Die Polizei erschoss diese Woche zwei Menschen, die Mörder von Breonna Taylor werden nun doch angeklagt und wir Gedenken der Opfer von Porajmos und Hiroshima. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW31
Montag, 1. August
Und wieder beginnt der Wochenrückblick mit einem Femizid. In Bielefeld hat offenbar ein 51 Jahre alter Mann seine 49-jährige Ehefrau getötet. Die Tat soll sich am Sonntagmorgen im gemeinsamen Einfamilienhaus ereignet haben. Laut Polizei starb die Frau durch „Gewalteinwirkung mit einem spitzen Gegenstand“. Der WDR berichtet, dass „mehrere Anzeigen wegen häuslicher Gewalt vorliegen“ und „dass es bereits deswegen Einsätze bei dem Paar gab“. Es ist leider überhaupt keine Seltenheit, dass Femiziden eine häufig jahrelange Zeit der Partnerschaftsgewalt vorausgehen. Betroffene erhalten allerdings kaum Unterstützung. Während das Justizministerium derzeit darüber diskutieren, die Strafen für Gewalt gegen Frauen zu erhöhen, bräuchte es in Wahrheit vor allem viel mehr Prävention und Schutzangebote für die Opfer. Im Falle des Täters aus Bielefeld soll dieser nur zwei Tage vor der Tat um Aufnahme in ein psychiatrisches Krankenhaus gebeten haben. Er sei dort aber abgewiesen worden. Wie der WDR berichtet, hätten „Ärztinnen und Ärzte […] keine akute Gefahr für den Mann oder andere erkennen“ können.
Dienstag, 2. August
Der 2. August ist Internationaler Porajmos-Gedenktag. Porajmos (deutsch „Das Verschlingen“) ist das Romanes-Wort für den Völkermord an den europäischen Sinti*zze und Rom*nja während des Nationalsozialismus. Allein am 2. August 1944 wurden in Auschwitz 4.300 Sinti*zze und Rom*nja von der SS ermordet, in einer einzigen Nacht. Die Gesamtzahl der Opfer des Porajmos ist nicht bekannt. Historiker*innen schätzen die Zahl der ermordeten Menschen auf bis zu 500.000, mindestens ein Viertel der damals in Europa lebenden Sinti*zze und Rom*nja. Viele Jahre wurde dieser Genozid nicht anerkannt und aus der Erinnerung an den Nationalsozialismus herausgehalten. Erst 2015 wurde der 2. August als Internationaler Gedenktag vom EU-Parlament ernannt, die Verfolgung der Sinti*zze und Rom*nja wird in Deutschland erst seit 1982 offiziell anerkannt. Das Verleugnen des Porajmos hat drastische Folgen für die Überlebenden. Der Rassismus, den die größte Minderheit in Europa erlebt, ist noch immer vielfach akzeptiert. Vorurteile sind an der Tagesordnung und die Verfolgung geht in vielen Teilen Europas weiter. Doch auch in Deutschland ist der Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja noch immer mehrheitsfähig. Der Leipziger Autoritarismusstudie zufolge gaben im Jahr 2018 56 Prozent der Befragten an, dass sie „ein Problem damit [hätten], wenn sich Sinti und Roma in [ihrer] Gegend aufhalten“.
Mittwoch, 3. August
In Köln wurde am Mittwoch ein 48-jähriger Mieter bei einer Zwangsräumung erschossen. Der Straßenmusiker Jozef soll im Vorfeld bereits „Gewalt angekündigt“ haben, sodass die Gerichtsvollzieherin sich bei der Vollstreckung der Räumung polizeiliche Unterstützung geholt hatte. Der Mieter soll die Beamten mit einem Messer bedroht haben und hat sich offenbar auch nicht durch den Einsatz von Pfefferspray und Androhung von Schusswaffengebrauch überzeugen lassen. Zwei Polizist*innen feuerten daraufhin ihre Dienstwaffe ab und töteten den Mann an Ort und Stelle. „Die Polizei und der Staat machen Menschen nicht nur obdachlos, im Zweifel bringen sie sie einfach um. Was wir wieder einmal sehen, ist, dass die Polizei im Interesse des Kapitals handelt und über Leichen geht, um diese Interessen zu schützen“, heißt es in einem Posting der feministischen Organisation ZORA aus Köln, die zu einer Kundgebung gegen Polizeigewalt am Donnerstag aufriefen. Doch nicht nur die tödliche Polizeigewalt ist ein Skandal, auch die Berichterstattung in der (Boulevard-)Presse, die Jozef (manchmal auch „Louzef“) zu einem „Arbeitslosen russischer Abstammung“ machten, der „dem Alkohol nicht abgeneigt“ gewesen sei und „regelmäßig randaliert“ habe. Report-K, eine Kölner Internetzeitung, zeichnet ein differenzierteres Bild. Jozef sei jüdischer Abstammung, in St. Petersburg als Sohn einer berühmten Geigerin geboren. Vier Jahre lang habe er klassische Musik in St. Petersburg studiert, bevor er 1993 nach Deutschland kam. Es sei die Zeit des Tschetschenien-Krieges gewesen und er habe nicht als Soldat in der russischen Armee sein wollen. In Köln habe er dann an der Musikhochschule studiert. Viele Jahre habe er als Straßenmusiker in der Kölner Fußgängerzone und am liebsten vor der Philharmonie Xylophon gespielt. Eine Freundin und Mitmusikerin Sava Freundenfeld sagt zu Report-K, Jozef sei ein netter Mensch gewesen und nicht gewalttätig. Der Lockdown und der damit verbundene Verlust seiner Einkünfte hätten ihm schwer zugesetzt. Er habe dann „Trost im Alkohol“ gesucht. Sava Freudenfeld sagt: „wenn er getrunken hatte ist er sehr laut geworden“ und als ihm die Wohnung gekündigt wurde, habe er mit Suizid gedroht. „Es geht nicht darum, über Tote nur Gutes zu sagen. Das Gute und das Schlechte muss benannt werden, aber nie nur die eine Seite. Es ist Verpflichtung für die Überlebenden aufrichtig mit denen umzugehen, die verstorben sind, denn sie können nicht mehr Stellung beziehen“, heißt es im Artikel.
Vor Jahren wurde Jozef vom WDR begleitet, der Lokalzeit-Bericht zeigt das Bild eines Mannes, der für die Musik gelebt hat. Dieser Mensch wurde jetzt von der Polizei in seinem Zuhause erschossen.
Es ist der zweite Fall von tödlicher Polizeigewalt in dieser Woche. Am frühen Dienstagmorgen erschoss die Frankfurter Polizei einen 23-jährigen Somalier in einem Hotel im Bahnhofsviertel. Laut Bericht des Hessischen Rundfunks, handelt es sich bei dem Getöteten „um einen wohnungslosen Mann, der der Polizei aufgrund von ‚zahlreichen Straftaten, insbesondere der Gewalt- und Drogenkriminalität‘, bekannt war“. Entgegen der ursprünglichen Behauptung der Polizei, starb der Mann nicht im Krankenhaus, sondern an Ort und Stelle durch einen Kopfschuss. Er soll zuvor einen Polizeihund mit einem Messer verletzt haben.
Immer wieder sterben Menschen während oder in Folge von Polizeieinsätzen. Meistens sind es Männer, häufig sind sie psychisch krank. Die Webseite https://polizeischuesse.cilip.de/ geht von mindestes 314 Menschen aus (sechs davon weiblich), die seit 1989 von der Polizei erschossen wurden. „Mit unserer Übersicht können wir die These stützen, dass eine beträchtliche Zahl von psychisch beeinträchtigten Menschen Opfer von Polizeischüssen werden. In rund einem Fünftel aller Fälle finden wir entsprechende Hinweise“, erklären der Journalist Matthias Monroy und der Datenanalyst Johannes Filter in einem Artikel für Netzpolitik.org. Aus ihren Recherchen geht hervor, dass „viele der Betroffenen […] in ihrer eigenen Wohnung getötet“ werden, „etwa wenn sie als Reaktion auf das polizeiliche Eindringen oder im Gefühl des Bedrohtseins plötzlich zu einem Messer greifen“. Die Chronik erfasst nur die Tötungen per Schusswaffe und nur dienstlich abgefeuerte Kugeln. Die Zahl der von Polizist*innen getöteten Menschen ist also definitiv noch höher als in dieser Statistik erfasst. Die Tode von Oury Jalloh, Qosay Khalaf oder Giorgos Zantiotis sind darin gar nicht erfasst.
Donnerstag, 4. August
Das FBI hat am Donnerstag vier Polizist*innen verhaftet, die im Zusammenhang mit der Tötung der 26-jährigen Notfallsanitäterin Breonna Taylor angeklagt wurden. Einem Polizisten wird „exzessive Gewalt“ vorgeworfen, den anderen drei, dass sie „auf Basis von gefälschten Angaben einen Durchsuchungsbefehl für Taylors Wohnung erwirkt“ hätten. Breonna Tylor wurde am 13. März 2020 in ihrem eigenen Bett von der Polizei in Louisville, Kentucky, erschossen. Die Cops waren – mutmaßlich ohne sich als Polizist*innen erkennen zu geben, nachts in ihre Wohnung gestürmt. Taylors Freund hielt die zivilgekleideten Eindringlinge für Einbrecher und gab einen Warnschuss ab. Daraufhin feuerten die Cops mehrere Kugeln ab und töteten Breonna Taylor, die sechs Mal getroffen wurde. Der Grund für den nächtlichen Überfall auf Breonna Taylor war Polizeiangaben zufolge die Suche nach Taylors Exfreund, der des Drogenhandels verdächtigt wurde. „Zum Zeitpunkt der Razzia war der Verdächtige allerdings schon anderenorts lokalisiert worden und wurde kurz darauf festgenommen“, schreibt Der Standard.
Ebenfalls am Donnerstag erklärten die Frankfurter Polizei und Staatsanwaltschat, dass sich unter den Polizist*innen, gegen die aktuell u.a. wegen rechtsextremer Chats und des Verrats von Dienstgeheimnissen ermittelt wird, auch ranghohe Beamt*innen befinden, zum Beispiel der Leiter der Abteilung für Amtsdelikte, „das ist der Beamte, der Zugang zu allen internen Verfahren hat“, schreibt die FAZ. Ich habe mittlerweile komplett den Überblick über die Verfahren gegen rechtsextreme Cops in Frankfurt verloren. Am besten wäre es vermutlich, man würde den gesamten Laden dicht machen, also inklusive Innenministerium, und endlich eine unabhängige(!) Stelle einrichten, um die Ermittlungen zu koordinieren, die Schuldigen zu identifizieren und Strafverfahren einzuleiten. Aber ich weiß selbst, dass das niemals passieren wird in einem Land, das an das „Freund und Helfer“-Märchen glaubt, wie Kitakinder an den Weihnachtsmann.
Freitag, 5. August
Nachdem am Donnerstag die US-Basketballerin Brittney Griner in Moskau zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Freitag, dass das Land bereit wäre, über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln. Brittney Griner sitzt seit fünf Monaten in einem russischen Gefängnis, weil bei ihr an einem Moskauer Flughafen eine Kartusche mit 0,5 Gramm Cannabis-Öl gefunden wurde. Die 2,06 Meter große Athletin aus Houston (Texas) ist eine der erfolgreichsten Basketballerinnen der USA. Sie holte Titel in der WNBA, der Euroleague, bei Olympia und sie gewann die Weltmeisterschaft. 2013 wurde sie zur ersten offen lesbischen Athletin im Sponsoring von Nike, als Modell der damals aktuellen Kollektion, trug sie die Entwürfe für Männer. Brittney Griner ist nicht nur ein Weltstar und eine Ikone des queeren Sports, sie ist jetzt vor allem ein Spielball im politischen Ringen zweier Weltmächte. Ich wünsche ihr so sehr, dass sie schnell nach Hause kann.
Samstag, 6. August
Am 6. August 1945 warfen die USA eine Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima. Zehntausende Menschen starben innerhalb einer Sekunde. Drei Tage später waren die USA eine zweite Atombombe, diesmal auf die Stadt Nagasaki. Auch hier verbrannten innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde zehntausende Menschen. Rund 100.000 Menschen, fast ausschließlich Zivilist*innen wurden durch die beiden Atombomben sofort getötet, bis Ende des Jahres 1945 starben weitere 130.000 Menschen an den Folgen. Auch in den Jahren danach starben weitere Menschen durch dieses unvergleichliche Verbrechen. Der Bürgermeister von Hiroshima Kazumi Matsui sagte am Samstag bei seiner Rede anlässlich des Gedenkens: „Wir müssen sofort alle nuklearen Knöpfe bedeutungslos machen.“ Auch der UN-Generalsekretär Antonio Guterres war bei der Gedenkveranstaltung in Hiroshima vor Ort. Er rief in seiner Rede zur Abrüstung auf: „Wir müssen die Schrecken von Hiroshima jederzeit im Auge behalten und erkennen, dass es nur eine Lösung für die nukleare Bedrohung gibt: überhaupt keine Atomwaffen zu haben.“ Weltweit gibt es rund 13.000 Atombomben. Laut Statista besitzt Russland 5.977 Atomsprengköpfe, die USA 5.428. Weitere Länder, die Atombomben besitzen sind: China (350), Frankreich (290), Großbritannien (225), Pakistan (165), Indien (160), Israel (90) und Nordkorea (20).
Sonntag, 7. August
Christian „Porsche-Buddy“ Lindner findet das 9-Euro-Ticket „nicht fair“. Er hält das für „Umverteilung“ und lehnt die „Gratismentalität“ ab. Weil ich hier jetzt nicht schreiben will, WIE SEHR ich ihn hasse, folgt stattdessen eine kurze Liste von Dingen, die ich „nicht fair“ finde:
- Gewinne der Ölkonzerne im letzten Quartal (Shell: 11,5 Milliarden Dollar, TotalEnergies 5,7 Milliarden Dollar)
- Gewinne der deutschen Waffenhersteller im ersten Quartal 2022 (z.B. Rheinmetall 92 Millionen Euro)
- Inflationsrate in Deutschland im Juli 2022 von +7,5 Prozent
- 1,63 Millionen Millionär*innen in Deutschland
- 13 Millionen Menschen von Armut gefährdet (Jede*r sechste!)
- Schäden durch die Klimakatastrophe allein in Deutschland bei mindestens 145 Milliarden Euro (in den letzten zwei Jahren)
- Jährlich steigende Mieten (durchschnittlich +10 Prozent seit 2015)
- Immer noch kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen
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Ich könnte es eigentlich jede Woche schreiben: Danke für deine Recherchen, Gedanken und Einordnungen. Danke für das Zusammentragen, Schreiben und Aufmerksam machen.
Da kann ich Elisa nur zustimmen und sage ebenfalls DANKE. Bleib stark und widerständig!!!