360 Femizide gab es letztes Jahr in Deutschland, Berlins Sparhaushalt weist in eine katastrophale Zukunft, Deutschlands Bekenntnis zum IStGH wackelt und ein rassistischer Mord wird als unpolitischer Totschlag verharmlost. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW47
Montag, 18. November
Deutschland leistet bei der vollständigen Entleerung des Antisemitismusbegriffs schon länger ganze Arbeit, aber Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik machte in dieser Woche nochmal einen großen Schritt nach vorne. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung sprach sie über antisemitische Straftaten in der Hauptstadt und nannte 6.200 Ermittlungsverfahren im Bereich Antisemitismus und Volksverhetzung, die die Polizei seit dem 7. Oktober 2023 eingeleitet habe. In rund 1.300 Verfahren gehe es um Gewalt, die sich allerdings selten gegen Jüdinnen*Juden richten würde. Slowik selbst sagt, dass „Gewaltdelikte gegen jüdische Menschen (…) glücklicherweise gering“ ausfielen. Die erfassten Fälle beträfen „überwiegend gegen Polizeibeamtinnen und -beamte am Rande von Versammlungen“. Die Berliner Polizei zählt Widerstand gegen Polizeikräfte auf Demonstrationen als antisemitische Gewalt, um die Gesamtzahl antisemitischer Straftaten statistisch zu vergrößern und die Polizeipräsidentin sagt dazu: „Ich sehe mit sehr großer Sorge, dass Menschen aus der jüdisch-israelischen Community in Berlin die Gesamtzahl antisemitischer Straftaten wahrnehmen und dies ihre Furcht steigert, Ziel einer Attacke zu werden.“ Aber nicht nur mit der eigens manipulierten Statistik soll Jüdinnen*Juden Angst gemacht werden. Frau Slowik warnt „Menschen, die Kippa tragen“ im gleichen Interview auch noch davor, in bestimmte Stadtteile zu gehen. Auf Nachfrage spricht sie über „bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen“. Klar im Täterland geht die größte Gefahr immer noch von Muslim*innen aus und antisemitisch sind immer die anderen.
Auch am Montag
Das Landgericht Waldshut (Baden-Württemberg) hat einen 58-Jährigen, der letztes Weihnachten einen 38 Jahre alten tunesischen Geflüchteten mit einem Kopfschuss hingerichtet und anschließend zerstückelt hat, zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Ein mildes Urteil, angesichts der grausamen Tat. Bemerkenswert ist aber vor allem, dass das Gericht keine Beweise für eine rassistische Motivation des Täters sieht. Und das, obwohl beim 58-Jährige, der unmittelbar nach der Tat mit seiner Familie Weihnachten feierte, rechtsradikale Literatur gefunden wurde und er sich in Briefen aus dem Gefängnis zum Helden erklärt, „der mit seiner Tat vielleicht einen Vorfall wie den Messerangriff von Mannheim verhindert habe“, so die taz. Von seinem Arbeitgeber wurde der evangelikale Christ bereits abgemahnt, weil er während einer Fortbildung „ein anständiger Deutscher kaufe nicht bei Juden“ sagte. Das alles blieb bei der Urteilsfindung unberücksichtigt. Stattdessen wurde die vollständige Ermittlungsakte des Opfers im Prozess behandelt, fast so, als wäre es irgendwie relevant, dass der grausam Getötete bereits wegen Drogen im Gefängnis gesessen hatte. Die Schwester des Opfers, die in Tunesien lebt, wurde nur unzureichend und spät über ihre Rechte als Nebenklägerin informiert, sagt der Betroffenenhilfeverein „Leuchtlinie“.
Dienstag, 19. November
Am Dienstag stellte Berlins Regierung ihren „Sparhaushalt 2025“ vor und zeigte anschaulich, was eine CDU-geführte Regierung kurzfristig und direkt für den ärmeren Teil der Bevölkerung bedeutet und mittel- bis langfristig für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Es ist nicht weniger als katastrophal. Ich will versuchen, es ein wenig zu sortieren. Das 29€-Ticket, das erst im Juli eingeführte Sparabo für den ÖPNV, wird abgeschafft, der Preis des Sozialtickets wird von neun auf 19€ verteuert. Zudem sollen 100 Millionen Euro weniger für den Öffentlichen Nahverkehrs ausgegeben werden, die Projekte zum Ausbau des Straßenbahnnetzes, dem Leihfahrradsystems „Nextbike“ sowie das Lastenrad-Förderprogramm werden komplett gestrichen. Bei der Fahrrad-Infrastruktur werden 2,5 Millionen Euro gestrichen, die Lärmminderung wird um vier Millionen gekürzt und die Mittel für bessere Sicherheit im Straßenverkehr werden halbiert. Weitere Kürzungen gibt es u.a. bei den Bäderbetrieben, beim Schul- und Sportstättensanierungsprogramm, in der freien Jugendarbeit (minus 7 Millionen!), beim Kita-Ausbau, bei Schwangerenkonfliktberatungsstellen sowie in der Wohnungslosenhilfe. Die Zuschüsse für das Studierendenwerk werden um ein Drittel (7,5 Millionen) reduziert. Richtig hart trifft es auch die Kultur in Berlin. Um 12 Prozent wird der Haushalt gekürzt, 130 Millionen Euro fallen weg. Der Landesverband Berlin des Deutschen Bühnenverbands spricht von einem „Kahlschlag für die Kultur in Berlin“. Die Aktionsplattform #BerlinIstKultur erklärte in einer Pressemitteilung: „Die Einsparungen zerstören nachhaltig die kulturelle Infrastruktur und werden zu drastischen Programmkürzungen, Entlassungen und Schließungen führen. Vielfalt, Exzellenz, Resilienz und Gesellschaftlicher Zusammenhalt stehen auf dem Spiel.“ Doch nicht nur die Bühnen, Theater- und Opernhäuser sind in ihrer Existenz bedroht. Der Senat kündigte an, den sogenannten „Diversitätsfonds“ abzuschaffen. Bisher standen jährlich 500.000 Euro zur Verfügung, um gezielt die Diversität im Kulturbetrieb zu stärken und Menschen zu fördern, deren Perspektiven bisher wenig repräsentiert sind. Die Stiftung für kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung soll ebenfalls abgewickelt werden. Die Stiftung besteht seit 2019 und hat die Aufgabe, Teilhabe und kulturelle Bildung zu fördern und dem Berliner Kulturbereich mit kritischer Infrastruktur nachhaltig zu stärken. In einer Pressemitteilung sagte Stiftungsvorstand Florian Stiehler: „Die Medienmeldung, dass wir abgewickelt werden sollen, traf uns daher völlig überraschend und unerwartet. Knapp 100 hochqualifizierte Mitarbeitende sollen ihre Arbeitsplätze verlieren – und Berlin damit wichtige Infrastruktur, Expertise und Erfahrung in den für die Zukunftsfähigkeit des Kulturbereichs zentralen Themen Teilhabe, kulturelle Bildung und Diversität”. Mit der Stiftung würden auch die damit verbundenen Projekte verschwinden: Diversity Arts Culture, das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung, kultur_formen, das servicezentrum musikschulen und die Kulturraum Berlin gGmbH. Und auch den Museen werden Gelder gestrichen. Während Städte wie London oder Paris viele ihrer Museen grundsätzlich bei freiem Eintritt für Besucher*innen öffnen, wird in Berlin der kostenlose Museumssonntag einmal im Monat abgeschafft. Zwei Millionen Euro will die Stadt damit einsparen. Zum Vergleich: Insgesamt schulden Steuer-nicht-zahler*innen Berlin 905.225.000 Euro, davon ca. 51 Millionen Euro nicht genzahlte Erbschaftssteuer und knapp 423 Millionen Euro Unternehmenssteuer, die dem Land vorenthalten werden. Und wenn wir schon bei riesigen Summen sind: Die Kosten für den Weiterbau der Berliner Stadtautobahn belaufen sich nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums auf 1,8 Milliarden Euro – das sind 900 Jahre freie Museumssonntage.
Mittwoch, 20. November
Am Mittwoch war der jährliche Trans Day of Remembrance, der Tag, an dem an die Todesopfer von Transfeindlichkeit erinnert wird. Die Organisation Trans Europe and Central Asia (TGEU) zählt seit 2008 die Morde an trans Personen weltweit. Im Zeitraum von Oktober 2023 bis September 2024 wurden 350 trans and genderdiverse Menschen gewaltsam getötet. Die Dunkelziffer liegt wie immer höher. In diesem Jahr hat die Gesamtzahl der gemeldeten Morde die Marke von 5.000 Fällen überschritten. Wie auch in den Vorjahren waren 94 % der gemeldeten Morde Femizide, d. h. die Opfer waren trans Frauen oder transfeminine Menschen. 93 % der gemeldeten Morde betrafen Schwarze oder trans Personen oder trans Personen of color, ein Anstieg von 14 % gegenüber dem Vorjahr. Sexarbeiter*innen sind nach wie vor die am stärksten betroffene Gruppe unter allen bekannten Berufsgruppen. Allerdings ist der Anteil der Sexarbeiter*innen unter den Opfern (46 %) auf dem niedrigsten Stand seit Beginn des Monitorings (2016: 62 %; 2008: 84 %). Ein Drittel der gemeldeten Todesopfer war zwischen 31 und 40 Jahre alt, ein Viertel war zwischen 19 und 25 Jahre alt, 15 Opfer waren minderjährig, als sie ermordet wurden (6 Prozent). „Wann wird diese Gewalt enden? Wir können es uns nicht länger leisten zu warten! Die Staaten müssen sich zu sofortigem Handeln verpflichten, um der Zunahme von transfeindlichen Hassreden und Angriffen entgegenzuwirken und diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen! Unser Leben hängt davon ab“, sagt Ymania Brown, Geschäftsführerin von TGEU am Mittwoch.
Donnerstag, 21. November
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen gerade entlassenen Verteidigungsminister Joav Galant erlassen. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch gegen den Hamas-Führer Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri wurde ein Haftbefehl erlassen, auch wenn Israel dessen Tötung im August verkündet hatte. Der IStGH wirft Israel u.a. das Aushungern als Methode der Kriegsführung vor und spricht von Verstößen gegen das humanitäre Völkerecht, da Israel den palästinensischen Opfern des Krieges die humanitäre Hilfe verweigere. Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International, begrüßte die drei Haftbefehle: „Die Mühlen der internationalen Justiz haben endlich diejenigen eingeholt, die mutmaßlich für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Palästina und Israel verantwortlich sind. Die heutigen Haftbefehle sind ein historischer Durchbruch für die Gerechtigkeit. Sie müssen der Anfang vom Ende der allgegenwärtigen Straflosigkeit sein, die im Zentrum der Menschenrechtskrise in Israel und im besetzten palästinensischen Gebiet steht.“ Von der Bundesregierung erwartet Amnesty ein klares Bekenntnis zum IStGH. Deutschland ist „aktuell der zweitgrößte Beitragszahler zum Haushalt des IStGH und setzt sich aktiv dafür ein, dass der Gerichtshof möglichst effektiv arbeiten kann und breite Unterstützung in der Staatengemeinschaft findet“, heißt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes. Doch dieser Einsatz endet offenbar dann, wenn der IStGH einen Verbündeten Deutschlands schwere Verbrechen vorwirft. Denn auch wenn die Bundesrepublik theoretisch verpflichtet ist, Netanjahu und Galant festzunehmen, sollten sie deutschen Boden betreten, wand sich der Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Bundespressekonferenz heraus. Man wolle „gewissenhaft prüfen“, was die Haftbefehle für Deutschland bedeuten. Die Journalistin Pauline Jäckels fragt nach, warum sich Deutschland nicht auf dieses durchaus mögliche Szenario vorbereitet hat, schließlich stehen die Haftbefehle schon länger als Option im Raum. Im Mai hatte der IStGH-Ankläger Karim A.A. Khan die Anträge auf Haftbefehle gestellt. Hebestreit antwortet er verstehe die Frage nicht. Nach zweimaliger Wiederholung der Frage antwortet der Regierungssprecher es bestehe „ja gar keine Eile“. Na klar, keine Eile, über 43.300 Menschen, die in Gaza getötet worden, 70 Prozent Frauen und Kinder, geben wirklich keinen Anlass, sich zu beeilen.
Freitag, 22. November
In Rheda-Wiedenbrück (NRW) hat am Freitag mutmaßlich ein 50-Jähriger seine 46 Jahre alte Ehefrau getötet. Der Mann stellte sich anschließend der Polizei. Die Bildzeitung meldet, dass die Frau erwürgt wurde. Bereits am Samstag zuvor wurde in Schackendorf (Schleswig-Holstein) eine 51-Jährige mutmaßlich von ihrem ein Jahr älteren Ex-Partner getötet. Gegen den Tatverdächtigen soll ein Kontaktverbot vorgelegen haben, nachdem er im August in die Wohnung der Frau eingebrochen war, die Tochter und deren Freundin fesselte und seiner Ex-Partnerin bei deren Eintreffen mit einer Eisenstange auf den Kopf schlug. Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob sie den Mann wegen Mordes oder Totschlag anklagen wird. In letzterem Fall muss der Täter für fünf bis maximal 15 Jahre in Haft, üblicherweise wird er bei guter Führung wird nach zwei Dritteln der Haftzeit vorzeitig entlassen. Wer wegen Mordes verurteilt wird, muss „lebenslang“ ins Gefängnis, mindestens 15 Jahre. Eine von der FAZ am Freitag veröffentlichte Recherche hat 62 Urteile nach Femiziden analysiert und kam zu dem Ergebnis, dass in 23 Fällen wegen Totschlags und 35-mal wegen Mordes verurteilt wurde. In nur 11 Fällen erkannte das Gericht niedrige Beweggründe als alleiniges Mordmerkmal an. „Manche Gerichte werten das Besitzdenken des Täters nicht als besonders verwerflich – und ein Teil erkennt es erst gar nicht“, lautet das Fazit der Autor*innen. Hier eine Auswahl dessen, was die Richter*innen als strafmildernd werteten: „Spontantat“, „er hatte ihr Verhalten als Demütigung empfunden“, „Sackgasse“, „haftempfindlich“, „schwierige Situation“, „Suizidversuch“, „sie habe ihm die Tat leicht gemacht“, „verliert seine Kinder für nicht unerhebliche Zeit“, „Enthemmung“ durch Alkoholkonsum, „emotionale Situation nach der Trennung“, „Verzweiflung“. Diese Woche wurde in Berlin das erste Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ vorgestellt. Daraus geht hervor, dass im vergangenen Jahr 360 Mädchen und Frauen Opfer tödlicher geschlechtsspezifischer Gewalt wurden, fast ein Femizid pro Tag. Die Gewalt nimmt in allen Bereichen zu. 52.330 Frauen und Mädchen wurden 2023 Opfer von Sexualstraftaten, 6,2 Prozent mehr als im Vorjahr und über die Hälfte der Betroffenen war unter 18 Jahre alt. Im Bereich der Digitalen Gewalt gab es einen deutlichen Anstieg von 25 Prozent gegenüber den Zahlen von 2022. „Besonders hoch ist der Anstieg bei frauenfeindlichen Straftaten als Teil der Politisch motivierten Kriminalität. Mit 322 Straftaten im Berichtsjahr 2023 wird ein Anstieg um 56,3 Prozent zum Vorjahr verzeichnet“, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums.
Samstag, 23. November
Ein bisschen Schadenfreude zum Wochenausklang: In Berlin sollte am Samstag eine „Großdemo der Landwirtschaft“ stattfinden. 1.000 Traktoren waren vom Organisator, dem Verein „Hand in Hand für unser Land“, erwartet worden. Gekommen sind: dreiundzwanzig. LOL.
Sonntag, 24. November
In Baku, Aserbaidschan, ging heute die Weltklimakonferenz zu Ende. Wie immer mit wenig Ergebnissen, wie immer mit massiven negativen Folgen insbesondere für wirtschaftlich schwächere Staaten. Verloren hat in Baku aber vor allem auch die Geschlechtergerechtigkeit. Verschiedene Staaten, darunter Vatikan, Ägypten, Iran, Russland und Saudi-Arabien, forderten die Streichung des Begriffs „Gender“ aus dem „Gender Action Plan“ (GAP, auch Lima-Arbeitsprogramm). Auch die Forderung nach geschlechtergerechter Verteilung der Gelder, „Gender-responsive finance“, stößt auf massive Widerstände. Ob es am Ende zu irgendeiner Einigung kam, konnte ich stand heute nicht herausfinden. So oder so sieht es düster aus für die gendersensible Bekämpfung der Klimakatastrophe, obwohl Mädchen und Frauen nachweislich stärker unter den Folgen leiden.
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