You are currently viewing Missbrauch, May, Misogynie
Tessa Ganserer war auch diese Woche wieder Ziel misogynen Hasses. (Illustration von mir.)

Missbrauch, May, Misogynie

Die Transfeindlichkeit der EMMA erklimmt die nächste Stufe, der Paragraf 219a wird gestrichen und bei einem Verein, der queeren Jugendlichen Hilfe verspricht, kamen verstörende Dinge ans Licht. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW3

Montag, 17. Januar

Der Paragraf 219a wird aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Dieses Versprechen der Ampelkoalition könnte bald tatsächlich eingelöst werden. Am Montag legte Bundesjustizminister Marco Buschmann einen Gesetzesentwurf vor, der das sogenannte „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche beendet. Bislang ist es in Deutschland Ärzt*innen untersagt, bspw. auf ihren Internetseiten darüber zu informieren, dass und in welcher Form in der Praxis Abtreibungen durchgeführt werden. Die CDU ist natürlich gegen die Streichung de Paragrafen, die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Elisabeth Winkelmeier-Becker, hatte gegenüber der FAZ die Befürchtung geäußert, dass die Streichung von §219a dazu führen würde, „dass künftig frei in jeder S-Bahn für Schwangerschaftsabbrüche geworben werden dürfe“. Ja, und warum denn auch nicht? Für Vasektomien oder plastische Chirurgie, die nicht zwingend eine medizinische Notwendigkeit darstellen müssen, gibt es schließlich auch Werbung im öffentlichen Raum. Wenn es dazu beiträgt, Schwangerschaftsabbrüche zu entstigmatisieren und als Teil der Gesundheitsversorgung anzuerkennen, dann bitte go for it. Dass sich die Konservative so gegen die Streichung des „Werbeverbots“ wehrt, zeugt von der misogynen Annahme, das Frauen nicht in der Lage wären, sich rational für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft entscheiden könnten und durch „Werbung“ beeinflussbar seien. Ich erinnere an dieser Stelle gern an Jens Spahn, der befürchtete, wenn es „die Pille danach“ rezeptfrei in Apotheken geben würde, würden Frauen diese wie „Smarties“ fressen.

Dienstag, 18. Januar

Der Verein „Liebe wen du willst“ nennt sich selbst „gemeinnützige Organisation zur Bekämpfung von Hasskriminalität“ und richtet sich auf Social Media gezielt an queere Jugendliche. Mit einer „Notfallnummer“ und einer WhatsApp-Gruppe wird Jugendlichen Beratung und Hilfe angeboten. Das ist prinzipiell eine gute und wichtige Sache. Allerdings steckt hinter dem Verein keinesfalls ein professionelles Team von Sozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen sondern Steve H., nach eigenen Angaben „Manager“ bei REWE und sein Team, in dem sie nach eigener Aussage „Notfallseelsorger, Personen aus dem Rettungsdienst, angehende Erzieher, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie einen ehemaligen Assistenten der Geschäftsführung eines großen sozialen Konzerns haben“. Ein weiteres Vorstandsmitglied des Vereins, Jaron, ist gerade 18 Jahre alt geworden und in einer Liebesbeziehung mit Steve H., 37. In einem Livestream, den die Tiktokerin und Instagramerin „Frau Loewenherz“ mitgeschnitten hat, lud Steve H. einen mutmaßlich Minderjährigen zu sich nach Hause ein. Der Verein hat die meisten Inhalte seiner Webseite entfernt. Im Webarchiv kann man jedoch problemlos die Darstellung des Teams vor dem „Shitstorm“ aufrufen, mit Ausnahme von Steve H., Vivi S. und Michaela, werden dort nur junge Männer aufgeführt. Tom M., der laut Webseite die „Leitung Notfall- und Krisenmanagement“ innehat, ist seinem Instagram-Account zufolge 17 Jahre alt. Angefangen hatte der „Shitstorm“, nachdem der Verein ein Video hochgeladen hatte, in dem sich Steve H. über die Verwendung von Neopronomen lustig machte. Dafür wurde „Liebe wen du willst“ heftig kritisiert, was dazu führte, dass Steve H. und Vivi S. sich in einem Livestream Dosenbier trinkend nicht-binäre Menschen verlachten und beleidigten. Dem Video von „Frau Löwenherz“ folgte ein längeres Videostatement des Podcasters Lars Tönsfeuerborn, der darin die Vorwürfe gegen „Liebe wen du willst“ zusammenfasst und auch Ausschnitte aus besagtem Livestream zeigte. Auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, schaltete sich wenig später ein und warnte auf Twitter ausdrücklich vor dem Verein. (Angebliche) Partner, die „Liebe wen du willst“ auf der Webseite nannte, distanzierten sich oder gaben an, eine Zusammenarbeit hätte nie bestanden. Eine sehr detaillierte Chronologie der Ereignisse gibt es auch bei der queeren Bildungsinitiative Minzgespinst.

Mittwoch, 19. Januar

Am Mittwoch erschien auf emma.de [nicht verlinkt, weil ich denen keine Klicks schenken will] ein hasserfüllter Artikel gegen die Grüne Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer. Der Text, der ohne Autor*innennennung veröffentlicht wurde, nennt Tessa Ganserer durchweg bei ihrem Deadname* und behauptet sie sei „körperlich und rechtlich ein Mann“. Tessa Ganserer, die bei den letzten Wahlen über die Landesliste in den Bundestag einzog, ist seitdem transmisogynem Hass ausgesetzt, der nicht nur, aber insbesondere von sogenannten TERF, also trans-exkludierenden Radikalfeminist*innen, ausgeht. Diese haben jetzt eine Initiative ins Leben gerufen, die „die sich aktiv dafür einsetzt, dass ‚Geschlecht‘ in seiner derzeitigen Bedeutung auch weiterhin zählt“, wie es auf der Kampagnenwebseite geschlecht-zaehlt.de heißt. Vorgeblich geht es den Initiator*innen um die „geschlechtsbedingten Schutz- und Freiheitsrechte von Frauen und Mädchen, wie sie in der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) festgeschrieben sind“. Ein Blick auf die Webseite verrät jedoch sofort, dass es sich hier in erster Linie um eine transfeindliche Kampagne gegen Tessa Ganserer im Besonderen und trans Personen im Allgemeinen geht. Die Ankündigung der neuen Regierung im Koalitionsvertrag, das menschenunwürdige „Transsexuellengesetz“ durch ein sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“ zu ersetzen, wie es beispielsweise in Belgien, Dänemark, Irland, Luxemburg, Malta, Portugal und Spanien gilt, hat einen enormen transfeindlichen Backlash auf den Plan gerufen. Die Transfeind*innen von EMMA bis Terre des Femmes schießen massiv gegen die geplante Gesetzesänderung und behaupten, das Selbstbestimmungsgesetz würde Mädchen und Frauen schaden und Männer in „Frauenkleidern“ (EMMA) ermöglichen, in Schutzräume von Frauen einzudringen. Ich habe die menschenverachtende und verschwörungsgläubige Ideologie der EMMA in einem Video erklärt, das ihr hier ansehen könnt.

Der Hass, der (insbesondere) trans Frauen entgegenschlägt, nimmt zu. Frauen wie Tessa Ganserer werden öffentlich beleidigt, bedroht und bloßgestellt. Von Menschen, die sich für Feminist*innen halten. Es ist an Niedertracht kaum zu überbieten und es ist an uns allen, trans Personen zu beschützen und gegen die gewaltvollen Angriffe zu verteidigen.

https://twitter.com/marthadear/status/1484103368255680515?s=20

*als Deadname wird der abgelegte Name eines Menschen bezeichnet. Trans Personen geben sich häufig (aber längst nicht immer!) einen neuen Vornamen, da der Name, der ihnen bei der Geburt gegeben wurde, einem Geschlecht zugeordnet wird, das ihnen nicht entspricht. Den Deadname einer Person zu nennen, ist nicht nur unnötig, sondern in der Regel gewaltvoll.

Donnerstag, 20. Januar

Am Donnerstag versuchte der „Chief European Correspondent“ von Springers „Politico“, Matthew Helmut Karnitschnig, die Journalistin Annika Brockschmidt auf Twitter bloßzustellen. Karnitschnig unterstellte der Autorin des Buches „Amerikas Gotteskrieger“ indirekt Betrug und Fälschung, da diese ihr Buch ohne eine Vor-Ort-Recherche geschrieben habe. Er verglich sie auf Twitter mit Claas Relotius und in seinem Artikel mit Karl May, dem Autor der Winnetou-Romane, der nie wirklich aus Sachsen rausgekommen war. Er schreibt: „May starb vor mehr als einem Jahrhundert, aber sein Geist lebt in dem Werk von Brockschmidt, einer 29-jährigen Historikerin und Journalistin, weiter. Während May die Sehnsucht der Deutschen ansprach, fremde Länder zu erkunden, die die meisten Leser nie sehen würden, appelliert Brockschmidt an einen niederen Instinkt: den Antiamerikanismus“ (übersetzt von mir). Die Frechheiten gehen noch weiter, er nennt ihr Buch eine „offensichtliche Karikatur“. Sein Vorwurf stützt sich vor allem auf die Tatsache, dass Annika Brockschmidt ihr Buch von Deutschland aus schrieb. Er lässt es so aussehen, als sei eine glaubwürdige politische Analyse nur möglich, wenn vor Ort recherchiert würde. Historiker*innen verdrehen bei solchen Behauptungen wahrscheinlich nur genervt die Augen, wissen sie doch, das „Oral History“, also das Interviewen von Zeitzeug*innen, lediglich eine Möglichkeit von vielen ist, (politische) Zusammenhänge zu verstehen. Dass sich der 50-jährige Karnitschnig an der 29-jährigen Brockschmidt abarbeitet und seine mit sarkastischen Bemerkungen gespickten Ergüsse auch noch publiziert, hat vor allem mit Misogynie zutun. Es ist geradezu ein Lehrstück, wie hier ein Mann versucht, einer Frau (die 2021 von Medium zu den Top-30 unter-30-jährigen Journalist*innen gezählt wurde) die Kompetenz abzusprechen. Er zieht ihre Arbeit ins Lächerliche (She has described her interest in America as a “hobby.”), wertet sie ab und benutzt die Tatsache, dass es sich bei „Amerikas Gotteskrieger“ um einen Bestseller handelt, gegen die Autorin, die einfach das geschrieben hätte, „was die Leute hören wollen“ (Zitat von mir übersetzt). WasKarnitschnig möglicherweise mehr stört, als dass er Brockschmidts Analyse der Religiösen Rechte in den USA nicht teilt, ist die Tatsache, dass sie eine Frau ist, die auf vermeintlichem „Männerterritorium“ erfolgreich ist. Kate Manne nennt in ihrem Standardwerk „Die Logik der Misogynie“ die Mechanismen zur „Kontrolle und Durchsetzung einer patriarchalischen Ordnung“, darunter: „Infantilisieren und Herabsetzen (…) Verspotten, Demütigen, Verhöhnen, Beschimpfen, Verunglimpfen, Dämonisieren, Sexualisieren oder alternativ Entsexualisieren, Mundtotmachen, Meiden, Beschämen, Tadeln, Bevormunden, Erniedrigen und andere Formen der Behandlung, die in spezifischen, gesellschaftlichen Kontexten abfällig und abwertend sind“.

Freitag, 21. Januar

Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer soll in ein Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD eingegriffen haben. Das geht aus einer Recherche der Süddeutschen Zeitung hervor. Das Gutachten des Verfassungsschutzes soll zu dem Ergebnis gekommen sein, die AfD geheimdienstlich zu beobachten. Seehofer soll daraufhin „ein vertrauliches Treffen mit seinem Geheimdienstchef Thomas Haldenwang im Januar 2021“ genutzt haben, „um im letzten Moment“ das „Gutachten noch einmal überarbeiten zu lassen“. Auf Seehofers Anweisung hin, seien Bewertungen abgemildert worden, u.a. die Aussage „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ von verschiedenen AfD-Politiker*innen. Na gut, das halten allerdings auch nur Leute für eine Schlagzeile, die vergessen haben, was Seehofer selbst 2018 gesagt hat.

https://twitter.com/mamjahid/status/1484643962199543809?s=20

Samstag, 22. Januar

Ein Gutachten förderte diese Woche zutage, dass im Erzbistum München und Freising „mindestens 497 Menschen Opfer sexualisierter Gewalt wurden, dass über Jahre Missbrauch systematisch vertuscht und Täter geschützt wurden“. Das ist für die Betroffenen keine Neuigkeit. Brisant ist die Publikation des Gutachtens allerdings schon, denn der nicht mehr amtierende Papst Benedikt wird darin schwer belastet. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) veröffentlichte am Freitag ein Interview mit dem Sprecher des Betroffenenbeirates der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, der berichtet, dass Benedikt der XVI. (bürgerlich Joseph Ratzinger) „selbst neu definieren will, was sexueller Missbrauch ist und was nicht“. Dieser habe „auf 82 Seiten ausgeführt, es sei kein sexueller Missbrauch im engeren Sinne, wenn sich ein Täter vor einem Minderjährigen entblößt, onaniert oder pornografische Inhalte zeigt“. Da wo ich herkomme, nennt man sowas Gaslighting. Ich bin gespannt, ob die Kirche diese Zuspitzung des offenbar strukturellen Kindesmissbrauchs weiterhin einfach aussitzen kann. Johannes Norpoth sagt: „Abwarten und wegatmen war gelernte Praxis aus 2000 Jahre Kirche. Nur diesmal wird das wohl nicht möglich sein, da mit Benedikt sehr namhafte Persönlichkeiten im Fokus stehen. Das hat es noch nie gegeben.“

Sonntag, 23. Januar

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mindesten 16 obdachlose Menschen getötet. Das geht aus der systematischen Presseauswertung hervor, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) durchgeführt hat. „Gewalt gegen Obdachlose ist ein Dauerbrenner. Seit Beginn unserer Dokumentation im Jahr 1989 sind die schweren und tödlichen Gewaltfälle auf einem hohen Niveau“, sagte BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke zur „Welt“. „Solange Menschen gezwungen sind oder sich gezwungen sehen, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten, und solange diese Menschen stigmatisiert und diskriminiert werden, werden sie leicht zum Opfer.“

Währenddessen verschleppt der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin das Votum des Volksentscheids zur Enteignung großer Wohnungskonzerne und geht noch immer nicht konsequent gegen den spekulativen Leerstand vor.

https://twitter.com/_arnocao/status/1484918454658420739?s=20

Schreibe einen Kommentar