Frauen fühlen sich in deutschen Großstädten nicht sicherer als in Kampala oder Neu-Delhi, der deutsche Feuerwehrverband ist erfolgreich eine weibliche Führungskraft losgeworden und der alte Creep Joe Biden versucht mit seiner Vize-Kandidatin bei den Frauen zu punkten. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW33
Montag, 10. August
Dr. Müjgan Perçin, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), hat gegen ihren Arbeitgeber Klage am Berliner Landesarbeitsgericht eingereicht. Beim DFV sei sie „in systematischer Weise wegen ihres Geschlechts und ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert und sexuell belästigt worden“, heißt es in der Klageschrift.
Der Männerbund des DFV weist natürlich alle Vorwürfe von sich und hat eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er sich „gegen aktuelle Gerüchte und Vorverurteilungen seiner Organmitglieder und Beschäftigten sowie seiner Mitgliedsverbände“ wehrt.
Das Statement des Feuerwehrverbands soll dessen Einsatz für „Gleichberechtigung und Respekt“ unterstreichen, ist jedoch vielmehr ein Dokument des herrschenden Corpsgeists und enthält Elemente von Silencing und Gaslighting. Man wolle „dem Verlauf und dem Ausgang des Rechtsstreits“ nicht vorgreifen, heißt es. Dennoch wird verkündet, man habe die Vorwürfe einer „Prüfung“ unterzogen und festgestellt: „Keiner der vorgebrachten Vorwürfe erfüllt den Tatbestand der sexuellen Belästigung“.
Ihr früherer Vorgesetzter, der damalige Präsident Hartmut Ziebs, unterstützt Müjgan Perçin: „Die Vorwürfe, die Frau Dr. Perçin in der Klage erhebt, sind sehr begründet“, sagte er zur taz. Ziebs machte sich mit der Berufung der Juristin einflussreiche Feinde in der Feuerwehr. Die Hälfte der DFV-Mitglieder hatte gegen ihre Einstellung gestimmt. 2019 wurde er schließlich zum Rücktritt aufgefordert. Die Gründe: „Einstellung einer Frau mit türkischen Wurzeln als Bundesgeschäftsführerin, meine klare Haltung gegen rechtsnationale Tendenzen und Personalentscheidungen im Rahmen meiner Befugnisse.“
Dienstag, 11. August
Dass Joe Biden Kamala Harris zu seiner Vize-Präsidentschaftskandidatin ernannt hat, löst in mir gemischte Gefühle aus. Ich will versuchen, das etwas zu strukturieren. Die Nominierung macht Kamala Harris zur ersten Schwarzen „running mate“ und sie wäre die erste Frau und gleichzeitig erste Schwarze im Vizepräsident*innenamt. So weit so historisch.
Beginnen wir mit dem Positiven: Kamala Harris hat sich in der Vergangenheit für LGBTQ*-Rechte eingesetzt, sie ist eine Befürworterin der gleichgeschlechtlichen Ehe und hat als Bezirksstaatsanwältin von San Franciso bspw. eine Hate Crime Unit eingerichtet, um Gewalt gegen LGBTQ untersuchen und strafrechtlich verfolgen zu lassen. Seit Jahren engagiert sie sich für die Abschaffung der sogenannten „gay and trans panic defence“, auf die sich Angeklagte berufen können, wenn sie bspw. wegen Gewaltverbrechen gegen LGBTQ*-Personen angeklagt sind. Die Tat kann dann als „Notwehr“ behandelt werden und die Homo- oder Transphobie eines Täters wirkt sich strafmildernd aus. 2014 war Kalifornien, mit Kamala Harris als Attorney General, der erste Staat, der diese Rechtspraxis verbot, und 2018 legten Kamala Harris und andere Senator*innen einen Gesetzentwurf vor, um das Verbot auf nationaler Ebene umzusetzen.
Es war klar, dass Biden eine Frau zu seiner Vize machen würde, er hatte es vor geraumer Zeit bereits angekündigt und letztlich ist es einfach eine taktische Entscheidung gewesen. Der Mann weiß, dass er mit einem anderen weißen Dude keine nennenswerte Chance bei den wahlberechtigten Frauen gehabt hätte. Dass er sich für eine Schwarze Frau entschied, ist angesichts des Black Lives Matter Movements auch keine Überraschung. Kamala Harris ist allerdings nicht gerade als Kämpferin für Black Lives bekannt. Als Staatsanwältin machte sie sich vielmehr als Law-and-Order Hardlinerin einen Namen und sie lehnte die systematische Untersuchung von Polizeigewalt ab. Aus Sicht der Trump-Administration mag sie als „Linke“ gelten, aus linker Sicht würde ich sie eher als Liberale bezeichnen.
Was ich ihr nicht verzeihen kann ist, dass sie als „running mate“ zur Reinwaschung von Joe Biden beiträgt. Joe Biden, dem von mehreren Frauen vorgeworfen wird, sie in unangemessener Weise berührt zu haben oder ihnen derart nah gekommen zu sein, dass sie sich dabei unwohl fühlten. Die ehemalige Senatsassistentin Tara Reade beschuldigt Biden des sexuellen Übergriffs, als sie 1993 für ihn gearbeitet hatte.
Biden ist rassistisch, das hat er in der Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt, da hilft es auch nicht, dass er ständig auf Barack Obama als seinen „one Black friend“ verweist. Dass ihm Kamala Harris das offenbar durchgehen lässt, macht sie für mich nicht zu einer Hoffnungsträgerin, sondern vielmehr zur Heuchlerin. Ich bin froh, beim Duell Trump vs. Biden nicht wahlberechtigt zu sein, denn ich könnte keinem von beiden meine Stimme geben.
Mittwoch, 12. August
Das Kinderhilfswerk Plan hat einen Bericht veröffentlicht, nachdem sich Mädchen und Frauen im Öffentlichen Raum häufig unsicher fühlen. Das geringste Sicherheitsgefühl haben Mädchen und Frauen „auf der Straße“, gefolgt von „öffentlichen Verkehrsmitteln“ und „Grünanlagen“. Hier ein paar Statements von Teilnehmerinnen:
„Ich wurde von hinten angerempelt und mir wurde im Vorbeigehen an den Arsch gegrabscht.“
25 Jahre, Berlin
„Ich wurde abends von einem Mann verfolgt. Als ich schneller wurde, wurde er es auch. Ich bin zur nächsten Bushaltestelle gerannt, habe mich zu den Wartenden gestellt und mir ein Taxi gerufen.“
34 Jahre, Hamburg
„Ein Mann hat eine Freundin und mich auf dem Fahrrad verfolgt. Er ist neben uns gefahren, hatte seinen Penis in der Hand und hat sich einen runtergeholt.”
20 Jahre, Köln
„Er sagte: ,Schlaf heute bei mir, Hübsche! 16 ist ja schon fast 18.‘“
16 Jahre, München
„Mädchen und Frauen aus den deutschen Großstädten fühlen sich nicht sicherer als die in den Hauptstädten von Peru, Uganda oder Indien“, heißt es in dem Plan-Bericht. Insgesamt haben rund 1000 Mädchen und Frauen im Alter von 16 bis 71 Jahren in den Städten Berlin, Hamburg, Köln und München an der Umfrage teilgenommen und förderten zu Tage, was alle Frauen und Mädchen sowieso schon wissen: Wir fühlen uns oft nicht sicher. Die Ergebnisse der Studie sind nicht repräsentativ, sie dienen in erster Linie als „Stimmungsbild“ und sollen Politik und Gesellschaft zum Handeln auffordern. Neben städtebaulichen Maßnahmen, wie bessere Beleuchtung oder das Kürzen von hochgewachsenen Sträuchern und Büschen, weist Plan vor allem auf die soziokulturelle Dimension des Problems hin: „Denn sexuelle Belästigung, Diskriminierung und Gewalt sind gesellschaftliche Phänomene, die häufig Folgen der veralteten Vorstellung sind, Mädchen und Frauen seien weniger wert und das ‚schwache Geschlecht‘. Zusätzlich zu städtebaulichen oder sicherheitsrelevanten Maßnahmen müssen also auch schädliche Stereotype verändert werden. Denn diese suggerieren Männern in unserer Gesellschaft häufig, dass sie das Recht hätten, Mädchen und Frauen zu bedrängen, ihnen anzügliche Sprüche nachzurufen oder sie zu beleidigen.“
Donnerstag, 13. August
Stealthing ist strafbar. Das entschied das Berliner Kammergericht als erstes Oberlandesgericht in Deutschland. Mir gingen beim Lesen der Schlagzeilen ähnliche Gedanken durch den Kopf, wie vor kurzem beim Bundestagbeschluss zum Upskirting: Wie zur Hölle kommt man darauf, dass es nicht strafbar sein könnte?
Wenn ein Mann beim Sex heimlich das Kondom abstreift und seine*n Geschlechtspartner*in weiter penetriert ist das sexuelle Gewalt. Es liegt dafür kein Einverständnis vor, da kann es doch keine zwei Meinungen geben!
Doch wie so oft, bin ich wohl nach wie vor zu naiv für die patriarchalen Strukturen unserer Justiz. Denn das Urteil des Kammergerichts hat tatsächlich einen doppelten Boden. So wiesen die Richter darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung nur für Fälle gilt, in denen ein Mensch „nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf dieses ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des bzw. der Geschädigten ejakuliert“ wird. Wenn es beim Stealthing nicht zur Ejakulation kommt, ist die Rechtslage also weiter ungewiss.
Der verhandelte Fall ereignete sich bereits 2017. Ein heute 38-jähriger Bundespolizist hatte beim zunächst einvernehmlichen Sex mit einer damals 20-Jährigen bei einem Stellungswechsel heimlich das Kondom abgestreift. Die Frau hatte auf der Verwendung des Verhütungsmittel bestanden. Der Täter wurde dafür 2018 vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Freitag, 14. August
Das indische Unternehmen „Zomato“ gewährt zukünftig seinen Mitarbeiter*innen zehn Tage bezahlten Sonderurlaub im Jahr, wenn sie unter Menstruationsschmerzen leiden. Der Essenslieferdienst schließt dabei auch Trans-Männer mit ein: Der „menstrual leave“ gilt für alle Menschen, die ihre Periode haben. Pro Zyklus können die Mitarbeiter*innen einen Tag freinehmen. „There shouldn’t be any shame or stigma attached to applying for a period leave“, sagte der CEO, Deepinder Goyal, in einem Statement. Die Mitarbeiter*in sollten sich nicht vor Kolleg*innen schämen, den „Perioden-Urlaub“ in Anspruch zu nehmen. Belästigungen oder unangemessenen Kommentare deshalb, sollten die Betroffenen direkt melden.
Goyal ergänzt das Statement um eine Mitteilung an die männlichen Mitarbeiter. Er weist sie daraufhin, dass es nichts Unangenehmes für Männer sein sollte, wenn eine Frau über ihre Periode spricht: „This is a part of life, and while we don’t fully understand what women go through, we need to trust them when they say they need to rest this out.“
Samstag, 15. August
Sawsan Chebli hat angekündigt für den Bundestag zu kandidieren. Das ist nichts Neues, ihre Ambitionen sind mindestens parteiintern schon länger bekannt. Dass sie in ihrem Wahlkreis gegen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller antreten wird, gab sie am Donnerstagabend bekannt und löste damit ein mittelschweres Beben in der Hauptstadt-SPD aus.
Lorenz Maroldt hat den Fall im Tagesspiegel zusammengefasst und macht am Umgang mit Chebli die Heuchelei der SPD in Gleichstellungsfragen deutlich: „Kritisiert wird, dass ihre Kandidatur nicht das Ergebnis einer Vorabsprache ist, sondern ihrem alleinigen Willen entspricht – und dass sie gegen den bisherigen Regierenden Bürgermeister antritt, der in der Senatskanzlei ihr Chef ist. ‚Demütigend‘ sei das für den Mann, heißt es.“ Dass Kevin Kühnert vergangene Woche einen ziemlich gleichen Move in einem anderen Wahlkreis gebracht hatte, sorgte in der Partei für keinerlei Missstimmung. „Wenn jedoch eine Frau das macht, legen ihr vor allem Männer das als parteischädigendes Verhalten aus“, kommentiert Maroldt.
Ich drücke Sawsan Chebli alle Daumen, dass sie sich trotz der Männerklüngelei durchsetzen kann. Für mich ist sie eine der letzten Hoffnungsträgerinnen der deutschen Sozialdemokratie. Dass der studierten Politologin nicht nur parteiintern vorgeworfen wird, sie sei mit ihrer Anti-Rassismus-Arbeit mono-thematisch aufgestellt, spricht erst recht für sie.
Sonntag, 16. August
Heute wäre Charles Bukowski 100 Jahre alt geworden und das Internet ist voll mit Fotos und Zitaten des „dirty old man“. Seine treuen Fans vergöttern ihn so leidenschaftlich wie unreflektiert. Sie wollen nicht behelligt werden mit der unbequemen Wahrheit: Charles Bukowski war ein frauenverachtendes Arschloch.
Eins vorweg: Jede*r darf lesen, was er*sie will. Das gleiche gilt auch für das Hören von Musik, genauso wie für das Schauen von Filmen oder das Betrachten von Gemälden. Es geht hier nicht um Zensur. Niemand spricht davon, Bukowski zu verbieten. Es geht um den reflektierten Umgang mit Künstler und Werk.
Der Huldigung alter weißer Männer, die ihre Frauenverachtung zum Stilmittel erhoben, scheinen keine Grenzen gesetzt. Für Sexismus, Rassismus oder anderweitige Menschenfeindlichkeiten erhalten die Herren das literarische Adelsprädikat des „Enfant terrible“. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass die unreflektierte Bewunderung von misogynen Creeps wie Bukowski, Kerouac oder Houellebecq der Sehnsucht nach „der guten alten Zeit“ entspringt, in der Männer noch unwidersprochen Arschlöcher sein durften. Eine Zeit, in der Sexismus „sexy“ war und sich Männlichkeit am Grade der Erniedrigung von Frauen maß.
Dass „Happy Birthday“-Tweets für Charles Bukowski heute auch Gegenwind hervorrufen, scheint manche Fans tatsächlich noch zu überraschen. Sogleich wittern alternde Feuilletonisten (nicht gegendert) die berüchtigte „Cancel Culture“ am Werk. Ein Wort, das sie erst kürzlich in der Debatte um die antisemitische Kabarettistin Lisa Eckhart gelernt haben und seitdem immer dann rufen, wenn eine*r der Ihresgleichen kritisiert wird.
Niemand „cancelt“ Bukowski. Überhaupt frage ich mich, ob es jemals gelungen ist, mehrfach privilegierte Cis-Personen durch Kritik zu Fall zu bringen. Ich glaube nicht. Ein*e Autor*in of color wird wegen einer satirischen Kolumne über Polizeigewalt eine Strafanzeige aus dem Innenministerium angedroht, aber die Kritik an misogynen Drecksäcken wie Bukowski bedroht unsere Demokratie?!
Die Heldenstatuen der weißen Männer stehen nach wie vor fest auf ihren Sockeln, das gilt für Kant wie für Bukowski, aber die Sockel werden heute eben häufiger angepisst.
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