You are currently viewing Faschos stören!
Otto hat kein Bock auf TERFs (Foto: Celestine Hassenfratz)

Faschos stören!

Nancy Faeser macht den Seehofer, der DFB kuscht vor Katar, im Iran protestieren die Menschen für Selbstbestimmung, in Berlin demonstrieren TERF und SWERF dagegen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive #KW38.

Montag, 19. September

Auch diese Woche begann mit einem Femizid. In Aurich (Niedersachsen) wurde am Montag eine 20-Jährige offenbar von ihrem 27 Jahre alten Partner gewaltsam getötet. Die Ermittlungen dauern an.

Dienstag, 20. September

Am Dienstag war Weltkindertag, ein guter Anlass, um daran zu erinnern, dass in Deutschland mehr als jedes fünfte Kind „armutsgefährdet“ ist. 20,8 Prozent der Kinder leben „in Haushalten (…), die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung haben“, schreibt die Tagesschau. In einem der reichsten Länder der Welt haben Kinder unter sechs Jahren, deren Sorgeberechtigte mit Hartz IV leben, pro Tag 3,12 Euro für Essen und Trinken zur Verfügung. Kinder unter 14 Jahren müssen mit 4€ pro Tag zurechtkommen. Ich habe mal schnell nachgeguckt: Ein „Happy Meal“ bei McDonalds kostet 4,99 Euro. Nicht, dass ich das als gute Ernährung bezeichnen würde, es geht mir nur um die Relation. 4 Euro für Frühstück, Mittag-, Abendessen und Snacks. Kinderarmut ist in Deutschland politisch gewollt. Diese Aussage ist keineswegs radikal, sondern entspricht den nüchternen Tatsachen. Das Land hätte die Mittel, um dafür zu sorgen, dass kein Kind in Armut leben muss, aber es entscheidet sich dagegen.

https://twitter.com/BR24/status/1572114825198592000?s=20&t=EF-BMlqS1P6ThxmOSOCw7w

Mittwoch, 21. September

Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist das neueste Beispiel dafür, dass auch vermeintliche Antifaschist*innen Rassist*innen sein können. Was wurde gefeiert, als sie das Amt von Horst Seehofer übernahm. Endlich eine, die konsequent gegen Nazis eintritt! Tja, nee, Pustekuchen. Nazis sind nämlich immer die Anderen und ganz sicher nicht die eigenen Leute. Als oberste Dienstherrin der Polizei stellte sich Faeser am Mittwoch schützend vor den Cop, der in der Vorwoche bei einem Überfall auf eine syrische Familie die Mutter mit den Worten „Das ist mein Land und du bist hier Gast“ anschrie. (Letzter Wochenrückblick für Details!) „Das empfinde ich nicht als Rassismus“, sagte die SPD-Politikerin auf einer Pressekonferenz. Dass es Rassismus gibt, „auch in der Polizei“, leugnet Nancy Faeser zwar nicht, aber sie findet, dass man „auch verstehen“ müsse, „dass Polizeibeamtinnen und -beamten, wenn sie solche schweren Formen von Kriminalität auf der Straße erleben und dort durchgreifen, dass dann auch mal deutliche Sprache – das angesprochen wird.“ Die „schwere Form von Kriminalität“ war übrigens Öffi-Fahren ohne Ticket und „auf der Straße“ war das Schlafzimmer der Familie vor den Augen der drei Kinder.

Donnerstag, 22. September

Im Iran dauern die Proteste nach der Tötung von Zhina (Mahsa) Amini an. Tausende protestieren in Teheran und mindestens 14 weiteren Städten, vor allem auch in Ostkurdistan. Es sind die größten Proteste seit 2019 und das Regime geht mit massiver Gewalt gegen die Menschen vor. Am Donnerstag meldete die Menschenrechtsorganisation „Iran Human Rights“ 30 Todesopfer. Bei Fertigstellung des Wochenrückblicks stand die Zahl schon bei 54. Der freie Zugang zum Internet wurde massiv eingeschränkt. „Der Iran unterliegt den strengsten Internetbeschränkungen seit dem Massaker im November 2019“, erklärt die Beobachtungsstelle NetBlocks laut „Der Standard“. Auch in Deutschland gehen viele in Solidarität mit den Protestierenden im Iran auf die Straße und einige stellen ihren Internetzugang zur Verfügung, um den Menschen im Iran zu helfen, die staatliche Zensur zu umgehen. Wie auch ihr helfen könnt, erfahrt ihr hier. Während viele Iraner*innen und deren Nachfahren hierzulande in großer Angst um ihre Angehörigen sind, nutzen Rechtsextreme und andere Islamfeind*innen die schrecklichen Ereignisse für ihre rassistische Agenda. Doch wer nur für die Freiheit derjenigen kämpft, die zum Tragen des Kopftuchs gezwungen werden, nicht aber für die, denen es verboten wird (wie in Berlin zum Beispiel), der ist ein*e Heuchler*in. Umgekehrt übrigens genauso.

„Feminismus ist der Kampf um körperliche Selbstbestimmung. Menschen dazu zu zwingen, Hijab zu tragen, bedeutet Unterdrückung. Menschen nicht zu erlauben, Hijab zu tragen, wenn sie das wollen, ist genauso Unterdrückung. Wir lassen nicht zu, dass die feministischen Kämpfe im Iran dazu genutzt werden, islamophobes und rassistisches Gedankengut zu verbreiten.“

Nafas in their Redebeitrag am Samstag auf einer Kundgebung gegen trans*feindliche Hetze

Freitag, 23. September

Am Freitag hat die deutsche Fußballnationalmannschaft der Herren gegen die ungarische gespielt und verloren. Das freut vor allem rechte Hetzer*innen auf Twitter, da „die Ungarn“ im Gegensatz zu den Deutschen noch Nationalstolz hätten. Interessanter als das Spiel fand ich die Meldung, dass die DFB-Elf bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Katar (in deren Vorbereitung weit mehr als 6.500 ausländische Arbeiter*innen auf den Stadion-Baustellen gestorben sind) mal wieder „ein Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt“ setzen will. Dieses Symbol ist dieses Mal eine Kapitänsbinde, die im entferntesten Sinne „Regenbogenfarben“ enthält: „ein an die Regenbogenfahne angelehntes Herzsymbol, das verschiedenfarbige Streifen unklarer Bedeutung enthält. Dazu kommt die Aufschrift „One Love“ auf der ansonsten weißen Binde“, schreibt Queer.de. Es ist ein windelweicher Versuch, die reaktionären Gastgeber nicht zu verärgern, während man händeringend Wege sucht, die WM der Schande irgendwie positiv zu vermarkten. Homosexualität ist in Katar verboten, es drohen bis zu sieben Jahre Haft.

Samstag, 24. September

Am Samstag folgten rund 70 Frauen dem Aufruf von „Radfem Berlin“ und nahmen an einer Kundgebung gegen die Selbstbestimmung von trans* Personen und Sexarbeiter*innen im Spreebogenpark teil.  Die Versammlung war angemeldet unter dem Motto „Für die Zukunft der Frauen in Deutschland“, aber in einem Mobilisierungsvideo sagte eine der Organisatorinnen, Mitglied der trans*feindlichen Gruppe „Women’s Declaration International“ (WDI), die Wahrheit: „Es geht natürlich, was sonst, um das Selbstbestimmungsgesetz und den ganzen Gender-Wirrwarr-Unsinn, der in letzter Zeit besonders stark ausgeprägt ist.“ Seit die Bundesregierung angekündigt hat, das menschenunwürdige TSG („Transsexuellengesetz“) durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen, kocht der Hass gegen trans Personen auf höchster Stufe. Dabei kommt der Hass nicht nur von Rechtsextremen und erzkonservativen Fundamentalist*innen, sondern immer stärker auch von selbsternannten Feminist*innen. TERF (= Trans Exclusionary Radical Feminists) betreiben hasserfüllte Stimmungsmache gegen die Rechte von trans Personen. Sie bedienen sich dabei der bei Rechtsextremen beliebten Strategie des Opfer-Mythos, die es den TERFs erlaubt, ihre gewaltvollen Absichten als angebliche „Selbstverteidigung“ zu verschleiern. Auf der Kundgebung waren dementsprechend viele Transparente und Schilder zu sehen, die trans* Personen verächtlich machten oder ihre Existenz leugneten. Doch die Kundgebung richtete sich nicht allein gegen trans* Personen. Auch die Rechte von Sexarbeiter*innen werden von den selbsternannten Radikalfeministinnen angegriffen. Im Aufruf zur Kundgebung wurde die Einführung des „Nordischen Modells“ gefordert, was kurz gesagt die Sexarbeit kriminalisiert und Sexarbeiter*innen nicht nur die Existenzgrundlage entzieht, sondern die Arbeit auch unsicherer macht.

Weil wir die Lügen und die Hetze der reaktionären Transfeindinnen nicht unwidersprochen lassen wollten, organisierten wir (= Bündnis aus engagierten Einzelpersonen) eine Gegenkundgebung, zu der viele Menschen aus der Community (trans*, inter*, nicht binäre Personen und Sexarbeiter*innen) kamen und auch ein paar Allies. Wir waren mehr als auf der Hass-Kundgebung gegenüber, aber das Fehlen der großen Organisationen (LSVD, CSD Berlin) und der Berliner Linken, die sonst sofort am Start ist, wenn es Faschos zu stören gilt, war schon auffällig.

Auf unserer Seite gab es berührende und empowernde Redebeiträge, u.a. von Vertreter*innen von trans*sexworks, TransInterQueer e.V., dem Black Sexworker Collective, ZORA Berlin und Einzelpersonen wie u.a. der Youtuberin Unruly Juli und Nafas mit einer Rede zur aktuellen Situation von Frauen, nicht-binären und trans*maskulinen Personen im Iran. Nafas‘ Rede könnt ihr hier lesen.

Danke an Celestine Hassenfratz, dass du immer da bist, berichtest und vor allem für diese fantastischen Fotos, die den Vibe unserer Kundgebung super einfangen.

Auch am Samstag

In der ZEIT ist ein wichtiger Artikel von Vanessa E. Thompson und Daniel Loick erschienen. Die beiden Herausgebenden des Readers „Abolitionismus“ (Suhrkamp 2022) gehen darin der Frage nach, warum die zunehmende Polizeigewalt in Deutschland nur ein paar wenige Aktivist*innen zu interessieren scheint: „Indem den Opfern von Polizeigewalt signalisiert wird, dass das ihnen widerfahrene Unrecht unerheblich ist, werden sie einmal mehr aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Dies geschieht auch dadurch, dass sich die Mehrheitsgesellschaft selbst in Fällen drastischer Polizeigewalt häufig intuitiv zunächst mit der polizeilichen Perspektive identifiziert als mit der der Betroffenen.“

Sonntag, 25. September

Ich habe den heutigen Sonntag ziemlich erschöpft im Bett verbracht. Das Planen, Organisieren und moderieren einer Kundgebung, vor allem relativ spontan, hat mich mehr geschlaucht, als ich erwartet habe. Bei aller Freude über die schöne Atmosphäre, die das Orga-Team, die Redner*innen und auch die Teilnehmenden geschaffen haben, trotz des unschönen Anlasses, fühle ich mich heute noch immer wütend und auch ein bisschen hilflos. Wie oft müssen wir noch erklären, dass ein Großteil derer, die sich Radikalfeminist*innen nennen, gewaltvolle, teils faschistische Ideen verbreiten? Dass sie gefährlich sind und den antifeministischen Backlash auch in Deutschland vorantreiben? Dass es nicht sicher ist für trans*, nicht-binäre und inter* Personen der Hetze entgegenzutreten? Wieso hören uns Angehörige der endo cis Mehrheitsgesellschaft noch immer kaum zu, wenn wir auf den Hass von TERF und SWERF aufmerksam machen? Wieso werden wir allein gelassen, auch von denen, die wir lange als Verbündete gesehen haben? (Schwule und Lesben sowie weiße deutsche Antifaschist*innen.) Wann erkennt ihr endlich, dass es hier nicht um ein „Nischenthema“ geht und dass die reaktionären Kräfte nicht bei trans* Personen und Sexarbeiter*innen aufhören werden, sondern sich nur – wie so oft in der Geschichte – die Schwächsten, Marginalisiertesten, zuerst vornehmen?

Im heutigen Newsletter habe ich noch ein paar Gedanken dazu aufgeschrieben, wenn Du ihn noch nicht abonniert hast: hier entlang! Er kostet nichts und kommt jeden Sonntag.

Achso, in Berlin ist heute übrigens Marathon. Glückwunsch an Eliud Kipchoge fürs Schlagen des eigenen Weltrekords und ans Lower Class Mag für diesen Tweet:

Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.

Schreibe einen Kommentar