Femizide in Franken und NRW, Fackeln in Grimma und zum Merkel-Abschied in Berlin. In Stockholm wurde Marthe Wandou geehrt und in New York begann der Prozess gegen Ghislaine Maxwell. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW47
Montag, 29. November
Auch dieser Wochenrückblick beginnt mit einem Femizid, wie schon so viele vor ihm. Bereits am Sonntag wurde eine 33-Jährige in ihrer Wohnung in Bad Windsheim (westlich von Nürnberg) „durch Stichverletzungen in Hals und Oberkörper“ getötet. Tatverdächtig ist der 41 Jahre alte Exmann. Wie die Polizei bestätigte, befand sich in der Wohnung ein „mehrere Monate altes Kleinkind“, das in die Obhut von Angehörigen übergeben worden sei. Es gebe zudem zwei weitere Kinder „mit Bezug zu der 33-Jährigen und dem 41-Jährigen“.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mindestens 139 Frauen durch einen Partner oder Expartner getötet, 22 mehr als 2019. Patriarchale Gewalt ist ein globales Problem und trotzdem wird lediglich über „Einzelfälle“ berichtet und am liebsten auch nur dann, wenn der Täter „nichtdeutscher“ Herkunft ist.
Dienstag, 30. November
In New York hat der Prozess gegen Ghislaine Maxwell begonnen. Der 59-Jährigen wird Beihilfe zu schweren Sexualverbrechen gegen Minderjährige vorgeworfen. Maxwell war langjährige Lebensgefährtin, enge Vertraute und möglicherweise rechte Hand von Jeffrey Epstein, der 2019 angeklagt wurde, weil er die sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen organisiert hatte. Epstein soll hunderte Mädchen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen haben. Seinen Menschenhandelsring soll Ghislaine Maxwell aktiv unterstützt haben. Sie soll dabei geholfen haben, minderjährige Mädchen und junge Frauen zu „organisieren“, die der Multimillionär und seine Kumpels (u.a. wurden Bill Clinton, Donald Trump und Prince Andrew beschuldigt) sexuell missbraucht und ausgebeutet haben. Die Doku „Filthy Rich“ auf Netflix zeichnet diesen absoluten Horror eindrücklich nach. Epstein beging 2019 in der Haft Suizid.
Auch am Dienstag
In Hürth wurde ein 41-jähriger Mann festgenommen, weil er verdächtigt wird, mehrere Frauen in seinem Umfeld mit dem Schwermetall Thallium vergiftet zu haben. Seine Ex-Frau und die Großmutter seiner Lebensgefährtin sind gestorben, seine aktuelle Partnerin wird wegen einer Vergiftung im Krankenhaus behandelt, ob ihr ungeborenes Kind überlebt, ist ungewiss. Das Motiv des Tatverdächtigen sei noch unklar, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Gegen den 41-Jährigen, in dessen Wohnung das Thallium sichergestellt wurde, wurde ein Haftbefehl erlassen. Er selbst bestreitet die Taten.
Mittwoch, 1. Dezember
In Stockholm wurden die Alternativen Nobelpreise verliehen. Eine der Preisträgerinnen ist Marthe Wandou aus Kamerun. Die Juristin hat die Organisation „ALDEPA“ (Lokale Aktion für partizipative und selbstverwaltete Entwicklung) gegründet, die sich für communitybasierten Kinderschutz in der Tschadsee-Region einsetzt. Seit 30 Jahren engagiert sich Wandou für die Rechte von Kindern – insbesondere von Mädchen und kämpft gegen sexualisierte Gewalt im Norden Kameruns, in der Tschadsee-Region. Die Region erlebt eine der „weltweit größten humanitären Katastrophen“, heißt es in einer Studie des Forschungs- und Beratungsinstituts Adelphi. Mehr als sieben Millionen Menschen litten 2017 unter unzureichender Versorgung mit Nahrungsmitteln. Vor dem gewaltsamen Konflikt, der u.a. durch Boko Haram und den Islamischen Staat Westafrika befeuert wird, sind über zwei Millionen Menschen geflohen. „Es gibt kein Mädchen in der Region Hoher Norden in Kamerun, das noch nie geschlechterspezifische Gewalt erlebt hat, egal welcher Art“, sagte Marthe Wandou im Interview mit der Deutschen Welle. Die 58-Jährige setzt sich dafür ein, dass Mädchen zur (weiterführenden) Schule gehen können und klärt Familien über die Folgen der Kinderheirat auf. Bei ihrer Arbeit setzt sie immer auf einen ganzheitlichen Ansatz und die Stärke des Communitybuildings. Zur DW sagte Marthe Wandou: „Aber wir arbeiten auch mit den Mädchen selbst, in den Schulen und auch in den Gemeinschaften. Wir bauen auch Mädchenvereine in den Schulen auf, damit sich die Mädchen untereinander Ratschläge geben können und aufeinander aufpassen. Sie sollen lernen, zu frühe Ehen abzulehnen, und auch lernen, im Falle von Gewalt diese anzuzeigen.“
Der Alternative Nobelpreis heißt offiziell „Right Livelihood Award“ und ist mit jeweils knapp 100.000 Euro dotiert.
Donnerstag, 2. Dezember
Am Donnerstag wurde Angela Merkel offiziell als Bundeskanzlerin verabschiedet. „Großer Zapfenstreich“ heißt das und ist eine Inszenierung deutscher Soldat*innen mit Stahlhelmen und Fackeln, die nach Sonnenuntergang Marschmusik spielen. Gruselig und geschichtsvergessen, wenn ihr mich fragt, aber die Deutschen lieben nun mal ihre Traditionen. Angela Merkel hat Nina Hagen und Hilde Knef auf die Playlist gesetzt. Vielleicht das erste Mal, dass die Bundeswehrkapelle Lieder weiblicher Interpretinnen spielte. Dass Nina Hagen eine transfeindliche und AIDS-leugnende Oberschwurblerin ist, weiß Angela Merkel vielleicht gar nicht. Was sie aber hätte wissen können, ist, dass der Song „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Kurt Demmler geschrieben wurde. Kurt Demmler war berühmter Liedermacher in der DDR, der später wegen hunderten Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder angeklagt wurde und 2009 in der Haft Suizid beging.
Angela Merkel wurde verabschiedet und ich gönne ihr von Herzen einen entspannten Ruhestand. Ich würde mich allerdings auch nicht wundern, wenn sie wie ihre Vorgänger eine Karriere in der Wirtschaft anstrebt. Denn, auch wenn mir Angela Merkel in vielerlei Hinsicht sympathischer ist als Schröder, Kohl oder Helmut Schmidt, ist und bleibt sie eine sehr konservative, wirtschaftsnahe Politikerin, die gegen die „Ehe für Alle“ gestimmt hat, für die Situation an den EU-Außengrenzen mitverantwortlich ist, den inhumanen „Flüchtlings-Deal“ mit Erdoğan abgeschlossen hat und den Export deutscher Rüstungsgüter an Diktatoren in Nordafrika und im Nahen Osten fördert. „Verstehe also, dass sich einige Linke für ihre Merkel-Sympathien schämen“, schreibt Mohamed Amjahid in seiner Kolumne in der taz: „Was aber richtig traurig ist: Wenn Queers, intersektionale Feminist*innen oder rassifizierte Menschen in diesem Land einer Politikerin nachtrauern, die nie wirklich aktiv Politik für sie gemacht hat. Das sagt nämlich mehr über das aus, was auf marginalisierte Gruppen in der Post-Merkel-Zeit zukommen könnte.“ Und ich stimme ihm zu, wenn er sagt: „Eine progressive Partei gibt es nicht in diesem Land, zumindest nicht eine mit realistischem Machtanspruch. 15 Jahre Merkel: Es ist zum Heulen.“
Freitag, 3. Dezember
Am Freitag wurden in Michigan James and Jennifer Crumbley zur Fahndung ausgesetzt. Das Ehepaar wurde wegen fahrlässiger Tötung in vier Fällen angeklagt. Die Crumbleys sind die Eltern des 15-jährigen mutmaßlichen Todesschützen, der an seiner Highschool vier Menschen erschossen hat. Die Eltern hätten ihrem Sohn Ethan vier Tage vor der Tat die Waffe als „christmas present“ gekauft und mehrere Warnungen durch die Schule ignoriert, erklärte die zuständige Staatsanwältin auf einer Pressekonferenz. So erwischte u.a. eine Lehrkraft Ethan dabei, wie er während des Unterrichts online nach Munition suchte. Noch am Morgen des Massakers waren James and Jennifer Crumbley in der Highschool, weil eine Lehrkraft mit ihnen über die Zeichnungen sprechen wollte, die einen Tag zuvor bei ihrem Sohn gefunden wurden. Diese zeigten Waffen und Munition, erschossene Figuren und u.a. die Worte „The toughts won’t stop. Help me“, „Blood everywhere“ und „My life is useless“. Die Eltern fragten ihren Sohn weder, wo die Waffe sei, noch nahmen sie ihn mit nach Hause. Ethan ging zurück ins Klassenzimmer. Später am Tag holte er seine Waffe aus dem Rucksack und eröffnete das Feuer auf seine Mitschüler*innen. Er tötete dabei vier Menschen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren und verletzte sieben weitere.
Samstag, 4. Dezember
Nachdem am Freitagabend Neonazis und Gegner*innen der Corona-Politik mit Fackeln vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping aufmarschiert sind, brachte die BILD-Zeitung am Samstag sowohl online als auch in der Print-Ausgabe diese Schlagzeile:
Unter dem Titel „Die Lockdown-Macher“ werden die Portraits des Modellierers vom Robert-Koch-Institut, Dirk Brockmann, der Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut und des Leiters der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Michael Meyer-Hermann, abgebildet. Darüber steht noch „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“. In einer Zeit, in denen Impfteams unter Polizeischutz arbeiten, Journalist*innen von gewalttätigen Coronaleugner*innen angegriffen und immer mehr Ärzt*innen und Praxispersonal bedroht und attackiert werden, hat das Springer-Drecksblatt nichts Besseres zu tun, als Wissenschaftler*innen dem Mob zum Fraß vor zu werfen. Es ist wirklich infam, wie die BILD die ohnehin aufgeheizte Stimmung und bestehende Bedrohungslage weiter befeuert. Als wären nicht viel mehr diejenigen die „Lockdown-Macher*innen“, die sich an keine Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung halten oder die Politiker*innen, die im Sommer lieber Wahlkampf machten, als Pläne für die (von Wissenschaftler*innen!) vorhergesagte vierte Welle.
Sonntag, 5. November
Am heutigen Sonntag gab es dann noch eine Premiere! Ich habe im Sodaklub-Podcast mit Mia und Mika über Alkohol und Feminismus gesprochen. Ihr könnt euch die Folge auf allen gängigen Podcast-Plattformen anhören oder ihr klickt einfach hier.