Patriarchale Gewalt ist ein globales Problem und auch die Zahlen für Deutschland lassen daran keinen Zweifel, in Köln und Stuttgart machten Polizisten Negativschlagzeilen und an der Hochschule Emden/Leer treibt ein AfD-Prof sein Unwesen. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW47
Montag, 22. November
Die Tagesschau meldete am Montag, dass mehrere Kölner Polizisten vom Dienst suspendiert wurden, weil gegen sie im Zusammenhang mit dem Tod eines 59-jährigen Mannes, Gaetano B., ermittelt wird. Die Polizeibeamten im Alter zwischen 24 und 40 Jahren sollen sich in Chats „dazu verabredet haben […] bei Einsätzen mit übermäßiger Gewalt gegen Beschuldigte“ vorzugehen. Im konkreten Fall soll sich der 59-Jährige im Kölner Stadtteil Bickendorf bei einem Einsatz wegen Fahrerflucht eingemischt haben. Die Polizisten sollen gegen den aus Italien stammenden Mann gewalttätig geworden sein, sodass dieser zur Behandlung ins Krankenhaus musste, wo er nach zweiwöchigem Aufenthalt verstarb. NRW-Innenminister Herbert Reul nannte die Chats der Polizisten „schockierend“. Wie die Tagesschau meldet, besteht der Verdacht, „dass die Beamten bei Einsätzen Widerstand provoziert haben, um gezielt Gewalt anwenden zu können“.
Die Initiative „Köln Gegen Rechts“ zitiert aus den Chats: Einer habe „dem Türken gestern einen Kick gegeben“, schrieb „Schicke Dir morgen mal Bilder von seiner Fresse“ und es gab Verabredungen z.B. zur nächsten Dienstfahrt, bei der „nehmen wir auf jeden Fall jemanden fest und machen jemanden kaputt“. Einer der Beschuldigten ist ein 40-jähriger Polizist, der bereits 12(!) Verfahren wegen Körperverletzungen im Amt hinter sich hat. Alle wurden eingestellt.
Auch am Montag
Am Montag wurde eine neue Folge des „Diskutabel“ Podcasts veröffentlicht. Der Journalist Oliver Rautenberg ist darin zu Gast und spricht über Anthroposophie und Rudolf Steiner. Wenn ihr noch nicht wisst, was das Problem mit Demeter, Weleda, „alternativer“ Medizin und Waldorfschulen ist, hört unbedingt diese Folge und besucht Rautenbergs Blog, der dieses Jahr für den Grimme Online Award nominiert war.
Dienstag, 23. November
Am 23. November 1992 warfen der damals 19-jährige Lars Christiansen und der 25-jährige Michael Peters Brandsätze in zwei Häuser in der Ratzeburger Straße und der Mühlenstraße in Mölln. In beiden Häuser wohnen türkische Familien. Die die zehn Jahre alte Yeliz Arslan und die 14-jährige Ayse Yilmaz sowie die 51-jährige Bahide Arslan sterben. Neun Menschen werden schwer verletzt. Die Tat geschah nicht im luftleeren Raum. Seit Jahren kochte der Rassismus vieler Deutscher hoch, Brandanschläge ereigneten sich u.a. in Rostock, Saarlouis und Hoyerswerda (alle 1991). Die beiden Täter aus Mölln waren für ihre rechtsextreme Gesinnung in der Stadt bekannt. Beide kamen nach nur wenigen Jahren in Haft wieder auf freien Fuß. Christiansen wurde 2000, Peters 2007 aus dem Gefängnis entlassen.
Nochmal Dienstag
Am Dienstag wurden die Zahlen zur Partnerschaftsgewalt im Jahr 2020 vorgestellt. Die Auswertung des Bundeskriminalamts ergab, dass im vergangenen Jahr mehr als 148.000 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. 80,5 Prozent davon sind Frauen. Die sogenannte „Häusliche Gewalt“ stieg damit um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 359 Frauen wurden 2020 Opfer von versuchten bzw. vollendeten Tötungsdelikten. 139 Frauen wurden durch einen Partner oder Expartner getötet (Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge; 2019 waren es 117). Im Jahr 2020 wurden insgesamt 6.571 Tatverdächtige von Straftaten nach § 4 Gewaltschutzgesetz registriert, davon 92,6 % Männer (6.087) und 7,4 % Frauen (484). Obwohl die Tatverdächtigen zu knapp 93 Prozent männlich sind, sprechen wir von „häuslicher Gewalt“, als würde das Haus zuschlagen und nicht der Mann. Es wird dringend Zeit, dass wir aufhören, nur über die Opfer zu sprechen. Klar braucht es mehr Geld für Gewaltschutzeinrichtungen und gerade auch im Ländlichen Raum mehr Anlaufstellen.
Aber indem wir den Blick nur auf die (weiblichen) Opfer richten, versäumen wir die notwendige Betrachtung der Täter*innenschaft. Männliche Gewalt ist ein strukturelles Problem. Und auch wenn es im ersten Moment irritieren mag: Die hegemoniale (manchmal auch als „toxisch“ bezeichnete) Männlichkeit trägt dazu bei, dass wir auch die Gewalt, die von Frauen ausgeht, nicht sehen oder verharmlosen. Für Männer ist es im Patriarchat ungleich schwieriger einzugestehen, Opfer (geworden) zu sein. Ein Mann, der von (s)einer Frau geschlagen wird, gilt viel zu oft als „Weichei“, als einer „der unterm Pantoffel steht“. Gewalt durch die Partnerin ausgesetzt zu sein, ist immer noch ein extremes Tabuthema unter Männern. Es sind zudem die tiefverwurzelten Bilder der Frau als Opfer, als sanftes Wesen ohne jede aggressive Regung, die es uns schwer machen, weibliche Täterinnenschaft anzuerkennen. Ann-Kristin Tlusty hat in ihrem gerade erschienenen Buch „Süss“ darauf aufmerksam gemacht, dass diese Verklärung von Weiblichkeit u.a. dazu beitrug, dass „auch Beate Zschäpe in diversen Darstellungen bloß eine begriffsstutzige, unschuldige Mithelferin“ galt.
Versteht mich bitte nicht falsch: In den allermeisten Fällen geht die Gewalt in heterosexuellen Partnerschaften vom Mann aus. Dass eine Frau versucht, ihren (Ex-)Partner zu töten oder dies erfolgreich tut, ist absolut selten. Und doch: es passiert. Und die popkulturelle Verharmlosung von weiblicher Gewalt in hetero Beziehungen, wie die berühmte „schallende Ohrfeige“ ist mit meinem Verständnis von Feminismus unvereinbar.
Mittwoch, 24. November
Am Mittwoch wurde der Koalitionsvertrag vorgestellt. Ich habe angefangen, ihn im Rahmen des Wochenrückblicks zu besprechen, aber es hat schnell den Rahmen gesprengt. Ihr könnt meine Bewertung hier nachlesen.
Während die zukünftige Bundesregierung im Koalitionsvertrag erklärte, auch zukünftig auf Abschottung der Festung Europa zu setzen, sind am Mittwoch mindestens 27 Menschen im Ärmelkanal ertrunken, darunter fünf Frauen und ein kleines Mädchen.
Auch am Mittwoch
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat am Mittwoch bestätigt, dass es „einen Anfangsverdacht“ gegen einen ranghohen Polizeibeamten im Baden-Württembergischen Innenministerium gibt und die Ermittlungen aufgenommen wurden. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung hat eine Polizistin im Landespolizeipräsidium gemeldet, dass der Inspekteur der Polizei, Andreas Renner, „sie zu sexuellen Handlungen aufgefordert und Druck auf sie ausgeübt, da er über ihre weitere Karriere zu entscheiden habe“. Die Landespolizeipräsidentin in Baden-Württemberg hatte den Inspekteur suspendiert und die Ermittlungsbehörden informiert.
Donnerstag, 25. November
Der 25. November ist „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“. Seit 1981 wird anlässlich dieses Datums weltweit auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Im Jahr 1999 machten die UN den 25. November offiziell zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Das Datum ist nicht zufällig. Es ist das Todesdatum der Schwestern Mirabal, die in der Dominikanischen Republik gegen die Diktatur kämpften und nach ihrer Festnahme monatelang gefoltert und am 25. November 1960 getötet wurden.
Gewalt gegen Frauen gehört zu den am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen weltweit. Die UN gehen davon aus, dass über jede dritte Frau mindestens einmal im Leben Opfer sexualisierter oder physischer Gewalt wird. „Formen von Gewalt gegen cis und trans Frauen, Mädchen und nicht binäre Menschen sind vielfältig“, schreibt UN Women: „Die wohl am stärksten verbreitete Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist partnerschaftliche Gewalt – allein vergangenes Jahr litten weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen unter Partnerschaftsgewalt.“ Wir wissen ziemlich genau Bescheid über das Ausmaß der Gewalt, es gibt unzählige Studien dazu. Trotzdem erfährt der Gewaltschutz weltweit immer wieder Rückschläge, wie bspw. in der Türkei, die dieses Jahr die Istanbul-Konvention verlassen hat, also den völkerrechtlichen Vertrag zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Auch in Deutschland wird das Thema immer noch vielfach bagatellisiert. Das zeigt sich auch daran, dass die Thematik bei „Familienministerium“ angesiedelt ist und nicht etwa, beim für Kriminalität zuständigen Innenministerium. Die Politik rühmt sich gern damit, am 25. November Gebäude orange anzustrahlen, aber ist nicht mal in der Lage, das Problem intersektional zu betrachten. Denn auch wenn häusliche bzw. Partnerschaftsgewalt etwas ist, das alle Frauen betrifft, sind bspw. behinderte Frauen um ein Vielfaches häufiger betroffen. Auch trans Frauen werden selten mitgedacht, wenn es um Gewaltschutz geht. In vielen sogenannten „Frauenhäusern“ wird ihnen nach wie vor der Zugang verweigert. Nicht-binäre Personen und trans Männer, die ebenfalls Opfer männlicher, patriarchaler Gewalt werden, sind sowieso weitestgehend unsichtbar, bzw. werden unsichtbar gemacht.
Freitag, 26. November
Eigentlich hätte am Freitagvormittag am Hamburger Landgericht der Prozess gegen Bjeen Alhassan stattfinden sollen. Die 29-jährigen Kurdin, die in Emden ihren Master in Business Management gemacht hat, wurde von ihrem ehemaligen Hochschulprofessor wegen „Rufschädigung“ auf 25.000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Der Professor ist Reiner Osbild, der nicht nur die Masterarbeit von Bjeen Alhassan betreut hat, sondern auch Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Ostfriesland ist. Bjeen Alhassa, die in Rojava (Nordsyrien) aufwuchs und seit 2014 in Deutschland lebt, bekam 2019 für ihr Engagement für geflüchtete Frauen mit dem Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin verliehen. In Interviews im Zusammenhang mit der Auszeichnung berichtete sie davon, welchen Diskriminierungen sie an der Hochschule und insbesondere durch Reiner Osbild ausgesetzt war. Sie erzählte der taz, dass Osbild noch während der Betreuung ihrer Masterarbeit stets sagte, es sei „alles super“, um sie dann im Kolloquium auflaufen zu lassen. Er stellte ihr ein Ultimatum und bot ihr an, entweder eine 4.0 zu akzeptieren (die schlechteste Note) oder durchzufallen und die Arbeit zu wiederholen. Bjeen Alhassan hatte da schon ihren Umzug nach Bayern für ein Praktikum geplant und keine Möglichkeit, die Arbeit zu wiederholen. Nur weil ihre Noten zuvor allesamt gut gewesen waren, konnte sie das Studium trotz der Masterarbeit noch mit 2,3 abschließen.
Reiner Osbild wehrte sich juristisch gegen die Aussagen seiner ehemaligen Studentin und verklagte sie. Er erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen sie, sodass die taz einen Satz aus dem Interview entfernen musste. Reiner Osbild, der nach wie vor eine Professur an der Hochschule Emden/Leer innehat, ist schon häufiger durch rassistische Äußerungen in Erscheinung getreten. 2017 nannte er die Aufnahme von Geflüchteten einen „satanischen Generalangriff“ auf das Christentum. Osbild, der auch im Vorstand der rechtsextremen Desiderius Erasmus Stiftung sitzt, las 2019 auf Youtube aus dem Buch „Alles Einzelfälle“ des (verstorbenen) Rassisten, „Ufologen“ und rechtsextremen Verschwörungstheoretiker Udo Ulfkotte, das bei „Antaios“ erschienen ist, dem Verlag des Faschisten Götz Kubitschek.
Nun wurde der Prozess kurzfristig verlegt. Für Bjeen Alhassan bleibt die belastende Situation also weiterhin bestehen. Wer möchte und finanziell in der Lage ist, kann Bjeen Alhassan bei den Prozesskosten unterstützen. Das Spendenkonto findet ihr hier.
Samstag, 27. November
Am Samstag wurden die ersten Fälle der neuesten Mutation des Coronavirus, die Omicron-Variante, nachgewiesen. Ein Fest für die noch amtierende Bundesregierung, die so vom eigenen Totalversagen ablenken und mit dem Finger „nach Afrika“ zeigen können. Während die Vorsitzende des südafrikanischen Ärzteverbands, Angélique Coetzee, zur BBC sagte, dass die bisher festgestellten Fälle nicht schwerwiegend seien, lässt es sich hierzulande wunderbar Stimmung mit der „südafrikanischen Variante“ machen. Man kann es einfach so aussehen lassen, als seien „Reiserückkehrer*innen“ Schuld an den aktuell hohen Fallzahlen und nicht etwa das katastrophale Krisenmanagement der Großen Koalition.
Sonntag, 28. November
Die Woche war lang, der Wochenrückblick auch. Daher auch diesen Sonntag wieder knapp: Macht’s gut, lasst euch boostern und refugees welcome!