In Deutschland hat Frauenschlagen Tradition, auf Borkum wird daraus ein Fest, die Haushaltskürzungen bedrohen die Demokratie und in Mecklenburg-Vorpommern wird ein schwules Paar vom lokalen Rockerclub terrorisiert. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW48
Montag, 25. November
Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung der Gewalt an Frauen und ich bin es so leid, immer wieder das selbe zu sagen, bzw. zu schreiben. Über 900 Opfer versuchter oder vollendeter Femizide gab es 2023 in Deutschland. Der gefährlichste Ort für eine Frau ist das eigene Zuhause. Alle 4 Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Laut kriminalstatistischer Auswertung des BKA waren 132.966 Frauen und 34.899 Männer im letzten Jahr 2023 von Gewalt in einer Partnerschaft betroffen. Die Zahl der erfassten Opfer ist in den letzten fünf Jahren um 17,5 % angestiegen und hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Wir wissen das alles. Und doch passiert: Nichts. Man kann es nicht anders sagen, als dass Gewalt gegen Frauen (und alle, die als Frauen kategorisiert werden), politisch gewollt ist. Denn es gibt Strategien, die die Gewalt bekämpfen könnten, die Zahlen eindämmen, Prävention schaffen und den Betroffenen Schutz bieten würden. Deutschland hat die Istanbul-Konvention ratifiziert, setzt vieles jedoch einfach nicht oder unzureichend um. Häusliche Gewalt, also Taten im sogenannten sozialen Nahraum, werden meist deutlich geringer bestraft als dieselben Delikte im öffentlichen Raum, da die Gerichte eine Beziehung zwischen Täter und Opfer als strafmildernd ansehen. Wann Generalstreik?
Dienstag, 26. November
Am Dienstag veröffentlichte das ARD-Magazin Panorama einen Beitrag über das Fest des „Klassohm“ auf Borkum. Ein regionaler Brauch, der darin besteht, dass am Abend des 5. Dezember verkleidete Jungen und Männer über die Insel ziehen und Jagd auf junge Frauen machen, um sie mit Kuhhörnern zu verprügeln. „Tradition“ sei das und ein „identitätsstiftendes Fest“. Die Mädchen und Frauen, die von den „Fängern“ erwischt und vom Klaasohm auf den Hintern geschlagen werden, haben teils schwere Hämatome, können tagelang nicht sitzen. Der Panorama-Bericht zog bundesweites Entsetzen nach sich und die Veranstalter, die „Borkumer Jungens“, kündigten an, dieses Jahr ohne Gewaltorgie feiern zu wollen: „Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner.“ Damit sind viele Borkumer*innen offenbar nicht einverstanden. Am Wochenende veranstalteten rund 200 Frauen auf der Insel eine Demonstration unter dem Motto „Wir lassen uns das Klaasohmfest nicht kaputt machen“. Hurra, Patriarchat.
Mittwoch, 27. November
Am Mittwoch häuften sich die Meldungen über ein Aufflammen des Krieges in Syrien. Im Nordwesten des Landes sollen Dschihadisten-Milizen überraschend syrische Truppen angegriffen haben, woraufhin Assad mit russischer Unterstützung zurückgeschlagen haben soll. Mehr als 200 Menschen sollen getötet worden sein, darunter Zivilist*innen. „Die Kämpfe stellen die heftigsten Zusammenstöße seit Vereinbarung einer Waffenruhe im März 2020 in dem Gebiet dar, in dem die größtenteils von den Regierungstruppen kontrollierte Provinz Aleppo an die von Dschihadisten gehaltenen Region Idlib grenzt“, heißt es auf Tagesschau.de. Dort gibt es auch ein FAQ, falls ihr einen kleinen Crashkurs zur aktuellen Situation in Syrien braucht. Der syrische Journalist und Reporter Raja Khadour schrieb diese Woche auf Instagram: „Einige erleben gerade die Freilassung ihrer Angehörigen aus Assads Foltergefängnissen und sehen sie zum ersten Mal nach über einem Jahrzehnt. Es gibt Menschen, deren gesamte Existenz auf dem Spiel steht – darunter vor allem christliche, assyrische, armenische und kurdische Menschen. Es gibt Menschen, die jetzt fliehen und ihre Wohnugen zurücklassen. Russische und Regimes Kampfflugzeuge bombardieren Teile von Aleppo und töten Zivilisten. Sicher ist: Ein Leben in Freiheit und Sicherheit ist nicht möglich unter Assad & seinen Verbündeten. Ein Leben in Freiheit und Sicherheit ist nicht möglich unter Islamisten wie Hayat Tahrir al-Sham (ehem. Al-Nusra- Front). Ein Leben in Freiheit und Sicherheit ist nicht möglich unter von der Türkei und Iran unterstützten Milizen. Wenn ihr etwas dazu lest oder schreibt, schließt in euren Gedanken die Menschen ein, die in den letzten Jahren – und weit darüber hinaus – Unterdrückung, Folter, Verhaftungen, Bombardierungen, Vertreibung, und Auslöschung erlebt haben. Stellt sie in den Mittelpunkt.“
Donnerstag, 28. November
Die Kampagne für ein AfD-Verbotsverfahren läuft. Nachdem Mitte November eine Gruppe von über 100 Bundestagsabgeordneten einen Antrag zur Eröffnung eines Verbotsverfahrens gegen die rechtsextreme Partei eingebracht hatte, haben sich am Donnerstag 17 Verfassungsrechtler*innen und Professor*innen verschiedener Hochschulen mit einem Schreiben an den Innen- und Rechtsausschuss gewandt, in dem sie feststellen, dass das Verfahren aus juristischer Sicht „Aussicht auf Erfolg“ habe. Die AfD sei „nachgerade der prototypische Fall einer Partei, durch die die spezifischen Mechanismen der grundgesetzlichen wehrhaften Demokratie aktiviert werden“ sollten, heißt es in bestem Juristensprech. Einer der 17 Unterzeichner, Matthias Goldmann, erklärte im Interview mit der taz, warum ein Verbotsverfahren knifflig ist: „Die AfD hat eine Brückenfunktion. Sie verbindet ein eindeutig rechtsradikales, völkisches Milieu mit Wirtschaftsliberalen und mit nationalkonservativen Kräften, die sich vielleicht irgendwann mal in der CDU gefunden haben. So kann die Partei immer mit gespaltener Zunge reden. Das ist nie eindeutig. Die Rechtsprechung sagt aber, die Partei als Ganzes, in einer Gesamtbetrachtung, muss darauf ausgerichtet sein, die Verfassungsordnung umzustürzen oder zu beeinträchtigen. Das lässt sich bei einer Partei, die als Teil ihrer DNA ambivalent ist, nur schwierig feststellen, auch wenn sich in letzter Zeit die völkischen, ethnonationalistischen Äußerungen häufen.“ Trotzdem glauben er und seine 16 Kolleg*innen, die durchaus kontroverse politische Meinungen vertreten, dass ein Parteiverbot aus juristischer Perspektive klappen kann, und liefern mit der Stellungnahme eine Materialsammlung, die die Verfassungswidrigkeit der AfD belegen sollen. Ob es in der Praxis tatsächlich zum Verbot kommt, hängt von mehr als nur juristischen Fragen ab. Matthias Goldmann findet, dass es den Versuch unbedingt wert ist: „Entweder du machst jetzt – oder es wird alles nur schlimmer.“
Freitag, 29. November
In Italien haben die Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen, um gegen die Sparmaßnahmen der rechtsextremen Regierung von Giorgia Meloni zu protestieren. Der Streik legte den öffentlichen Sektor am Freitag quasi lahm: In Kliniken und Schulen, bei der Post und an den Autobahn-Mautstellen sowie im öffentlichen Nahverkehr und an den Flughäfen wurde die Arbeit niedergelegt. Die Gewerkschaften fordern mehr soziale Gerechtigkeit, höhere Löhne und Renten sowie mehr Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen, statt massive Kürzungen zur Sanierung des Staatshaushalts. „Schuldenbremse über alles“ ist auch das Credo der rechtsaußen Koalition in Rom, doch die Italiener*innen leisten Widerstand. In Deutschland können wir vom Generalstreik nur träumen, aber immerhin regt sich hier auch etwas. In Berlin haben am Freitag rund 2.500 Menschen gegen die Kürzungspläne des Senats im Kulturbereich demonstriert. Zum „Trauermarsch“ hatte u.a. der Berufsverband Bildender Künstler Berlin (BKK). 130 Millionen will die CDU-geführte Regierung nächstes Jahr im Kunst- und Kultursektor einsparen, 12 Prozent vom Haushalt des Vorjahrs. „Diese Kürzungsvorhaben bedeuten eine komplette Zerstörung der vielfältigen und diversen Kulturszene Berlins und der international renommierten Infrastruktur zur Kunstproduktion“, heißt es in einer Presseerklärung des BKK Berlin. Aber nicht nur die Kulturszene Berlins ist von der Sparpolitik betroffen. Auch bundesweit gibt es massive Kürzungen, u.a. im sozialen Bereich. Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra) hat sich diese Woche mit einem Offenen Brief an die Bundesregierung gewandt, „um auf eine Krise hinzuweisen, die unmittelbare und weitreichende Folgen für die Existenz von DaMigra, unsere Standorte und vor allem für geflüchtete und migrierte Frauen in Deutschland haben wird“. Ich frage nochmal: Wann Generalstreik in Deutschland?
Samstag, 30. November
Immer wieder höre ich Menschen Sachen sagen wie: „Heutzutage ist Schwulsein ja kein Thema mehr“ oder so ähnlich. Aber nur weil mittlerweile mehr geoutete Homosexuelle in der Öffentlichkeit stehen, haben sich Bedrohung und Hass nicht einfach in Luft aufgelöst. Am Samstag erschien im Tagesspiegel ein Artikel über ein Ehepaar, Klaus Meyer und Eric Cabri, das aus Berlin nach Altwarp in Mecklenburg-Vorpommern gezogen ist. Von Anfang an wurden Meyer und Cabri von Mitgliedern des lokalen, offenbar rechtsextremen Motorradclubs bedroht, belästigt und schließlich auch überfallen und körperlich angegriffen. Der Präsident der „Riding Skulls“, Mirko D., schlug und trat Cabri mehrfach gegen den Kopf. „Ich dachte, er will mich ermorden“, sagt das Opfer. Beim Prozess wird eine der Chatnachrichten der Biker zitiert, die darauf schließen lässt, dass der Überfall länger geplant war: „Wir müssen nach einer endgültigen Lösung finden“, heißt es da. Mirko D. wird zu einem Jahr auf Bewährung und 3000 Euro Entschädigung an Eric Cabri verurteilt. Sein Anwalt nannte das Ehepaar „Paradiesvögel“. Für den Bürgermeister von Altwarp sind die Angriffe auf das Ehepaar „eine private Auseinandersetzung“, die nicht „im Zusammenhang mit den Vereinsaktivitäten des Vereins Riding Sculls“ stehe. Keine einzige Person aus dem Dorf habe sich nach dem Überfall bei Eric Cabri gemeldet, mit Ausnahme anderer Zugezogener. Stattdessen habe das Paar einen Brief erhalten, in dem ein Nachbar schrieb: „„Ihr habt euch alle Sympathien im Dorf verspielt, ich möchte kein Teil eurer Kampagne sein“. Klaus Meyer sagt: „Diejenigen, die auf die Missstände hinweisen, sind die Schuldigen (…) Es ist so wie immer.“
Sonntag, 1. Dezember
Der 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag und ein guter Anlass, um daran zu erinnern, dass Pharmakonzerne einen Haufen Geld mit HIV-Positiven verdienen, anstatt das von den UN angestrebte Ziel, Aids bis 2030 als Gesundheitsgefahr beseitigen zu können, zu unterstützen. Die Medikamente zur Prävention und Behandlung sind teuer und für viele Menschen unerschwinglich. Die hohen Preise nennt UNAIDS ein „zentrales Hindernis“ im Kampf gegen die Krankheit. Seit mehr als 30 Jahren wird am Welt-Aids-Tag auf die Situation der Betroffenen aufmerksam gemacht, dieses Jahr unter dem Motto „Take the rights path: My health, my right!”. Weltweit leben rund 40 Millionen HIV-positive Menschen, viele von ihnen noch immer ohne Zugang zu adäquater medizinsicher Versorgung. Immerhin: Die Zahl der Menschen, die jährlich an Aids sterben, sinkt. 2023 wurden 630.000 Verstorbene registriert, so wenig wie nie; vor 20 Jahren waren es noch 2,1 Millionen Tote jährlich. „Trotz enormer Fortschritte bei der HIV-Bekämpfung hindern Menschenrechtsverletzungen die Welt immer noch daran, Aids zu beenden“, erklärte Winnie Byanyima, UNAIDS-Exekutivdirektorin. „Wenn Mädchen Bildung verweigert wird, wenn geschlechtsspezifische Gewalt straffrei bleibt, wenn Menschen wegen ihrer Person oder ihrer Liebe verhaftet werden können, wenn der Besuch von Gesundheitsdiensten für Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft gefährlich ist, dann führt dies dazu, dass Menschen der lebensrettende Zugang zu HIV-Diensten verwehrt wird. Um die Gesundheit aller zu schützen, müssen wir die Rechte aller schützen.“
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