You are currently viewing Gewalt und Gewerkschaft
Am Donnerstag demonstrierten Menschen vor dem Bundestag für ein Selbstbestimmungsgesetz. (Foto von mir)

Gewalt und Gewerkschaft

TERFs sabotieren eine RKI-Studie zur Gesundheit von trans Personen, Will Smith ohrfeigt Chris Rock und bei der Brandenburger Polizei gibt es einen neuen „Einzelfall“. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW13

Montag, 28. März

Der große Aufreger am Montag war die Oscar-Verleihung in Los Angeles. Doch wer eigentlich gewonnen hat, schien niemanden so richtig zu interessieren, denn alle Welt redete nur darüber, dass Will Smith Chris Rock geohrfeigt hatte. Aber eins nach dem anderen: Chris Rock, Schwarzer Comedian und Schauspieler, der schon mehrfach die Oscars moderiert hatte, führte auch am Sonntagabend durch die Show. Als Rock einen fiesen Kommentar über Jada Pinkett Smith machte (es sollte wohl ein „Witz“ über ihre Frisur sein), stürmte Will Smith auf die Bühne und klatschte ihm ein. Will Smith war sichtlich angepisst und rief, nachdem er die Bühne verlassen hatte, zweimal „Keep my wife’s name out your fucking mouth!“. Dass das ganze keine geplante Showeinlage war, wird klar, wenn man weiß, dass Jada Pinkett Smith deshalb eine Glatze hat, weil sie an einer Autoimmunerkrankung leidet, die Haarausfall verursacht. Bei Chris Rocks „Witz“ verdrehte sie nur die Augen, ihr Ehemann aber konnte oder wollte sich nicht zurückhalten. In den Sozialen Medien brach sofort ein Sturm der Entrüstung los: Das ist die „toxische Männlichkeit“ von der immer alle reden! Das ist Gewalt! Ein Mann, der „seine“ Frau verteidigt, ist so 90er! Und so weiter. Ich habe auch ein paar Gedanken dazu und ich möchte klarstellen, dass es mehrere Wahrheiten geben kann, die nebeneinander existieren:

1. Nicht nur die Backpfeife, auch der „Witz“, ist Gewalt. Wer das nicht erkennt, sollte unbedingt den eigenen Gewaltbegriff reflektieren.

2. Jada Pinkett Smith ist eine erwachsene Frau, die es sicher nicht nötig hat, dass ihr Ehemann ihre „Ehre verteidigt“.

3. Die Würde Schwarzer Frauen wird so oft mit Füßen getreten und insbesondere das Thema Schwarze Haare steht so oft im Zentrum von Beleidigungen, abwertenden Kommentaren, rassistischen „Witzen“ und exotisierenden Zuschreibungen, dass es gut tat zu sehen, dass dem dieses Mal direkt Grenzen gesetzt wurden.

https://twitter.com/inlovesike/status/1508897896703406080?s=20&t=kppXUegGqoOrjUGsbJwzOg

Auch am Montag

Floridas Gouverneur Ron DeSantis hat das Gesetz unterzeichnet, das den Unterricht über sexuelle Orientierung in Grundschulen verbietet. Über die „Don’t Say Gay Bill“ habe ich in einem früheren Wochenrückblick ausführlicher geschrieben.

Dienstag, 29. März

Das Robert Koch Institut (RKI) führt derzeit in Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe eine Studie zur Gesundheit von trans und abinären Personen durch. Weil im Fragebogen, der sich ~explizit nicht~ an cis Frauen richtet, Begriffe und Selbstbezeichnungen queerer Menschen verwendet werden, laufen TERFs dagegen Sturm. Erneut wittern sie eine Auslöschung von Frauen, weil statt „Vulva“ bspw. von „Menschen mit kurzer Harnröhre“ gesprochen wird. Weiterhin nennt die Studie als Beispiele die Begriffe „Fronthole, Pussy, Vagina“. Nicht jede Person mit Vulva möchte ihr Genital so bezeichnen, bei trans Männern ist der Begriff „Fronthole“ gängig, aber längst nicht alle verwenden ihn. Das RKI weiß das und erklärt deshalb am Anfang des Fragebogens: „Wir wissen, dass Menschen unterschiedliche Begriffe benutzen, um ihre Identität zu bezeichnen. (…) An manchen Stellen im Fragebogen verwenden wir außerdem Beispielbegriffe, z.B. für bestimmte Körperteile. Wir wissen, dass nicht alle Teilnehmenden diese Begriffe für sich als richtig empfinden oder für sich verwenden würden.“ Eine Studie für Menschen, die nicht cis sind, macht cis Frauen wütend. „Wie konnte das passieren, dass ein absolutes Minderheitenthema unseren Diskurs und unsere Sprache bestimmt, unsere Kinder damit zwangsbeglückt werden und unsere Anatomie deswegen mit zweifelhaften Ausdrücken umbenannt wird? Ich bin eine Frau und stinksauer“, schreibt eine Nutzerin namens Almut Voelkl auf Twitter. „Frau Sabina Backes“ beschwert sich öffentlich beim RKI: „Was fällt Ihnen ein Frauen so zu beleidigen? Wenn alle Ihre Studien so frauenverachtend sind, sollten weibliche Personen Ihre Empfehlungen zukünftig ignorieren.“ Die Studie, die eine wichtige Lücke schließen soll, ist ernsthaft in Gefahr, wenn sich nun ein Haufen Twitter-Nutzer*innen durch den Fragebogen klickt, der ausschließlich an „Menschen, die sich im trans* oder nicht-binären Spektrum verorten“, gerichtet ist.

Mittwoch, 30. März

Neuer Tag, neuer Einzelfall: Im Spreewalddorf Straupitz arbeitet Mario W. als Revierpolizist, in seiner Freizeit soll er laut BZ „mit Kumpanen heimliche Treffen in voller Nazi-Uniform abhalten“. Der Zeitung liegen Fotos vor, die W. in einer Uniform mit „Erbsentarnmuster“, wie sie die Waffen-SS getragen hat. Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat Ermittlungen aufgenommen. Viel zu befürchten hat Mario W. wahrscheinlich nicht. Man kennt’s. Und er selbst scheint auch recht entspannt. Zur BZ sagte er, die Bilder von ihm im Nazikostüm seien schließlich in Polen entstanden und nicht in Deutschland.

Donnerstag, 31. März

Trans Day of Visibility, der Tag der Sichtbarkeit von trans Personen. Ich weiß nicht, ob es ein Zufall ist, dass einen Tag zuvor das neue Buch von Alice Schwarzer und Chantal Louis herauskam, aber ich kann es mir eigentlich kaum vorstellen. Zu sehr surfen die Herausgeberinnen auf der Welle der Transfeindlichkeit, um ihr Hasspamphlet zu bewerben. Alice Schwarzer, die sich irgendwann in den 1970er Jahren mal mit einer trans Frau unterhalten haben will, stellt sich heute als Expertin dar und wird von deutschen Leitmedien damit ernstgenommen. Der LSVD nennt das Buch „ein Plädoyer dafür, es trans* Menschen so schwer wie möglich zu machen, sie in die Unsichtbarkeit zu drängen und als Problem und ungleichwertig darzustellen“ und hat die in Schwarzers „Streitschrift“ verbreiteten Thesen ausführlich erwidert bzw. widerlegt.

In Berlin wurde am Donnerstag eine Petition mit 85.000 Unterschriften symbolisch an Vertreter*innen von SPD und Grüne übergeben, die die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetz fordert. Während TERF wie Alice Schwarzer und Chantal Louis behaupten, die geschlechtliche Selbstbestimmung wäre eine „Gefahr für Frauen“, haben ähnliche Gesetze in Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay und der Schweiz keinerlei Gefahr für cis Personen bedeutet. Das Selbstbestimmungsgesetz ist für Menschen wichtig, die davon betroffen sind, die trans sind. Für alle anderen Menschen hat es einfach gar keine Bewandtnis.

https://twitter.com/herrurbach/status/1509105871720226820?s=20&t=kppXUegGqoOrjUGsbJwzOg

Auch am Donnerstag

Über drei Femizide wurde allein in dieser Woche in den Medien berichtet. In Frankfurt (Oder) hat am Donnerstag mutmaßlich ein 44-Jähriger seine 33 Jahre alte Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung mit einem Messer angegriffen und getötet. Vier Kinder sollen sich zur Tatzeit in der Wohnung aufgehalten haben.

Auch in Bensheim in Südhessen wurde eine Frau mutmaßlich von ihrem Ex-Partner mit einem Messer getötet. Die 37-Jährige soll von dem 36 Jahre alten Mann getrennt gelebt und einen neuen Partner gehabt haben. Da der 36-Jährige ebenfalls erhebliche Stichverletzung gehabt haben soll, ermittelt die Polizei nun, ob der Angriff möglicherweise von der Frau ausgegangen sein könnte.

Bereits am Mittwochabend kam es in Weyhe (Landkreis Diepholz) zu einem Femizid. Ein 48-jähriger Mann soll seine 43-jährige Ehefrau erstochen haben, die von ihm getrennt lebte. Wie der Weser Kurier berichtet, „eskalierte ein Streit, bei dem der Mann mit einem Messer auf seine Frau eingestochen haben soll“. Die erwachsene Tochter der Frau war offenbar zur Tatzeit anwesend, sie soll die Polizei und den Rettungswagen gerufen haben.

Freitag, 1. April

Freedom-Day! In Berlin muss man seit Freitag keine Masken mehr im Einzelhandel tragen. Und nein, das ist leider kein Aprilscherz, sondern bittere Realität für alle, die sich bei 800er-Inzidenz dem maskenlosen Treiben nicht einfach entziehen können, weil sie entweder in den Läden arbeiten oder einkaufen müssen. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen wir bei 50er-Inzidenz nicht mal auf einer Parkbank sitzen durften, aber nun ist alles egal. Die Durchseuchung ist in vollem Gange und Angehörige der Risikogruppen sind auf sich allein gestellt. Hauptsache, der Wirtschaftsmotor läuft.

Das Magazin „Stern“ hat mit vier Menschen gesprochen, die zur Risikogruppe gehören und ich finde es wichtig, diese Stimmen zu hören, bevor wir jetzt alle unsere Masken wegschmeißen, nur weil wir dürfen.

„Es wird immer gesagt, dass Risikopatient:innen auf sich selbst aufpassen sollen. Dabei wird aber vergessen, dass viele das nicht können. Mein Mann ist Lehrer, mein zehnjähriger Sohn und meine siebenjährige Tochter haben jeden Tag Hunderte Kontakte in der Schule.“

(Michaela, 42, hat Lungenkrebs im Endstadium)

„Ich werde mich weiter schützen und Maske tragen, doch viele werden die Maske nicht mehr anziehen, wenn sie nicht müssen. Für mich wird es dann gefährlicher.“

(Michelle, 25, hat eine Lungenkrankheit)

„Bei so hohen Inzidenzen wie jetzt steht für mich vollkommen außer Frage, sich ins überfüllte Restaurant zu setzen. Ich glaube, dass es im Moment nicht angemessen ist, sich mit mehr als einer Handvoll Leute in Innenräumen zu treffen.“

(Altan, 43, hat Blutkrebs)

„Je mehr Freiheiten sich andere Menschen rausnehmen, desto mehr Einschränkungen muss die Risikogruppe in Kauf nehmen.“

(Luisa, 25, hat eine angeborene Erkrankung, die ihre Nerven, Muskeln und Organe betrifft)

Samstag, 2. April

In Staten Island im US-Bundesstaat New York haben Arbeiter*innen die erste Gewerkschaft bei Amazon gegründet. Der Konzern hat seit jeher versucht, jegliche Organisierung seiner Beschäftigten zu unterbinden. Mögen tausende weitere Standorte folgen!

Sonntag, 3. April

In Ungarn wurde heute gewählt. Wie es aussieht, ist die rechtsextreme Fidesz-Partei weiterhin stärkste Kraft. Das ist leider keineswegs überraschend, Expert*innen waren sich einig, dass gegen den autokratischen Herrscher Victor Orbán nichts auszurichten sein würde. Seit 2010 regiert der autoritäre Führer und Putin-Freund, dessen Partei „sich den Staat untertan gemacht hat – die Medien, die Schlüsselpositionen, die Hoheit über die Plakatflächen“ wie die Tagesschau schreibt.

Ich möchte euch zum Abschluss dieses Wochenrückblicks das Interview mit Szabolcs Panyi, ungarischer Investigativjournalist, ans Herz legen, das Jan Böhmermann vor der Wahl geführt hat. Szabolcs Panyi macht darin deutlich, warum deutsche Konzerne (und dementsprechend die deutsche Regierung) an einem Machterhalt Orbáns interessiert und wie deutsche Politiker*innen insbesondere von CDU und CSU den Autokraten gefördert haben.

Danke, dass Du den Wochenrückblick gelesen hast! Wenn Du meine Arbeit unterstützen magst, kannst Du mir gerne ein Trinkgeld via PayPal geben, oder eine Fördermitgliedschaft auf Steady abschließen. Das geht schon ab 3€ pro Monat.

Schreibe einen Kommentar