Wann immer ein mehr oder weniger prominenter Mann öffentlich des sexuellen Übergriffs bezichtigt wird, kann er sich einer Armee unbeauftragter Verteidiger*innen sicher sein.
Ob Woody Allen, Ben Affleck, Jörg Kachelmann, Christiano Ronaldo, Dustin Hofman, Kobe Bryant, Roman Polanski, CeeLo Green, R. Kelly oder Donald Trump: Sie alle wurden oder werden wegen verschiedener Delikte sexueller Belästigung, Gewalt, Missbrauch bis hin zur Vergewaltigung bezichtigt.*
Frauen genießen generell meist weniger Glaubwürdigkeit
Nicht immer kommt es zu einer Verurteilung. Sicher ist nur, dass die Glaubwürdigkeit der Frau angezweifelt wird, die die Vorwürfe erhebt. Von überallher kommen Männer (und Frauen!), die den mutmaßlichen Täter in Schutz nehmen und behaupten, das mutmaßliche Opfer würde lügen.
Der reflexartige Vorwurf der Falschbeschuldigung entspringt einer zutiefst misogynen Überzeugung, dass Frauen grundsätzlich zu irrationalen, „hysterischen“ Handlungen neigen. Dass sie bereit sind, aufgrund von Gier, verletzten Gefühlen, Rache oder welchen niederen Beweggründen auch immer bereit sind, einen ehrenwerten Mann zu Fall zu bringen. Grundsätzlich genießen Frauen in der patriarchalen Gesellschaft weniger Glaubwürdigkeit als Männer.
Karriereknick? Selten für den Täter
Es ist von Falschbeschuldigungen die Rede, davon, dass das Leben und die Karriere des Mannes zerstört werden solle und das Opfer nur auf Geld und / oder Aufmerksamkeit aus sei. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem eine Frau durch (erlittene oder erfundene) sexuelle Gewalt ihre Karriere befördert hätte. Allerdings fallen mir eine ganze Reihe prominenter Männer ein, denen der Vergewaltigungsvorwurf nicht wirklich geschadet hat.
In gemäßigteren Kreisen wird gerne auf die Unschuldsvermutung verwiesen: Der Mann sei unschuldig, bis ein Gericht den Täter schuldig gesprochen habe. Und ja, in einer perfekten Welt würde ich dieser Aussage durchaus zustimmen. Wer jedoch die Zahlen kennt, weiß, dass die Welt, in der wir leben, alles andere als perfekt ist. Für Opfer von sexueller Gewalt ist sie sogar das Gegenteil von perfekt.
Vergewaltigungsvorwürfe führen kaum zu Verurteilungen
Nur 7,5 Prozent der angezeigten Vergewaltigungen enden mit der Verurteilung des Täters. Dass das nicht heißt, dass 92,5 Prozent der Anzeigen Falschbeschuldigungen sind, sollte hoffentlich selbst Antifeministen klar sein. Dafür spricht auch, dass es in weniger als 10 Prozent der Fälle zu einem anschließenden Verfahren wegen Falschbezichtigung kommt.
Auch wenn die Zahlen aufgrund hoher Dunkelziffern variieren und verschiedene Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, lässt sich festhalten, dass es statistisch gesehen „für Männer wahrscheinlicher ist, selbst Opfer einer Vergewaltigung zu werden als fälschlicherweise einer Vergewaltigung beschuldigt zu werden“. (SZ 2018).
Die Unschuldsvermutung muss für die Opfer gelten
Ich plädiere auch für die Unschuldsvermutung. Aber aus meiner Sicht muss sie grundsätzlich für die Opfer sexueller Gewalt gelten. Ja: ein erfundener Vergewaltigungsvorwurf ist für den zu Unrecht Beschuldigten eine Katastrophe und jeder, dem das passiert, tut mir aufrichtig leid. Aber ich stehe im Zweifelsfall lieber auf der Seite des Opfers. Ich bin keine Juristin und auch keine öffentliche Person. Ich kann es mir erlauben parteiisch zu sein.
Sehr aktuell ist der Fall von Joe Biden. Dem US-Präsidentschaftskandidaten der Demokraten wird von mehreren Frauen vorgeworfen, sie in unangemessener Weise berührt zu haben oder ihnen derart nah gekommen zu sein, dass sie sich dabei unwohl fühlten. Die ehemalige Senatsassistentin Tara Reade sagt, dass Biden ihr gegenüber sexuell übergriffig geworden sei, als sie 1993 für ihn gearbeitet hatte. Joe Biden bestreitet die Vorwürfe.
Ich glaube Tara Reade, ich halte an der Unschuldsvermutung fest.
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*Dies ist nur eine kleine Auswahl von Namen, die mir spontan eingefallen sind, die Zusammenstellung selbst soll nichts weiter aussagen, außer, dass es verdammt viele Promimänner sind, die mit dem Vorwurf sexueller Übergriffe konfrontiert wurden. Die Zeitschrift „Vox“ listet derzeit 262 Prominente, Politiker, CEOs und andere Personen, denen seit April 2017 sexuelles „Fehlverhalten“ („sexual misconduct“) vorgeworfen wird.
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