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"Die beiden Deutschen mit den anderen" (Screenshots aus der Instagram-Story von İlker Çatak)

Deutsche Namen

In Ghana wird die Situation für queere Menschen und ihre Verbündeten immer gefährlicher, der Papst sieht die Menschlichkeit durchs Gendern bedroht und Argentinien verbietet es. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW9

Montag, 26. Februar

Am Montagabend wurde Daniela Klette in ihrer Wohnung in Kreuzberg von der Polizei verhaftet. Die 65-Jährige wird verdächtigt, vor 30 Jahren an Sprengstoffanschlägen auf ein Gefängnis und einen Deutsche-Bank-Standort sowie einem Angriff auf die Botschaft der USA in Bonn beteiligt gewesen zu sein. Verletzt wurde niemand. Außerdem soll sie in mehrere Raubüberfälle verwickelt gewesen sein. Für die Rote Hilfe ist die Festnahme Klettes „das Ergebnis einer jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis gegen ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppen“. Anja Sommerfeld aus dem Bundesvorstand befürchtet, „dass auch in diesem neuerlichen RAF-Verfahren sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und Reuebekundungen zu erpressen“, zu erwarten ist „ein politisch motivierter Gesinnungsprozess, wie sie heutzutage vielfach gegen Aktivist*innen der türkischen und kurdischen Linken sowie antifaschistische Gruppen stattfinden“. Politik und Strafverfolgungsbehörden klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, feiern den „Verdienst jahrzehntelanger unermüdlicher Ermittlungsarbeit“ und den „Meilenstein der Kriminalgeschichte“. Man könnte meinen, hier wäre der Polizei die Staatsfeindin Nummer 1 ins Netz gegangen. Die „Top-Terroristin“ (Benjamin Jendro von der Berliner Polizei), die in den letzten Jahren ein unauffälliges Bürgi-Leben führte, wird von der Springerpresse und deren Stiefelleckern als willkommene Ablenkung von den über 600 untergetauchten Rechtsextremen dankend angenommen. Wir haben ja jetzt auch lang genug über die Nazis geredet, nicht wahr? Die Hufeisen-Fans reiben sich die Hände.

Dienstag, 27. Februar

Der argentinische Präsident Javier Milei hat es den Behörden verboten, gendersensibel zu Sprechen und zu Schrieben. „Es dürfen keine Sonderzeichen verwendet werden und die unnötige Verwendung der weiblichen Form in Dokumenten ist zu vermeiden“, sagte ein Regierungssprecher am Dienstag. Der rechtspopulistische, moralisch ultrakonservative und marktradikale Milei, der kürzlich ankündigte, Abtreibungen zu verbieten, macht vor, wovon auch in Deutschland rechtskonservative Kräfte träumen. In Bayern will Ministerpräsident Söder ebenfalls die genderinklusive Sprache untersagen. Aus „Sprache ist frei“ ist bei Söder inzwischen „Ich glaube, dass das Gendern unsere Gesellschaft eher spaltet als alles andere“ geworden. Und auch die schwarz-rote Koalition in Hessen spielt Sprachpolizei auf Kosten der Redefreiheit. Parade-Populismus, der davon ablenkt, was den Menschentatsächlich Sorgen bereitet (wie z.B. steigende Lebenshaltungskosten oder die Klimakatastrophe).

Mittwoch, 28. Februar

In Ghana wurde ein Gesetz wurde verabschiedet, das schwere Strafen für queere Menschen sowie deren Unterstützer*innen vorsieht. Personen, die sich als LGBTQ+ identifizieren oder „homosexuelle Aktivitäten“ (Tagesschau) unterstützen, drohen mehrjährige Haftstrafen. Mitgliedern der queeren Community droht nun eine Hexenjagd, gut möglich, dass Aktivist*innen untertauchen müssen. Die Leiterin der UN-Behörde zur Bekämpfung von Aids, Winnie Byanyima, fürchtet: „Wenn das Gesetz über sexuelle Menschenrechte und ghanaische Familienwerte in Kraft tritt, wird es Schrecken und Hass schüren, zu Gewalt gegen ghanaische Bürger*innen aufstacheln und sich negativ auf die Meinungs-, Bewegungs- und Vereinigungsfreiheit auswirken“. Sie fürchtet außerdem, dass das Gesetz den „Zugang zu lebensrettenden Diensten behindern“ wird. Homosexualität war auch bisher schon illegal in Ghana. Das neue Gesetz, das noch vom Präsidenten ratifiziert werden muss, wird die Lage jedoch massiv verschärfen. Von der Bundesregierung gab es bislang kein Statement. Deutschland stuft Ghana als sogenanntes „sicheres Herkunftsland“ ein und schiebt Menschen dorthin ab, unabhängig davon, ob sie wegen ihrer Sexualität oder Genderidentität dort verfolgt werden.

Donnerstag, 29. Februar

Für Menschen, die in Deutschland Schutz suchen und nicht direkt wieder abgeschoben werden, hat sich die Bundesregierung die Möglichkeit zur Zwangsarbeit vorbehalten. Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es im Paragraf 5: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.“ In Ostthüringen soll die Arbeitspflicht nun in die Tat umgesetzt werden. Im Saale-Orla-Kreis sollen Asylsuchende vier Stunden pro Tag Arbeiten und dafür 80 Cent pro Stunde erhalten. Wer sich weigert, dem werden pro Monat 180 vom sogenannten Existenzminimum (derzeit 460 Euro) gestrichen. Der CDU-Landrat, Christian Herrgott (ja, der heißt wirklich so!), findet das komplett okay, er sagte: „Wir möchten diejenigen, die zu uns kommen und die ja mindestens in den ersten drei Monaten nicht arbeiten dürfen, sofort abholen und in eine Tagesstruktur und sinnvolle Tätigkeit bringen“. Auch in Sachsen gibt es schon vergleichbare „Projekte“.  Der Referent des sächsischen Landkreistags Benjamin Lange freut sich über die Möglichkeit, Menschen auszubeuten: „Die sächsischen Landkreise haben sich stets für die Möglichkeit ausgesprochen, Asylbewerber zur Arbeit heranzuziehen.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD sieht da kein Problem, es sei schließlich „geltendes Recht“. Tareq Alaows, fluchtpolitischer Sprecher von Pro Asyl, kritisierte die Pläne am Donnerstag mit deutlichen Worten: „Es ist rassistisch und menschenverachtend, zu suggerieren, dass Geflüchtete arbeitsunwillig seien, die man jetzt zur Arbeit unter ausbeuterischen Verhältnissen zu 80 Cent pro Stunde verpflichten müsse – während viele von ihnen schlichtweg nicht arbeiten dürfen.“

Freitag, 1. März

Mehr als 30.000 Palästinenser*innen tötete das israelische Militär seit dem 7. Oktober, dem Tag des grauenvollen Massakers von Hamas-Terroristen, bei dem rund 1.200 getötet und rund 250 Menschen als Geiseln verschleppt wurden. In mindestens 20 Ländern sterben derzeit Menschen durch Kriege und bewaffnete Konflikte, die Zahl der dabei Getöteten hat sich 2022 verglichen mit dem Vorjahr fast verdoppelt (neuere Zahlen konnte ich nicht finden). 238.000 Menschen sind vorvergangenes Jahr laut Uppsala Conflict Data Program (UCDP) bei militärischen Auseinandersetzungen getötet worden. Die höchste Zahl seit dem Genozid in Ruanda 1994. Die Todesopfer der Folgen des menschengemachten Klimawandels kommen noch dazu. Aber der Papst findet, die „Gender-Ideologie“ sei die „schlimmste Gefahr der heutigen Zeit“. Ja klar, Franziskus. „Unterschiede aufzuheben bedeutet, die Menschlichkeit aufzuheben“, sagte der 87-Jährige am Freitag und ich glaube, mehr muss man zum Stand der katholischen Kirche im Jahr 2024 echt nicht wissen.

Samstag, 2. März

Ein Deutscher ist für den Oscar nominiert und kaum jemand spricht darüber. Also jedenfalls nicht über den Regisseur İlker Çatak, der für den Film „Das Lehrerzimmer“ für den besten fremdsprachigen Film nominiert ist. Über Sandra Hüller und Wim Wenders, beide ebenfalls nominiert und deutsch, hörte man hingegen so einiges. Woran mag das wohl liegen? „Muss man wirklich einen typisch deutschen Namen haben, um als Filmemacher in dieser Headline erwähnt zu werden?“, fragt İlker Çatak und erklärt im Interview mit dem rbb den strukturellen Rassismus, der der Nicht-Erwähnung zugrunde liegt. „Es wird Leute geben, die sagen, ach, dessen Name wurde nicht genannt, jetzt regt er sich auf“, sagt der gebürtige Berliner: „Es geht mir allerdings um all die Menschen, von denen ich Nachrichten bekomme, die sagen: Ja, genau aus diesem Grund haben wir unseren Kindern deutsche Namen geben müssen, weil wir Angst hatten, dass sie diskriminiert werden“. Das ganze Interview gibt es hier.

Sonntag, 3. März

Die Woche endet mit einer grausamen Gewalttat in Magdeburg. Mutmaßlich ein 18-Jähriger tötete heute Morgen eine 41 Jahre alte Frau und ein neunjähriges Kind. Zwei Mädchen im Alter von 13 und 15 Jahren sowie ein 17-jähriger Junge wurden verletzt. Laut Stern.de stehen die Beteiligten „in einer familiären Beziehung“ zueinander. Über den Tathergang und auch das Motiv ist bislang nichts bekannt. Es war nicht der einzige Femizid in dieser Woche: Am Dienstag wurde in Oberhausen (NRW) eine 22-Jährige gewaltsam getötet. Die Beschäftigte einer Behindertenwerkstatt wurde in der Nähe ihres Arbeitsplatzes tot aufgefunden. Ein 27-jähriger Kollege der Frau wurde festgenommen. Am Mittwoch wurde eine 50 Jahre alte Frau mutmaßlich on ihrem 48-jährigen Ehemann ermordet. Die Frau wurde mit „multiplen Schnitt- und Stichverletzungen“ im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in Schwelm (NRW) gefunden. Sie starb noch vor Ort. Das Opfer und der mutmaßliche Täter lebten getrennt. Bereits am vergangenen Wochenende tötete mutmaßlich ein 50 Jahre alter Mann seine gleichaltrige Ehefrau in deren Imbissbude in Hünxe-Drevenack (NRW). Die zweifache Mutter starb an mehreren Messerstichen. Der Ehemann stellte sich kurz darauf der Polizei.

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