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Nemi El-Hassan sollte ab November eigentlich die WDR-Sendung "Quarks" moderieren. (Illustration von mir.)

Unrecht und Gesetz

Neonazis dürfen zum Hängen der Grünen aufrufen, während das Aufklären über Abtreibungen verboten bleibt. Nemi El-Hassan verliert ihren Job und Zhou Xiaoxuan verliert vor Gericht. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW37

Montag, 13. September

Wie so oft, begann auch diese Woche wieder mit einem Femizid und wieder wird die Tat als „Familiendrama“ verharmlost. Am Montag berichtete die „Freie Presse“, dass bereits am Sonntagabend ein Mann seine Ehefrau getötet habe, bevor er versuchte, sich mit einem Sprung von der Staumauer in die Talsperre Pöhl das Leben zu nehmen. Der 63-Jährige überlebte unverletzt und soll schon während seiner Rettung die Tat gestanden haben. Die „Freie Presse“ schreibt, der „Mann berichtete seinen Rettern, er habe am Sonntagabend seine Frau getötet, dann sei er zur Talsperre gefahren und habe sich von der Staumauer ins Wasser gestürzt“. Er habe gesagt, „dass er seine Frau geliebt habe“. Das wird im Artikel unkritisch übernommen und einfach so stehen gelassen. Weiter heißt es: „Warum es zu dem Familiendrama kam, ist laut Polizei noch immer unklar.“  Ich möchte schreien. Femizide sind keine Familiendramen! Morde geschehen nicht aus Liebe!

Dienstag, 14. September

Wenn es etwas gibt, das ich niemals ganz verstehen werde, sind es die Entscheidungen deutscher Gerichte. In Chemnitz hat das Verwaltungsgericht am Dienstag entschieden, dass die Wahlplakate der rechtsextremen Partei „III. Weg“ unrechtsmäßig abgehängt wurden. Die Stadt Zwickau hatte die Plakate mit der Aufschrift „Hängt die Grünen“ entfernen lassen, die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen hat aufgrund des Motivs Ermittlungen wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Volksverhetzung gegen den „III. Weg“ eingeleitet. Dennoch: Das Verwaltungsgericht in Chemnitz sieht darin kein Problem. Die Neonazis feiern, die Stadt Zwickau hat Beschwerde beim Bautzener Oberverwaltungsgericht angekündigt.

Auch am Dienstag

Wie sehr bei den Öffentlich-Rechtlichen mit zweierlei Maß gemessen wird, wurde uns diese Woche wieder anschaulich vorgeführt. Während jemand wie Lisa Eckhart, die Antisemitismus zur „Satire“ erklärte oder Dieter Nuhr, für den Rassismus eher eine Befindlichkeit ist, als ein ernstzunehmendes Problem, weiter eine Bühne geboten wird, wurde der Moderatorin Nemi El-Hassan ihr gerade erst angebotener Job wieder weggenommen. Der angebliche Grund: Die Journalistin hatte 2014 an einer Demo zum sogenannten „Al-Quds-Tag“ teilgenommen. Die Al-Quds-Demonstrationen wurden von der iranischen Regierung initiiert und sprechen u.a. Israel das Existenzrecht ab. An der jährlich stattfindenden Demo nehmen neben pro-palästinensischen Gruppen auch zahlreiche Antisemit*innen teil. Nemi El-Hassan war 20, als sie an der Demo teilnahm. Sie distanzierte sich in mehreren Statements klar von Antisemitismus und nannte ihre Teilnahme an der Demo „falsch“. Dennoch entschied der WDR, die Zusammenarbeit mit ihr „bis zur Klärung der Vorwürfe […] auszusetzen“, so der Tagesspiegel. Eigentlich hätte Nemi El-Hassan ab November das WDR-Format „Quarks“ moderieren sollen.

Wieder einmal knickte der WDR vor dem Mob ein, der sich wie schon beim „Umweltsau“-Vorfall zum Jahreswechsel 2019/20 überwiegend aus rechten Trollen und der Springerpresse zusammensetzt. Seien wir ehrlich: in einer gerechten Welt würde ich das Aussetzen der Zusammenarbeit, um zunächst die Vorwürfe auszuräumen, sogar begrüßen. Ich wünsche mir diese Sensibilität bei Personalentscheidungen und das kritische Auseinandersetzen mit Fehlern. Aber wir leben eben nicht in dieser gerechten Traumwelt. Wir leben stattdessen in einer Welt, in der der WDR mit der „Letzten Instanz“ eine Sendung ausstrahlt, in der sich weißdeutsche Promis über Rassismus lustig machen und nicht nur das Z-Wort reproduzieren, sondern seine Verwendung gar explizit einfordern. In einer Welt, in der „die Darstellung des Islam in den Magazin- und Talksendungen sowie Dokumentationen und Reportagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu über 80% an einem Bild orientiert, in dem diese Religion als Gefahr und Problem in Politik und Gesellschaft in Erscheinung tritt“ (Bundeszentrale für politische Bildung) . Wir leben in einer Welt, in der Männer, denen sexualisierte Gewalt vorgeworfen wird, neue Shows angeboten bekommen und Lyrik über die Vergewaltigung einer bewusstlosen Person als Kunst gefeiert wird. In dieser Welt wird die Zusammenarbeit mit einer Moderatorin mit palästinensisch-libanesischem Background ausgesetzt, weil sie vor sieben Jahren auf der falschen Demo war. Es ist eine Welt, in der Muslim*innen als homogene Masse pauschalisiert und nur so lange geduldet werden, wie sie als Individuum unsichtbar bleiben. Nemi El-Hassan hat gegen das ungeschriebene Gesetz verstoßen und wollte im Mainstream sichtbar sein, dafür wurde sie bestraft und auf ihren Platz verwiesen. Irgendwo in der Ferne höre ich Constantin Schreiber und Serdar Somuncu teuflisch lachen.

Dienstag zum Dritten

Zhou Xiaoxuan hat den Prozess gegen Zhu Jun verloren. Damit ist der bekannteste #metoo-Fall in China vorerst beendet. Die heute 28-jährige Zhou Xiaoxuan machte 2018 Vorwürfe gegen den bekannten TV-Moderator Zhu Jun öffentlich. Sie sei als 21-jährige Praktikantin von Zhu Jun in dessen Garderobe gegen ihren Willen geküsst und begrapscht worden. Doch das Gericht entschied gegen sie, es gäbe nicht ausreichend Beweise. Zhou Xiaoxuan will nicht aufgeben und geht in Berufung.

Und nochmal Dienstag

In Berlin hat sich am Dienstag eine trans Frau auf dem Alexanderplatz selbst angezündet. Die aus dem Iran stammende Frau starb kurz darauf im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen. Ein Factsheet der „National LGBTQ Task Force“ zeigt, dass in den USA trans Personen of color eine unverhältnismäßig höhere Wahrscheinlichkeit haben, in Armut und Arbeitslosigkeit zu leben und Suizidversuche zu begehen. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, bereits einen Selbstmordversuch hinter sich zu haben. Für Deutschland existieren keine Studien dieser Art und wir wissen auch nicht, welche spezifischen Motive die Frau am Alexanderplatz für ihre Selbsttötung hatte. Aber wir wissen, dass Rassismus und Transfeindlichkeit tödlich sind. Ich wünsche mir, dass wir insbesondere die Schwächsten unserer Mitmenschen unterstützen und beschützen und dass wir Transfeindlichkeit und Rassismus aktiv bekämpfen. Denn nur dann sind unsere Tränen glaubwürdig, die wir nach den Morden und Suiziden vergießen.

https://twitter.com/lilielbe/status/1438402886111842304?s=20

Mittwoch, 15. September   

In der Wochenmitte dann ein weiterer Femizid. In Großröhrsdorf im Landkreis Bautzen wurde eine 16-Jährige getötet. Die Polizei fahndet noch nach dem Täter, vermutet ihn im Sozialen Nahbereich. Die 16-Jährige wurde schwer verletzt vor einem Garagenkomplex gefunden, sie verstarb später im Krankenhaus. Der sogenannte „soziale Nahbereich“ ist für Frauen und Mädchen das gefährlichste Umfeld. 2019 wurden insgesamt 141.792 Personen durch ihre*n Partner*in oder Ex-Partner*in Opfer von Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung und Stalking, Freiheitsberaubung. 81 Prozent der Opfer sind Frauen. (Die Statistik des BKA unterscheidet lediglich nach den Kategorien Frau oder Mann).

„Gewalt gegen cis und trans Frauen, Mädchen und nicht-binäre Menschen ist weltweit eine der am stärksten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen, die jeden Tag und überall auf der Welt ausgeübt wird.“

UN Women Deutschland

Donnerstag, 16. September

Es ist noch keine zwei Jahre her, als Stephan B. zu Jom Kippur ein Massaker in der Synagoge Halle anrichten wollte und nur von der Holztür am Eindringen gehindert wurde. Zum Auftakt des diesjährigen Jom Kippur gab es Hinweise auf einen geplanten Anschlag auf die Synagoge in Hagen. Am Donnerstag wurde ein tatverdächtiger 16-Jähriger festgenommen. Der Syrer soll Kontakt zu einem Islamisten im Ausland gehabt und sich Bombenbau beschäftigt haben. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, erklärte, der mutmaßliche Anschlagsversuch zeige erneut, „dass jüdisches Leben ohne Angst in Deutschland noch immer nicht möglich ist, allen guten Worten zum Trotz.“

https://twitter.com/baudrillardbae/status/1438414629047308288?s=20

Freitag, 17. September

In Großbritannien sprach das Berufungsgericht am Freitag ein wichtiges Urteil in Sachen Gesundheitsversorgung für trans Kinder und Jugendliche. Das Gericht urteilte, dass die Entscheidung des High Courts, trans Jugendlichen unter 16 Jahren die Einwilligung für Pubertätsblocker zu verweigern, bzw. sogar eine richterliche Zustimmung anzuordnen, unangemessen („inappropriate“) war. Das als „Bell v Tavistock“ bekanntgewordene Urteil fiel am 1. Dezember 2020. Der National Health Service (NHS) hatte Berufung eingelegt. (Wer sich für die juristischen Details interessiert, der englischsprachige Wikipedia-Artikel dazu ist recht ausführlich.) Ein*e Sprecher*in von „The Tavistock and Portman“, einer Stiftung des NHS, sagte, das Urteil „bestätigt, dass es Sache von Ärzt*innen und nicht von Richter*innen ist, über die Fähigkeit von unter 16-Jährigen zu entscheiden, einer medizinischen Behandlung zuzustimmen.“ („It affirms that it is for doctors, not judges, to decide on the capacity of under-16s to consent to medical treatment.“ – Übersetzung von mir.)

https://twitter.com/stonewalluk/status/1438862185984364555?s=20

Samstag, 18. September

Am Samstag fand der diesjährige Berliner „Marsch für das Leben“ statt, zu dem neben rechten Abtreibungsgegner*innen, die Junge Union, die AfD und die Deutsche Bischofskonferenz aufgerufen haben. Rund 4.000 Teilnehmer*innen gingen für das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Straße. Veranstalter der Grusel-Parade ist der „Bundesverband Lebensrecht“. Dieser twitterte am Vorabend des Aufmarsches: „Man muss dem @bundesrat auch mal danken: Der Gesetzesvorschlag zur Abschaffung von #219a wurde heute abgelehnt. Danke für die Vernunftentscheidung und herzliche Einladung zum Marsch für das Leben morgen!“ Die rechten Christ*innen jubeln, alle anderen fragen sich, wie zur Hölle es möglich ist, dass es Gynäkolog*innen im Jahr 2021 weiterhin verboten bleibt, über die Durchführung von Abtreibungen aufzuklären und zu informieren. Ich habe mir die Mitglieder des Bundesrats mal genauer angesehen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind das 106 Männer und 74 Frauen. Ich rieche einen Zusammenhang.

Sonntag, 19. September

Weil ich keine Kraft habe, heute noch etwas zu den angeblich linksextremen „Krawallen“ in Leipzig zu sagen, und ich überhaupt eh viel zu lange an diesem Wochenrückblick gesessen habe gibt es für euch jetzt nur noch diesen Tweet.

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