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Enissa Amani geht für ihre Überzeugung in den Knast. (Illustration von mir.)

Urteile und Undinge

Enissa Amani muss bald ins Gefängnis, ein Schweizer Richter findet eine Vergewaltigung „mild“ und in Bayern wurde eine Schwurbel-Akademie gegründet, die sich ausgerechnet nach Hannah Arend benannt hat. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW46

Montag, 15. November

Und wieder beginnt der Wochenrückblick mit einem grausamen Femizid und Infantizid. Einsatzkräfte der Wasserschutzpolizei Köln haben am Montagmorgen die Leiche einer 24-jährigen Frau am Niehler Hafen aus dem Wasser geborgen. Die Verletzungen der Toten weisen auf ein Gewaltverbrechen hin. Tatverdächtig ist der 24-jährige Ex-Freund der Getöteten, der festgenommen wurde. Der 4-jährige Sohn der Getöteten galt zunächst als vermisst. Am Morgen des 16. Novembers fanden Spaziergänger*innen die Leiche des Jungen am Rheinufer.

Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann (s)eine Frau zu töten, jeden dritten Tag gelingt es. Im Jahr 2020 wurden 139 Frauen getötet. Der Tötung geht häufig eine lange Phase von psychischer und physischer Gewalt voraus. Männliches Besitzdenken, dass häufig als „Eifersucht“ normalisiert wird, ist oftmals der Grund für einen Femizid. Insbesondere in der Zeit nach der Trennung ist es für Frauen besonders gefährlich. „In dem Augenblick, wo die Frau sich aus der Kontrolle löst und es sicher ist, dass dem Mann die Felle wegschwimmen, dann wird die Entscheidung gefällt zu töten. Es sind extrem selten Spontanhandlungen und extrem häufig geplante Taten“, sagt Monika Schröttle vom European Observatory on Femicide.

Dienstag, 16. November

Gegen Enissa Amani wurde Haftbefehl erlassen, weil sie sich weigert, eine verhängte Geldstrafe in Höhe von 1.800 Euro zu bezahlen. Enissa Amani, erfolgreiche Komikerin mit einer Millionen Follower*innen auf Instagram, hatte 2019 den AfD-Politiker Andreas Winhart als „Idiot“ und „Bastard“ bezeichnet, nachdem dieser bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bayern Albaner*innen als „Diebe“ und Schwarze Menschen (für die er das rassistische N-Wort benutzte) als „krank“ verunglimpft und behauptet hatte, „Flüchtlinge“ seien schuld an HIV-, Krätze- und Tuberkulose-Fällen in seinem Landkreis. Die Ermittlungen gegen Winhart, der wegen Volksverhetzung angezeigt wurde, wurden schnell fallengelassen. Die Staatsanwaltschaft in Traunstein sah die Aussagen des ehemaligen CSU-Mitglieds nicht als volksverhetzend an, es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass sich Andreas Winhart für eine gesundheitspolitische Maßnahme aussprechen wollte“. (CN für die Quelle: Verwendung rassistischer Sprache.)

Enissa Amani bestreitet keineswegs, dass ihre Aussagen über Winhart, der zwischenzeitlich vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, beleidigend waren: „Dass ich bestraft wurde, finde ich genau richtig“, sagte die 37-Jährige zum Stern. „Aber dass er dagegen für so eine wahnsinnig gefährliche Aussage komplett straffrei in jeder Form davonkommt, ist ein Unding. Und darauf möchte ich aufmerksam machen.“

https://twitter.com/Katapultmagazin/status/1460640565884821514?s=20

Mittwoch, 17. November

Ein Gericht in der Schweizer Stadt Olten (Kanton Solothurn) sorgte diese Woche mit einem Urteilsspruch für Empörung. Das Amtsgericht Olten-Gösgen verurteilte einen Mann wegen Vergewaltigung „zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe“ von 28 Monaten, ein Jahr muss er ins Gefängnis, „auf den Rest steht eine Probezeit von drei Jahren“. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Haft gefordert. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der damals 24-Jährige das damals 17 Jahre alte Opfer in einem Hotelzimmer vergewaltigt hat. Weil die Tat aber „nur kurz gedauert“ hätte und „mit dem Minimum an nötiger Gewalt begangen worden“ sei. Der Täter „habe ihre Handgelenke fest umklammert, sie auf das Bett gedrückt und ihre Hose runtergezogen. Dann sei er gegen ihren Willen ungeschützt in sie eingedrungen“, heißt es im Pressebericht. Laut Richter eine „relativ milde Vergewaltigung“.

Donnerstag, 18. November

Es ist so absurd: Rechtsoffene Wissenschaftsverweigerer*innen und schwurbelnde Verschwörungsgläubige haben eine „Akademie“ gegründet, die sie ausgerechnet nach der jüdischen Philosophin Hannah Arendt benannten. Die „Hannah Arendt Akademie der Denker“ bietet zahlenden Kund*innen ein „Studium Generale“ an. Die Dozent*innen sind „frei von jeder Einschränkung – seien es politische, religiöse oder gesellschaftliche Ideologien“ und „Sprachregulationen im Sinne der ‚Political Correctness‘ werden kategorisch abgelehnt“. Laut der taz sind die Lehrenden überwiegend jene, „die sich mit extremem Misstrauen gegen alle Maßnahmen zur Eindämmung der Corona­pandemie wehren“. Darunter Max Otte, extrem rechter Chef der „Werte-Union“, Klimawandelleugner Ralf Otterpohl, der der antisemitischen Anastasia-Bewegung nahesteht, Verschwörungsideologe Daniele Ganserer, Reichsbürger Andreas Popp und Meeresbiologe Stefan Lanka, der die Existenz von Viren grundsätzlich leugnet und der sich positiv auf die „Germanische Neue Medizin“ bezieht. „Eher ein Studium Schwuberale“ urteilt die Webseite AnonLeaks, die einiges über die „Akademie“ zusammengetragen hat. Interessante Randnotiz: Auch Jan-Josef Liefers wurde als „Dozent“ geführt (hier die Quelle, aber Achtung, Link führt auf rechten Verschwörungsblog), Fachbereich „Filmkunst“. Auf der Webseite der Akademie taucht der Name allerdings nicht auf. Eine Stellungnahme von Liefers, der sich auf der Wendeltreppe in den Schwurbelsumpf immer weiter hinab bewegt, gibt es bislang nicht.

Initiator*innen der Schwurbel-Uni sind der Starnberger Schuhverkäufer Christian Klammer und seine Frau sowie der Kölner Publizist Matthias Burchardt, der im Beirat des verschwörungsideologischen „Rubikon“-Blogs sitzt und geschichtsrevisionistische Thesen über die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung verbreitet.

Freitag, 19. November

Im US-Bundesstaat Wisconsin wurde am Freitag der 18-jährige Kyle Rittenhouse, der letztes Jahr in Kenosha mit einer halbautomatischen Schusswaffe zwei Menschen getötet und einen weiteren verletzt hatte, in allen Anklagepunkten freigesprochen. Er verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Die tödlichen Schüsse seien „Selbstverteidigung“ gewesen. Der damals 17-Jährige ließ sich im August 2020 von seiner Mutter aus Illinois in den Nachbarstaat fahren, wo gerade Proteste im Zusammenhang mit der Black Lives Matter Bewegung stattfanden. Kurz zuvor hatte in Kenosha ein weißer Polizist den afroamerikanischen Jacob Blake sieben Mal in den Rücken geschossen hatte. Kyle Rittenhouse hatte vor seiner Fahrt nach Kenosha noch auf Facebook gegen Black Lives Matter gehetzt, bevor er, bewaffnet mit einem Gewehr, im Stadtzentrum Geschäfte von weißen Leuten „beschützen“ wollte. Rittenhouse, der vor der Tat schon Sympathien für die rechtsextremen „Proud Boys“ äußerte, ist zum Posterboy der white Supremacists geworden. Die Rechtsextremist*innen hatten mehrere Millionen Dollar für seine Verteidigung gesammelt. Seinen Freispruch feiern nun Nazis weltweit als großen Erfolg für ihre Sache.

Samstag, 20. November

Am 20. November ist der Trans Day of Remembrance, der Tag der Erinnerung an die Opfer von Transfeindlichkeit. Zwischen Oktober 2020 und September 2021 wurden weltweit 375 trans und nicht-binäre Menschen getötet. Damit ist 2021 das tödlichste Jahr für trans Personen seit Beginn der Zählung. Das Projekt „Trans Murder Monitoring“ trägt seit 2008 Daten zu Morden mit transfeindlichem Hintergrund zusammen. Dabei fließen lediglich Zahlen aus den Ländern ein, die transfeindliche Gewalt überhaupt erfassen. Von den 375 ermordeten Menschen im genannten Zeitraum waren 96 Prozent trans Frauen.

Ich empfehle an dieser Stelle mal wieder die Doku „The Death and Life of Marsha P. Johnson“ auf Netflix und „Happy Birthday, Marsha“ auf Amazon Prime, sowie den Kinofilm „Trans – I got Life“.

Auch am Samstag

In Wien sind am Samstag zehntausende Rechtsextreme, Wissenschaftsfeind*innen und Verschwörungsgläubige auf die Straße gegangen. Es kam (wie erwartet) zu Geschichtsrevisionismus, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt. Österreich ist mit knapp 66 Prozent Geimpften eins der Schlusslichter unter den westeuropäischen Ländern. Die Intensivstationen sind am Limit und die Zahl der täglichen Todesfälle hat sich in den letzten Wochen verdreifacht.

Ich würde mich schlapplachen, wenn es nicht so verdammt ernst wäre.

Sonntag, 21. November

Weil ihr bis hierher gelesen habt, gibt es jetzt noch einen Tipp zum Anschauen, statt zum Lesen. Ich wechsle jetzt auf die Couch und gucke die neue Folge MAITHINK X und ich finde, ihr solltet das auch tun. Kommt gut durch die Woche, ihr Lieben.

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