Nazis in Leipzig, Polizeigewalt in Berlin, weniger Unterstützung für Arme, dafür mehr Befugnisse fürs BKA und bald vielleicht ein Rechtsreaktionär mit eigener Sendung im ZDF. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW33
Montag, 12. August
Seit dem 1. Juli beträgt die „Aufwandsentschädigung“ für Bundestagsabgeordnete monatlich 11.227,20 Euro. Eine Erhöhung um sechs Prozent bzw. um 635,50 Euro. Das sind 72,50 Euro mehr als Bürgergeldempfänger*innen monatlich erhalten. Trotzdem findet die FDP, dass das Bürgergeld zu hoch ist. „Mein Vorschlag wäre eine Anpassung nach unten, weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde, als sie sich tatsächlich entwickelt hat. Das würde sowohl die Steuerzahler um bis zu 850 Millionen Euro entlasten als auch die Arbeitsanreize erhöhen“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr zur BILD-Zeitung. Der Hass auf arme Menschen in der FDP ist nichts neues, es ist vielmehr die Kernidentität dieser Partei, mit der Grüne und SPD eine gemeinsame Regierung bilden. Das Märchen von angeblichen „Anreizen“, die geschaffen würden, wenn Menschen unterhalb des Existenzminimums leben müssen, ist populistischer Bullshit. Überhaupt sind von den rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland, die Bürgergeld beziehen nur 16.000 sogenannte „Totalverweigerer„, also Personen, die jegliche Zusammenarbeit mit dem Jobcenter ablehnen und denen deshalb in der Vergangenheit Leistungen gekürzt wurden. Populistische Forderungen nach mehr Drangsalierung von Arbeitslosen ignorieren bewusst auch die Tatsache, dass viele der Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten, psychische Krankheiten haben, die ihnen bei der Aufnahme regulärer Beschäftigungen im Weg stehen. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam 2017 zu dem Ergebnis, dass mindestens jeder dritte Mensch im Leistungsbezug (damals noch Hartz IV) eine psychische Krankheit hat. Der Verein Sanktionsfrei e.V. untersuchte, wie sich Kürzungen auf Menschen im Leistungsbezug auswirken und stellte fest: „Sanktionen haben zwar eine Wirkung, aber nicht die beabsichtigte bzw. behauptete Wirkung, Menschen besser in Arbeit zu bringen. Im Gegenteil: Die stärkste Wirkung, die von Sanktionen ausgeht, ist Einschüchterung und Stigmatisierung. Die Menschen fühlen sich kontrolliert und bestraft. Bereits die Androhung von Sanktionen verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation und kann sogar Krankheiten verursachen und verstärken.“
Dienstag, 13. August
In Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) haben Unbekannte erneut eine Regenbogenfahne am Bahnhofsvorplatz gestohlen und durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt. Nachdem das vor einem Jahr schonmal passiert war, kam es nun ein zweites Mal dazu. „Das Hissen einer Hakenkreuzfahne ist nicht nur ein Straftatbestand, sondern auch ein abscheuliches Symbol für eine menschenverachtende Ideologie, die in unserer Gesellschaft keinen Platz hat“, teilte die Stadtverwaltung in einer Pressemeldung mit. Dass die Ideologie keinen Platz hätte, stimmt nur leider nicht. Im Gegenteil, sie hat Platz und nimmt sich zunehmend mehr Raum. Bei der Kommunalwahl im Juni wurde die AfD in Neubrandenburg stärkste Kraft.
Mittwoch, 14. August
Während die erste Landesregierung mit AfD-Beteiligung quasi schon in den Startlöchern steht, macht die aktuelle Bundesregierung ungerührt damit weiter, die Demokratie auszuhöhlen und den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Rechts zu schwächen. Nicht nur werden Programme zur Demokratieförderung gekürzt oder gestrichen, es werden auch Gesetze in die Wege geleitet, die einer zukünftigen, möglicherweise antidemokratischen Regierung beängstigende Befugnisse bescheren. Das Bundesinnenministerium will dem BKA erlauben, Wohnungen heimlich zu betreten, zu durchsuchen und dort Überwachungstechnik zu installieren. Das solle nur in Ausnahmefällen unter strikten Auflagen erfolgen und der „Terrorabwehr“ dienen. Doch selbst wer die Debatte in Deutschland nur am Rande verfolgt, sollte inzwischen mitbekommen haben, dass „Terror“ ein dehnbarer Begriff ist und gern auch mal auf Klimaktivist*innen angewendet wird, die Straßen blockieren. Was eine zukünftige AfD-CDU-Koalition daraus macht, will ich mir gar nicht ausmalen.
Donnerstag, 15. August
Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk soll mehr „konservativen“ Stimmen eine Bühne bieten, finden u.a. ZDF-Intendant Norbert Himmler und ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten und verhandeln deshalb offenbar mit dem sehr rechten (oder wie der Spiegel es formuliert: „liberal-konservativen“) Focus-Kolumnisten Jan Fleischhauer über eine eigene Sendung. Der hat nämlich Zeit, nachdem er dem Hass-Propaganda-Format „Nius“ kurzfristig doch wieder abgesagt hat. Jan Fleischhauer, der privat mit Ultra-Rechten abhängt, als Redner beim „Burschentag“ auftritt und Kolumnen unter der Überschrift „Nazis rein“ verfasst, hat dem ÖRR gerade noch gefehlt. Sollte es mit der eigenen Show klappen, dürfen wir uns wohl auf Sendungen freuen mit Titeln wie „Fuck Selbstbestimmungsgesetz„, „Die migrantische Kultur ist von allen Versuchen, sie zu domestizieren, weitgehend unberührt geblieben“ oder „Der Feminismus ist tot„. (Alles Fleischhauer-Takes aus den letzten Monaten). „Vielleicht beschreibt nichts den Rechtsruck in Deutschland klarer, als dass ein Rechtsreaktionärer wie Jan Fleischhauer als Konservativer gilt“, kommentierte der Publizist Mario Sixtus treffend.
Freitag, 16. August
Nachdem eine 31-jährige Assistenzärztin in Kolkata vergewaltigt und ermordet wurde, protestieren seit Tagen Zehntausende in verschiedenen indischen Städten. Am Freitag rief der Ärzteverband zu einem 24-stündigen Streik auf. Die Protestierenden fordern Gerechtigkeit für die Ermordete, aber auch politische Konsequenzen, wie mehr Sicherheit am Arbeitsplatz für Frauen. „Unter Ärzt*innen, Frauen und allen im Gesundheitswesen schwelt seit Generationen der Ärger darüber, dass wir von der Öffentlichkeit, den Medien und der Regierung nicht mit der uns gebührenden Würde behandelt werden“, sagte die Gynäkologin Dr. Tripti Sharan zu Euro News. Das Herz der Proteste bilden Frauen, die die tiefsitzende Misogynie in der Gesellschaft anprangern. Sexualisierte Gewalt ist in Indien ein weit verbreitetes Problem in Indien. Nach Angaben des National Crime Records Bureau hat die Polizei im Jahr 2022 31.516 Vergewaltigungsfälle registriert, ein Anstieg um 20 % gegenüber 2021. „Ich glaube, es ist die Art und Weise, wie wir unsere Jungen erziehen, die fragwürdig ist“, sagte Dr. Shalini Pandey, Mitglied der Indian Medical Association: „Wir müssen an der Basis ansetzen und die Mentalität der Menschen ändern, wie sie ein Mädchen ansehen, wenn sie auf der Straße geht.“
Samstag, 17. August
Nachdem Neonazis eine Woche zuvor in Bautzen viel Medienöffentlichkeit erhielten, versammelten sie sich diesen Samstag unter dem Motto „Stolz, deutsch, national“ in Leipzig, um gegen den CSD zu protestieren. 300 bis 400 überwiegend junge Rechtsextreme waren gekommen und zeigten Deutschland- und Reichsfahnen sowie ein Banner mit der Aufschrift „Es gibt nur zwei Geschlechter“, skandierten „Ausländer raus“ und zeigten das „White Power“-Zeichen und auch Hitlergrüße. Die Polizei lies die Nazis nicht aus dem Bahnhof, da sich draußen bereits Gegendemonstrant*innen vom Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ versammelt hatten. Die Nazi-Veranstaltung sei kurz darauf offiziell abgesagt worden, heißt es. Die Bundespolizei teilte mit, die Teilnehmenden aufgefordert zu haben, die Stadt zu verlassen. Vorher seien vereinzelt Personalien festgestellt und nach Waffen gesucht worden. Polizei und bürgerliche Medien zeigen sich zufrieden und ziehen eine „positive Bilanz“. Insgesamt gibt es so gut wie keine Aufregung trotz der Tatsache, dass innerhalb weniger Tage zwei große Neonazi-Versammlungen stattfanden, bei denen Rechtsextreme „aggressiv und militant“ gegen queere Menschen protestierten. Ist das jetzt einfach normal? „Es hätte definitiv schlimmer kommen können, hätten sie alle draußen aufmarschieren können und hätten die weiteren Versammlungen stattfinden dürfen“, beschreibt der Journalist Raja Khadour seine Eindrücke auf Instagram: „Es muss uns aber alle inkl. Journalist:innen eigentlich besorgen, dass wir uns innerhalb einer Woche zweimal rassistische und queerfeindliche Parolen und Hitlergrüße bei Pride-Demos anhören und ansehen mussten. Dass das keine Überraschung war, ist jedoch schon lange klar. Und für mich persönlich als queere syrische Person war es beängstigend, vor Ort zu sein und zu sehen, dass die Neonazis trotz der Absage faschistische Parolen weiter brüllen durften.“
Sonntag, 18. August
Dass die Polizei in Leipzig die Nazis nicht dabei störte, Hitlergrüße zu zeigen und volksverhetzende Parolen zu grölen, dürfte wenig überraschen. Festnahmen gab es jedenfalls keine. Dass die Polizei Nazis gewähren lässt, hat in Deutschland leider Tradition. Traditionell schreiben deutsche Medien dann auch noch bei Polizeimeldungen ab, ohne deren Inhalt kritisch zu prüfen. „Bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Friedrichshain-Kreuzberg sind am Samstagabend Einsatzkräfte angegegriffen und verletzt worden“, meldete heute Morgen der rbb. 400 Kräfte hatte die Polizei gegen eine Demo von rund 1.000 Menschen am Samstag eingesetzt. Ein ziemlich guter Personalschlüssel, sollte man meinen. Zehn Cops seien verletzt worden, heißt es, sie verblieben allesamt im Einsatz. Was der rbb nicht erwähnt: bei der Demo kam es zu massiver Polizeigewalt, die auf verschiedenen Videos dokumentiert ist. Die Bilder sind zum Teil so brutal, dass der Facebook-Konzern „Meta“ die Inhalte mit der Warnung „sensible Inhalte“ versieht und nicht automatisch abspielt. So ist u.a. zu sehen, wie ein behelmter Polizist mehrfach mit der Faust einem offenbar minderjährigen Jungen in Bauch und Seite schlägt, während dieser bereits auf dem Boden liegt und ein anderer Polizist auf seinen Beinen kniet. Die umstehenden schreien währenddessen wiederholt „er ist ein Kind“. Ein anderes Video zeigt wie ein Polizist eine junge Frau abseits der Demo verfolgt, sie schubst und sie dann mit voller Wucht in den Rücken stößt, sodass sie hart auf den Boden aufschlägt. Eine andere junge Frau wird von einem Polizisten mit Anlauf am Hals gepackt, im „Schwitzkasten“ herumgerissen und zu Boden gebracht. Er kniet auf ihr, während seine Kollegin herbeieilende Demonstrant*innen zurückhält. In einem weiteren Video sieht man, wie ein Polizist ein Mädchen oder eine junge Frau, die offenbar bereits festgesetzt wurde, mit beiden Händen an den Hals greift oder sie gar würgt. Die Betroffen sackt zu Boden und bleibt reglos liegen, keiner der umstehenden Polizisten prüft zunächst, ob sie noch atmet. Die Polizeigewalt gegen Menschen, die an sogenannten „Pro Palästina“ Demos teilnehmen, hat ein völlig neues Maß angenommen. Dass hier kaum jemand protestiert, ist bezeichnend. Immer wieder schwingt mit, dass die Demonstrierenden die Gewalt auf eine Art verdient hätten, schließlich würden auf diesen Demos auch Antisemitismus und „Israelfeindlichkeit“ stattfinden. Diese Entsolidarisierung mit den Opfern von Polizeigewalt und Repression ist verheerend. Der Autor und Journalist Mohamed Amjahid fasst treffend zusammen: „Um es mal ganz klar festzustellen: niemand hat unverhältnismäßige Polizeigewalt verdient. Und dass oft genau danach gerufen wird, spiegelt den Zustand einer Gesellschaft wider.“
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