You are currently viewing Was aufhören muss
Ricarda Lang ist mutig und klug - und auch deshalb dem rechten Hass ausgesetzt.

Was aufhören muss

Ricarda Lang, Annalena Baerbock und Carolin Emcke sind dem Hass der Männer ausgesetzt, in Spanien demonstrieren Tausende gegen die “violencia machista” und ein schockierender Vorfall rückt das Thema psychische Gesundheit von Sportler*innen in den Mittelpunkt. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive.

Montag, 7. Juni

Am Montag war Ricarda Lang zu Gast bei „Hart aber Fair“. Dass anschließend ihr Name auf Twitter trendete lag aber nicht an ihrem leidenschaftlichen Auftritt und ihrer rhetorisch exzellenten Zerlegung des politischen Gegners, sondern an einer Welle widerlichstem misogynen Hass, der über die 27-jährige ausgeschüttet wurde. Von rechts bis ganz rechts wurde Ricarda Lang aufs mieseste beleidigt, und zwar hauptsächlich wegen ihrer Figur. Der Hass auf kluge Frauen, die ihre Meinung sagen ist unermesslich im Patriarchat. Es zeigt sich jedes Mal aufs Neue, wie tief misogyne, rassistische, antisemitische, behinderten-, queer- und transfeindliche, klassistische und fettfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind. Es wird Zeit, dass wir uns diesem Hass entschieden entgegenstellen, denn er trifft nicht nur die mit voller Wucht, die direkt betroffen sind, sondern auch alle anderen, die potentiell zum Ziel des Mobs werden könnten. Frauen, trans und cis, nichtbinäre Menschen und trans Männer, Queers, Schwarze und People of Color, behinderte Menschen, muslimische Menschen, Jüdinnen*Juden und überhaupt alle, die von der Vormachtstellung des weißen, heterosexuellen, nicht-behinderten cis Mannes abweichen. Die Privilegiertesten im Patriarchat werden ihre Macht und überlegene Stellung niemals einfach aufgeben oder teilen. Wir müssen sie ihnen wegnehmen. Dafür brauchen wir jede*n Einzelne*n und wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Hetze ob analog oder digital Menschen einschüchtern und vertreiben. Es reicht!

Dienstag, 8. Juni

US-Vizepräsidentin Kamala Harris ist ein gutes Beispiel dafür, dass Repräsentation allein keine Veränderung bringt. Diversity allein ist einfach nur Unterdrückung in bunt. Klar ist es schön, dass eine Schwarze Frau ins Amt gewählt wurde, aber sie ist und bleibt dennoch eine Angehörige der neoliberalen Law-and-Order-Fraktion. Auf ihrer Südamerikareise richtete die mächtigste Frau der USA klare Worte an diejenigen, die unter Kapitalismus und US-Expansionspolitik am stärksten leiden: Flüchtende. „Bleibt wo ihr seid“, sagte Kamala Harris sinngemäß in Guatemala. Wer versuche, in die USA zu kommen, würde zurückgeschickt. Die USA würden ihre Gesetze durchsetzen und die Grenze sichern. „Harris könnte auch weise Worte finden, eine regionale Drogenpolitik gestalten, die keine Opfer mehr fordert, legale Fluchtwege öffnen, Geflüchteten mit Respekt und Menschlichkeit begegnen, einen echten Marshall-Plan für Zentralamerika schmieden… doch sie entschied sich für drei Wörter und ein Ausrufezeichen: Do not come!“, schreibt Mohamed Ahmjahid in seinem Kommentar für die taz. Den Menschen, die sich eine sichere Zukunft für sich und ihre Familie wünschen, wird es egal sein, wer ihnen den Zugang dazu verweigert. Aber Hauptsache der globale Norden feiert sich selbst für seine Diversity.

https://twitter.com/mamjahid/status/1402998427416285195?s=20

Mittwoch, 9. Juni

Am Mittwoch wurde der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung verabschiedet. U.a. wird darin auf die eklatante Unterrepräsentanz von Frauen in der Digitalwirtschaft hingewiesen. Dieser liegt bei nur 16 Prozent, wie eine Untersuchung unter der Leitung der Berliner Volkswirtschaftlerin Aysel Yollu-Tok ergeben hat. Auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz fehlen Perspektiven außerhalb cis männlicher Realität. Algorithmen sind nicht neutral. Sie lernen auf Basis ihrer Programmierung. Wenn ausschließlich oder überwiegend maximal Privilegierte den Algorithmus bauen, wird dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit Diskriminierung reproduzieren. Beispielsweise wenn die Kreditwürdigkeit einer Person maschinell errechnet wird oder künstliche Intelligenz bei der Personalauswahl eingesetzt wird.

https://twitter.com/Ay_yo_to/status/1354383401676115968?s=20

Donnerstag, 10. Juni

Vor der Küste Teneriffas wurde die Leiche der sechsjährigen Olivia gefunden. Das Mädchen und ihre einjährige Schwester waren seit Ende April verschwunden, nachdem sie vom eigenen Vater entführt wurden. Wie das deutschsprachige Nachrichtenportal „Teneriffa Heute“ berichtet, wird Tomás Gimeno verdächtigt, seine Töchter Anna und Olivia am 27. April entführt und getötet zu haben. Und zwar mit dem Ziel, seiner Ex-Partnerin, der Mutter der beiden Mädchen, den größten Schmerz zuzufügen, den er sich vorstellen konnte. „Diese Gewalt, die gegen Mütter ausgeübt wird, um sie dort zu treffen, wo es am meisten weh tut, ist eine Staatsangelegenheit“, sagte die spanische Gleichstellungsministerin Irene Montero. Im ganzen Land demonstrierten tausende Feminist*innen gegen die von Männern verübte Gewalt, die „violencia machista“. 18 Femizide wurden dem spanischen Gleichstellungsministerium zufolge in diesem Jahr bereits verübt. 39 Minderjährige wurden seit 2013 von ihren Vätern getötet.

Freitag, 11. Juni

Die Angriffe auf die Grüne Kanzlerinnenkandidatin Annalena Baerbock werden immer absurder, aber auch zunehmend entlarvend. Also für ihre Gegnerschaft. Die ja ehrlicherweise eher neoliberale Baerbock ist die perfekte Hassfigur für die alten (und nicht so alten) weißen Männer: jung, grün und weiblich – das ideale Feindbild für die, die ihre Macht, wenn überhaupt, nur mit ihresgleichen bereit sind zu teilen. Der neueste Coup der grauen Herren ist eine Anzeigenkampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die von der Arbeitgeberfinanzierten INSM geschaltete Anzeige zeigt Annalena Baerbock in einer Art Toga und mit zwei Steintafeln im Arm. Das Bild soll an Moses mit den zehn Geboten erinnern. Überschrieben ist die Anzeige, die im Onlineangebot und/oder der Printausgabe fast aller großen Zeitungen geschaltet ist mit „Annalena und die zehn Verbote“ bzw. „Grüne Verbote führen uns nicht ins Gelobte Land“ oder „Wir brauchen keine Staatsreligion“. Die (Bild-)Sprache der Kampagne reproduziert eindeutig antisemitische Narrative und wird deshalb auch von fast allen Seiten scharf kritisiert. Ich wage zu bezweifeln, dass die Intention der INSM nur „falsch verstanden“ worden sei, wie die Lobbyorganisation auf Twitter bekundet. Im Gegenteil, ich bin mir absolut sicher, dass genau diese Empörung kalkuliert war, um der Kampagne eine größere Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Aus meiner Sicht wäre diese Anzeigenkampagne aber auch dann absolut schäbig, wenn sie ohne antisemitische Narrative ausgekommen wäre. Das Weglassen des Nachnamens von Annalena Baerbock ist ein Zeichen des mangelnden Respekts. Es stellt die 40-Jährige rhetorisch auf die Stufe eines kleinen Mädchens. Dass überhaupt eine Arbeitgeberinitiative derart offensiv in den Wahlkampf eingreift und sich auf die einzig weibliche Kandidatin im Rennen einschießt, ist ein Sinnbild für die zunehmende Trumpisierung des Bundestagswahlkampfs. Es wird ein schmutziger Sommer.

Samstag, 12. Juni

Wer mich kennt oder mir auf Instagram folgt, weiß, dass nicht nur Feminismus, sondern auch psychische Gesundheit mein Thema ist. Deshalb will ich an dieser Stelle ein paar Worte zu dem schrecklichen Vorfall beim EM-Spiel Finnland gegen Dänemark in Kopenhagen verlieren. Der Däne Christian Eriksen brach kurz vor der Halbzeitpause zusammen und blieb regungslos liegen. Seine Mitspieler leisteten sofort erste Hilfe und riefen ärztliche Hilfe dazu. Eriksen wurde noch auf dem Spielfeld behandelt, man sah, wie mit Herzdruckmassagen lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt wurden, es soll auch ein Defibrillator zum Einsatz gekommen sein. Während quälend langer Minuten standen Eriksen Mitspieler in einem Kreis um ihn und die Sanitäter*innen herum, um die Kameras abzuschirmen. Manche weinten. Auch die finnischen Spieler schienen fassungslos. Es war absolut furchtbar, ich habe noch nie etwas derart Schreckliches im Fernsehen gesehen. Irgendwann wurde die Übertragung dann unterbrochen. Ich war sehr erleichtert als irgendwann die Nachricht kam, dass Christian Eriksen am Leben ist und in stabilem Zustand im Krankenhaus. Ich war einfach nur froh, nicht Zeugin geworden zu sein, während ein Mensch vor laufenden Kameras stirbt. Kurz darauf wurde bekannt gegeben, dass das Spiel nun fortgesetzt würde. Ich war fassungslos. Es war mir unerklärlich, wie irgendjemand nach so einem Vorfall noch an Fußball denken konnte. Angeblich sei es die Entscheidung der Mannschaften gewesen. Später wurde öffentlich, dass die UEFA die Wahl zwischen sofortiger Fortsetzung oder am Folgetag um 12 Uhr gelassen hat. Es ist mir unerklärlich, wie in einer solchen Situation die Entscheidung den Spielern überlassen werden kann. Die UEFA hätte Verantwortung übernehmen, das Spiel abbrechen müssen und sicherstellen, dass die Beteiligten Zugang zu psychologischer Betreuung haben. Ich will mir gar nicht vorstellen, was in den Spielern vorging, während sie um das Leben ihres Mitspielers bangen mussten. Dass man sie kurz darauf wieder aufs Feld schickt, um um den Einzug ins EM-Achtelfinale zu kämpfen, ist einfach nur fahrlässig. Für mich ist es ein weiterer Beweis dafür, dass die (psychische) Gesundheit von Athlet*innen im Geschäft des Profisports nichts wert ist. Sie müssen funktionieren, abliefern, der Rest ist allenfalls zweitrangig. Es ist so kaputt. Und es nimmt mir mehr und mehr die Freude am Zuschauen. Ich hoffe, dass Christian Eriksen sich wieder vollständig erholt und dass seine Mannschaftskollegen sowie seine Angehörigen dieses schreckliche Erlebnis gut verarbeiten können. Ich werde die Bilder vermutlich nicht mehr vergessen.

Und als wäre dieser Fußballtag nicht schon schlimm genug gewesen, ist in Sankt Petersburg noch das passiert:

Sonntag, 13. Juni

Nicht nur Ricarda Lang und Annalena Baerbock, auch Carolin Emcke wurde diese Woche massiv angegriffen, u.a. von der BILD-Zeitung und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiack. Ich empfehle dazu dringend den Kommentar von Ronen Steinke heute in der SZ.

Schreibe einen Kommentar