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Maren Kroymann sprach bei der Gedenkfeier für die Opfer des Holocausts im Bundestag.

Unisex in Innsbruck

Diether Dehm zeigt einen Schlagersänger an, in Arkansas sollen Drag-Shows verboten werden und Deutschland gedenkt erstmals offiziell der queeren Opfer des Holocausts. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW4

Montag, 23. Januar

Diether Dehm hat Florian Silbereisen angezeigt, weil der beim Singen von „1000 Mal berührt“ ein Wort ausgetauscht hat. „Nach Eingang der Strafanzeige wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Montag. Silbereisen hatte bei einer MDR-Schlagersendung „Erinnerst du dich, wir haben zusammen gespielt“ gesungen und damit auf die rassistische Fremdbezeichnung für nordamerikanische Ureinwohner*innen verzichtet. Zu viel für Dehm, der das Lied in den 1980er Jahren mitgetextet hatte. Der Linken-Politiker stellte Strafanzeige wegen des Tatbestands des „verhunzens“ der Sprache. L O L. Wer ist hier die Sprachpolizei?

Dienstag, 24. Januar

Im Senat des US-Bundesstaats Arkansas wurde am Dienstag ein Gesetzesentwurf verabschiedet, der Drag-Performances auf öffentlichem Grund und in einem Umkreis von 1.000 Fuß von Schulen, Parks, Kirchen, Kindertagesstätten, Parks, Spielplätzen, Bibliotheken, Freizeiteinrichtungen, Häusern und Wanderwegen verbieten soll. Der Gesetzesentwurf muss erst noch durch das Repräsentantenhaus, was aufgrund der republikanischen Mehrheit zu erwarten ist, bevor er der erzkonservativen und queerfeindlichen Gouverneurin Sarah Huckabee Sanders zur Unterzeichnung vorgelegt wird. Diese hatte bei ihrer Antrittsrede Anfang des Monats versprochen, dass sie ein Veto einlegen würde, wenn ein Gesetz „die Regierung auf Kosten der Freiheit wachsen lässt“. Genau das wäre hier der Fall. Dennoch habe ich ernsthafte Zweifel an der Integrität der Gouverneurin, die zwar ständig von Freiheit redet, aber nur die Freiheit der cis heteronormativen Patriot*innen meint, die Waffen tragen und ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen. Sollte das Vorhaben der Republikaner*innen tatsächlich geltendes Gesetz werden, würden zukünftig nicht nur Veranstaltungen wie die „Drag Queen Story Hour“ verboten sein, sondern auch Pride-Paraden oder sogar private Zusammenkünfte von trans Personen innerhalb der „Sperrbereiche“.

Auch diese Woche gab es in Deutschland wieder mehrere Femizide

Am Dienstag tötete mutmaßlich ein 57-Jähriger eine 81 Jahre alte Verwandte in Nützen (Schleswig-Holstein). Nach der Tat griff er den Sohn der Getöteten an, konnte aber überwältigt werden. Ob der mutmaßliche Täter ebenfalls ein Sohn der 81-Jährigen ist, ist unklar. Laut NDR befindet sich der Tatverdächtige derzeit in einer psychiatrischen Fachklinik.

In Essen hat am Mittwoch mutmaßlich ein 34 Jahre alter Mann seine 50-jährige Schwiegermutter erstochen. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen Totschlags erlassen. Medienberichten zufolge habe der Mann der Frau vor ihrer Wohnung aufgelauert und sie unvermittelt angegriffen. Die Frau verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus. Die Essener Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens sagte, dass der Mann „höchstwahrscheinlich die vorausgegangene Trennung“ seiner Ehefrau nicht habe akzeptiere wollen. Er habe die Schwiegermutter dafür verantwortlich gemacht.

Ebenfalls am Mittwoch entdeckten Einsatzkräfte die Leiche einer 89 Jahre alten Rentnerin in Michelbach (Baden-Württemberg). Polizeiangaben wurde die Frau gewaltsam getötet. Weil kurz zuvor, am 23. Dezember, im nahegelegenen Schwäbisch Hall eine 77-Jährige unter ähnlichen Umständen getötet wurde, schließen die Ermittler*innen einen Zusammenhang nicht aus. Dafür, dass es sich womöglich um einen Serientäter handelt, spricht ein ähnlicher, ungelöster Mordfall aus dem Jahr 2020: Im Oktober 2020 wurde eine 94-jährigeRentnerin in Schwäbisch Hall erschlagen.

Am frühen Donnerstagmorgen fanden Einsatzkräfte die Leiche einer 57-jährigen Frau in Frankenau (Hessen). „Die Obduktion der Toten ergab, dass die 58-Jährige an Schnitt- und Stichverletzungen starb, wie die Staatsanwaltschaft in Marburg und die Polizei in Korbach am Freitag gemeinsam mitteilten“, heißt es: „Die Obduktion habe Verletzungen innerer Organe ergeben, welche in Verbindung mit Blutverlust zum Tod geführt hatten“. Tatverdächtig ist ein 18 Jahre alter „Bekannter“ der Frau, der sich der Polizei stellte und wegen dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft sitzt.

Mittwoch, 25. Januar

In einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg ging am Mittwoch ein 33-Jähriger mit einem Messer auf mehrere Fahrgäste los, tötete zwei Menschen (17 und 19 Jahre alt) und verletzte weitere fünf zum Teil lebensgefährlich. Mitreisende konnten den Täter überwältigen, er wurde am Bahnhof Brokstedt festgenommen. Laut Staatsanwaltschaft Itzehoe wurde gegen ihn einen Haftbefehl erlassen. Weil der Täter kein weißer Deutscher war, sondern ein als „staatenlos“ geltender Palästinenser, kochte der Rassismus in den sozialen Netzwerken, aber auch bei herkömmlichen Medien und Politiker*innen hoch. SPD-Innenministerin Nancy Faser fragte populistischWie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war?“ und Grünen-Chef Omid Nouripour erklärte bei Markus Lanz: „Natürlich müssen wir auch über Abschiebungen reden“, es gäbe da „keine Debattenverbote“. Wohin sie den Täter gerne abgeschoben hätten, bleibt offen. Denn ein „Staatenloser“ hat juristisch gesehen kein Heimatland und es bräuchte ein Land, dass ihn freiwillig aufnimmt. Im Falle von Ibrahim A. gab und gibt es das nicht. A. war 2014 nach Deutschland gekommen und ist seitdem immer wieder straffällig geworden, zuletzt hatte er unter Drogeneinfluss in einer Hamburger Obdachlosenunterkunft einen anderen Mann niedergestochen und daraufhin ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen.

Auch am Mittwoch

Die Universität Innsbruck machte am Mittwoch auf Twitter öffentlich, dass Unbekannte gefälschte Toilettenschilder in Uni-Gebäuden angebracht haben. Auf den Tafeln wurden WC-Kabinen als „Unisex-Toiletten“ ausgewiesen, die Hochschule erklärte: „Diese Schilder sind fake und offenbar Teil einer Inszenierung, also keine Beschilderung durch die Uni.“ Die gefaketen Schilder seien später mit großflächigen Stickern überklebt worden, auf denen „There are only two genders“ stand. Die Uni stellt klar: „An der Universität gibt es derzeit genau vier Unisex-Toiletten. Alle anderen ungefähr 150 bis 200 Toiletten sind entweder als Männer- oder als Frauentoiletten ausgewiesen“. Die Aktion ist aus Sicht der Uni eine „abgestimmte Aktion Unbekannter, (…) um eine absurde Diskussion anzuzetteln“. Ich frage mich, was die Täter*innen tun, wenn Sie erfahren, dass in den Zügen der Deutschen Bahn alle Toiletten all-gender WCs sind.

Donnerstag, 26. Januar

In Upahl in Mecklenburg-Vorpommern richtet sich der Volkszorn gerade gegen eine geplante Unterkunft für geflüchtete Menschen. Am Donnerstag demonstrierten rund 700 Personen (laut Wikipedia wohnen in Upahl 1.662 Menschen) vor dem Kreistagsgebäude in Grevesmühlen. Wie der NDR berichtete mussten rund 120 Polizist*innen das Gebäude sichern und verhindern, dass die Demonstrierenden hineingelangen. Es seien „Pyrotechnik und Nebeltöpfe“ geworfen worden. Man stelle sich vor, sogenannte „Linksextreme“ würden gewaltsam versuchen eine Kreistagssitzung zu stürmen, wir hätten bundesweit kein anderes Thema. In Upahl hingegen: Verständnis für die „Sorgen“ der Anwohnenden.

https://twitter.com/pm_cheung/status/1618883239980179456?s=20&t=8Asn-KuQBsU2stSXVNt8ug

Freitag, 27. Januar

Der 27. Januar ist der Internationale Gedenktag für die Opfer des Holocausts, in Deutschland scheint gleichzeitig „Tag der unangenehmen Selbstinszenierung“ zu sein. Politiker*innen legen Kränze nieder, Prominente putzen Stolpersteine und bei allem ist die Kamera dabei. Statt den lebenden Jüdinnen*Juden und Sinti*zze und Rom*nja zuzuhören, suhlen sich die Deutschen mit Nazi-Hintergrund in ihrem Gedenk- und Betroffenheits-Theater. Jüdische Menschen kommen in Deutschland vor allem dann vor, wenn sie tot sind. Als passive „Opfer“ (statt „Ermordete“) der Nazis (also der paar bösen Männer, die die armen Deutschen diktatorisch regiert hätten). Am Tag der Befreiung von Auschwitz verschweigen die Deutschen, dass die Mehrheit der heute in Deutschland lebenden Jüdinnen*Juden die Nachfahr*innen der Befreier sind und nicht der Befreiten. Sie vergessen, dass es die Deutschen waren, die jüdische und romane Menschen verfolgten und verpfiffen und sich anschließend ihre Besitztümer unter den Nagel rissen. Anstatt sich mit dem Erbe des Täter*innenvolks auseinanderzusetzen, wird lieber gar nicht so genau nachgeforscht, wann und wodurch das Familienvermögen entstand.

In diesem Jahr wurde erstmals explizit den Menschen gedacht, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt und ermordet wurden. Bei den üblichen Transfeind*innen auf Twitter sorgte die Gedenkstunde für eine neuerliche Flut von Hass und Geschichtsrevisionismus. Die Journalistin Judith Sevin Basad (erst bei Springer, jetzt bei Reichelt) nannte das Gedenken gar eine „Relativierung der NS-Verbrechen“. Es habe schließlich gar keine queeren Opfer gegeben. Die AfD blieb der Gedenkveranstaltung im Bundestag weitgehend fern und bewies damit unerwarteten (und vermutlich nicht beabsichtigten) Anstand. Von den insgesamt 78 Abgeordneten der Partei waren nur 27 anwesend.

Samstag, 28. Januar

Apropos Nazis: Hans-Georg Maaßen wurde am Samstag zum neuen Vorsitzenden der „Werte-Union“ gewählt. In dieser Funktion wolle er sich „für die Durchsetzung christlich-demokratischer Ziele, für konservative und liberale Werte und gegen jede Art von Ökosozialismus und Gender-Wokismus einsetzen“, erklärte er auf Twitter. Klingt für mich jetzt auch nicht anders als ein beliebiges Statement von Friedrich Merz, trotzdem passt der CDU die Personalie Maaßen zunehmend nicht mehr in den Kram. Diese Woche war sogar von einem Parteiausschlussverfahren die Rede. Der ehemalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz Maaßen fällt regelmäßig mit rassistischen, antisemitischen und rechtsextremistischen Aussagen auf, trotzdem wird er bei der Tagesschau weiterhin als „rechtspopulistisch“ verharmlost. Die Weigerung, ihn als den zu benennen, der er ist, ist Teil des Problems.

Auch am Samstag

In den USA sterben jeden Tag mehrere Menschen durch Polizeigewalt (mehr als 1.100 Personen in den letzten zwölf Monaten allein durch Polizeischüsse). Am 7. Januar wurde der 29-jährige Schwarze Tyre Nichols von fünf Polizisten nach einer Verkehrskontrolle in Memphis, Tennessee, totgeschlagen. Am Samstag veröffentlichten die Behörden ein Video der Tat. Dass die Täter ebenfalls Schwarz sind, ist kein Beleg dafür, dass Rassismus und white supremacy hier keine Rolle gespielt hätte. Der Soziologieprofessor Rashawn Ray forscht an der University of Maryland seit Jahren zu Polizei und Polizeigewalt. Er erklärte in einem Interview mit CNN: Wir haben festgestellt, dass es nur sehr wenige Unterschiede zwischen weißen und Schwarzen Polizisten gibt, was ihre Einstellung und ihr Verhalten angeht. Vor allem, wenn es darum geht, wie sie Schwarze Menschen behandeln.“

https://twitter.com/FlyMai16/status/1618706277697482752?s=20&t=8Asn-KuQBsU2stSXVNt8ug

Sonntag, 29. Januar

Die Tagesschau meldete am Nachmittag Drohnenangriffe auf Ziele im Iran. Der Guardian schreibt: „Bei den nächtlichen Angriffen schlugen Flammen aus einem militärischen Industriegebäude, der als Produktionszentrum für Drohnen und Raketen gilt, die im gesamten Nahen Osten und von den russischen Streitkräften in der Ukraine eingesetzt werden“. Hintergründe der Angriffe sind noch unklar, die iranische Regierung beschuldigt Israel und der Berater des ukrainischen Präsidenten Mychajlo Podoljak twitterte „haben euch gewarnt“. Die aktuelle Nachrichtenlage macht die Komplexität der Weltlage deutlich und überfordert mich umfassend. Ich bin auf so vieles, was diese Woche auf der Welt geschehen ist, hier nicht eingegangen und wieder kommen Zweifel, ob der Wochenrückblick in dieser Form überhaupt einen Mehrwert hat. Die Selektivität beschämt mich; das Gefühl, zu so vielem zu schweigen. Ich hoffe, ihr konntet dennoch etwas aus der Lektüre ziehen. Wie immer: Danke fürs Lesen.

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