#DeutschrapMeToo gewinnt einen Preis, Christine Lambrecht hält geschlechtergerechte Sprache für „rechtswidrig“ und zwei Jahre nach dem Attentat von Halle, halten die Behörden weiter an der Einzeltäterthese fest. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW40
Montag, 4. Oktober
In der Nacht zu Montag wurde ein 40-jähriger Mann in einer Unterkunft für Geflüchtete im Landkreis Stade von der Polizei erschossen. Der Mann, der in sozial-psychiatrischer Behandlung war, soll eine Polizistin mit einem Messer angegriffen haben, die ihn daraufhin erschoss. Der Vorfall ereignete sich, als die Polizei das zweite Mal am Sonntag zu der Unterkunft gerufen wurde. Obwohl die Einsatzkräfte hätten vorbereitet sein können, wurde keine psychologisch geschulte Fachkraft hinzugezogen, wie vom Flüchtlingsrat Niedersachsen und dem Netzwerk traumatisierter Flüchtlinge Niedersachsen gefordert. Es ist das zweite Mal innerhalb von zwei Jahren, dass die Cops im Landkreis Stade einen Geflüchteten in seiner Unterkunft erschossen. Am Abend des 17. August 2019 wurde der 19-jährige Aman Alizada getötet. Er war 2015 im Alter von 15 Jahren unbegleitet aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet, weil er Schutz und Sicherheit vor weiterer Gewalt und Verfolgung suchte. Leider werden häufig psychisch kranke Menschen von der Polizei getötet. Ich habe das Thema in einem früheren Wochenrückblick und auf Instagram ausführlicher behandelt.
Dienstag, 5. Oktober
Am Dienstag schlug ein Fall von offenem Antisemitismus große Wellen. Nicht, weil antisemitische Vorfälle selten wären, sondern weil der Betroffene ein einigermaßen berühmter Musiker ist, der den Vorfall auf Instagram publik machte.
Gil Ofarim erzählt in einem kurzen Video, dass er in das Leipziger Westin-Hotel einchecken wollte, aber zunächst lange ignoriert worden sei, während andere Gäste, die hinter ihm in der Schlange standen, vorgelassen wurden. Als er nachfragte, was das solle, habe ihn zunächst ein Gast wegen einem Davidstern-Kettenanhänger antisemitisch beleidigt. Anschließend soll ihn ein Hotelmitarbeiter aufgefordert haben, die Kette abzulegen, um einchecken zu dürfen. Am Dienstagabend beteiligten sich nach Angaben des MDR 600 Menschen an einer Protestkundgebung vor dem Hotel. Mitarbeiter*innen des Hotels standen vor der Tür und hielten ein Banner, auf dem neben Israelflaggen auch das islamische Hilāl-Symbol, die Mondsichel, abgebildet waren. Ein klassischer Fall von „gut gemeint…“ wahrscheinlich, allerdings zeugt dieses Banner vor allem davon, wie wenig die Hotelleitung begriffen hat, worum es geht. Gil Ofarim ist Deutscher, in München geboren. Was hat die Israelflagge damit zu tun, dass er in Deutschland Antisemitismus erfährt? Dass Deutschen, wenn sie an Juden*Jüdinnen denken, lediglich Israel als Referenz einfällt, ist Teil des Problems. Was die islamische Mondsichel mit dem Fall zu tun hat, bleibt ebenfalls das Geheimnis der Hotelkette.
Mittwoch, 6. Oktober
Die Initiative #DeutschrapMeToo hat den Preis für Popkultur in der Kategorie „spannendste Idee des Jahres“ gewonnen. Für mich klingt der Ausdruck „spannende Idee“ leider ein bisschen wie „ja, hm, interessant, aber nee, machen wir nicht“, aber das mag an meiner verbitterten Erfahrung aus verschiedenen Meetings in verschiedenen Jobs liegen. Dass die Kampagne ausgezeichnet wurde, ist auf jeden Fall ein Erfolg, denn es war zuletzt wieder ruhiger geworden um das Bündnis, dass die sexualisierte Gewalt im deutschen Hip-Hop bekämpfen und die sexistischen Strukturen der Branche aufdecken will. Losgegangen war das Ganze im Juni, als Model und Influencerin Nika Irani den erfolgreichen Rapper Samra bezichtigte, sie in dessen Studio vergewaltigt zu haben. Nika wird seitdem online und offline massiv angegriffen, bedroht und beleidigt. Mindestens einmal wurde sie auf offener Straße von einer Gruppe Jungs ins Gesicht geschlagen, wie sie dem Spiegel erzählte. Weil Nika keine Beweise für die Vergewaltigung vorbringen kann, erwirkte Samras Anwalt, der neben Jörg Kachelmann, Recep Tayyip Erdogan auch die AFD vertritt, eine einstweilige Verfügung, die es Nika untersagt, über die Vorwürfe weiterhin öffentlich zu sprechen. Dass dies in keiner Weise bedeutet, dass Nika Irani lügt, sondern nur, dass sie die Vergewaltigung nicht beweisen kann, ist dem misogynen Internetmob egal. Der Hass, der der 22-Jährigen entgegenschlägt, ist unfassbar. Und es sind nicht nur anonyme Einzelpersonen, die Nika Irani als Lügnerin und „geldgeil“ hinstellen wollen. Portale wie „raptastisch“ „hiphop.de“ oder „rapcheck“ heizen den Hass ihrer Follower mit falschen Beschuldigungen und vermeintlichen Enthüllungen weiter an. Nika Irani muss derweil für hohe Anwaltskosten und Strafen aufkommen. Dass die nun ausgezeichnete Initiative #DeutschrapMeToo Nika Irani in ihrer Dankesrede nicht erwähnten, war ein schwerer Schlag für sie. Nika ist derzeit die Einzige, die mit Gesicht und Namen in der Öffentlichkeit steht. Nika postete am Freitag auf Instagram einen Einblick in ihre Privatnachrichten, der das Ausmaß des Hasses und der Beleidigungen, der Vergewaltigungs- und Morddrohungen und der Aufrufe zum Suizid, erahnen ließ. Am Tag darauf war ihr Instagram dann nicht mehr erreichbar. Ich hoffe sehr, es geht ihr den Umständen entsprechend gut.
Auch am Mittwoch
Christine Lambrecht, SPD, hält geschlechtergerechte Sprache für „rechtswidrig“. Die Frauen- und Familienministerin findet, dass Ministerien und Bundesbehörden weder Gendersternchen noch andere Formen geschlechtergerechter Sprache wie Binnendoppelpunkt, der Binnenunterstrich, das große Binnen-I verwenden sollten. Sie beruft sich dabei offenbar auf eine Empfehlung(!) des Deutschen Rechtschreibrates, der „zu diesem Zeitpunkt“ rät, auf die Aufnahme von „verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung“ zu verzichten. Die mediale Verkürzung, das Gendersternchen sei „rechtswidrig“ ist dabei einfach albern. Die Empfehlungen des Rechtschreibrates sind kein Gesetz, das mit gendersensibler Sprache gebrochen würde. Andernfalls wäre die Verwendung sogenannter Binnenmajuskel, wie in MasterCard, RegionalExpress oder BahnCard ebenfalls rechtswidrig. Hier habe ich allerdings bislang keine Beschwerden vernommen.
Donnerstag, 7. Oktober
In Wuppertal wurde am Donnerstag eine 33-jährige Frau offenbar von ihrem Ex-Partner getötet. Der 35-jährige mutmaßliche Täter wurde festgenommen. Das gemeinsame Kind (2) des Paares, das mit der Leiche der Frau in der Wohnung gefunden wurde, befindet sich nun in staatlicher Obhut.
Freitag, 8. Oktober
Das Abtreibungsverbot in Texas ist wieder in Kraft. Nachdem am Mittwoch kurz gejubelt wurde, weil das Gesetz vorübergehend gestoppt und damit der Klage der Biden-Regierung stattgegeben wurde, hat ein Berufungsgericht in Texas das Abreibungsverbot am späten Freitagabend wieder in Kraft gesetzt. Die Situation für Schwangere in Texas ist fatal. Denn es werden nicht nur Schwangerschaftsabbrüche ab der sechsten Woche unter Strafe gestellt (zu diesem frühen Zeitpunkt wissen viele nicht mal von der Schwangerschaft), sondern es wurde auch Privatpersonen ermöglicht, zivilrechtlich gegen jene vorzugehen, die bei einem Schwangerschaftsabbruch helfen, von medizinischem Personal über Partner*innen bis Uber-Fahrer*innen. Die US-Regierung nannte die Praxis eine Kopfgeldjagd.
Samstag, 9. Oktober
Am 9. Oktober 2019 tötete ein Rechtsextremer Jana L. und Kevin S. in Halle, nachdem er versucht hatte, mit selbstgebauten Waffen in die Synagoge einzudringen. Der Täter wurde verurteilt, die Behörden sind froh, einen weiteren „Einzelfall“ zu den Akten legen zu können. Dass der rechtsextreme Attentäter gut vernetzt in rassistischen und antisemitischen Onlinekreisen war, dass seine antifeministische und misogyne Ideologie sich in Onlineforen festigte und er anderen Attentätern nacheiferte, wird noch immer eher ausgeklammert. Stefanos Kontovitsis, Caro Keller und Sebastian Schneider schrieben 2020 in einem sehr lesenswerten Artikel im Antifa-Magazin „Der rechte Rand“: „In der Öffentlichkeit fehlt es immer noch allzu oft an Wissen über die Dimension der Tat und die Vielzahl der Opfer. Zu wenig bekannt sind zum Beispiel die verheerenden Folgen, die der Anschlag bei Angehörigen der Mordopfer Jana L. und Kevin S. hinterlassen hat. Der Kollege, mit dem Kevin S. im Kiez-Döner zu Mittag aß und der den Anschlag überlebte, kann sich bis heute nicht verzeihen, dass er seine »Bemmen« vergessen hatte, weswegen sie überhaupt erst den Imbiss besuchten. Dass der Attentäter bei seiner Flucht eine Person aus rassistischen Motiven angefahren und verletzt hat und beim Versuch, ein neues Fahrzeug zu rauben, in Wiedersdorf bei Halle ein Ehepaar auf dessen Grundstück niederschoss, schwer verletzte und traumatisierte, ist immer noch viel zu wenig bekannt.“
Sonntag, 10. Oktober
Nachdem gestern die 20-jährige Sarah-Lee Heinrich zu einer der Bundessprecher*innen der Grünen Jugend gewählt wurde, kocht der Hass der Rechten hoch. Eine Schwarze, junge, grüne Frau – das ist zu viel für den gemeinen Internetuser, der bekanntlich überwiegend weiß und männlich ist. Weil Sarah-Lee im Alter von 13 bzw. 14 Jahren ein paar (zugegeben teilweise wirklich üble) Tweets abgesetzt hatte, treibt sie der Mob nun durchs Netz. Sarah-Lee schreibt auf Twitter: „Es gibt auch Tweets in denen ich Wörter wie behindert oder schwul in einem beleidigenden Kontext nutze. Natürlich tut mir das Leid. Ich rede auch nicht mehr so, wie man das eben mit 14 auf dem Schulhof so mitkriegt. (…) Aber dass man mit 14 Jahren bisschen vulgäre Tweets in die Welt gesetzt hat oder noch nicht so viel über diskriminierungssensible Sprache verwendet, ist schon peinlich und unangenehm, aber kein Skandal.“ Der Bundessprecherin der Grünen Jugend wird außerdem „Rassismus gegen Weiße“ vorgeworfen, weil sie im Zusammenhang mit „Fridays for Future“ von einer „eklig weißen Mehrheitsgesellschaft“ gesprochen hatte, die die Klimabewegung nur deshalb unterstütze, weil sie von weißen Bürgertumskindern dominiert werde. Rechte Trolle graben tief, um belastendes Material über die 20-Jährige aufzutreiben und der Shitstorm erfüllt seinen Zweck. Ich hoffe, dass Sarah-Lee Heinrich Unterstützung hat und sich von diesen Attacken nicht unterkriegen lässt. Für heute will ich ihr das letzte Wort überlassen: „Messt mich und kritisiert mich gern an meinen Positionen und meiner politischen Arbeit. Ich werde mich jetzt nicht zu allem erklären, was ich mal so mit 14 gedacht und gesagt habe, das verlange ich auch von niemandem“.
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