You are currently viewing Bedauernswerte Hoffnung
Otto war am Samstag auf der Demo gegen die Große Koalition.

Bedauernswerte Hoffnung

Die Oscars enthüllen Hollywoods Liebe zur Fettfeindlichkeit, die Forderung nach einer Absenkung des Strafalters sind purer Populismus und radio eins verkauft Transfeindlichkeit als Humor. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW11

Montag, 13. März

Am Sonntagabend wurden in Los Angeles die Academy Awards verliehen. Hierzulande bedeutet das entweder eine durchwachte Nacht oder aber – in meinem Fall – das Aufwachen zu den Ergebnissen. Zwei davon finde ich an dieser Stelle erwähnenswert. Michelle Yeoh hat den Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewonnen. Die malaysische Schauspielerin chinesischer Abstammung ist erst die zweite nicht weiße Frau in bald 100 Jahren Awardverleihung, die diese Auszeichnung erhält (die erste war Halle Berry 2001, vor über 20 Jahren). Neben dem Oscar für ihre Hauptrolle in „Everything Everywhere All at once“ gab es noch sieben weitere Awards, u.a. für die beste Regie, das beste Originaldrehbuch, für den besten besten Nebendarsteller (Ke Huy Quan) und als bester Film. „Ein historischer Tag“ für die asiatisch-diasporische Community, sagte Nhi Le und eine „total überfällige Anerkennung“. Den Oscar für den besten Hauptdarsteller gewann Brendan Fraser für seine Rolle in „The Whale“ und das wiederum war für mich kein Grund zum Feiern. Fraser spielte einen stark mehrgewichtigen Mann – im Fatsuit. Fraser wurde für die Rolle als 272 kg schwerer, schwuler Englischprofessor Charlie in ein Kostüm gesteckt und erzählt die uralte Geschichte von leidenden, unglücklichen dicken Menschen, depressiv und fresssüchtig. Das empörende ist für mich weniger der Film selbst, als viel mehr die Rezeption als „Meisterwerk“ und „ganz großen Wurf“. Das voyeuristische Ergötzen am Leid der Fetten ist für die Mehrheitsgesellschaft ganz einfach „Kunst“, wird als „einfühlsam“ und „mutig“ bezeichnet.  Eine treffendere Kritik brachte die mehrgewichtige Journalistin Lindy West im Guardian auf den Punkt, als sie „The Whale“ eine „freudlose, schädliche Fantasie des fetten Elends“ („joyless, harmful fantasy of fat squalor“) nannte. Warum der dünne Regisseur Darren Aronofsky sich dagegen entschied, die Rolle von einem stark mehrgewichtigen Mann darstellen zu lassen und stattdessen Fraser in einen 90 Kilo schweren Fettanzug steckte, erklärt der dünne Zeit-Autor Daniel Haas so: „Weil das Dicksein nur ein äußeres, sofort einleuchtendes Symptom für eine tief sitzende innere Verletzung dieses Mannes ist. Und um so eine Verletzlichkeit, die komplizierte Gemengelage aus Reue und Zorn, Bedürftigkeit und Selbsthass darzustellen, braucht man einen sehr guten Schauspieler.“ Äh ja, alles klar. Kein Job für Fette also. Die in Hollywood tiefverwurzelte Fettfeindlichkeit wurde dann auch bei den Nominierungen in der Kategorie „Bestes Make-up und beste Frisuren“ deutlich: In drei der fünf nominierten Filme kamen Fatsuits zum Einsatz. Gewonnen hat: „The Whale“. Falls ich bis hierhin nicht deutlich genug war: Fatsuits sind verletzend, gewaltvoll und schlicht furchtbar. Ich wünsche mir, dass diese Fettanzüge bald ebenso unmöglich sind wie Blackfacing. Wer den Vergleich zu hart findet, möge bitte einmal darüber nachdenken, wie Fatsuits seit jeher dazu dienen, dick_fette Menschen zu beschämen, als Witzfiguren oder Monster darzustellen. Mehrgewichtige Menschen sind nahezu unsichtbar in Hollywood, statt ihnen Rollen und Repräsentation zu geben, werden dünne Leute in Fettanzüge gesteckt. Es ist würdelos.

Dienstag, 14. März

In einer Pressekonferenz am Dienstag machte die Staatsanwaltschaft Koblenz öffentlich, dass im Fall der getöteten 12-jährigen Luise aus Freudenberg zwei Mädchen (12 und 13 Jahre alt) die Tat gestanden haben. Die Kinder aus dem Bekanntenkreis von Luise haben das Mädchen mit mehreren Stichen so schwer verletzt, dass es noch am Tatort verblutete. Diese Tat ist absolut unvorstellbar für mich und ich bin, wie wahrscheinlich die allermeisten zutiefst bestürzt. Meine Gedanken sind bei den Eltern und Angehörigen von Luise, aber auch bei denen der mutmaßlichen Täterinnen. Es ist unmöglich da nicht mitzufühlen. Was muss in Kindern vorgehen, um so eine Tat zu begehen? Was muss in ihnen vorgehen, nachdem ihnen die Konsequenzen ihrer Tat bewusst wurden. Ich habe absolut keine Antworten, aber ich habe die unerschütterliche Gewissheit, dass die Forderungen nach „harter Bestrafung“ einer (im besten Fall) zu kurz gedachten Verzweiflungsreaktion entspringen und keine wohlüberlegte Schlussforderung sein können. Ich erspare mir (und euch) eine juristisch-philosophische Auseinandersetzung darüber, wann Menschen die „moralisch-ethische Reife“ haben, um für schuldfähig im Sinne des Strafrechts zu gelten. Wer hier schon länger mitliest, weiß ohnehin, was ich von der Strafjustiz halte (kurz gesagt: nicht viel). Ich glaube schon bei Erwachsenen nicht daran, dass Gewalt (und ja, Gefängnis ist Gewalt) zu einer wünschenswerten Verhaltensänderung führt. Wer also meint, es sei in irgendeiner Weise hilfreich, Kindern nach den Regeln des Strafgesetzbuchs zu bestrafen, hängt vermutlich eher einer Art alttestamentarischen Lust an der Rache an. Ein Blick in die Länder, in denen bereits Kinder im Alter von sechs oder zehn Jahren ins Gefängnis wandern können zeigt zudem: Die Kriminalität unter Minderjährigen ist dort keinesfalls geringer. Weder trägt das Absetzen des Strafalters zu mehr Prävention bei, noch lassen sich Kinder von einem höheren Strafmaß abschrecken. Die neuerlichen Forderungen nach der Herabsetzung des Strafalters ist nichts als Populismus. Es wird dabei nicht nur bewusst verschwiegen, dass die Jugendgewalt in Deutschland insgesamt rückläufig ist, sondern auch die Tatsache, dass die Tat der Mädchen aus Freudenberg sehr wohl Konsequenzen für sie hat. Keine strafrechtlichen, aber familienrechtliche, möglicherweise die Unterbringung in Psychiatrien oder Heimen. Auf jeden Fall aber eine lebenslange Belastung des Gewissens. So zu tun, als kämen die mutmaßlichen Täterinnen „ungeschoren“ davon, ist unredlich.

Mittwoch, 15. März

Am Mittwoch lief bei radio eins (rbb) die neue Folge von „Wischmeyers Schwarzbuch“. Ich traute meinen Ohren nicht und bin ehrlich schockiert. Was der Sender hier als Humor verkaufen will, ist bloße Menschenverachtung, schlecht getarnt als Satire eines alten weißen Mannes. Wischmeyer sagt u.a. „wenn das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft tritt, darf sich jeder Frau nennen, auch wenn er biologisch ein Mann oder eine Katze ist. Das Frau-Sein wird endlich auch für biologische Nicht-Frauen geöffnet. Natürlich auch das Mann-Sein für biologische Nicht-Männer, aber wer will das denn schon sein?“. Er spricht von „an sich rumschnippeln zu lassen“ und „Biertitte (…) als sekundäres Geschlechtsmerkmal“. Er meint, mit dem Selbstbestimmungsgesetz würden trans Frauen „scharenweise einreiten“ und seine Tirade gipfelt in „Tausende Neu-Tr×nsen“, die ihre „Mercedes D-Klasse“ auf „Frauenparkplätzen“ abstellen würden. Er reproduziert den TERF-Take von „Männern“, die den „für Frauen reservierten Listenplatz bei den Grünen“ besetzten oder Gleichstellungsbeauftragte würden und kommt zu dem Schluss: „besteht erst die Mehrheit aus selbsternannten Frauen (…) hat sich der ganze Genderismus erledigt“. Während trans Personen buchstäblich sterben, tagtäglicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, macht radio eins aus ihrer Existenz eine Punchline und gießt Öl ins Feuer des ohnehin gesellschaftlich lodernden Hasses auf trans Personen. Der Sender, der auch dem neurechten Harald Martenstein (u.a. bekannt für die Takes, „Judensterne“ bei Querdenken-Demos seien nicht antisemitisch und Sklaverei hätte nichts mit Rassismus zu tun) eine Plattform gibt, mit Serdar Somuncu und Florian Schröder einen Podcast für deren misogynen und rassistischen Rotz produziert und Tommy Wosch öffentlich über Vulven würgen lässt, nennt das Ganze einfach „unzensierten Humor“ und macht eine Werbekampagne draus.

Donnerstag, 16. März

Schwule Männer dürfen ab sofort nicht mehr von der Blutspende ausgeschlossen werden. Das hat der Bundestag am Donnerstag beschlossen und entschieden, dass im Transfusionsgesetz ausdrücklich festgehalten wird, dass die sexuelle Orientierung bei der Blutspende nicht berücksichtigt werden darf. Ein wichtiger Schritt in Sachen Antidiskriminierung, aber offenbar auch eine Steilvorlage für SPD’ler*innen, die sich für Allies halten und glauben, es sei eine gute Idee, das Blut von Queers als „Regenbogenblut“ zu bezeichnen.

Freitag, 17. März

Am Freitag berichtete die Washington Post über einen Gesetzesentwurf aus Florida, der bestimmte Unterrichtsmaterialien in den Schulen des US-Bundesstaats verbieten soll. Die Gesetzesvorlage 1069 würde u.a. vorschreiben, dass der Unterricht über sexuelle Gesundheit, wie Gesundheitserziehung, sexuell übertragbare Krankheiten und menschliche Sexualität, „nur in den Klassenstufen 6 bis 12 stattfindet“. In der Praxis bedeutet das, dass Mädchen in der Schule nichts über den Menstruationszyklus oder die erste Periode lernen, bevor sie in die sechste Klasse kommen. „Dieser Gesetzentwurf wirft ein grelles Licht auf den ständigen Machthunger und die Kontrollsucht der politischen Führer Floridas“, sagte Annie Filkowski, politische Direktorin von Florida Alliance of Planned Parenthood Affiliates, in einer Erklärung und fügte hinzu, dass es „lächerlich“ sei, jungen Mädchen zu verbieten, mit ihren Lehrkräften über Menstruation zu sprechen.

https://twitter.com/PPactionFL/status/1636094294212718592?s=20

Samstag, 18. März

Am Samstag demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen die Pläne der Berliner SPD eine Koalition mit der CDU einzugehen und jegliche progressive Entwicklung in der Hauptstadt damit zum Erliegen zu bringen. Ich war einer davon und doch etwas enttäuscht, dass nur so wenige Leute ihre Unzufriedenheit mit dem Giffeykurs auf die Straße trugen. Dass die letzte Hoffnung, die Berliner GroKo noch zu verhindern, nun auf den SPD-Mitgliedern liegt, ist so beunruhigend wie es klingt. Zu oft haben die Sozialdemokrat*innen die Menschen zugunsten von Macht verraten. 19 000 SPD-Mitglieder in Berlin können nach Zustandekommen des Koalitionsvertrages per Briefwahl abstimmen. Die Auszählung und Bekanntgabe der Ergebnisse ist für den 23. April geplant.

Sonntag, 19. März

Ab heute könnt ihr das Buch „WIR“ von Anna Mendel vorbestellen, das am 3. April im Brimborium-Verlag erscheint. Anna erzählt darin, wie das Familienleben mit drei Kindern, von denen zwei behindert sind, ist, wie die oft unsichtbare Pflegearbeit aussieht und welche Herausforderungen ein bedürfnisorientiertes Zusammenleben mit sich bringt, in dem alles auf die Rahmenbedingungen der behinderten Kinder ausgelegt ist. Eindringlich und intensiv erzählt sie Alltagsgeschichten, die erahnen lassen, wie viel Arbeit es ist, pflegende Mutter zu sein. Ich hatte die Ehre, das Cover zu illustrieren und ich kann nicht erwarten, Annas Buch bald zu lesen.

Ich danke euch wie immer fürs Lesen. Wer kann und will: via PayPal gibt es die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

Schreibe einen Kommentar