In Mexiko ermorden Männer eine feministische Aktivistin, in Texas tötet ein Mann 19 Kinder und zwei Lehrkräfte und in Thüringen hat ein Mann von „Die Partei“ über Jahre Mädchen und junge Frauen sexuell ausgebeutet. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW21
Montag, 23. Mai
Bereits am vergangenen Samstag wurde in Mexiko die bekannte feministische Aktivistin Cecilia Monzón ermordet. Die Anwältin befand sich im Auto in San Pedro Cholula, als sie erschossen wurde. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete, war das Motiv zunächst unklar. Monzón kandidierte für die Umweltschutzpartei „Verde Ecologista“ für das Gemeindepräsidium von San Pedro Cholula und setzte sich als Anwältin für Frauen bei Scheidungen und Unterhaltsklagen ein sowie für Betroffene von genderbasierter Gewalt. Am Montag veröffentlichte das spanische Außenministerium eine Stellungnahme, da Cecilia Monzón spanische Staatsbürgerin war. Darin heißt es: „Die Regierung würdigt die Tapferkeit und das Engagement von Cecilia Monzón“ und: „Die spanische Regierung fordert eine Verpflichtung des Bundesstaates Puebla, eine Untersuchung einzuleiten, um die Ereignisse aufzuklären und die (…) Verantwortlichen für diesen abscheulichen Mord zu identifizieren und zu bestrafen.“ In Mexiko werden im Durchschnitt jeden Tag mehr als zehn Frauen gewaltsam getötet. Die meisten Fälle bleiben straflos.
In einem Waldstück in Coburg (Bayern) wurde am Montag die Leiche einer Frau entdeckt. Polizeiangaben zufolge handelt es sich dabei um die seit fast zwei Wochen vermisste 28-Jährige aus Bad Rodach. Die Ermittler*innen gehen von einem Tötungsdelikt aus und nahm nur wenige Stunden nach dem Leichenfund einen 29 Jahre alten Mann fest, der als tatverdächtig gilt. Laut „Donau Kurier“ kannten sich der mutmaßliche Täter und das Opfer.
Auch am Montag
„Ohne jede Stigmatisierung müssen insbesondere Männer mit anonymen Sex vor Affenpocken gewarnt werden. Sie sind im Moment eine Risikogruppe“, schreibt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter. Er hätte auch schreiben können: „Ich bin nicht homophob, aber…“ es hätte den gleichen Effekt. Denn was Lauterbach da als verbreitet, ist nicht nur wissenschaftlich unhaltbar, es ist auch gefährlich. Nur einen Tag zuvor hatte UNAIDS eine Stellungnahe veröffentlicht, in der sich das UN-Projekt „besorgt“ über die Berichterstattung im Zusammenhang mit Affenpocken zeigt: „Die Lehren aus der AIDS-Bekämpfung zeigen, dass Stigmatisierung und Schuldzuweisungen an bestimmte Personengruppen die Maßnahmen bei einem Ausbruch schnell untergraben können“, heißt es im Statement. Weiter wird die WHO zitiert, die darauf hinweist, „dass nach den vorliegenden Erkenntnissen diejenigen am meisten gefährdet sind, die engen körperlichen Kontakt zu einer an Affenpocken erkrankten Person hatten, und dass das Risiko nicht auf Männer beschränkt ist, die Sex mit Männern haben“. Dass Fälle von Affenpocken bei schwulen und bisexuellen Männern festgestellt wurden, liegt u.a. auch daran, dass es in der Community eine erhöhte Awareness für (sexuell übertragbare) Infektionskrankheuten gibt. Dass diese Tatsache nun zur neuerlichen Stigmatisierung von LGBTQ verwendet wird, ist bezeichnend. Aus der HIV- und AIDS-Epidemie wurde nichts gelernt. An Affenpocken kann jede*r erkranken, auch Kinder. Naher Körperkontakt ist für eine Ansteckung ausreichend. Wenn Lauterbach schon eine bestimmte Gruppe besonders warnen möchte, hätte er ~alle~ Menschen, die anonymen Sex haben, warnen können. Denn auch wenn es sich der Gesundheitsminister nicht vorstellen kann: Auch Frauen haben anonymen Sex, nicht nur Männer untereinander.
Dienstag, 24. Mai
In Texas hat ein 18-Jähriger 19 Kinder und zwei Erwachsene in der Robb Elementary School in der Kleinstadt Uvalde erschossen. Zuvor hatte er seiner Großmutter ins Gesicht geschossen, sie überlebte lebensgefährlich verletzt. Es ist das 19. „School Shooting“ in diesem Jahr und das tödlichste seit dem Massaker an der Sandy Hook Grundschule im Dezember 2012, bei dem 20 Kinder und sechs Erwachsene erschossen wurden. Die non-profit Organisation „Sandy Hook Promise“, die sich für härtere Waffengesetze einsetzt, erklärt „Gun violence and school shootings are a uniquely American epidemic“, also „Waffengewalt und Schul-Schießereien sind eine spezifisch amerikanische Epidemie“. Und das ist wahr, vergleicht man die Zahlen: Jeden Tag sterben in Amerika 12 Kinder durch Waffengewalt. Weitere 32 werden verletzt. Im Jahr 2021 wurden 20.912 Menschen durch Schusswaffen getötet, 40.564 wurden verletzt. In Deutschland kamen 2020 103 Menschen durch Schusswaffen zu Tode (Suizide nicht mitgerechnet.) Klar: In den USA leben weitaus mehr Menschen als in Deutschland, aber auch nach bereinigter Statistik ergibt sich hier ein klares Bild. Die USA, „land of the free“, haben ein gewaltiges Problem. Während konservative „pro life“ Vertreter*innen Abtreibungen verbieten und kriminalisieren, ist für sie das Leben und die Sicherheit von Kindern nicht so viel Wert wie das Leben Ungeborener und die Freiheit von Waffenbesitzer*innen. In Texas ist es verboten(!) mehr als sechs Dildos zu besitzen, das öffentliche Zeigen eines Sexspielzeugs wird bestraft. Das sichtbare Tragen von Waffen ist hingegen kein Problem: Seit September darf jede Person, die mindestens 21 Jahre alt ist, in der Öffentlichkeit eine Waffe tragen. Eine Genehmigung ist nicht mehr erforderlich.
In Houston, Texas, hält gerade die Waffenlobbyorganisation NRA ihre Jahreskonferenz ab. Mit dabei u.a. Donald Trump. „Daniel Defense“, der Hersteller des Sturmgewehrs, das bei dem Amoklauf an der Robb Elementary zum Einsatz kam, verzichtet dieses Jahr auf die Teilnahme, „aufgrund der schrecklichen Tragödie in Uvalde, wo eines unserer Produkte auf kriminelle Weise missbraucht wurde“. Mir drängt sich bei dieser Formulierung die Frage auf, wie denn ein korrekter „Gebrauch“ eines halbautomatischen Sturmgewehrs aussieht? Es macht mich fertig. Das Unternehmen twitterte vor wenigen Tagen noch das hier:
Laut einer Studie des amerikanischen Forschungsinstituts „Institute for Health Metrics and Evaluation“ sind weltweit in den Jahren 1996 bis 2016 mehr Menschen im zivilen Bereich durch Schusswaffen getötet worden als durch militärische Konflikte oder terroristische Anschläge.
Mittwoch, 25. Mai
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden die Scheiben des kurdischen Kulturvereins in Mannheim eingeschlagen. „Der Verein geht davon aus, dass es sich bei den Tätern um türkische Faschisten handelt“, schreibt das kurdische Nachrichtenportal ANF.
Donnerstag, 26. Mai
Oklahomas Gouverneur Kevin Sitt hat ein Gesetz unterzeichnet, das nahezu jede Abtreibung ab dem Zeitpunkt der Befruchtung verbietet. „Ich habe den Bürgern von Oklahoma versprochen, dass ich als Gouverneur jedes Gesetz zum Schutz des Lebens unterzeichnen würde, das auf meinen Schreibtisch kommt, und ich bin stolz darauf, dieses Versprechen heute einzulösen“, sagte der Mann ohne Uterus. In Oklahoma ist es erlaubt, offen eine Waffe zu tragen, aber klar, der Herzschlag von bereits geborenen Menschen ist den Radikalkonservativen eben nicht so viel Wert, wie der von Embryos.
Auch am Donnerstag
Himmelfahrt. Vatertag. Herrentag. Wie man den 39. Tag nach Ostersonntag auch nennen mag, es ist der Tag, an dem weiblich gelesene Menschen am besten zu Hause bleiben. Grölende Macker-Horden ziehen betrunken, je nach Region mit Bollerwagen oder Bier-Bike, durch die Gegend und schaffen ein Klima toxischer Männlichkeit und sexualisierter Belästigung. Es riecht nach Bier, verschwitzten T-Shirts mit Nazi-Symbolen und billigen Nackensteaks. Es ist der hohe Feiertag der „echten Kerle“. Es ist zum Kotzen. Alkoholbedingte Verkehrsunfälle erreichen an Himmelfahrt jedes Jahr Spitzenwerte. 2019 ereigneten sich am „Herrentag“ 263 Verkehrsunfälle, bei denen Alkohol im Spiel war, an einem durchschnittlichen Tag 2019 waren es 98. Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt verzeichnen jedes Jahr an Himmelfahrt einen Anstieg der Fälle.
Und wer jetzt beim Lesen dachte „not all men!“, dem möchte ich entgegenhalten, dass Männer, die hier nicht gemeint sind, das schon selbst wissen und sich dementsprechend auch nicht angegriffen fühlen müssen. Und wenn ihr zu den Männern gehört, die am „Herrentag“ saufend in Gruppen unterwegs sind, aber sicher niemanden belästigen, euch sei folgende Parabel ans Herz gelegt: Wenn euch jemand bittet in einen Korb voll Schlangen zu fassen, von denen ~nicht alle Schlangen~ giftig sind, würdet ihr es tun?
Freitag, 27. Mai
„Nur Ja heißt Ja“ – das ist jetzt auch in Spanien Gesetz! Ein großer Erfolg im Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Das Parlament verabschiedete mit deutlicher Mehrheit den Gesetzentwurf der linken Regierung, nur die rechtspopulistische Partei Vox sowie die Abgeordneten der konservativen Volkspartei stimmten dagegen. Nach Inkrafttreten des Gesetzes wird sexualisierte Gewalt als Vergewaltigung betrachtet, unabhängig davon, ob sich das Opfer wehrt oder nicht. Sexuelle Handlungen bedürfen immer der aktiven Zustimmung der Beteiligten. Andernfalls drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die Gesetzesänderungen in Spanien markiert nichts weniger als eine Zeitenwende in der dominierenden rape culture. Auch in der Schweiz kämpfen Feminist*innen aktuell für eine neue Rechtslage. Nach Artikel 190 gilt „nur ungewolltes vaginales Eindringen bei einer «Person weiblichen Geschlechts» als Vergewaltigung und das nur, wenn sie z. B. durch physische Gewalt oder Drohung dazu gezwungen wurde“. Das verkennt nicht nur die Tatsache, dass auch Personen Opfer von Vergewaltigung werden, die nicht weiblich sind oder keine Vagina haben, setzt es auch den unmittelbaren Zwang voraus und erlegt den Opfern damit die Verpflichtung auf, sich aktiv zu wehren. Sehr viele Betroffene sind jedoch in einem Schockzustand und gar nicht in der Lage, sich aktiv zur Wehr zu setzen. In Deutschland muss ein Opfer aktiv Nein sagen. 2016 wurde das Sexualstrafrecht entsprechend geändert. Aber auch hier: es muss gegen den „erkennbaren Willen“ gehandelt werden, um als sexualisierte Gewalt zu gelten. Passivität wird damit als stilles Einverständnis gewertet. Und das ist falsch! Nur Ja heißt Ja! Es wird Zeit, dass wir Konsens zum Standard machen, beim Sex und auch darüber hinaus.
Samstag, 28. Mai
Dass „Die Partei“ ein Problem mit Sexismus hat, ist keine News mehr. Im Gegenteil, es ist der Markenkern der „Satire“-Partei von Martin Sonneborn. Neue Recherchen von Ippen Investigativ brachten nun aber ans Licht, dass zum Sexismus auch massive sexualisierte Gewalt hinzukommt. Im Mittelpunkt der Recherche: Dirk Waldhauer, Parteimitglied seit 2013 und Erfurter Direktkandidat 2017. Waldauer hat über Jahre Mädchen und junge Frauen missbraucht, sexualisierte Gewalt gefilmt und im Internet veröffentlicht. Eins seiner Opfer, Anna, war 13 oder 14 Jahre alt, als Dirk Waldhauer (damals Ende 30) sie das erste Mal für Sex bezahlte und Filmaufnahmen gegen ihren Willen im Internet veröffentlichte. Mit Annas vollem Vor- und Nachnamen im Titel. Die Aufnahmen sind bis heute online. Gegenüber Ippen Investigativ gibt Waldhauer den Missbrauch zu: „Ja, ich habe mit einer Frau, die noch nicht 18 war, geschlafen. Gebe ich offen zu, wissentlich. Ganz einfach, weil, ich sag‘ mal, es hat mich gereizt.” Anna ist nicht das einzige Betroffene. Ippen Investigativ hat tausende(!) Fotos und mehr als 200 Videos von Waldhauer auf Porno-Plattformen gefunden, die zwischen 2003 und 2017 aufgenommen und zwischen 2013 und 2022 online gestellt wurden. Darin zu sehen: sexualisierte Übergriffe durch Waldhauer und Sex mit Kindern, häufig ist Waldauer nicht allein, andere Männer machen mit. Oft hat Waldhauer die Dateien mit Klarnamen der Betroffenen genannt und teilweise Personalausweise, Handynummern und Social-Media-Profile mit veröffentlicht. Ippen Investigativ spricht von mehr als einem Dutzend identifizierter Mädchen und Frauen. Einige Aufnahmen zeigen „extrem menschenverachtende und rassistische Handlungen“. Die Recherche, veröffentlicht bei Buzzfeed, ist für mich fast unerträglich zu lesen. Ich musste mehrfach Pause machen, mir ist schlecht. Die Vorwürfe gegen Dirk Waldauer waren, wenn auch möglicherweise nicht in gänzlichem Umfang, innerhalb der Partei bekannt. Vom „Die Partei“-Landesvorsitzenden hieß es 2017: „Ich weiß, dass unser Direktkandidat im Privaten spezielle Neigungen pflegt. Es steht mir allerdings nicht zu, diese zu bewerten, solange nichts strafrechtlich Relevantes darunter ist.“ Im Jahr 2019 wurde Waldhauer von „Die Partei“ auf Platz sechs der Landesliste nominiert. Noch Anfang Mai 2022 war Dirk Waldhauer für „Die Partei“ unterwegs. Erst nach der Veröffentlichung der Recherche von Ippen Investigativ distanzierte sich der Bundesverband in einem kurzen, ersten Statement: „Wir nehmen die Rechercheergebnisse ernst und verurteilen auf das Schärfste jegliche sexualisierte Gewalt.“
Sonntag, 29. Mai
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Als bekennender Feminist sage ich:
Das Patriarchat muss zerschlagen werden!
Ich glaube,das ist nur mit einem radikalen Feminismus möglich.
Eine neue,von Frauen geführte,Weltordnung muss her!