In Berlin wird ein queeres Mehrgenerationenhaus unter Polizeischutz eröffnet, in Hannover werden Sinti*zze und Rom*nja systematisch rassistisch diskriminiert, in Israel ist Krieg und Narges Mohammadi erhält den Friedensnobelpreis. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW40
Montag, 2. Oktober
Der Wochenrückblick beginnt, wie so oft, mit einem Femizid. Bereits am vorangegangenen Sonntag tötete in Duisburg ein 25 Jahre alter Mann seine 19-jährige Ehefrau und verletzte das gemeinsame Kind schwer. Der 17 Monate alte Sohn der Getöteten schwebt in Lebensgefahr. Augenzeug*innen berichten, dass der mutmaßliche Tätet die Frau und das Kind zunächst mit dem Auto angefahren und anschließend auf die 19-Jährige eingeschlagen und -getreten habe. Die Duisburger Staatsanwaltschaft erklärte, dass die Obduktion ergeben habe, „dass die Spuren des Unfalls selbst nur sehr marginal festzustellen waren an der verstorbenen Frau“, sie sei „vielmehr aufgrund der erheblichen, mehrfachen massiven stumpfen Gewalteinwirkung gegen den Kopf – ganz konkret durch Faustschläge und Tritte mit dem beschuhten Fuß – gestorben.“ Ein weiterer Femizid ereignete sich am Mittwoch in Frankfurt am Main, wo ein 17-Jähriger verdächtigt wird, eine 28 Jahre alte Frau in einer Wohnung im Stadtteil Sachsenhausen getötet haben soll.
Dienstag, 3. Oktober
Das Oktoberfest ist zu Ende und allseits wird eine durch und durch erfolgreiche „Wiesn“ gefeiert. Mehr Besucher*innen, mehr Profit, weniger Taschendiebstähle und weniger „alkoholbedingte Ausfälle“ und alkoholvergiftete Jugendliche. Gestiegen ist jedoch die Zahl der gemeldeten Fälle von sexualisierter Gewalt. 73 Vorfälle wurden zur Anzeige gebracht, also durchschnittlich vier am Tag. Sechs Vergewaltigungen wurden gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, denn viele Betroffene sparen sich den Gang zur Polizei lieber. Das Risiko des Victim Blamings überwiegt häufig die Chance auf Aufklärung. Nur 8,4 % der angezeigten Vergewaltigungen führen zu einer Verurteilung des Täters (Zahlen von 2012, neuere Erhebungen konnte ich nicht finden.) Statt zur Polizei zu gehen, können sich Betroffene auch an den „Safe Space“ wenden, eine Einrichtung, die „die Sicherheit und das individuelle Sicherheitsgefühl“ für Besucher*innen des Oktoberfests verbessern will. Die Mitarbeiterinnen im Safe Space stellten in diesem Jahr einen Anstieg bei den Verdachtsfällen von K.-o.-Tropfen fest. Sexualisierte Gewalt scheint zum Markenkern der „Wiesn“ zu gehören. Manuela Soller, Sozialpädagogin von der Opferschutz-Initiative „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ spricht von einer „sexualisierte[n] Grundatmosphäre“, Eine Security-Mitarbeiterin, die anonym mit der Frankfurter Rundschau sprach, nannte den Umgang ihrer Kolleg*innen mit sexuellen Übergriffen „unterirdisch“ und der Sozialarbeiter Patrick Hey vom Präventionsprojekt „WiesnGentleman“ sagt, dass auf dem Oktoberfest „Alkohol und Enthemmung zentral sind“, sexualisierte Gewalt ist hier anscheinend ganz normal. Hey berichtet: „Es gibt Männer, die sich sagen, hier auf der Wiesn, darf ich übergriffig sein“. Statistiken scheinen das zu belegen: „Auf der Wiesn werden mehr Sexualstraftaten angezeigt als auf ähnlichen Volksfesten.“
Mittwoch, 4. Oktober
In der letzten Wahlkampfwoche vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern zog die AfD offenbar nochmal alle Register. Nachdem ihre Vorgänger*innen mit dem Reichstagsbrand 1933 recht erfolgreich waren, dachte sich die rechtsextreme Partei anscheinend, dass gefakte Angriffe und Opfermythos verlässlich Stimmen bringen. Und so lancierten gleich beide Parteivorsitzende, Alice Weidel und Tino Chrupalla, catchy Stories über angebliche Bedrohungen und Angriffe. Weidel, die einen Wahlkampfauftritt „aus Sicherheitsgründen“ abgesagt hatte, befand sich stattdessen im Urlaub auf Mallorca. Seitens der AfD wurde öffentlich behauptet, dass „sich die Hinweise verdichteten, dass auf sie ein Anschlag inklusive Familie geplant“ sei. Ja na klar, in dem Fall würde ich mich auch mit meinen Kindern in ein öffentliches Restaurant an einer Strandpromenade setzen. Tino Chrupallas Story ist währenddessen ein bisschen ausgefeilter. Der 48-jährige Rechtspopulist behauptet, es sei bei einem Wahlkampfauftritt am Mittwoch in Ingolstadt zu einem „tätlichen Vorfall“ gekommen. Chrupalla wurde ins Krankenhaus gebracht, wo laut AfD eine „Stichverletzung“ diagnostiziert worden sei. Er leide „darüber hinaus unter starken Schmerzen und Übelkeit“ und würde „intensivmedizinisch behandelt“. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft gibt es keinerlei Hinweise auf einen Angriff, berichtet die Tagesschau. Auch Chrupallas Personenschützern sei nichts aufgefallen.
Donnerstag, 5. Oktober
Eine Studie der Leibnitz Universität in Hannover belegt, wie struktureller Rassismus Sinti*zze und Rom*nja aus der niedersächsischen Landeshauptstadt vertreiben sollte. Romane Menschen seien „gezielt in teils menschenunwürdigen Unterkünften untergebracht oder immer wieder willkürlich umquartiert worden“, berichtet der NDR in Bezug auf die Studie. Weiterhin habe das Jobcenter Anträge von Rom*nja und Sint*zze „verloren“ und ihnen zustehende Dolmetscher*innen verweigert. In einem am Donnerstag im SPIEGEL veröffentlichten Interview sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay: „Die Erkenntnisse aus dieser Studie sind sehr bitter, ja, und ich finde das frustrierend. Rassismus und Antiziganismus sind Realität – auch in einer Stadt wie Hannover, auch in der Verwaltung. Eine wirkliche Überraschung ist das nicht, aber wir haben es nun schwarz auf weiß. Und darin liegt auch eine Chance.“ Die „Chance“, die Onay meint, besteht in einem lokalen „Integrations- und Teilhabeplan“, der u.a. „Beratungsangebote für Familien etwa in Gemeinschaftsunterkünften“ stärken soll, „damit alle Kinder einen Platz in einer passenden Kita oder Schule bekommen“. Außerdem soll für die „Menschen ein Dach überm Kopf“ sowie „Beratung und Unterstützung“ organisiert werden, so Onay. Don’t get me wrong, aber sollten die Studienergebnisse nicht viel mehr dazu anregen, den Rassismus der städtischen Mitarbeiter*innen abzubauen? Die Antworten des Oberbürgermeisters legen nahe, dass es hier um mangelnde „Teilhabe und Integration“ von romanen Menschen ginge, nicht etwa um den tiefsitzenden Rassismus der Gadje. Darauf angesprochen sagt Onay: „Hannover ist weltoffen und soll eine diskriminierungsfreie Stadt sein. Deshalb widerspricht ein solches Verhalten komplett unserem Grundverständnis.“ Konsequenzen für die Beschäftigten? Fehlanzeige: „disziplinarische Maßnahmen“ seien „vermutlich kaum möglich“.
Freitag, 6. Oktober
Die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die 51-Jährige, die derzeit im Evin-Gefängnis in Teheran sitzt, wurde wegen ihres Engagements bereits fünfmal zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt. Mohammadi erhält den Preis „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“, erklärte die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Berit Reiss-Andersen. Auch im Gefängnis ist Narges Mohammadi eine der schärfsten Kritiker*innen der iranischen Regierung geblieben, trotz mitunter schweren gesundheitlichen Problemen. Die New York Times zitiert aus einer schriftlichen Erklärung, die die inhaftierte Aktivistin herausgeben hat. Darin schreibt sie, dass sie weiter „an der Seite der tapferen Mütter des Irans […) gegen die unerbittliche Diskriminierung, Tyrannei und geschlechtsspezifische Unterdrückung durch die repressive religiöse Regierung kämpfen“ wird, „bis die Frauen befreit sind.“
Auch am Freitag
In Berlin wurde am Freitagabend ein Mehrgenerationenhaus für queere Menschen eröffnet – unter Polizeischutz. Der „Lebensort Vielfalt“ der Schwulenberatung Berlin in der Nähe des Südkreuzes in Schöneberg ist ein siebenstöckiges Haus mit 69 Wohnungen (ungefähr die Hälfte sind Sozialwohnungen), zwei therapeutischen Wohngemeinschaften für queere Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sowie einer Wohngemeinschaft für pflegebedürftige Menschen. Im Erdgeschoss befinden sich eine Beschäftigungstagesstätte für behinderte Menschen, ein Café, Beratungsräume der Schwulenberatung sowie zwei KiTas, die „gelbgrünen Panther“ und die „rosaroten Tiger“ für insgesamt 93 Kinder. Weil rechtsextreme Gruppen im Internet und mit Flyern dazu aufgerufen hatten, die Eröffnung zu stören, fand die Feier unter Polizeischutz statt. Auch die KiTas haben ein spezielles Sicherheitskonzept, da es immer wieder zu Drohungen kommt. Insbesondere die AfD und ihre rechtsextreme Jugendorganisation machen Stimmung gegen das Projekt.
Samstag, 7. Oktober
Die Hamas begann am Samstagmorgen damit, Tausende Raketen aus Gaza auf Israel abzufeuern. Gleichzeitig drangen bewaffnete Kämpfer an verschiedenen Orten auf israelisches Staatsgebiet vor, überfielen Zivilist*innen, verletzten, mordeten, entführten und präsentierten die Opfer teilweise auf Social Media. Im Kibbutz Re’im wurden Besuscher*innen eines Rave-Festivals überfallen. Israelischen Quellen zufolge sind dabei mindestens 250 Menschen getötet worden. Es ist grausam. Der rechtsextreme Ministerpräsident Israels Benjamin Netanyahu erklärte kurz darauf: „Bürger Israels, wir sind im Krieg.“ Und das israelische Militär begann sofort mit dem Gegenschlag. Die Opferzahlen auf „beiden Seiten“ steigen, es ist unmöglich, hier verlässliche Angaben zu finden, die nicht im nächsten Moment schon überholt sind. Und ich möchte mich auch nicht am Aufrechnen beteiligen. Ich hasse es, wie dieser Krieg, der nicht erst gestern begann, in den Sozialen Medien weitergeführt wird, wo auf der einen Seite die vom Iran unterstützen Terroristen der Hamas, die die vollständige Vernichtung Israels anstreben, als „Freiheitskämpfer“ verklärt werden, wo auf der anderen Seite die jahrelange Besatzung, die Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser*innen, deren Unterdrückung, Diskriminierung, Tötung ignoriert oder gar verleugnet werden. Wir können die neuerliche Eskalation nicht ohne die Geschichte der Region betrachten. Wer heute bestürzt ist, über den Terrorakt der Hamas, ist hoffentlich ebenso bestürzt über den jahrzehntelangen Terror der Besatzung und die Unterdrückung der Palästinenser in Gaza. Hier geht es nicht darum, sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, pro israelischer Staat oder pro Hamas. Wir können auf der Seite der betroffenen Menschen sein. Es geht auch nicht darum, festzustellen „wer angefangen hat“, wohl aber darum, was jetzt folgt. Die Hamas hat einen symbolischen Sieg errungen, in dem es ihr gelungen ist, Israel am Morgen des jüdischen Feiertags Simchat Tora zu überraschen und den massiven Grenzschutz teilweise zu überwinden. Die Unterdrückten in Gaza feiern einen minimalen Triumph des Moments. Doch die Feiernden scheint dabei weder das Leid der israelischen Zivilist*innen zu interessieren, noch das Leid, das unmittelbar auch für die Palästinenser*innen folgt. Netanyahu kündigt an: „Der Feind wird einen beispiellosen Preis zahlen“ und ich glaube ihm aufs Wort. Der Angriff der islamistischen Hamas hilft den Palästinenser*innen nicht, im Gegenteil. Ich habe Angst davor, was als nächstes passiert, doch meine Angst, die mit keinerlei persönlicher Betroffenheit einhergeht, ist zu vernachlässigen angesichts der Angst, die die Menschen in Gaza fühlen, die keinerlei Schutz haben vor den Bomben und den israelischen Soldat*innen. Sie ist auch nichts im Vergleich zu der Angst, die die Menschen in Israel haben, die sich zwar in Schutzkeller zurückziehen können, aber keineswegs in Sicherheit sind. Meine Angst ist auch nichts im Vergleich zu der Angst, die die Menschen im Ausland haben, die um die Sicherheit ihrer Angehörigen in der betroffenen Region fürchten und auch nichts im Vergleich zu der Angst, die die Jüdinnen*Juden weltweit, auch in Deutschland, haben, wenn sie dieser Tage religiöse Einrichtungen besuchen.
Sonntag, 8. Oktober
In Hessen und Bayern wurde heute ein neuer Landtag gewählt. Die ersten Hochrechnungen zeigen, dass in beiden Ländern die rechten bzw. rechtsextremen mehr als die Hälfte der Wählerstimmen gewinnen konnten, in Bayern gar 66,1 % laut erster Hochrechnung von 18:26 Uhr. Rassismus, Antisemitismus und der Hass auf Arme haben Konjunktur. Ich blicke mit Sorge auf die drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nächstes Jahr.
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