Brandenburg zeigt seine hässlichste Seite, Kai Wegner nennt Nazis nicht beim Namen und der ESC war queerer als je zuvor. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW19
Montag, 8. Mai
Eine Schulklasse aus Berlin musste eine Klassenreise nach Heidesee in Brandenburg vorzeitig abbrechen, weil ein Mob rassistischer Jugendlicher und junger Erwachsener sie beschimpfte und bedrohte. Die Schüler*innen aus Kreuzberg im Alter von 15 und 16 Jahren wurden bereits am Samstag tagsüber rassistisch beschimpft. In der Nacht zu Sonntag versuchten die Brandenburger Jugendlichen in die Unterkunft der Schulklasse zu gelangen. Die Schüler*innen riefen die Polizei, die die Sicherheit der Angegriffenen aber nicht garantieren konnte. Mitten in der Nacht, gegen 3 Uhr, mussten die Berliner Eltern ihre Kinder abholen. Polizeiangaben zufolge handelt es sich bei den Täter*innen um 17- bis 19-jährige Jugendliche aus einem benachbarten Ort, die in der Ferienanlage am „KiEZ am Frauensee“ einen 18. Geburtstag gefeiert hätten. Von 28 Personen wurde die Identität festgestellt, ob gegen sie ermittelt wird, ist derzeit unklar. Den Schüler*innen aus Berlin soll Unterstützung durch das Krisen- und Interventionsteam der Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) zugesichert worden sein. Aus der Politik kamen am Montag die üblichen Floskeln. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte: „wir werden alle Möglichkeiten nutzen, die uns eine starke Demokratie bietet, um gegen solche Übergriffe vorzugehen“ und der CDU-Innenminister Michael Stübgen sagte: „Es ist völlig inakzeptabel, dass sich eine Schülergruppe aus Berlin durch Randale und Bedrohung genötigt sieht, ihren Aufenthalt abzubrechen. Wir werden dem sehr genau und rigoros nachgehen.“ Es ist immer das selbe leere Gerede von Politiker*innen, die selbst permanent rassistische Narrative über „migrantische Jugendliche“ verbreiten. Fest steht: Brandenburg hat ein Problem mit Rechtsextremen. In dem Bundesland, in dem die AfD bei den nächsten Wahlen die stärkste Kraft sein könnte, kommt es fast jeden zweiten Tag zu rechtsextremen Gewalttaten. Erst vor knapp drei Wochen veröffentlichten Lehrer*innen einer Gesamtschule aus Burg (Spreewald) einen „Brandbrief zum Rechtsextremismus an unserer Schule“, in dem sie vom erschreckenden Alltag rechtsextremer Vorfälle berichten Hitlergrüßen, Rassismus, Gewalt, Hakenkreuzschmierereien und so weiter. Bei einer „Jugendwahl“ hätten die AfD und die NPD von den Schüler*innen die meisten Stimmen bekommen.
Dienstag, 9. Mai
Noch nie wurden so viele Fälle politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfasst wie 2022 (seit Einführung der Statistik im Jahr 2001), so die Meldung des Bundesinnenministeriums am Dienstag. Doch das bedeutet nicht, dass mehr Taten aufgeklärt oder Täter*innen ermittelt werden. Dass diese Statistiken der Polizei generell nicht so aussagekräftig sind, wie gerne behauptet wird, erklärte die Kriminologin Friederike „Ike“ Häuser diese Woche auf Instagram. Die erfassten Fälle der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) würden bereits mit der Anzeige in die Statistik aufgenommen. Ike sagt: „Wie ihr wisst, kann man relativ schnell so ziemlich jeden wegen irgendwas anzeigen. Zb ein Polizist eine Demoteilnehmerin wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt oder so. Das ist dann in den Statistiken drin und nicht, wie viele Menschen wirklich zb wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt verurteilt wurden.“ Die Statistik der politisch motivierten Kriminalität (PMK-Statistik) ist eine so genannte „Eingangsstatistik“, das bedeutet, dass Straftaten schon zu Beginn der Ermittlungen aufgenommen werden. „Die Klassifizierung findet daher in einem sehr frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens statt“, kritisierte der Mediendienst Integration im Oktober 2018. Das hat zur Folge, dass viele politisch motivierte Taten erst gar nicht Eingang in die Statistik finden, wie bspw. die Taten des NSU, die von der Polizei nicht als rassistisch motiviert erkannt wurden. Aber viel interessanter als die Zahlen finde ich ja die Kategorien dieser Statistiken. Wusstet ihr, dass dort „Deutschfeindlich“ als Themenfeld aufgeführt wird? 340 deutschfeindliche Straftaten wurden 2022 erfasst, mehr als in der Kategorie „frauenfeindlich“ (206) und „antiziganistisch“ (145). Doch „Deutschenfeindlichkeit“ ist ein alter Hut: Ich erinnere mich nur unter größtem Cringe an die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, die 2010 behauptete, dass „Deutschenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus“ sei. Doch ganz neu in diesem Jahr ist die Kategorie „männerfeindlich“. Ja, ehrlich! 15 männerfeindliche Straftaten listet das Bundeskriminalamt auf (12 davon politisch „links“ motiviert), zwei Gewaltdelikte / Körperverletzungen, drei Beleidigungen, aber auch zwei mit Farbe gesprühte Schriftzüge „FEMINISM IS FOR EVRYONE“ und „PATRIARCHAT ZERSCHAGEN“ in Berlin-Friedrichshain.
Mittwoch, 10. Mai
Am Mittwoch war der Jahrestag der Bücherverbrennung, die am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz (heute Bebelplatz) in Berlin stattfand. Bei der Gedenkveranstaltung in Berlin durfte auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner auftreten, der von einem „Akt der Barbarei“ sprach. Interessante Wortwahl, erlaubt mir, das kurz auszuführen. Der Begriff Barbar stammt aus dem Griechischen und (Achtung, Wikipedia-Wissen) bezeichnete ursprünglich „alle diejenigen, die nicht (oder schlecht) griechisch und damit unverständlich sprachen“. Im Sanskrit entstand parallel das Wort barbarāh zur Bezeichnung „fremdartiger Völker“. Bei Wikipedia heißt es weiter: „Im modernen Sprachgebrauch wird der Begriff abfällig in der Bedeutung ‚roh-unzivilisierte, ungebildete Menschen‘ verwendet.“ Wie kann Kai Wegner oder sein Redenschreiber auch nur eine Sekunde denken, das sei eine angemessene Umschreibung dessen, was DEUTSCHE anrichteten. Ich weigere mich zu glauben, dass das ein Versehen war. Vielmehr bin ich überzeugt, dass Wegner hier ganz bewusst einen Begriff wählt, der die Täterschaft einem „fremdartigen Volk“ zuschreibt, um nicht anerkennen zu müssen, dass sich nicht Fremde, sondern schlicht Seinesgleichen schuldig machten: Deutsche, Berliner*innen, „neben einfachen Bürgern vor allem Studenten, aber auch Rektoren und Professoren der Universitäten“, wie der NDR schreibt. Was Wegner und Co auch gerne verschweigen, wenn sie von den Verbrechen ihrer (und auch meiner) Vorfahren sprechen, ist das eines der Hauptziele der Plünderungen und Zerstörungen das Institut für Sexualwissenschaften in Berlin war. Das von Magnus Hirschfeld 1919 gegründete Institut beherbergte zum Zeitpunkt seiner Zerstörung die größte sexualwissenschaftliche Bibliothek der Welt. Hirschfeld und das Institut war vielen Konservativen ein Dorn im Auge, galt als „Sittenverderber“ und „Apostel der Unzucht“. Rainer Herrn, der 2008 eine Ausstellung über das Institut und dessen Zerstörung 1933 kuratierte sagte damals im Deutschlandfunk über den Akt der Verbrennung: „Den einzelnen Autoren oder mehreren Autoren wurden Feuersprüche gewidmet. (…) Bei Magnus Hirschfeld steht hier: Zitat, wir wollen keine Entsittlichung des Volkes, darum brenne, Magnus Hirschfeld, das ist also noch mal ein Beleg dafür, welche Bedeutung Magnus Hirschfeld im Grunde im Kontext der Bücherverbrennung zugedacht wurde bei den Nationalsozialisten.“ Im öffentlichen Gedenken werden Hirschfeld und das Institut dennoch selten überhaupt erwähnt.
Donnerstag, 11. Mai
In Ratingen (Kreis Mettmann, NRW) hat ein 57-jähriger Mann Einsatzkräfte offenbar zunächst in einen Hinterhalt gelockt und dann mit brennbarer Flüssigkeit und einer bewusst herbeigeführten Explosion angegriffen. Medienberichten zufolge wurden fünf Feuerwehrleute und Rettungskräfte so schwer verletzt, dass sie im künstlichen Koma in Spezialkliniken für Brandverletzte liegen. Der Täter, Frank P., soll ein polizeibekannter Gewalttäter sein, der per Haftbefehl gesucht wurde. Er ist mutmaßlicher Corona-Leugner und Prepper, der den Angriff vermutlich mehrere Tage vorbereitete. Frank P. wurde festgenommen, ihm wird versuchter Mord in neun Fällen vorgeworfen. In der Wohnung wurde die Leiche der 91-jährigen Mutter des Täters gefunden, wann und wie sie starb ist derzeit unklar.
Freitag, 12. Mai
In Oldenburg (Ostholstein) hat am Freitag offenbar ein 73 Jahre alter Mann seine Ehefrau auf offener Straße erschossen. „Zu den Hintergründen der Tat und den Beweggründen liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor“, heißt es von der Staatsanwaltschaft Lübeck. Die Tat soll sich in einem ruhigen Wohngebiet ereignet haben, der Täter erschoss die Frau, deren Alter nicht genannt wurde, und ging dann in ein (sein?) Wohnhaus, wo er sich selbst getötet haben soll.
Samstag, 13. Mai
Endlich wieder Eurovision Songcontest! Ich liebe diese Nacht so wie andere vielleicht das Finale der Fußball-WM oder den Rosenmontagsumzug. Ich werde hier jetzt keine Review der Acts und Songs ausbreiten (okay, ganz kurz: Österreich absolut unter-, Israel völlig überbewertet, Finnland viel zu gewollt und der heimliche Star war ganz klar Daði Freyr), sondern möchte nur kurz hervorheben, wie wichtig der ESC für die queere Community Europas ist. Gerade in Zeiten des antifeministischen, anti-queeren Backlashes bedeutet es was, wenn der italienische Act eine Pride-Fahne (inklusive trans Farben!) auf die Bühne trägt und somit klar Stellung gegen Italiens faschistische Regierungspartei bezieht. Es bedeutet was, dass beim zweiten Halbfinale Dragqueens eine große Bühne bekamen. Es bedeutet was, dass eine offen bisexuelle Sängerin zum zweiten Mal den Wettbewerb gewinnen konnte. Der ESC ist und bleibt queer, das hat die diesjährige Ausgabe aus UK (Motherland of TERFs) deutlich bewiesen. Schade, dass zwar der deutsche Beitrag diesem Anspruch gerecht werden konnte (und die Band nicht einmal schwarz-rot-gold schwenkte), der NDR aber nach wie vor die wiederholt queerfeindliche Barbara Schöneberger moderieren und mit Peter Urban den König der Boomer kommentieren lässt. Urban war es auch, der einen der schönsten Disability-Pride-Momente ruinierte. Beim Auftritt von Interval-Act Sam Ryder waren zahlreiche Tänzer*innen mit Behinderungen auf der Bühne und Urban nannte diese „versehrte Tänzerinnen und Tänzer“. Immerhin Peter Urban bleibt uns nächstes Jahr erspart, es war sein letzter ESC als Kommentator. Wenn jetzt noch Barbara Schöneberger eine würdige Nachfolge erhielte oder wenigstens einfach irgendjemand übernehmen würde, der nicht ständig davon redet „gar nichts mehr sagen“ zu dürfen, wäre ich hoch zufrieden.
Sonntag, 14. Mai
Heute ist Muttertag und ich bin mir sicher, ihr kennt alle die vielfältige Kritik an diesem Tag. Ich fasse die wesentlichen Punkte trotzdem im Schnelldurchlauf nochmal zusammen. Beginnen wir mit der Historie: Hitler und die Nazis haben den Muttertag in Deutschland groß gemacht. Die deutsche (weiße, „arische“) Mutter wurde zur Ikone stilisiert, als Schöpferin, Hüterin und Bewahrerin der „weißen Rasse“, als Produzentin von möglichst vielen kleinen Arier*innen, Nachschub für die Wehrmacht und zukünftigen deutschen Müttern. Gleichzeitig wurden nicht weiße Mütter und solche, die als nicht wertvoll galten (lesbische, kommunistische, obdachlose, behinderte Mütter) systematisch sterilisiert, misshandelt, gedemütigt, getötet. Nichts fühlt sich falscher an, als einen Tag mit dieser Tradition unkritisch zu begehen. Und mit unkritisch meine ich, nicht sehen zu wollen, wie sehr der heteronormative Mutter-Mythos noch immer unsere Gesellschaft, Strukturen und individuelle Moralvorstellungen prägt. Frauen, so das vorherrschende Bild, sind erst vollkommen, wenn sie Mütter werden. Aber auch das ist ein Scam und der echte Stress beginnt dann erst. Das Ideal der sanften (aber nicht zu nachgiebigen), kümmernden (aber niemals gluckenden), aufopferungsvollen (aber sich nicht gehen lassenden) und starken (aber nicht zu unabhängigen) Mutter ist unerreichbar – alle wissen das und trotzdem hält es sich hartnäckig und nicht selten sind es die Mütter selbst, die es aufrechterhalten und andere Mütter für Abweichungen bestrafen. Mütter können es niemals „richtig“ oder „richtig genug“ machen, schon gar nicht, wenn sie ihr Kind nicht selbst geboren haben. Mütter werden noch immer viel zu oft auf ihre Mutterschaft reduziert, sie sind keine individuelle Person mehr, sondern finden nur noch im Zusammenhang mit ihrer Eigenschaft als „die Mutter von…“ statt. Es ist kein Zufall, dass der Muttertag an einem Sonntag begangen wird, dem Wochentag, an dem in der Regel keine Betreuungseinrichtung geöffnet hat. Statt einen Tag für sich und die eigenen Bedürfnisse zu genießen, darf Mutti nach dem Frühstück im Bett die Küche aufräumen. Okay, das war jetzt ein bisschen klischeehaft. Ich wünsche allen Müttern, dass sie den Tag haben, den sie brauchen und allen, die keine Mutter werden konnten oder wollten auch. Und allen, die keine Mutter (mehr) oder keinen Kontakt zu ihr haben auch.
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