ende der Zwangsregistrierung und politische Mitbestimmung. Der Kampf für die Rechte von Sexarbeiter*innen ist Arbeitskampf, ist Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt, ist Kampf für Transrechte und gegen Abschiebungen, ist Kampf gegen Misogynie und Sexismus. Sexarbeiter*innen verdienen Anerkennung und Solidarität statt Stigma und Bevormundung.
Dienstag, 18. April
Am Dienstag sind gleich drei wichtige Beiträge erschienen, die sich mit den Angriffen auf die Rechte und die Selbstbestimmung von trans Personen auseinandersetzen.
Auf dem Blog „The Little Queer Review“ (generell eine Empfehlung!) hat Nora Eckert eine Erwiderung zu Till Randolf Amelung geschrieben, dem „Die Zeit“ kürzlich im Rahmen eines „Streitgesprächs“ viel Raum für die Verbreitung seiner transfeindlichen Agenda einräumte. Trans Mann Amelung bezeichnet sich selbst als „biologische Frau“, Nora Eckert nennt ihn „Sprachrohr genderkritischer Feministinnen“ und „EMMA-Sympathisant“. Ich hatte die „Diskussion“ zwischen Amelung und Jenny Wilken hier letzte Woche unerwähnt gelassen, weil ich diese Form von vermeintlicher Debatte für unlauteren Journalismus halte. Schließlich wird hier nicht ein politischer Streitpunkt mit Pro und Contra diskutiert, wie bspw. das Tempolimit oder die Vier-Tage-Woche, sondern die Existenz und Würde einer Gruppe von Menschen, denen grundlegende Rechte verwehrt werden. Daraus einen „Debattenbeitrag“ zu machen, der suggeriert, es gäbe hier gleichberechtigte Meinungen, dient am Ende nur dem Blatt, das ihn publiziert. Was bringt „Die Zeit“ als nächstes? Ein Streitgespräch zwischen einer Person mit Behinderung und einem Faschisten über die Frage, ob Barrierefreiheit die Steuerzahler*innen zu sehr belastet? Aber zurück zu Nora Eckerts Kommentar vom Dienstag. Autorin und Publizistin schreibt: „Das Wissen, trans* zu sein, ist in der Tat ein exklusives Wissen und ist wie jede Erfahrung unreduzierbar. Es zu wissen, bedarf keines Nachweises, weil es ein Evidenzerlebnis ist. Schon gar nicht bedarf es einer Rechtfertigung oder amtlichen Beglaubigung. Wenn es für die cis-Welt erklärungsbedürftig ist, kann ich nur antworten: Liebe cis-Menschen, ihr seid in eurer behaupteten Normalität nicht weniger erklärungsbedürftig wie ich in meiner trans*Normalität.“
Ebenfalls am Dienstag erschien bei „analyse & kritik“ ein Beitrag von Mine Pleasure Bouvar mit dem sehr gelungenen Titel „Warten aufs Weniger-Fremdbestimmungsgesetz“. Mine geht darin sehr sachlich und faktenbasiert auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz (SBG) der Ampel-Regierung ein und stellt heraus, was es beinhaltet und was nicht. Erfahrungsgemäß wissen sehr(!) viele Leute das nämlich immer noch nicht und fallen auf rechte Märchen herein, die dem SBG eine Gefährdung von cis Frauen unterstellen und behaupten, es würde Kindern den Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen ermöglichen (beides ist nicht der Fall). Mine kritisiert nicht nur die enorme Verzögerung des Gesetzesvorhaben durch die beteiligten Ministerien, die dafür sorgt, dass „sich der andauernde queerfeindliche Kulturkampf auf dem Rücken trans- und intergeschlechtlicher Menschen weiter“ zuspitzt, sondern sie geht auch konkret auf die Mängel des geplanten Gesetzes ein. Die Wartezeit von drei Monaten, bevor die Personenstandsänderung rechtskräftig wird, scheint ebenso Produkt transfeindlicher Einflussnahme zu sein wie die ominöse Hausrecht-Klausel, die explizit transmisogyner Diskriminierung Vorschub leisten würde. Doch relevant ist nicht nur, was das Gesetz letztlich leisten wird, sondern vor allem auch, was es nicht leistet: „Die rechtliche Anerkennung bleibt geknüpft an Staatsbürger*innenschaft“, schreibt Mine und sie* kritisiert zu recht, dass keine „Entschädigung für Personen, die unter dem TSG und interfeindlicher Zwangsbehandlung gelitten haben“ vorgesehen ist. Zusammenfassend stellt Mine treffend fest: „Die Grenzen reformistischer Politik werden anhand des Weniger-Femdbestimmungsgesetzes wieder einmal deutlich.“
Und drittens wurde am Dienstag ein neues Video von ContraPoints auf Youtube veröffentlicht. Natalie Wynn nimmt darin fast zwei Stunden lang „The Witch Trials of J.K. Rowling“ auseinander. Wer Englisch versteht, sollte sich auf jeden Fall die Zeit nehmen. Wynn zieht nicht nur eine historische Linie von den schwulen- und lesbenfeindlichen Kampagnen der 1970er Jahre zur Anti-Trans-Propaganda von heute, sie räumt auch mit dem Mythos auf, Aktivist*innen für trans*Rechte seien „radikaler“ oder „gewalttätiger“ als frühere emanzipatorische Bewegungen. Ich bin großer Fan von Natalie Wynns klugen Analysen, fundierten Recherchen und ihrer unterhaltsamen Art, diese vorzutragen.
Mittwoch, 19. April
Am Mittwoch setzte sich das ND mit dem Koalitionsvertrag von Berlins geplanter CDU-SPD-Regierung auseinander und nahm dabei speziell den Abschnitt zu Sexarbeit unter die Lupe. Dieser beginnt mit den Worten „Wir fördern niedrigschwellige Ausstiegsprojekte für Sexarbeitende“ – ein schlechtes Omen für die Zukunft der Sexarbeiter*innen in Berlin. „Wenn an erster Stellen die Ausstiegsberatung genannt wird, kann man befürchten, dass sich sexarbeitsfeindliche Positionen durchsetzen“, erklärt Danielle, Mitglied der Sexworker Action Group Berlin (SWAG). „Meine Vermutung ist, dass der Senat kein Geld in die Hände von Sexarbeitenden geben will. Das Problem gab es schon in der Vergangenheit, jetzt wird es sich wahrscheinlich zuspitzen.“
Donnerstag, 20. April
Gewalt gegen Klimaaktivist*innen gehört längst zum bitteren Alltag in der Autorepublik Deutschland. Nicht selten geht diese auch von Polizist*innen aus. So auch am Donnerstag in Berlin. Aktivist*innen von „Die letzte Generation“ hatten am Vormittag die Straße des 17. Juni blockiert, die Polizei rückte an und ein Video von „MDR Investigativ“ zeigt, wie ein Polizist einem der Blockier*innen zunächst Schmerzen androht und anschließend offenbar auch zufügt. Der Cop sagt: „Wenn ich Ihnen Schmerzen zufüge, wenn Sie mich dazu zwingen, werden Sie die nächsten Tage – nicht nur heute – Schmerzen beim Kauen und beim Schlucken haben.“ Die am Boden sitzende Person erwidert: „Das müssen sie nicht tun. Ich sitze hier friedlich, sie können mich einfach wegtragen.“ Der Polizist zählt dann schnell „3, 2, 1“ und packt den Aktivisten gemeinsam mit einem Kollegen und trägt ihn von der Straße. Sie wenden dabei unnötige Gewalt an, so genannte Schmerzgriffe sind zu sehen, der Blockierer schreit mehrfach laut. Tobias Singelnstein, Kriminologe, sagte zum MDR, er sehe im Video „rechtswidrige Polizeigewalt“.
Freitag, 21. April
Überraschend positive Nachrichten gab es am Freitag aus Ungarn. Katalin Novák, die Präsidentin des vom Faschisten Victor Orbán regierten Landes, hat ein geplantes queer- und transfeindliches Gesetz zurückgewiesen. Es war geplant, dass jeder Mensch anonym Anzeige gegen queere Eltern erstatten können sollte. Doch die Präsidentin legte ihr Veto ein, weil das Gesetz „das Misstrauen der Menschen untereinander verstärken“ würde und es zudem nicht den EU-Rechtsnormen entspräche. Novák, die ebenfalls Mitglied in der extrem rechten Fidesz-Partei ist, wird das Gesetz letztlich aber nicht verhindern können. Wie „Der Spiegel“ schreibt, bedeutet ihr Einspruch nur, dass das Parlament das Gesetz neu verhandeln müsse: „Grundsätzlich kann es dieses aber auch in unveränderter Fassung neu beschließen, was als wahrscheinlich gilt – und wogegen die Präsidentin dann keine Handhabe mehr hätte“.
Samstag, 22. April
Dass es aus einem Land, das von Faschos regiert wird, auch mal ansatzweise gute Nachtrichten geben kann, hat mich diese Woche gleich zwei Mal überrascht. Nach Ungarn kam am Freitag Italien: Die italienische Arzneimittelagentur Aifa hat entschieden, dass die Antibabypille auf die Liste der kostenfrei verfügbaren Medikamente kommt. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern gebrauchen in Italien sehr viel weniger Menschen Verhütungsmittel. Wer das aus Kostengründen tat, kann sich also jetzt freuen. Und auch PrEP, Medikamente zur HIV-Prophylaxe soll es künftig kostenfrei geben. Ich finde Deutschland sollte hier dringend nachziehen. Die Pille wird hierzulande nur bis zum Alter von 18 Jahren von den Krankenkassen übernommen und PrEP gibt es nur für bestimmte Risikogruppen, nicht aber für z.B. Sexarbeiter*innen.
Sonntag, 23. April
Letzte Woche habe ich hier von einem weiteren tödlichen Polizeieinsatz berichtet. Die Cops hatten einen 45 Jahre alten Mann, Vitali N., zuerst mit Pfefferspray besprüht und anschließend offenbar so lange mit dem Gesicht in den Schlamm gedrückt, bis dieser erstickte. Vitali N., der in Moldau geboren wurde und nach Arbeitsaufenthalten in Russland und Bulgarien nach Deutschland kam, war seit dem 1. April in Niederlehme (Brandenburg) gemeldet, zehn Tage später war er tot. Seine Familie erfuhr erst Tage später davon. Die Details zum Leben und zur Tötung von Vitali N., der Bruder und Schwester sowie einen 15-jährigen Sohn hinterlässt, hat die taz recherchiert. Dabei sind sie auf zahlreiche Ungereimtheiten im Polizei- und Obduktionsbericht gestoßen.
In Berlin gedenken heute verschiedene Initiativen und Einzelpersonen Vitali N. und fordern lückenlose Aufklärung des Polizeieinsatzes.
Ach und übrigens hat die Berliner SPD mit knapper Mehrheit für die Koalition mit der CDU gestimmt. Danke für nichts, wie immer, „Sozialdemokratie“.
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