In München erschoss die Polizei eine Frau im Supermarkt, in Solingen nutzen Rechtsextreme ein grauenhaftes Attentat für rassistische Propaganda und in Thüringen kämpft der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald gegen die AfD. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW34
Montag, 19. August
Die Polizei hat am Montag eine 31-jährige Frau in einem Münchner Supermarkt erschossen. Viermal schossen zwei der insgesamt vier anwesenden Polizeikräfte aus kurzer Distanz auf die Frau, die noch am Tatort verstarb. Angeblich soll die 31-Jährige die Polizist*innen zuvor mit einem Messer bedroht haben. Wie so oft in Fällen tödlicher Polizeigewalt war auch dieses Opfer in einer psychischen Ausnahmesituation. Die Getötete war polizeibekannt, gegen sie wurde bereits mehrfach u.a. wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Angehörigen zufolge war sie mehrfach in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Immer wieder sterben Menschen während oder in Folge von Polizeieinsätzen. Meistens sind es Männer, sehr häufig sind sie psychisch krank. Die Webseite https://polizeischuesse.cilip.de/ geht von mindestes 338 Menschen aus, die seit 1989 von der Polizei erschossen wurden. Die Chronik erfasst nur die Tötungen per Schusswaffe und nur dienstlich abgefeuerte Kugeln. Die Zahl der von Polizist*innen getöteten Menschen ist also definitiv noch höher als in dieser Statistik erfasst. Die Tode von Oury Jalloh, Qosay Khalaf oder Giorgos Zantiotis sind darin gar nicht erfasst. „Mit unserer Übersicht können wir die These stützen, dass eine beträchtliche Zahl von psychisch beeinträchtigten Menschen Opfer von Polizeischüssen werden. In rund einem Fünftel aller Fälle finden wir entsprechende Hinweise“, erklären der Journalist Matthias Monroy und der Datenanalyst Johannes Filter in einem Artikel für Netzpolitik.org.
Dienstag, 20. August
„Heute Morgen: In der Gedenkstätte Mittelbau-Dora wurde mein Konterfei auf eine Todesmarschstele geklebt, u. eine Weimarer ‚Montagsspaziergängerin‘ schreibt mir, der verstorbene SPD-MdL Hartung habe die Quittung für sein Handeln bekommen. Ich würde auch noch meine Strafe erhalten“, das schrieb Jens-Christian Wagner am Dienstag auf der Plattform, die früher Twitter hieß. Wagner ist der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er wird bedroht, nachdem er einen Offenen Brief an 350.000 Thüringer Haushalte verschickte, in denen Menschen über 65 Jahre leben. Darin hatte Wagner mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen vor der AfD gewarnt. In dem Schreiben, das ganz bewusst auf dem Postweg versandt wurde, um auch die Menschen zu erreichen, die keine sozialen Medien nutzen, schrieb Wagner u.a. „für unser Land steht in diesen Tagen viel auf dem Spiel. Mit der AfD tritt am 1. September eine Partei an, die das Leiden der Opfer des Nationalsozialismus auch in den thüringischen Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora aus der Erinnerung tilgen will“. Wagner macht an konkreten Beispielen deutlich, „wie die Thüringer AfD versucht, die Schrecken des Nationalsozialismus kleinzureden“ und appelliert: „Ich bitte Sie: Gehen Sie am 1. September zur Wahl und wählen Sie demokratische Parteien und ihre Kandidaten!“ Wagner selbst hatte die Post-Aktion in einer Stellungnahme am Montag verteidigt: „Dass wir uns mit einem Brief an die Wähler:innen in Thüringen wenden, ist in der Tat ungewöhnlich. Begründet ist das durch den Umstand, dass sich die AfD notorisch gegen die Erinnerungskultur wendet und unsere Arbeit als ‚Schuldkult‘ diskreditiert“, erklärt er. Er sei darüber hinaus „per Stiftungsgesetz verpflichtet, die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Opfer der NS-Verbrechen gegenüber solchen Angriffen zu schützen“. Er stellt zudem klar, dass für den Versand weder Steuermittel noch „für die Gedenkstättenarbeit vorgesehenen Spenden verwendet“ wurden, sondern Gelder der Plattform Campact, die den Versand organisierte und bezahlte.
Mittwoch, 21. August
Es gibt einen cleveren Trick, bei denen Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag von inländischen Aktionär*innen an ausländische Investor*innen verkauft werden. Dadurch können ausländische Käufer*innen die Dividende ohne oder mit geringerer Besteuerung erhalten. Nach der Dividendenzahlung werden die Aktien an die ursprünglichen Besitzer*innen zurückgegeben. So wird die Kapitalertragsteuer auf Dividenden reduziert oder ganz vermieden. Klingt kompliziert? Ja, stimmt schon. Es ist aber nicht unwichtig, zu verstehen, was da passiert. Denn der beschriebene Trick heißt „Cum-Cum-Deal“ und kostete den deutschen Staat in den letzten Jahren rund 30 Milliarden Euro. Eine unvorstellbar große Summe, deshalb gebe ich euch gerne ein paar Zahlen zum Vergleich. Für die frühkindliche Bildung plant die Bundesregierung im Bundeshaushalt 2025 rund 2 Milliarden Euro auszugeben. Für den sozialen Wohnungsbau sind 3,5 Milliarden Euro vorgesehen und in die Deutsche Bahn werden 10,4 Milliarden investiert. Zusammen sind das 15,9 Milliarden, etwas mehr als die Hälfte der Summe, die sich der Bund entgehen lässt, anstatt sie sich von den Banken zurückzuholen, die an den Cum-Cum-Geschäften verdient haben. Cum-Cum-Geschäfte sind illegal, sie sind nichts anderes als Betrug, das hat das oberste Finanzgericht entschieden und 2021 hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag erklärt, man werde „alles dafür tun, missbräuchliche Dividendenarbitragegeschäfte zu unterbinden“ und „dafür sorgen, dass erlittene Steuerschäden konsequent zurückgefordert und eingezogen werden“. Tja, Pustekuchen, bislang wurden nur Kleckerbeträge zurückgeholt, wenn überhaupt. Die Tagesschau veröffentlichte am Mittwoch einen längeren Beitrag zum Stand der Ermittlungen. Darin kommt auch die ehemalige Kölner Cum-Cum- / Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker zu Wort. Sie sagt: „Die Finanzlobby hat hier beste Arbeit geleistet“, und ergänzt: „Anders kann man sich das überhaupt nicht erklären, dass sich der Staat diese riesigen Einnahmen durch die Lappen gehen lässt.“ Brorhilker hatte ihr Amt als Oberstaatsanwältin im April resigniert aufgegeben. In einem Interview mit dem ZDF erklärte sie, es fehle „der politische Wille […] organisierte Steuerkriminalität wirksam und zielgerichtet zu bekämpfen“. Davon sei „in der aktuellen Haushaltsdebatte […] überhaupt nicht die Rede“. Sie sieht hier über den finanziellen Schaden hinaus auch die Gefahr, dass „das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren“ gehe, „wenn der Staat im Bereich der Wirtschaftskriminalität nicht genauso entschlossen vorgeht wie in anderen Kriminalitätsbereichen, sondern da mit zweierlei Maß misst“. Inzwischen arbeitet Anne Brorhilker als Geschäftsführerin bei der Bürgerinitiative „Finanzwende“.
Donnerstag, 22. August
Als „ultraislamistisch“ bezeichnet Thomas Ruttig die in Afghanistan regierenden Taliban. Der Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks „Afghanistan Analysts Network“, schreibt in einem Artikel für die taz am Donnerstag über die neu erlassenen „Tugendgesetze“ in Afghanistan. Frauen dürfen das Haus ab sofort nur noch „in Notfällen“ verlassen und müssen sich außerhalb des Hauses voll verschleiern. Einen Mann, mit dem sie nicht verwandt sind, dürfen sie nicht in die Augen schauen und selbst zu Hause dürfen sie nicht laut sprechen. Ihnen ist es untersagt, öffentlich zu singen, Gedichte vorzutragen und sogar das Rezitieren des Korans ist verboten. Aber nicht nur für Frauen verschärft sich die Situation weiter. Die neuen Gesetze untersagen Homosexualität und Ehebruch ausdrücklich, verlangen eine Kleiderordnung, die kurze Ärmel und Shorts verbietet, ebenso wie Frisuren „wie bei den Ungläubigen“ oder zu kurze Bärte. Medien dürfen nichts veröffentlichen, was nicht im Einklang mit der Scharia ist oder Muslime „beleidigt“. Privatpersonen ist es nun verboten, Bilder lebender Wesen „auf Handys und Computern“ aufzunehmen oder anzusehen. Es ist dystopisch, katastrophal und absolut unvorstellbar. Grundlegende Menschenrechte gelten in Afghanistan längst nicht mehr. Trotzdem arbeitet die deutsche Bundesregierung daran, Abschiebungen in das Land wieder möglich zu machen. Der Bundeskanzler selbst hatte Anfang Juni eine Regierungserklärung abgegeben, in der er forderte, Schwerkriminelle und sogenannte „Gefährder“ auch nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“, sagte Olaf Scholz und berief sich auf das „Sicherheitsinteresse Deutschlands“. Offenbar wird dafür sogar eine diplomatische Anerkennung der Taliban als rechtmäßige Regierung Afghanistans in Erwägung gezogen, ohne die keine Verhandlungen über Abschiebungen möglich sind.
Freitag, 23. August
Ein Mann hat am Freitagabend auf einem Stadtfest in Solingen (NRW) mehrere Menschen mit einem Messer angegriffen. Drei Menschen wurden getötet, acht weitere zum Teil schwer verletzt. Bei den Getöteten handelt es sich um eine 56-jährige Frau sowie zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren. Der Täter konnte flüchten und es gab zunächst keine brauchbare Spur oder Hinweise auf die Identität des Angreifers. Trotz der völlig unklaren Lage waren sich im Netz sofort viele einig, dass der Täter ein „arabisches Aussehen“ gehabt hätte, whatever that means. Auf Ex-Twitter findet sich unter dem Hashtag „Solingen“ kaum Mitgefühl für die Verletzten und die Angehörigen der Getöteten, stattdessen machte sich direkt eine widerliche Genugtuung über ein „islamistisches“ Attentat breit, noch bevor sich am Samstagabend der „IS“ zum Angriff bekannte. Ein Angriff, der vor allem denen in die Hände spielt, die nur darauf warten, das Grauen für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können. Beatrice von Storch z.B. freute sich direkt nach der Tat über eine gute Gelegenheit für AfD-Werbung und schrieb noch bevor es Hinweise über den Hintergrund gab: „‚Vielfalt‘ ist überall, nun in #Solingen. Ich kann das nicht mehr ertragen. Am wenigsten die blutleeren Phrasen von denen, die das Blutbad verantworten. Menschen sterben. Gestern wieder 3! Und 3 schweben noch in Lebensgefahr. Todesgefahr überall. Für jeden. Wer dagegen was tun will, MUSS AfD wählen! Schluss mit dieser ‚Vielfalt'“. Inzwischen stellte sich ein 26 Jahre alter Mann, der aus Syrien stammen soll, bei der Polizei. Ob es sich dabei um den Täter handelt, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Die Rechtsextremen triumphieren und nutzen die schreckliche Tat für rassistische Propaganda. Die Neonazi-Gruppe „Solinger Widerstand“, deren Telegram-Channel in der Hochphase der Corona-Pandemie regen Zulauf erhielt, rief zu einer Demonstration am kommenden Montag unter dem Motto „Wir sind das Volk, sagt nein zu #Masseneinwanderung. Ja zur #Remigration!“ in der Solinger Innenstadt auf. Es wird in den kommenden Tagen verstärkt antifaschistisches Engagement brauchen, um sich den Neonazis in den Weg zu stellen, um Pogrome zu verhindern, bevor sie entstehen und Bilder wie die aus England zu verhindern.
Samstag, 24. August
Vor 32 Jahren, am 24. August 1992, wurde Frank Bönisch in Koblenz von einem Neonazi ermordet. Frank Bönisch war 35 Jahre alt und lebte auf der Straße. Er hielt er sich gemeinsam mit anderen Obdachlosen, Punks und Drogenkonsument*innen auf dem Zentralplatz in Koblenz auf als der 23-jährige Dachdeckerlehrling und Angehörige der Neonazi-Gruppe „Deutsche Front Coblenz (DFC)“, Andy Johann H. (genannt „Der deutsche Andy“), auf die Gruppe zuging und rief „Jetzt seid ihr dran“. H., der ein Hakenkreuz auf den Oberarm tätowiert hatte, feuerte aus einer großkalibrigen Pistole, die er aus dem Waffenschrank seines Vaters genommen hatte, zehnmal auf die völlig arg- und wehrlosen Menschen. Er verletzte mehrere Personen und tötete Frank Bönisch. Das Gericht wertete „Hass auf Obdachlose/Sozial Randständige“ als Motiv und verurteilte H. zu 15 Jahren Freiheitsstrafe wegen Mordes und Mordversuch in sieben Fällen. Der Täter schrieb nach seiner Festnahme Postkarten und Briefe an seine Kameraden, die in der Tatnacht nicht in Koblenz, sondern bei den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen waren, und erklärte, er sitze in Haft, weil er „dem Vaterland gedient“ habe. Trotz seiner unzweifelhaften Gesinnung wertete weder das Gericht noch die Bundesrepublik Deutschland die Tat als politisch motiviert und Frank Bönisch ist bis heute nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Die 2011 in Koblenz gegründete „Initiative Kein Vergessen“ erinnert an den Mord und setzte sich für einen Gedenkstein ein, der 2013 auf dem Zentralplatz in Erinnerung an Frank Bönisch verlegt wurde.
Sonntag, 25. August
Es ist der letzte Sonntag vorm Wahltag in Sachsen und Thüringen und in Leipzig und Dresden gingen zehntausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. An der Demo von „Wir sind die Brandmauer“ in Dresden nahmen den Veranstaltenden zufolge 11.000 Menschen teil und riefen dazu auf, am 1. September wählen zu gehen, um zu verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. Eine zentrale Forderung richtete sich aber auch an die demokratischen Parteien: Keine Zusammenarbeit mit der AfD! Ebenfalls rund 11.000 Menschen kamen in Leipzig unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ zusammen. SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung äußerte in einer Rede die Angst, dass „Sachsen und Thüringen kippen“ könnten und rief die Menschen dazu auf, für die Demokratie zu kämpfen, „ob im Verein, am Arbeitsplatz oder im Alltag“. Auch in Zittau gab es eine Kundgebung an der etwa 350 Personen teilnahmen und ein Zeichen gegen rechts setzten. In Erfurt kamen nach Polizeiangaben ca. 4.500 Menschen zusammen, die Veranstaltenden zählten 7.000 Teilnehmende. Das Bündnis „Auf die Plätze Erfurt“ hatte gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und verschiedenen Demokratie-Initiativen aufgerufen, gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. U.a. war auch der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald-Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, als Redner vor Ort.
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