Drei der vier US-Fechter setzen ein Zeichen, Simone Biles ist noch stärker als sie ohnehin aussieht, der antikurdische Rassismus in der Türkei hat einen neuen Höhepunkt und in München hätte es beinahe einen Femizid gegeben. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW30
Montag, 26. Juli
Die mitregierenden Grünen im hessischen Landtag hatten vor Kurzem gemeinsam mit der CDU gegen die Öffnung der NSU-Akten gestimmt. Die Begründung damals: die Offenlegung könnte die V-Leute in der rechten Szene gefährden. Die Privatsphäre der V-Leute (die in aller Regel selbst mehr oder wenige stramme Neonazis sind) scheint offenbar schützenwerter als die einer NSU-Opferanwältin, die seit Monaten von Rechtsextremisten bedroht wird. Die gesperrte Meldeadresse von Seda Başay-Yıldız wurde ungeschwärzt an alle Fraktionen des hessischen Landtags gegeben. Also auch an die AfD. Die Adresse stand in den Unterlagen zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke. Es ist einfach nur absurd, was in diesem Bundesland los ist. Es macht mir eine Heidenangst vor der kommenden Schwarz-Grünen Bundesregierung.
Dienstag, 27. Juli
Dienstags erscheint die Kolumne von Margarete Stokowski auf Spiegel Online. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber: Lest sie einfach jede Woche, dann brauche ich nicht jeden Dienstag darauf zu verweisen:
Mittwoch, 28. Juli
Die Turnerin und sechsfache Olympiamedaillengewinnerin Simone Biles hat ihre Teilnahme am Mannschaftsfinale bei den Olympischen Spielen abgesagt. Sie erklärte, sich auf ihre mentale Gesundheit konzentrieren zu wollen. Auf Instagram hatte sie zuvor geschrieben: „I truly do feel like I have the weight of the world on my shoulders at times. I know I brush it off and make it seem like pressure doesn’t affect me but damn sometimes it’s hard hahaha! The olympics is no joke!“ Simone Biles ist 24 Jahre alt. Sie gilt in den USA als „GOAT“, Greatest of all Times, der Druck, der auf den Schultern der 1,42 m großen Turnerin lastet ist schlicht riesig. Doch dieser Druck sorgt unter anderem dafür, dass ihre im wahrsten Sinne des Wortes halsbrecherischen Sprünge zur ernsten Gefahr für die physische Gesundheit werden. Auch deshalb hat sich Simone Biles entschieden, ihre Teilnahme am Teamwettbewerb abzusagen. Biles gehört zur Generation des „Károlyi-Systems“, einer extrem erfolgreichen Turnerinnen-Schule, in der allerdings Angst und Schwäche einfach nicht erlaubt waren. Die jungen Athletinnen erfuhren Missbrauch in jeder Hinsicht, auch in sexueller, der Teamarzt Larry Nassar missbrauchte fast zwei Jahrzehnte lang die Turnerinnen sexuell, auch Simone Biles. Es ist ein durch und durch perverses System, das die großartigste Athletinnen der Welt hervorgebracht haben mag, für das eben diese Athletin aber jetzt den Preis zu zahlen scheint.
Donnerstag, 29. Juli
Der deutsche Radsport-Direktor Patrick Moster musste am Donnerstag die Olympischen Spiele 2021 in Tokyo verlassen. Der Radsport-Weltverband UCI hatte den 54-Jährigen suspendiert, nachdem dieser zwei Athleten aus Algerien und Eritrea während eines Rennens rassistisch beleidigt hatte. Der Druck, Moster nach Hause zu schicken, kam offenbar von ganz oben. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte es am Tag zuvor noch mit einer Art Schwamm-Drüber-Move versucht und verkündet, es habe ein klärendes Gespräch mit Moster gegeben. Am Donnerstag hieß es dann: „Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass seine öffentliche Entschuldigung für die gestern von ihm getätigte rassistische Äußerung aufrichtig ist“. Puh, ich will nicht kleinlich sein, aber wie aufrichtig kann eine Entschuldigung sein von jemandem, der über so übles rassistisches Vokabular verfügt, dass es ihm „im Eifer des Gefechts“ mal so eben rausrutscht?! Ich glaube viel mehr, Moster bedauert es, dass er sich nicht besser im Griff hatte.
Freitag, 30. Juli
Drei der vier Fechter der olympischen Degen-Mannschaft der USA trugen am Freitag pinke FFP2-Masken. Es war ein Protest gegen sexuelle Gewalt und ein Bekenntnis, das in dieser Form nur absolut selten vorkommt. Denn dem vierten Fechter, Alex Hadzic, werden drei Fälle sexueller Übergriffe vorgeworfen. Seine Mannschaftskollegen, Jake Hoyle, Curtis McDowald und Yeisser Ramirez, machten mit den pinken Masken deutlich, auf wessen Seite sie nicht stehen: der des mutmaßlichen Täters. Es ist so komplett außergewöhnlich, dass sich Männer nicht nur nicht mit einem mutmaßlichen Täter solidarisieren, sondern dies auch öffentlich bekennen. Wir sind so sehr daran gewöhnt, dass sich (insbesondere) Männer mit dem Hinweis auf die „Unschuldsvermutung“ aus der Affäre ziehen, sich nicht einmischen wollen oder gar aktiv Gewalttäter in Schutz nehmen, ihre Taten verharmlosen oder leugnen, dass diese Geste der pinken Masken wie ein Leuchtturm aus dem Sumpf der Rape-Culture herausragt. Wir brauchen mehr pinke Masken. Wir brauchen mehr Männer, die sich positionieren, die den Überlebenden sexueller Gewalt Glauben schenken und die sich mit ihren potentiell) Betroffenen, weiblichen Teamkolleginnen solidarisieren. Ich will diese Geste sehen, wenn jemand mit Luke [Nachname fehlt aus juristischen Gründen] auf einer Comedybühne steht, ich will diese Geste sehen, wenn die Mitspieler von Cristiano Ronaldo bei Juventus Turin aufs Feld laufen oder jemand auf der gleichen Veranstaltung mit Jérôme Boateng oder Samra ist. Ich will, dass diese Bro-Culture ein Ende hat, in der sich Männer gegenseitig schützen und verteidigen, ich will, dass wir endlich den Opfern glauben und dass sich die Täter nirgends wohl und sicher fühlen.
Samstag, 31. Juli
Die verheerenden Waldbrände in der Türkei werden von den rechten bis rechtsextremen Kräften im Land für ihre antikurdische Propaganda missbraucht. Der Staatssender TRT beschuldigte ohne jeden Beweis die PKK, die Feuer gelegt zu haben. Der Hass auf Kurd*innen bricht sich immer offener Bahn. Am Samstag wurden in Konya im Zentrum der Türkei sieben Mitglieder der kurdischen Familie Dedeoğulları ermordet, darunter vier Frauen. Medienberichten zufolge drangen bewaffnete Angreifer in das Haus der Familie ein, töteten die Bewohner*innen und versuchten, das Haus in Brand zu setzen. Für den türkischen Innenminister sei es dabei um einen Familienstreit gegangen, ein rassistisches Motiv schloss er aus. Dabei hat es bereits im Mai einen Angriff auf die Familie gegeben, die laut Medienberichten immer wieder bedroht worden sei. Eren Keskin, Vize-Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsverbands, bestätigte den Angriff im Mai. „Wir haben in Konya ein schreckliches Beispiel für die rassistischen Angriffe erlebt, die es seit einiger Zeit gibt. Der hasserfüllte und provokative Diskurs der Behörden ist der Hauptverantwortliche für dieses Massaker“, sagte die HDP-Vorsitzende Mithat Sancar.
Sonntag, 1. August
Heute Mittag ereignete sich im Münchner Stadtteil Haidhausen ein versuchter Femizid. Ein 56-jähriger Mann soll Polizeiangaben zufolge auf seine 52-jährige Ehefrau geschossen und diese schwer verletzt haben. Anschließend tötete sich der Mann selbst. Die Münchner „Abendzeitung“ schreibt, ein „Beziehungsstreit“ sei „der Auslöser“ für die Tat gewesen sein und bedient damit das Narrativ des eskalierten „Familiendramas“. Ohne die Umstände der heutigen Tat zu kennen: Nicht ein (Beziehungs-)Streit, sondern Besitzdenken, Hass und männliches Anspruchsdenken sorgen für Femizide.