Vor vier Jahren wurde George Floyd ermordet und die Polizei tötet weiter, Marco „Kotschmierer“ Goecke hat einen neuen Job, Sylter Yuppies feiern Rassismus und der Berliner Senat verletzt die Hochschulautonomie und rechtsstaatliche Grundsätze. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW21
Montag, 20. Mai
Letzte Woche war hier bereits über den Artikel von Ronya Othmann und Juliane Liebert in der ZEIT zu lesen, in dem die beiden Autorinnen behaupten, der Internationalen Literaturpreises des HKW sei aus politischen Gründen vergeben worden. (Hier nachlesen, wenn ihr es verpasst habt.) „Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, keine Interviews zu geben“, erklärte Juliane Liebert in einem Interview mit der Berliner Zeitung, das am Montag veröffentlicht wurde. Weil ihre Aussagen so „böswillig verfremdet“ worden seien, hätten sie sich jedoch umentschieden. Apropos böswillig: Juliane Liebert bestätigt in diesem Gespräch die Unterstellung, eine Jury-Kollegin sei aufgesprungen und habe sie mit den Worten angeschrien: „Du als weiße Frau hast hier eh nichts zu sagen!“ Weiterhin ist sie der Meinung, journalistische Sorgfaltspflicht sei irrelevant für Veröffentlichungen, in denen „Erfahrungen“ beschrieben werden. Den Vorwurf, die ZEIT-Redaktion hätte die wörtlichen Zitate prüfen oder mindestens den Angegriffenen die Möglichkeit geben müssen, zu widersprechen, nennt sie eine Verfehlung des Themas, und behauptet: „Das HKW weiß, dass jeder Satz, den wir geschrieben haben, der Wahrheit entspricht.“ Nunja, das HKW sah sich nach diesem erneuten Angriff in erster Linie zu einer zweiten Stellungnahme gezwungen. Darin heißt es unter anderem: „Wir stellen richtig: Der Satz ‚Du als weiße Frau hast hier eh nichts zu sagen!‘ ist so nicht gefallen. Dies haben fünf der sieben Jury-Mitglieder und zahlreiche in der Sitzung anwesende HKW-Mitarbeiter*innen unabhängig voneinander bezeugt.“
Auch am Montag
In der Innenstadt von Eichstätt (Bayern) griff ein Mann zwei iranische Frauen an. Er beleidigte sie rassistisch und schrie sie an, dass sie „in ihr Heimatland zurückgehen sollen“. Eine der Frauen schlug er mit der Faust ins Gesicht, die andere mit einer Glasflasche. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, erlitten die Frauen eine Schnittwunde sowie einen Nasenbeinbruch. Der Täter flüchtete.
Dienstag, 21. Mai
Der CSD in München am 22. Juni wird auch dieses Jahr ohne eine offizielle Beteiligung der CSU stattfinden. Die Veranstalter*innen gaben den Ausschluss der queerfeindlichen Partei am Dienstag bekannt und erklärten, dass es „Voraussetzung für alle Teilnehmenden“ sei, „sich für gleiche Rechte und gesellschaftliche Akzeptanz von allen queeren Menschen“ einzusetzen. Das tut die CSU nicht, im Gegenteil. Konkret werden der „polemisierende Absatz zu Identitätspolitik und Wokeness im CSU-Grundsatzprogramm“ genannt, „die Ablehnung des Selbstbestimmungsgesetzes“, das „Genderverbot von MP Söder“ sowie der „Antrag von CSU-Stadtrat Alexander Reissl, der das Gendern innerhalb der Münchner Stadtverwaltung verbieten möchte“. Sowohl „die CSU als Partei“ als auch „die CSU-Stadtratsfraktion“ sind auf der sogenannten „PolitParade“, also dem traditionellen Umzug, nicht erwünscht. In der Süddeutschen Zeitung stellte CSD-Sprecher Tobias Weismantel klar: „Wir schließen die CSU nicht vom CSD aus, wir sehen sie nur nicht auf der Politparade. Wir laden die CSU gerne ein, auf dem Straßenfest präsent zu sein.“
Auch am Dienstag
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt vor einem Rechtsruck bei der Europawahl und fordert einen Ausbau der politischen Bildung, unter anderem an Schulen. „In der Schule muss der Politik-, Sozialkunde- und Geschichtsunterricht gestärkt werden. Hier wird zu schnell gekürzt und zu oft von fachfremden Lehrkräften unterrichtet“, sagte die Gewerkschaftsvorsitzende Maike Finnern in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. „Zudem muss die Demokratiebildung viel stärker fächerübergreifend und -verbindend gedacht und unterrichtet werden. Projekte zum Thema sind gut. Entscheidend ist: Das Thema muss besser in den Lehrplänen verankert werden. Und: Es braucht dafür ausreichend viele Lehrkräfte.“ Aber auch über die Schule hinaus, braucht es eine Stärkung der politischen Bildung. Von der Kita an bis in die Weiterbildung.
Mittwoch, 22. Mai
Hach, ein weißer, reicher Mann in der Kulturszene müsste man sein! Dann kann man sogar einer Kritikerin Hundekot ins Gesicht schmieren und wird trotzdem befördert. Marco Goecke war letztes Jahr als Ballettchef an der Staatsoper Hannover entlassen worden, nachdem er eine Kritikerin im Foyer des Hauses tätlich angriff und demütigte, nachdem sie eine schlechte Kritik über eine seiner Inszenierungen geschrieben hatte. Am Mittwoch ist er als zukünftiger Ballettchef des Theaters Basel vorgestellt worden. „Er ist ein Ausnahmekünstler, der eine zweite Chance verdient hat“, sagte Benedikt von Peter, Intendant und Künstlerischer Leiter, über die Personalentscheidung. Die ZEIT gab Goecke daraufhin viel Raum, sich als geläutertes Genie zu inszenieren. Im Interview erzählt er, er sei „kein aggressiver Mensch“ und habe damals „die Nerven verloren“, es sei „etwas zum Überkochen gekommen“. Zur Erinnerung: der damals 50-Jährige hatte den Kot seines Dackels in der Jackentasche dabei, seine widerliche Tat war also keineswegs ein spontaner Impuls. Zwar behauptet Goecke heute, die Tat tue ihm „unendlich leid“, für sein Opfer gilt das allerdings offenbar nicht. Goecke dreht sich ausschließlich um sich selbst und stellt es weiterhin so dar, als habe es sich um einen Konflikt mit zwei Beteiligten gehandelt und nicht um eine Körperverletzung der ekelhaftesten Art. Es sei ihm „wichtig zu betonen, dass der Vorfall beim Staatsanwalt lag und die Ermittlungen eingestellt wurden“. Goecke musste 6.000 Euro an eine gemeinnützige Institution zahlen. Eine Therapie habe er nicht gemacht, sagt er. Braucht so ein „Ausnahmemensch“ (Sibylle Berg) und „Superchef“ (Goecke über Goecke) ja anscheinend nicht.
Donnerstag, 23. Mai
Am Mittwoch besetzten pro-palästinensische Aktivist*innen das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität (HU) in Berlin. Die Studierenden erklärten: „Solange das Leid der Palästinenser:innen anhält, setzen wir unseren Widerstand fort. Entschlossen zum Kampf gegen alle Systeme der Unterdrückung, können wir die Komplizenschaft des deutschen Staates und seiner Institutionen bei Israels anhaltendem genozidalen Massaker im Gazastreifen nicht akzeptieren.“ Die Hochschulleitung duldete die Besetzung zunächst, ging mit den Aktivist*innen in den Dialog. Dessen ungeachtet ordnete der Senat die Räumung an. Die SPD-Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra habe die Anweisung in Abstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister gegeben, erklärte HU-Präsidentin Julia von Blumenthal. Am Abend lobte Kai Wegner den Polizeieinsatz. Damit, dass sich die Politik über die Hochschulautonomie hinwegsetzt, ist eine neue Stufe der Repression erreicht. Der Referent*innenrat der HU (Ref*Rat) verurteilte das Vorgehen in einer Pressemitteilung: „Noch während im besetzten Institut für Sozialwissenschaften eine hochschulöffentliche Diskussionsveranstaltung stattfand, zu der Mitglieder der Universität kamen, (…) ließen Bürgermeister Wegner und Wissenschaftssenatorin Czyborra das Gebäude räumen. Sie ordneten eine Identitätsfeststellung aller im Gebäude anwesenden Personen an. Damit griff der Senat in die Autonomie der Universität ein und brachte die Universitätsleitung sowie die Studierenden in ernsthafte Gefahr.“ Die Polizei ging zum Teil mit extremer Gewalt gegen die Besetzer*innen vor. „Wir wissen von mindestens einer Person, die aufgrund der Polizeigewalt mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus kam“, erklärt der Ref*Rat: „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für ein solches Vorgehen der Polizei.“ Auch der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) kritisierte den Einsatz, bei dem auch ein Rechtsanwalt festgesetzt und an der Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit gehindert wurde. „Die Rechte von Anwält*innen zu beschneiden, ist ein massiver Angriff auf rechtsstaatliche Grundsätze. Das können und werden wir nicht hinnehmen“, erklärte der RAV auf der Plattform, die früher Twitter hieß.
Freitag, 24. Mai
Große Aufregung löste am Freitag die Veröffentlichung eines wackligen Handy-Videos aus, das eine tanzende Menge im Sylter Club „Pony Kampen“ zeigt, die rassistische Parolen grölt. Einer zeigt den Hitlergruß, alle haben offenbar großen Spaß. Die Schnösel-Yuppies im Video sind gut zu erkennen, wurden schnell identifiziert und einige ihrer Arbeitgeber*innen erklärten öffentlich, die Zusammenarbeit mit den Betreffenden unverzüglich zu beenden. Eine interessante Randnotiz: Die BILD-Zeitung verpixelte in der Berichterstattung die Gesichter der Rassist*innen, eine recht untypische Praxis für das Hetzblatt, das normalerweise kein Problem damit sieht, Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Bevor ihr jetzt das Gefühl habt, ich wolle die rassistische Eskalation der Sylter Partygäste irgendwie verharmlosen, muss ich deutlich klarstellen: Diese Leute sind ekelhaft, ihr Verhalten ist durch nichts zu entschuldigen. Gleichzeitig sehe ich aber auch nicht ein, warum ich so tun sollte, als würde dergleichen nicht permanent passieren – überall in Deutschland und auch nicht selten auf Video festgehalten. Allein am vergangenen Wochenende wurden weitere Fälle in Erlangen und im Landkreis Cloppenburg bekannt. Auch im Wochenrückblick habe ich schon über ähnliche Vorfälle berichtet. Bereits Anfang des Jahres sangen Gäste einer Party im Studienzentrum der Finanzverwaltung und der Justiz des Landes Hessen in Rotenburg das gleiche rassistische Lied, das auch im Video aus Sylt zu hören ist. Auch Mitglieder der „Landjugend Hohenfurch“ sollen das Lied bei einem Faschingsumzug in Landsberg (Bayern) gegrölt haben. Es sind keine Einzelfälle, es ist ein Massenphänomen. Gibt man bei Spotify „Ausländer “ ein, erscheint der Song von Gigi D’Agostino, zu dessen Melodie der rassistischen Text gegrölt wird, als erster Vorschlag. Entlarvend ist vor allem, dass viele Deutsche von den Sylter Yuppies so überrascht sind. Denn zu gern wird rechtes Gedankengut immer noch mit einer vermeintlichen „Unterschicht“ und „Bildungsferne“ assoziiert. Die Realität ist eine andere. „Es sind die Mittel- und Oberschichten, die nach Studienlage den Rechtspopulismus tragen“, erklärt Andreas Zick, Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Das Sylter Video zeige lediglich „die Spitze des Eisbergs solch radikaler Gemeinschaft der Bessergestellten“.
Samstag, 25. Mai
Mit dem Tod von George Floyd am 25. Mai 2020 bekam die Black Lives Matter Bewegung einen weltweiten Aufschwung. Der 46-jährige wurde in Minnesota während einer Festnahme von einem Polizisten getötet. Die Tat wurde gefilmt. Das Video, auf dem man sieht, wie der weiße Polizist auf dem Afroamerikaner kniet, wurde weltweit verbreitet. 30 Mal wiederholte George Floyd „I can’t breathe“ bevor er starb. George Floyd wurde zum Symbol einer weltweiten Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt. Neue Zahlen des Projekts „Mapping Police Violence“ zeigen, dass in den USA jedes Jahr durchschnittlich rund 1.000 Menschen von der Polizeigewalt getötet werden, fast drei Menschen am Tag. Im Verhältnis zum Anteil an der Gesamtbevölkerung, sterben fast drei Mal mehr Schwarze Menschen durch Polizeigewalt als weiße. Im Jahr 2024 wurden bereits 437 Menschen von der Polizei getötet, 21,5 % Schwarze, die nur 12 % der US-Bevölkerung ausmachen.
Sonntag, 26. Mai
In Thüringen wurde heute gewählt. 1,7 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen über neue Kreistage, Stadt- bzw. Gemeinderäte abzustimmen. Die ersten Ergebnisse trudeln gerade ein. Ihr könnt hier den Liveticker verfolgen. Die Wahl gilt als Stimmungsbarometer knapp drei Monate vor den Landtagswahlen. Wie die AfD abschneidet, die in Thüringen auch offiziell als „gesichert rechtsextrem“ gilt, wissen wir wahrscheinlich erst morgen.
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