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Das Grundrecht auf Abtreibung gilt in den USA nicht mehr. (Illustration von mir.)

Akute Herzversteinerung

Anlass zur Freude kam diese Woche aus Kolumbien und vom DFB, wurde aber überschattet vom queerfeindlichen Terror in Oslo, einem Massaker zugunsten der EU und vom US Supreme Court. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW25

Montag, 20. Juni

Die Stichwahl ums Präsidentenamt in Kolumbien ging knapp aus, läutet aber eine Zeitenwende in dem südamerikanischen Land ein. 50,6 Prozent der Stimmen entfielen auf den früheren Guerillero Gustavo Petro. Sein Konkurrent, der Immobilienunternehmer Rodolfo Hernández erhielt 47,2 Prozent. Der neue Präsident hat tiefgreifende Wirtschaftsreformen angekündigt, außerdem eine Neuausrichtung im Kampf gegen die Drogenkartelle. Die designierte Vizepräsidentin ist Francia Márquez, eine afro-kolumbianische Menschenrechtsaktivistin und Umweltschützerin, die u.a. gegen illegale Goldsuche kämpfte und deshalb Bedrohungen ausgesetzt war. Die 40-jährige alleinerziehende Mutter organisierte 2014 einen zehntägigen Marsch („Marcha de los Turbantes“), bei dem 80 Frauen über hunderte Kilometer nach Bogotá zogen und dort 22 Tage lang auf der Straße gegen die Ausbeutungen durch multinationale Bergbauunternehmen in der Region La Toma protestierten. 2018 erhielt sie für den renommierten Goldman Umweltschutz-Preis.

Petro und Márquez sind Mitglieder des „Pacto histórico“ (Historische Pakt), das politische Bündnis verschiedener Mitte-Links-Parteien und Bewegungen. Im Kongress stellt der „Pacto histórico“ allerdings keine Mehrheit und muss deshalb Bündnisse mit anderen Parteien eingehen. Die Pläne zur Einführung erneuerbarer Energien, Produktions- und Umverteilungsprogrammen und der Schutz des Amazonasgebietes werden nicht leicht umzusetzen sein.

Auch am Montag

Nachdem der Weltschwimmverband (FINA) am Sonntag verkündete, dass trans Frauen von Frauenwettkämpfen ausgeschlossen werden, gab es am Montag heftige Kritik an der Entscheidung, die mit 71 % der Stimmen von 152 nationalen Verbänden angenommen wurde. Die neue Regelung der FINA besagt, dass trans Frauen nur dann am Wettbewerb teilnehmen dürfen, wenn sie nachweisen „dass sie keinen Teil der männlichen Pubertät über das Tanner-Stadium 2 hinaus oder vor dem Alter von 12 Jahren, je nachdem, was später eintritt“ durchlaufen haben. Zum Verständnis: im Tanner Stadium 2 ist der Penis unverändert kindlich, die Schambehaarung „auf einem Ganzkörperphoto nicht zu erkennen“. Das bedeutet für trans Mädchen, dass sie die körperliche Transition vor dem 13. Geburtstag begonnen haben müssen. Weiterhin dürfen im Verlauf des Lebens die Testosteronwerte niemals den Grenzwert von 2,5 nmol/L überschreiten, auch nicht kurzzeitig und/oder unabsichtlich. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* kritisierte den FINA-Beschluss gegenüber dem Tagesspiegel: „Die neue Regelung baut großen Druck auf junge trans Mädchen auf. Sie müssen schon früh Entscheidungen treffen, wenn sie in den professionellen Leistungssport einsteigen möchten.“  

Ob trans Frauen einen belegbaren sportlichen Vorteil gegenüber cis Frauen haben, versucht die wissenschaftliche Forschung seit einigen Jahren zu klären. Bislang gibt es keinen Nachweis dafür, dass trans Frauen einen grundsätzlichen Vorteil hätten. Beim Schwimmen ist bspw. der Körperbau ein wichtiger Faktor für den Erfolg, eine Verkürzung auf die Hormone der Athlet*innen ergibt einfach gar keinen Sinn. Trotzdem hat die FINA den Grenzwert mit 2,5 nmol/L sehr niedrig angesetzt. Zum Vergleich: In der Leichtathletik liegt er bei 5 nmol/L. Joni Madison, Präsidentin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Campaign, erklärte in einem Statement: „Diese plötzliche und diskriminierende Entscheidung ist ein eklatanter Angriff auf transgender Athlet*innen, die sich um die Einhaltung langjähriger Richtlinien bemüht haben, die ihnen die Teilnahme an Wettkämpfen seit Jahren ohne Probleme ermöglicht haben. Diese Politik ist ein Beispiel dafür, dass Schwimmorganisationen vor der Lawine schlecht informierter, vorurteilsbehafteter Angriffe auf eine bestimmte transgender Schwimmerin nachgeben. Wir fordern die FINA auf, ihre Politik zu überdenken und die Einbeziehung aller Athlet*innen – einschließlich transgender Frauen – zu gewährleisten und ihnen die Teilnahme am Sport frei von Diskriminierung, Missbrauch und Belästigung zu ermöglichen.“ Mit der „bestimmten transgender Schwimmerin“ ist Lia Thomas gemeint, die seit ihrem Erfolg bei den US-Collegemeisterschaften unter massivem transfeindlichem Beschuss steht.

Doch die FINA geht noch weiter: ein weniger beachteter Punkt (F2) in den neuen Regularien besagt: „Alle Athlet*innen müssen ihr chromosomales Geschlecht von ihrem Mitgliedsverband bescheinigen lassen, um an FINA-Veranstaltungen teilnehmen zu können. Wird dies versäumt oder eine falsche Bescheinigung eingereicht, wird die*der Athlet*in disqualifiziert.“ (Übersetzung von mir.) Das bedeutet, dass sich zukünftig alle Frauen einer Untersuchung unterziehen müssen, egal ob cis oder trans. Die Geschlechtsprüfung anhand von Chromosomen wurden von wissenschaftlicher Seite bereits 1986 als „sowohl ungenau als auch diskriminierend“ bewertet.

Dienstag, 21. Juni

Im vergangenen Wochenrückblick habe ich mich über die Eröffnungsrede des Bundespräsidenten auf der documenta 15 geärgert. Die Rede, in der Steinmeier den Kurator*innen Antisemitismus unterstellte, obwohl es dafür keine nennenswerten Beweise gab, habe ich als bevormundend und heuchlerisch empfunden. Daran ändert sich auch nichts, denn auch Steinmeier selbst wusste zum Zeitpunkt seiner Rede noch nichts vom Werk mit dem Namen „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, dass erst am Wochenende entrollt wurde. Das meterhohe Banner zeigt u.a. eindeutig antisemitische Karikaturen und wurde am Dienstag (nachdem es zunächst nur verhüllt wurde) endgültig abgebaut. Der entstandene Schaden ist immens. Es behalten die Recht, die von Anfang an der Meinung waren, die Macher*innen der documenta seien antisemitisch eingestellt und die, die ohnehin nicht daran glauben, dass Kritik an der israelischen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung geäußert werden kann, ohne antijüdische Ressentiments zu bedienen. Die documenta, die es anders machen wollte als früher, wird schon jetzt als gescheitert abgeschrieben.

„Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Scham, die Frustration, den Verrat und den Schock, den dieses Stereotyp bei den Zuschauer*innen und dem gesamten Team, das mit uns hart an der Verwirklichung der documenta fünfzehn gearbeitet hat, ausgelöst hat. Wir entschuldigen uns auch für den Schmerz und die Angst derjenigen, die die Figur gesehen haben, sei es persönlich auf der documenta fünfzehn oder in den verschiedenen Medien, die über diese Geschichte berichtet haben.“

Aus dem Statement des Kollektivs ruangrupa zum Abbau von „People’s Justice“, Übersetzung mit deepl.com.

Auch am Dienstag

Das Frankfurter Oberlandesgericht hat entschieden, dass die Deutsche Bahn eine geschlechtsneutrale Anrede bei Fahrkartenbuchungen anbieten muss. Das Gericht verbietet es der Bahn „die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als Herr oder Frau angeben muss“. Dem Unternehmen wird eine Übergangsfrist bis Januar gewährt, um die erforderlichen technischen Anpassungen vorzunehmen. Der klagenden Person wurde eine Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen, da sie einen „immateriellen Schaden“ erlitten hat, so das OLG.

Ich erwarte, dass andere Unternehmen nun endlich einsehen, dass sie ihre Onlineshops entsprechend anpassen müssen. Denn die Tatsache, dass sie nicht binäre Personen diskriminieren, reicht den meisten nicht als Argument. Der juristische Druck und die Gefahr von Geldstrafen sollte da erfahrungsgemäß schon mehr Motivation liefern.

Mittwoch, 22. Juni

In Niedersachsen hatte die Polizei ein tolle Idee, um das Image der Polizei ein bisschen aufzubügeln. Die sogenannten Insta-Cops präsentieren auf Instagram positive, unterhaltsame und bisweilen rührselige Einblicke in den Polizeialltag. Die ausschließlich jungen und als attraktiv geltenden Cops zeigen sich meist lächelnd und mit bester Laune, ein bisschen Action ist auch dabei, aber alles ganz gesittet. Eine von ihnen, Anna Jendrny, hatte als „@polizei.hannovr.aj“ über 8.400 Follower*innen, bevor ihr Profil diese Woche plötzlich kommentarlos verschwand. Grund dafür könnte eine am Mittwoch veröffentlichte Recherche des Recherche Kollektivs Ostwestfalen sein. Diese brachte nämlich ans Licht, dass die 29-jährige Polizeihundeführerin mit einem lokalbekannten Neonazi, Jannik Rohlfing, liiert ist. „Jannik Rohlfing (32) ist ein seit Jahren regional bekannter und gewaltbereiter Neonazi. Er ist seit mehr als 12 Jahren teil der regionalen Neonaziszene in OWL“, heißt es in der Veröffentlichung des Recherche Kollektivs. Ende 2010 war Rohlfing an einem gewaltsamen Angriff auf eine alternative Kneipe in Minden beteiligt, bei der ein Gast verletzt wurde. Beim Prozess sagte Rohlfing damals aus, er und die anderen hätten den Linken „einen Denkzettel verpassen“ wollen. Im Oktober 2014 war Rohlfing Mitgründer des Stützpunktes „Hermannsland“ der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“. Auch wenn es in den letzten Jahren ruhiger um Jannik Rohlfing geworden ist, ein Aussteiger ist er nicht. Er posiert nach wie vor in Klamotten von einschlägigen Neonazi-Labels und ist auf Social Media mit Szenegrößen vernetzt. „Die persönlich Prioritäten verlagern sich, die politische, neonazistische Überzeugung bleibt und die freundschaftlichen Kontakte in die Neonazi-Szene bleiben. Es wird weiterhin zusammen gefeiert, Konzerte besucht und gemeinsame menschenfeindliche Ideologien geteilt. Ein (phasenweiser) Rückzug aus der politischen Öffentlichkeit ist also in keiner Weise gleichzusetzen mit einem Ausstieg aus der Neonazi-Szene“, schreibt das Recherche Kollektiv Ostwestfalen. Dass eine Beamtin, eine die als „Insta-Cop“ der Polizei öffentlich ein Gesicht gibt, mit einem Neonazi zusammenlebt, ist keine Privatsache! Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass immer wieder vertrauliche Daten von Polizeicomputern an Rechtsextreme weitergegeben werden, kann eine derartige Verbindung nicht ignoriert werden. Wie kann sichergestellt werden, dass Menschen, die mit Anna Jendrny zutun haben, bei Personenkontrollen oder Festnahmen bspw., fair behandelt werden von einer, die kein Problem mit der Menschenverachtung ihres Lebenspartners hat? Ein Sprecher der Polizei Hannover teilte der taz mit, es sei „sofort eine intensive Überprüfung eingeleitet“ worden. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse.

Wo wir schon beim Thema #Polizeiproblem sind:

Es wurden in dieser Woche gleich mehrere Fälle von Polizeigewalt öffentlich. In Dortmund haben zwei Frauen unabhängig voneinander schwere Vorwürfe gegen einen Polizisten der Polizeiwache Nord, Malte F., erhoben. Die eine, Erzieherin und 32 Jahre alt, sagt, sie sei im Februar auf der Wache von mehreren Polizisten eingekreist und von einem ins Gesicht geschlagen und als F-Wort beleidigt worden. Der Polizist habe sie in der Nacht noch häufiger geschlagen und sexistisch beleidigt, bevor sie am frühen Morgen entlassen wurde. Laut WDR haben „die Ärzte einen Bruch des Bodens ihrer linken Augenhöhle“ festgestellt und einen abgebrochenen Zahn, aufgeplatzte Lippen und ‚multiple Prellmarken‘ im ganzen Gesicht“ festgestellt. Der zweite Fall ereignete sich etwa ein Jahr zuvor. Auch hier war eine junge Frau das Opfer. Die 26-jährige Studentin wurde bei einer WG-Party im Treppenhaus kontrolliert und körperlich angegriffen: „Ich habe dann auf dem Boden gelegen, wurde geschlagen und getreten und habe gerufen, dass sie damit aufhören sollen. Ich habe mich gefühlt wie eine Schwerverbrecherin, dabei wollte ich mich doch nur ausweisen“, sagt sie dem WDR. Sie wird, nur mit Hemd und Strumpfhose bekleidet, auf die Wache mitgenommen, wo Malte F. sie ebenfalls als F-Wort bezeichnete und ihr Schläge androhte. Auch bei ihr wurden mehrere Prellungen im Gesicht diagnostiziert.  

In Berlin sind am Donnerstag gegen eine Polizistin und vier Polizisten der sogenannten „Alex-Wache“ Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt worden, weil ein 21-Jähriger Anzeige gegen sie erstattet hat. Die Cops sollen den Mann, der wegen einer Verlustanzeige in der Wache war, mehrfach geschlagen und ohne Rechtsgrundlage über zwei Stunden festgehalten haben.

Ebenfalls in Berlin gaben am Dienstag Polizei und Staatsanwaltschaft bekannt, dass gegen zwei Polizeibeamt*innen wegen Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt wird. Die beiden Cops waren an einem Einsatz beteiligt, bei dem gegen einen obdachlosen 39-Jährigen Reizgas eingesetzt wurde. Zeug*innen des Polizeieinsatzes berichten, Marcel K. habe geschlafen, als die Polizei ihn wegen Hausfriedensbruch vertreiben wollte. Die Cops hätten ihn an seinem verletzten Bein gezogen, worauf er sich gewehrt hätte. „Danach habe die restliche ‚Bullentruppe‘ auf K. eingeschlagen und Pfefferspray eingesetzt“, zitiert die taz die Augenzeug*innen. Marcel K. sei kurz darauf bewusstlos abtransportiert worden. Eine Woche nach dem Einsatz ist Marcel K. im Krankenhaus verstorben.

Donnerstag, 23. Juni

Der DFB gab am Donnerstag bekannt, dass Fußballer*innen im Amateurbereich „mit dem Personenstandseintrag ‚divers‘ oder ‚ohne Angabe‘ und Spieler*innen, die ihr Geschlecht angleichen lassen, künftig selbst die Entscheidung treffen können, ob ihnen die Spielberechtigung für ein Frauen- oder Männerteam erteilt werden soll. Dies gilt auch für transgeschlechtliche Spieler*innen, die nun zu einem selbstbestimmten Zeitpunkt wechseln können oder zunächst in dem Team bleiben, in dem sie bisher gespielt haben.“ Das ist bahnbrechend! Ich bin so dankbar für diese guten Nachrichten aus dem Amateurfußball und auch ein bisschen ungläubig, dass diese Entscheidung in einer Zeit getroffen wurde, in der es von Angriffen auf trans Personen nur so wimmelt.  

Auch am Donnerstag

In einem Gewerbegebiet in Sinsheim wurde die Leiche einer Frau in einem Auto entdeckt. Da die Polizei von einem Tötungsdelikt ausgeht, wurde eine 69-köpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet. Ein weiterer Femizid in dieser Woche ereignete sich am Montag in Lünen (NRW). Eine 59-Jährige wurde am Montag tot in ihrer Wohnung gefunden, sie starb offenbar durch mehrere Messerstiche. Ein tatverdächtiger 34-Jähriger wurde am Dienstag festgenommen.

Freitag, 24. Juni

Über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, gilt nicht mehr länger als Werbung für Abtreibungen. Zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis kamen die Parteien der „Fortschrittskoalition“ (Marco Buschmann) und am Freitag stimmte der Bundestag dafür, den Paragrafen 219a StGB zu streichen. Das sogenannte „Werbeverbot“ ist Geschichte. Insbesondere Politiker*innen von Grünen und SPD überschlugen sich vor Begeisterung. Ein „Triumph“ (Lisa Paus) sein gelungen, es sei „Geschichte geschrieben“ worden – „Was für ein Tag“ (Katja Mast) und „ich fasse es nicht“ (Jessica Rosenthal) war zu lesen. Und ja, es ist in der Tat ein Erfolg! Aber eben doch in erster Linie für Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Denn nur um sie ging es beim Paragrafen 219a. Versteht mich bitte nicht falsch, ich freue mich sehr, dass nun endlich nach Jahrzehnten feministischer Kämpfe dieses absurde Repressionsinstrument abgeschafft wurde, dass Mediziner*innen kriminalisiert, wenn sie öffentlich darüber informieren, welche Form(en) des Schwangerschaftsabbruchs sie durchführen. Insbesondere die Ärztin Kristina Hänel wurde immer wieder von rechten Inceltrolls angezeigt und musste sich vor Gericht verantworten – alles auf Basis von § 219a. Das geht jetzt nicht mehr – Hurra! Aber was ändert sich dadurch für ungewollt Schwangere? Nicht viel, denn Abtreibungen bleiben in Deutschland weiter verboten. In § 218 des Strafgesetzbuchs sind Abtreibungen geregelt. „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es darin. Kein Witz, guckt nach. Nur unter bestimmten Bedingungen sind Abtreibungen straffrei, illegal bleiben sie. Damit verstößt Deutschland gegen die Menschenrechte. Bereits 1994 hat die UNO festgestellt, dass die freie Entscheidung, eine Schwangerschaft auszutragen oder nicht, ein Menschenrecht ist. Dem deutschen Staat ist das egal. Und auch der „Fortschrittskoalition“ offenbar, denn der § 218 soll auch weiterhin bestehen bleiben. So sehr ich mich für Kristina Hänel und ihre Kolleg*innen freue: ein echter Erfolg ist das noch nicht. Denn selbst wenn zukünftig Ärzt*innen auf ihren Webseiten schreiben, welche Abbrüche sie durchführen, sind es immer noch viel zu wenige, die überhaupt Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Deutschlandweit gibt es nur 1.110 sogenannte „Meldestellen“, also Praxen und Kliniken, die Abtreibungen durchführen. Im Jahr 2003 waren es fast doppelt so viele. Der Rückgang hat auch damit zu tun, dass Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium selten überhaupt thematisiert werden. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 100.000 Schwangerschaften offiziell abgebrochen. Die Versorgungslage ist verheerend. Insbesondere im ländlichen Raum müssen Schwangere oft sehr weit fahren und die Kosten selbst tragen – die Krankenkassen zahlen natürlich nicht für etwas, das illegal ist. Also Sorry not Sorry, dass ich nicht in den allgemeinen Jubel einfalle. Das Feiern hebe ich mir für den Tag auf, an dem Schwangerschaftsabbrüche als normaler Teil der medizinischen Versorgung gelten, legal, sicher und von den Krankenkassen finanziert.

Während sich hierzulande Feminist*innen über eine Etappensieg freuten, wurde ich den USA das schlimmstmögliche Realität: Der Supreme Court kippte Roe v Wade, also das geschichtsträchtige Urteil, das ungewollt Schwangeren das Recht auf einen Abbruch garantiert. Das bedeutet, dass es in mindesten 25 Bundesstaaten, insbesondere im Süden und Mittleren Westen, keinen Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen mehr geben wird. Obwohl eine Mehrheit, zwei Drittel der US-Amerikaner*innen, für die Beibehaltung von Roe v Wade war, hat das höchste Gericht die Entscheidung kassiert. Und das bedeutet nicht nur, dass zukünftig insbesondere arme Frauen und schwangere Personen für eine Abtreibung gefährliche Prozeduren durchlaufen müssen (Stichwort „Kleiderbügel“), sondern auch, dass die Kriminalisierung derjenigen, die einen Abbruch haben oder dabei helfen ernste juristische Konsequenzen fürchten müssen. „Wir sind in eine Ära eingetreten, in der es nicht mehr um unsichere Abtreibungen geht, sondern um eine weit verbreitete staatliche Überwachung und Kriminalisierung – von schwangeren Frauen natürlich, aber auch von Ärzt*innen und Apotheker*innen, Klinikpersonal, Freiwilligen, Freund*innen und Familienangehörigen, von jedem, der mit einer Schwangerschaft in Berührung kommt, die nicht mit einer gesunden Geburt endet“, schreibt die Autorin Jia Tolentino in einem sehr lesenswerten Beitrag für den New Yorker. Die USA gehen nicht „zurück ins Mittelalter“, wie manche Kommentator*innen meinen, sie gehen einen großen Schritt weiter in eine Zukunft, in der christlich-fundamentale Gruppen mehr und mehr Einfluss bekommen und die Freiheit und Demokratie zugunsten eines patriarchalen Gottesstaates untergraben.

Samstag, 25. Juni

In der Nacht zu Samstag kam es in Oslo zu einem queerfeindlichen Terroranschlag. Ein 42-jähriger Mann hat an mehreren Orten der Stadt auf Menschen geschossen und in bzw. vor einem queeren Nachtclub zwei Menschen getötet und mindestens 21 verletzt. Der Täter, bei dem eine Pistole und eine halbautomatische Waffe sichergestellt wurden, soll Islamist sein und den Sicherheitsbehörden bekannt. Am Samstag hätte in Oslo die jährlich Pride-Parade stattfinden sollen, die am Morgen abgesagt wurde.

Sonntag, 26. Juni

Mindestens 23 Menschen wurden beim Versuch von Marokko in die EU zu gelangen getötet. Die Seebrücke spricht von 37 Toten. Die Menschen hatten versucht, die Grenze zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Die Tagesschau schreibt: „Viele der Opfer sollen zu Tode gequetscht worden oder von dem rund sechs Meter hohen Zaun gefallen sein.“ In den Sozialen Medien kursieren allerdings Aufnahmen, die zeigen, wie wehrlose Menschen von den Grenzschützern mit Knüppeln geschlagen werden. Ein Video zeigt einen Berg aus Dutzenden Leichen und verletzten Männern, die entlang des Grenzzauns übereinander gestapelt und von marokkanischen Sicherheitsbeamten in Kampfmontur umgeben sind. Jürgen Zimmerer spricht von einem „Ein Massaker zugunsten der #EU“, der spanische Ministerpräsident, Pedro Sánchez, bezeichnete den versuchten Grenzübertritt als Angriff auf die „territoriale Integrität“ seines Landes und lobte die marokkanischen Grenzbeamten für ihren Einsatz.

Ich will euch nicht mit diesen niederschmetternden Worten in die neue Woche entlassen, aber was hilft’s?! Diese Welt ist so himmelschreiend ungerecht und das ist sie nicht einfach so, sondern sie ist von Menschen so gemacht. In erster Linie von weißen Männern des Globalen Nordens, die mit Jahrhunderten patriarchaler, kolonialistischer und rassistischer Unterdrückung ein System geschaffen haben, in dem wir, also ihr Leser*innen und ich, noch zu den Privilegiertesten gehören. Lasst uns das nicht vergessen bei aller Wut und Verzweiflung. Denn am Ende profitieren wir doch von all der Gewalt, die sich an Europas Außengrenzen abspielt, wir leiden längst nicht so sehr unter den Folgen des Klimawandels (den wir und unsere Vorfahr*innen maßgeblich zu verantworten haben) wie die meisten Menschen im Globalen Süden. Unser Wohlstand basiert auf der Armut der Massen, der Reichtum Deutschlands fußt auf Ausbeutung und den Gewinnen aus Waffenlieferungen in die Regionen, aus denen die Menschen nun versuchen zu fliehen. Und ja, du kannst nichts dafür, wo du geboren wurdest, aber das gilt nun mal für alle Menschen und wen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit nicht hin und wieder fertig macht, der sollte sein Herz auf akute Versteinerung untersuchen lassen.

Ich habe heute keinen positiven Abschluss für euch. Wie könnte ich?

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