Nicht alle Männer sind gewalttätig oder sexistisch, nicht alle Männer bedrängen Frauen, beleidigen, stalken, unterdrücken oder vergewaltigen sie. Nicht alle Männer lachen über frauenfeindliche „Witze“ oder beteiligen sich am „Locker room talk“. Nicht alle Männer schauen weg, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit belästigt wird oder ignorieren es, wenn sie in Meetings übergangen und unterbrochen wird. Nicht alle Männer.
Es ist mir vollkommen klar, dass nicht alle Männer gleich denken, handeln, fühlen und reden. Ich weiß, dass Männlichkeit nicht automatisch toxisch ist und auch, dass das Patriarchat nicht allein von Männern aufrechterhalten wird.
Ablenkung und Relativierung
Es ist absurd, dass diese Erklärung erforderlich ist, doch jedes Mal, wenn es um Sexismus, Misogynie, männliche Täter und patriarchale Unterdrückung geht, ruft von irgendwoher ein Jens „nicht alle Männer sind so“. Es ist unmöglich über geschlechtsspezifische Gewalt oder Ungerechtigkeit zu sprechen, ohne eine Flut von relativierenden, verharmlosenden, ablenkenden Kommentaren zu erhalten. Sofort wird betont, dass doch nicht alle Männer so sind. Ja nee, klar. Aber darum geht es doch auch gar nicht. Niemand hat behauptet, dass alle Männer Schweine sind (außer die Ärzte, aber das ist ein anderes Thema).
Das Problem an diesem „not all men“-Geplärre ist, dass es vom Thema ablenkt und uns in eine hirnrissige Nebendebatte drängt. Nur weil du, lieber männlicher Leser, noch nie eine Frau vergewaltigt hast, ändert das nichts an der Tatsache, dass 99 Prozent aller Vergewaltigungen von Männern begangen werden.
Wir reden nicht von dir
Männliche Gewalt und Unterdrückung sind ein strukturelles Problem, darüber müssen wir reden können, ohne ständig von greinenden Männern unterbrochen zu werden, die sich davon persönlich angegriffen fühlen. Niemand verbietet es dir, darüber zu reden (oder zu schreiben), wie dein Leben als nicht-gewalttätiger, nicht-sexistischer Mann ist, der Frauen achtet. Aber vergiss dabei bitte nicht, dein Privileg zu reflektieren, dass du als Mann im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt bekamst.
Bitte verschone uns mit deinen persönlichen Befindlichkeiten, wenn wir darüber reden, wie Patriarchat und Sexismus unseren Alltag bestimmen. Natürlich müssen wir darüber reden, dass auch Männer im Patriarchat leiden, weil Genderstereotype alle Menschen belasten und toxische Männlichkeit einen enormen Anteil an der männlichen Überrepräsentanz in der Suizid-Statistik hat. Für diese Themen muss es Raum und Zeit geben, aber nimm ihn dir nicht einfach, wenn gerade eine Frau ihre Erfahrungen schildert.
Male privilege
Als heterosexueller, weißer, Cis-Mann ohne Be_hinderung, der christlich oder atheistisch lebt, bist du im Privilegien-Rennen ziemlich weit vorn. Vielleicht hast du in deiner Vergangenheit Diskriminierungserfahrungen aufgrund eines ökonomisch schwachen Elternhauses gemacht, vielleicht beziehst du aktuell Hartz 4 und bist von Klassismus betroffen – das spricht dir niemand ab. Es befreit dich aber nicht von der Pflicht, die eigenen Privilegien zu reflektieren (oder die Schnauze zu halten).
Als Mann profitierst du in vielen Situationen vom Patriarchat. So wie wir weißen Menschen von rassistischen Strukturen profitieren. Ob wir wollen oder nicht. Es kann sein, dass du jemanden kennst, der in gleicher Position weniger verdient als eine Frau. Trotzdem ist der Gender Pay Gap real. Es ist schon möglich, dass du mal auf der Arbeit sexuell belästigt wurdest, aber in der überwältigenden Mehrheit sind Frauen betroffen. Ja, es gibt häusliche Gewalt, mit weiblicher Täterin und männlichem Opfer. Das ändert aber nichts daran, dass die Mehrheit der Geschädigten Frauen sind (eine Auswertung des Bundeskriminalamts von 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass 20% der Opfer häuslicher Gewalt Männer sind, ob die Gewalt in heterosexuellen Beziehungen erfahren wurde, ist allerdings nicht differenziert).
Hör auf so zu tun, als wäre deine Lebensrealität das Maß aller Dinge. Du bist nicht der Nabel der Welt und deine individuellen Erfahrungen sind eben d e i n e i n d i v i d u e l l e n Erfahrungen. Die Realität sieht anders aus und du könntest das wissen, wenn du einfach mal zuhören würdest, anstatt reflexartig „nicht alle Männer“ rauszuhauen.
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