Der Mönch von Lützerath wurde verurteilt, Trump will die ethnische Säuberung Gazas, in Schweden gab es einen mutmaßlich rassistischen Massenmord und in Berlin darf auf Demos nicht mehr arabisch gesprochen werden. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW6
Montag, 3. Februar
In Osnabrück wurde in der Vorwoche, am 28. Januar, ein 34-Jähriger von der Polizei gewaltsam aus der psychiatrischen Abteilung einer Klinik geholt und deportiert+, darüber berichtete die taz am Montag. Lame K. aus Gambia hatte in der Ameos-Klinik Hilfe wegen akuter Suizidalität gesucht. Kurz zuvor war er aus einer rechtswidrigen Abschiebehaft entlassen worden. Lame K. kam 2017 nach Osnabrück, nachdem er sieben Jahre zuvor als regierungskritischer Aktivist aus seinem Geburtsland geflohen war. Auf der Flucht erlebte er in Libyen eine monatelange Tortur aus Erpressung, Folter und Hunger. In Deutschland wurde dem schwer traumatisierten Mann Asyl verweigert, seitdem lebte er in ständiger Angst vor der Deportation. „Er hatte ja schon vorher zwei Abschiebeversuche erlebt. Beide sind an Krankheitsgründen gescheitert, beide waren nicht gewaltfrei“, erzählt seine Anwältin Claire Deery der taz. Lame K. habe sich den Behörden gegenüber immer vorbildlich verhalten. Deshalb habe das Landgericht auch seine Entlassung aus der Abschiebehaft veranlasst, sagt Deery. „Er hatte eine Verlobte hier in der BRD, war nicht gewalttätig. Aber er war krank, nicht nur psychisch. Dass man ihn so aus einer Klinik herausholt, ist schlimm.“ 30 Polizist*innen waren im Einsatz, zerrten Lame K. aus dem Krankenhaus und fesselten den am Boden liegenden Mann. Klinikpersonal half den Cops dabei, holte einen Rollstuhl herbei zum leichteren Abtransport. „Abschiebungen aus Schutzräumen wie Krankenhäusern erschüttern das Vertrauen in medizinische und therapeutische Einrichtungen massiv“, zitiert die taz den Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Muzaffer Öztürkyilmaz. Antifaschistische Aktivist*innen versuchten Lames Deportation zu verhindern, stellten sich in den Weg, wurden jedoch von der Polizei „angebrüllt, zurückgestoßen, eingekesselt und niedergerungen“, so die taz, einige wurden unter dem Vorwurf des Widersetzens gegen Vollstreckungsbeamte festgenommen. In einer Stellungnahme beschreibt die Anti-Abschiebe-Gruppe „No Lager“ die Situation: „Als alle Menschen, die sich der Abschiebung entgegenstellten bewegungsunfähig gemacht wurden, wurde Lame, mit auf dem Rücken gefesselten Händen, wieder in den Rollstuhl verfrachtet. Als ihn zwei Polizisten hastig über den Hof rollten schrie er mehrmals laut und deutlich die Worte: Kill me! (Tötet mich!)“
Dienstag, 4. Februar
In Örebro hat am Dienstag ein 35-Jähriger in einer Art Soldatenuniform zehn Menschen im Bildungszentrum Campus Risbergska erschossen und sechs weitere verletzt, bevor er sich mutmaßlich selbst das Leben nahm. Die Todesopfer sind Medienberichten zufolge sieben Frauen im Alter von 32, 38, 46, 52, 54, 55 and 68 Jahren sowie drei Männer im Alter von 28, 31 und 48 Jahren. Auf dem Campusgelände befinden sich verschiedene Einrichtungen der Erwachsenenbildung, u.a. lernen hier Migrant*innen Schwedisch. Zu den Opfern ist auch am Ende der Woche nicht viel bekannt. Sky News nennt die Namen zweier Getöteter, Bassam al Sheleh, ein zweifacher Vater, der als Bäcker gearbeitet hat und einen Sprachkurs an Campus Risbergska besuchte, sowie Salim Iskef, ein Pflegeassistent, der kurz bevor er erschossen wurde seine Verlobte über Facetime anrief, um ihr zu sagen, dass er sie liebe. Das englischsprachige, schwedische Newsportal „The Local“ gibt an, dass alle bislang bestätigten Opfer eine Migrationsgeschichte haben. Der TV-Sender TV4 veröffentlichte eine Tonaufnahme, auf der zu hören sei, wie der Täter „Ni ska bort från Europa“ ruft, also „Ihr müsst Europa verlassen“. Die Polizei gibt an, bislang keine Beweise für ein rassistisches Motiv gefunden zu haben. „Wenn die Polizei das ideologische Motiv herunterspielt, frage ich mich und viele andere, was sie eigentlich meint“, schreibt die Journalistin Zina Al-Dewany in der Tageszeitung Aftonbladet. „Der Täter ist ein weißer, schwedischer Mann. Sein Ziel ist eine Schule, in der viele Einwanderer Schwedisch lernen.“ Ohne die genauen Hintergründe zu kennen, ist die Art des öffentlichen und medialen Umgangs mit der Tat schon augenfällig. Die Polizei schloss ein terroristisches Motiv schnell aus, sprach von einem Einzeltäter, der eine persönliche Verbindung zu dem Schulzentrum gehabt haben soll. Das Narrativ des psychisch kranken, sozial isolierten und von Bekannten als „komisch“ beschriebenen Einzelgängers wird erfahrungsgemäß immer dann aus dem Hut gezogen, wenn ein Attentäter keinen migrantischen Hintergrund hat, bzw. ihm kein islamistisches Motiv attestiert werden kann. Das ist in Deutschland übliche Praxis und offenbar in Schweden genauso. Ali Esbati, ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Linkspartei, sagt: „Die schwedische Gesellschaft hat heute ein strukturelles Problem damit, rassistischen Terror zu verstehen – und die Menschen davor zu schützen. Es ist ein zutiefst politisierter Ansatz, der vorherrscht, wenn jedes reale oder eingebildete Problem mit rassifizierten Menschen als Gruppe in Verbindung gebracht wird, während Verbrechen und Gräueltaten, die von ‚Mehrheitsschweden‘ begangen werden, durchweg individualisiert und psychologisiert werden.“ In Deutschland ist der exakt gleiche Mechanismus zu beobachten, wenn bspw. die Tat von Aschaffenburg Forderungen nach Grenzschließung und einer Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nach sich zieht, während die 360 Feminizide im vorvergangenen Jahr als tragische Beziehungsdramen individualisiert werden, die angeblich nichts mit dem System zu tun haben, in dem sie sich ereignen.
Mittwoch, 5. Februar
US-Präsident Donald Trump hat am Mittwoch vorgeschlagen, dass die USA die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen sollen, ihn also besetzen. Er träumt von einer „Riviera des Nahen Ostens“. Die dort lebende Bevölkerung soll in andere Länder umgesiedelt werden, z.B. nach Jordanien oder Ägypten. Den Vorschlag, der nichts anderes ist als ein Plan zur ethnischen Säuberung, findet Israels Premier Benjamin Netanjahu erfrischend: „Ich denke das ist etwas, dass die Geschichte verändern könnte. Ich denke es lohnt sich diesen Weg zu gehen“. Andere rechtsradikale israelische Politiker wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir sind ebenfalls begeistert und rufen ihren Regierungschef dazu auf, mit Trump zusammenzuarbeiten. „Für mich ist das die beste Botschaft, die wir kriegen können. Das ist die Lösung! Ich hoffe, dass der Premier versteht, dass dies seine größte Chance ist. Und die Chancen dafür, dass ich in die Regierung zurückkehre, sind gestiegen“, sagt Israels ehemaliger Minister für Nationale Sicherheit, der Rechtsextremist Itamar Ben-Gvir. Israels extreme Rechte ist da, wo sie von Anfang an hinwollte. Der UNO zufolge sind mindestens 70 Prozent aller Gebäude in Gaza zerstört oder beschädigt. Der Großteil der Infrastruktur wurde vernichtet, es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser. Gaza ist laut Trump eine „Abrissbrache“. Oder wie ein Immobilienentwickler es formulieren würde: Eine Business-Opportunity. „Trump macht in seinem Politikerjob exakt das, was er sein Berufsleben lang gemacht hat: Er tritt als Immobilienunternehmer auf. Der gewählte US-Präsident betreibt Politik im Stil eines Zockers um Grund und Boden, um Rendite, Architektenfantasien und Projektentwicklungsmodelle. Das Völkerrecht, die Prinzipien staatlicher Souveränität und Menschenwürde nimmt er offenbar ähnlich wichtig wie mancher Immobilienkönig das Mietrecht“, erklärt der Journalist Wolfgang Höbel im SPIEGEL.
Donnerstag, 6. Februar
Am Freitag wandte sich das Bundesverfassungsgericht mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit. „Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde einer sich als non-binär identifizierenden Person mit deutscher Staatsagehörigkeit gegen ihre bereits erfolgte Auslieferung nach Ungarn stattgegeben“, heißt es darin. Es geht um Maja T., die Person, die im Sommer 2024 in einer Nacht- und Nebelaktion nach Ungarn ausgeliefert wurde. Maja T. wird vorgeworfen, 2023 gemeinsam mit anderen Antifaschist*innen Teilnehmer eines Naziaufmarschs in Budapest angegriffen zu haben. Deswegen saß Maja in Dresden in Haft, als das Berliner Kammergericht im vergangenen Juni entschied, eine Auslieferung nach Ungarn sei zulässig. Entgegen den Bedenken zahlreicher Jurist*innen, die ein faires Verfahren in Orbans Ungarn für ebenso unwahrscheinlich hielten, wie menschenwürdige Haftbedingungen für eine nicht-binäre Person. Doch das sächsische Landeskriminalamt machte Nägel mit Köpfen und holte Maja T. noch in derselben Nacht aus der Zelle. Als Majas Anwalt am Morgen einen Eilantrag beim Verfassungsgericht in Karlsruhe stellte und das Gericht diesem rund drei Stunden später stattgab und die Behörden anwies, die Auslieferung vorerst nicht durchzuführen, befand sich Maja T. bereits in Ungarn. Sieben Monate später urteilte das Bundesverfassungsgericht nun, dass die Auslieferung unzulässig war und beruft sich dabei auf Artikel 4 der EU-Charta der Grundrechte, der das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung regelt. Die Auslieferung macht das allerdings nicht rückgängig. Maja T. bleibt in Ungarn inhaftiert. Das Auswärtige Amt hat bislang keinerlei Anstrengungen unternommen, Maja T. zurück nach Deutschland zu holen.
Ein weiteres Urteil wurde am Donnerstag vom Amtsgericht Erkelenz gesprochen. Der „Mönch von Lützerath“ wurde zu einer Geldstrafe von 4200 Euro verurteilt, weil er im Januar 2023 zwei Cops in den Schlamm geschubst hatte. Verletzt wurde niemand, aber eine Polizistin habe „unter ihrem Helm“ geweint. Der 29-jährige, französische Klimaaktivist bereut seine Tat nicht, die Aktion sei Teil eines „kollektiven Wagemuts gewesen, um das Dorf zu retten“. Er beklagt massive Polizeigewalt gegen die rund 15.000 Demonstrant*innen, die gegen die Räumung des Dorfs Lützerath beim Braunkohletagebau Garzweiler protestierten. Der Mönch heißt eigentlich Loic und ist wegen Beteiligung an den G20-Protesteb im Juli 2017 in Hamburg vorbestraft. Die Anklage hatte deshalb eine achtmonatige Freiheitsstrafe gefordert. Vor Gericht hatte Loic aber auch Fürsprecher. Anselm Meyer-Antz, 65 von der Initiative „Kirche im Dorf lassen“ habe am nächsten Tag im Protestcamp im Nachbardorf einen Gottesdienst geleitet, dort habe „Tiefe Bedrückung bei den jungen Menschen überall“ geherrscht. Als er das Mönchsvideo zeigte, sei „ein Lächeln zurückgekommen“. Der Kirchenmann erklärte dem Gericht: „Das ist der große Dienst, den der Mönch von Lützerath dem Land geleistet hat.“
Freitag, 7. Februar
Die Taktik der CDU, mit radikal rechten Forderungen Stimmen zu sammeln, scheint aufzugehen. Im ARD-Deutschlandtrend legt die Partei einen Prozentpunkt zu, steht bei 31 %, gefolgt von der AfD, die ebenfalls einen Prozentpunkt auf 21 % zulegen konnte. Fascism sells. Für über die Hälfte der Deutschen zählt nur: Hauptsache abschieben. „Insbesondere die Unionsanhänger wollen, dass bei diesem zentralen Thema etwas passiert. Da nehmen sie auch diese Unterstützung durch die AfD in Kauf“, sagte Wahlforscher Stefan Merz am Freitag zur Tagesschau. Doch die CDU fischt im dunkelbraunen Sumpf auch mit anderen Ködern. Generalsekretär Carsten Linnemann hat diese Woche eine weitere Forderung formuliert, die sie offenbar 1:1 von der AfD abgeschrieben hat: Absenkung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre. Möglicherweise hat sich Linnemann aber auch nicht bei der AfD, sondern gleich beim Original inspirieren lassen. Zuletzt senkte nämlich die NSDAP im Jahr 1943 das Alter der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre. Erst 1953 wurde es wieder angehoben. „Wenn jede Woche oder jeden Monat was passiert im Bereich der 13-Jährigen, dann müssen wir doch reagieren. Die Schweiz hat es auch gesenkt. Ich bin klar für zwölf Jahre“, sagte Linnemann, der kürzlich auch erklärte, „Das Nazi-Bashing gegen die AfD und das Brandmauergerede müssen aufhören“. Kinder nach dem Strafgesetzbuch zu verurteilen, löse zwar „nicht alle Probleme“, aber jeder Tag, an dem dadurch eine Straftat verhindert werde, sei „ein guter Tag für Deutschland – und deswegen sollten wir es machen“, sagte Linnemann zum rechtslibertären Sender WeltTV. Wie genau eine Herabsetzung der Strafmündigkeit Straftaten verhindere, sagt er nicht. Kann er ja gar nicht, weil es absoluter Bullshit ist. Das Strafgesetzbuch ist kein Werkzeug der Prävention, das sollte auch ein rechtes Arschgesicht wie Linnemann wissen. Excuse my french.
Wochenende, 8./9. Februar
In Berlin wurde am Wochenende eine Kundgebung unter dem Motto „Stoppt die Aggression in West Bank! Keine Waffenlieferungen an Israel“ kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst. Der Grund: es wurde arabisch und hebräisch gesprochen, eine „unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“, so die Cops. Die Versammlungsbehörde der Hauptstadt hatte Mitte der Woche angekündigt, dass „arabische Ausrufe“ bzw. Ausrufe, die nicht auf deutsch oder englisch getätigt werden, verboten seien. Außerdem wurde den Organisator*innen eine Demonstration untersagt und lediglich eine Kundgebung zugestanden. Weiterhin verbot die Polizei Trommeln. Ein Polizeisprecher sagte zu rbb24: „Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass von diesen Trommeln in einer Vielzahl eine so große, starke Geräuschkulisse ausgeht (…) dass wir in Teilen nicht in der Lage sind zu verfolgen, was dort wirklich gesprochen und ausgerufen wird.“ Die Polizei hat hinsichtlich der palästinasolidarischen Veranstaltungen längst jegliches Maß verloren. Seit 16 Monaten erlebt die Community eine völlig neues Level von Repression und Polizeigewalt. Amnesty International spricht von „beispielloser Härte“. Die Öffentlichkeit schert es bekanntlich einen Dreck, wenn rassifizierte Menschen von der Staatsgewalt verdroschen werden, aber auch die angeblich „linke Szene“ ist auffallend leise, ja, ignorant. Dass die Solidarität weiß/deutscher Linker oft nur für diejenigen gilt, die als Teil der Szene wahrgenommen werden, ist nicht neu – leider. Aber auch wenn der innerlinke Rassismus wenig überrascht, so ist die Teilnahmslosigkeit zumindest in der Hinsicht bemerkenswert, als dass eigentlich klar sein müsste, dass an den Körpern der Palästinenser*innen und deren solidarisch Verbündeter gerade ganz neue Repressionsstrategien und -techniken erprobt werden, die sich bei nächster Gelegenheit auch gegen weiße Linke richten werden. Und dennoch: Schweigen, Schulterzucken. „Diese Ignoranz führt zur Normalisierung und Verharmlosung staatlicher Gewalt – und in der Folge zu erneuten und womöglich noch hemmungsloseren Exzessen“, kommentierte der taz-Redakteur Hanno Fleckenstein bereits im August die Eskalation der Polizeigewalt.
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