Die Bundesregierung versagt in Afghanistan, der FOCUS gewinnt den Titel „Schmutzblatt der Woche“ knapp vor der EMMA, die Frauenunion fordert ein Prostitutionsverbot und Isabel Schayani erhält den Grimme-Preis. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW34
Montag, 23. August
Nicht zum ersten Mal beginnt der Wochenrückblick mit einem Femizid. In Windeck (Rhein-Sieg-Kreis) fand die Polizei am Montagmittag zwei Leichen auf einem Grundstück. Die Ermittler*innen gehen davon aus, dass der 34-jährige Mann zuerst die 33 Jahre alte Frau und dann sich selbst erschoss. Die mutmaßliche Tatwaffe lag neben den Leichen. Medienberichten zufolge kannten der Mann und die Frau sich, seien aber kein Paar gewesen. Das Motiv für die Tat ist noch völlig unbekannt. Häufig wird bei Fällen wie diesem von „erweitertem Suizid“ gesprochen. Dieser Begriff relativiert den Mord, es „signalisiert eine Freiwilligkeit der Opfer, in den Freitod zu gehen, die nicht belegt ist und die den Willen des Täters über den des Opfers stellt. Vom Opfer als Erweiterung des Täters zu sprechen unterstellt einen legitimen Besitzanspruch“, heißt es in einer sehr lesenswerten Broschüre der Rosa Luxemburg Stiftung zum Thema „Femizide“, die hier als PDF verfügbar ist.
Dienstag, 24. August
Seit Dienstag gibt es eine feministische Wahlberaterin online: WAHLTRAUT ist ein Wahl-O-Mat, der die Aussagen der Parteien zu gleichstellungspolitischen Fragestellungen untersucht. Mir hat es besonders gefallen, dass nicht nur liberalfeministische Positionen abgefragt wurden, wie Frauenquoten und Recht auf Lohntransparenz, sondern intersektional gedacht wurde. Denn auch die Erhöhung des Mindestlohns oder die Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes sind feministische Forderungen. Hier geht es direkt zu WAHLTRAUT.
Mittwoch, 25. August
Die Lage in Afghanistan ist unerträglich. Die Bundesregierung und ihre NATO-Partner versagen auf ganzer Linie. Den Preis dafür zahlen die Afghan*innen. Seit Tagen harren tausende Menschen am Kabuler Flughafen aus, versuchen verzweifelt einen Platz in einem der Evakuierungsflugzeuge zu erhalten. Medienberichten zufolge flog die Bundeswehr bis Ende der Woche nur ungefähr 100 afghanische Ortskräfte aus. Die Menschen der Zivilgesellschaft, die seit der Machtübernahme der Taliban um ihr Leben und das Leben ihrer Angehörigen fürchten, haben kaum eine Chance herauszukommen. Für zahlreiche deutsche Organisationen und Vereine, u.a. die Seebrücke, Visions for Children, #LeaveNoOneBehind und Sea-Watch, die sich zum Aktionsbündnis „Luftbrücke Kabul“ zusammengeschlossen haben, bedeutete das Versagen der politisch und militärisch Verantwortlichen, dass sie wieder einmal selbst aktiv werden mussten. So wie im Mittelmeer, wo die zivile Seenotrettung dafür sorgt, dass nicht noch viel mehr Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken, wird auch den Menschen in Afghanistan verstärkt mit privaten Spendengeldern geholfen. Die Aktivist*innen der Luftbrücke Kabul konnten ein Flugzeug chartern und starteten kurzerhand eine zivile Rettungsaktion. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sollten hunderte Afghan*innen gerettet werden, doch das Auswärtige Amt verhinderte dies erfolgreich. Die Initiator*innen der Rettungsmission erklärten in einem öffentlichen Statement: „Was wir in den letzten Tagen erfahren haben, ließ uns sprachlos und wütend zurück. Während öffentlich behauptet wurde, sich für die schnellstmögliche Evakuierung von Gefährdeten einzusetzen, während sich Heiko Maas persönlich dafür einsetzte, dass unser Flug stattfinden kann und wir ein NATO-Rufzeichen durch die Bundeswehr erhielten, erlebten wir in der Praxis eine bürokratische und politische Verhinderungstaktik.“ Letztlich wurden nur 18 Menschen erfolgreich evakuiert. 18 Menschenleben, die es absolut wert sind, gerettet zu werden, aber es hätten so viele mehr sein können. Das Bündnis Luftbrücke Kabul macht die Bundesregierung dafür verantwortlich: „Wir sollten nicht erfolgreicher sein, als die Bundesregierung. Wir sollten scheitern, damit das Kartenhaus der Evakuierungsaktion der Bundesregierung nicht in sich zusammenfällt.“ Afghanische Menschen als Spielball im Wahlkampf. Es ist so frustrierend. „Nie hätten wir uns vorstellen können, dass Menschenleben nicht im Vordergrund stehen. Nie hätten wir gedacht, dass es den Zuständigen wichtiger ist, dass wir nicht erfolgreich sind, als Menschenleben zu evakuieren.“
Das ganze Statement könnt ihr hier nachlesen. Bitte spendet, wenn ihr könnt und schreibt eure*n Abgeordnete*n. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal bei allen bedanken, die in dieser Woche meinen Charity-Sale auf Instagram unterstützt haben. 750 Euro sind dabei zusammengekommen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, klar, aber eben auch nicht nichts. Danke, für eure Hilfe!
Donnerstag, 26. August
Am Vorabend des Erscheinungstags der neuesten Ausgabe der EMMA war Alice Schwarzer zu Gast im Deutschlandfunk. Die 68-Jährige nutzt die Gelegenheit natürlich direkt, um Werbung für ihr Heft zu machen. Schwarzer lenkt das Gespräch auf das Thema der aktuellen Ausgabe, sie sagt: „Diese Influencerinnen in überwältigender Mehrheit propagieren natürlich ein Frauenbild, das nicht von gestern ist, sondern von vorgestern. Die beschäftigen sich den ganzen Tag damit, sich einzucremen, abzunehmen, sich zu Tode zu hungern, mit den Wimpern zu klimpern, sogenanntes Duck-Face zu machen wie so eine Gummipuppe.“ Uff. Misogynie is kickin‘. Alice Schwarzer und ihre Redaktion haben sich also auf Influencerinnen eingeschossen. (Zitat aus dem Artikel: „Wir können diese Influencerinnen ruhig ohne Binnen-I schreiben, denn es sind vor allem Frauen, die in dieser neuen Branche führend und erfolgreich sind.“) Der Artikel ist eine Reproduktion der alten Mär, Feminist*innen dürften sich nicht die Beine enthaaren oder High Heels tragen. Heiß aussehen, Geld verdienen und trotzdem feministisch sein? Nicht mit EMMA! Die September/Oktober-Ausgabe verurteilt erfolgreiche Frauen dafür, dass sie mit Werbung ihr Geld verdienen. Sie seien schlechte Vorbilder für Mädchen mit ihrem „vorgestrigen Frauenbild“ (Alice Schwarzer). Dass es ziemlich unfeministisch ist, einzelne Frauen dafür zu beschämen, dass sie im Kapitalismus Geld verdienen wollen, ist in der EMMA-Redaktion vermutlich noch nicht angekommen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Frauen verdammt nochmal aussehen dürfen, wie sie wollen. Ob mit Kopftuch oder aufgespritzten Lippen, es geht niemanden etwas an, außer die Frau selbst. EMMA pickt sich für den Artikel natürlich genau die Frauen heraus, die in ihr Bild passen. Die vielen aktivistischen Influencer*innen, die in der Zielgruppe Aufmerksamkeit für wichtige politische und zivilgesellschaftliche Themen generieren, würden dabei wahrscheinlich nur stören.
Freitag, 27. August
Dass ich den FOCUS für ein rechtes Schmutzblatt halte, sollte aufmerksamen Leser*innen dieses Blogs bekannt sein. Ein Artikel, der am Freitag erschienen ist, ist dennoch eine Erwähnung wert. Denn er ist gefährlich. Unter der Überschrift „Schwierige Gesetzeslage: Sogar ein Zungenkuss kann eine Vergewaltigung sein“ schreibt dort ein nicht genannter Autor (gehe davon aus, dass es ein cis männlicher ist), „falsche Verdächtigungen“ würden „begünstigt“ durch die MeToo-Bewegung und die damit verbundene Tatsache, dass aus einer „Kultur des Schweigens (…) eine Kultur der Offenheit geworden“ sei. Der Artikel erschien anlässlich der Vorwürfe gegen Luke Mockridge (ich habe hier und hier darüber geschrieben) und gibt sich einen seriösen Anstrich, indem zwei Strafverteidiger zu Wort kommen, die in akademischer Sprache nichts anderes sagen als Udo und Bernd am Stammtisch. Also sinngemäß: Männer leben gefährlich, man kann heutzutage schon für einen Kuss in den Knast wandern und die kranken Tussis lügen, um rechtschaffene Männer zu Fall zu bringen. Bei Rechtsanwalt Dr. Otto Binder klingt das dann so: „Die Gefahr, zu Unrecht belastet zu werden, ist heute deutlich größer als vor 20 Jahren.“ Und weiter: „Denn Opfer erfahren eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, sie werden ernst genommen und erhalten viel Zuwendung, die sie sonst vielleicht nicht bekommen. Das kann ein Einfalltor sein für Menschen, die psychische Probleme haben. Es ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr, dass zu Unrecht Anzeigen erhoben werden.“ Welch perfides Framing. Betroffene sexualisierter Gewalt werden zu psychisch Kranken, die sich von einer Strafanzeige Aufmerksamkeit versprechen. Rechtsanwaltskollege Alexander Stevens geht laut FOCUS „davon aus, dass schätzungsweise die Hälfte der Beschuldigten zu Unrecht beschuldigt werden“. Eine Quelle für diese Behauptung gibt es nicht. Aber der Satz ist in der Welt. Die Über-Überschrift des Artikels lautet übrigens: „Sexuelle Gewalt erklärt“. Im Text selbst heißt es dann aber, dass ja heute praktisch keiner wissen könne, was sexuelle Gewalt überhaupt sei. Es handle sich dabei um eine „Definitionssache der Gesellschaft und der Moral“.
Auch am Freitag
Isabel Schayani wurde mit dem Grimme-Preis für ihre Berichterstattung aus dem Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Isabel Schayanis Berichterstattung aus dem Geflüchtetenlager Moria (und Moria II) ist verständlich, prägnant, sprachlich gewandt, kompetent in der Sache, empathisch und offen für Unerwartetes, das sie spontan einzuordnen weiß. Sie ist aber mehr als die Summe der einzelnen Qualitäten. Sie ragt im Ganzen heraus.“ Herausragend war auch Schayanis Auftritt bei der Preisverleihung. Sie hielt keine der üblichen Dankesreden, die man sonst auf solchen Bühnen zu hören bekommt. Isabel Schayani nutzt ihre Redezeit für einen emotionalen Appell, die Menschen aus und in Afghanistan zu helfen und vor allem, sie nicht zu vergessen.
Am Tag vor der Preisverleihung war Isabel Schayani noch in Usbekistan, wo die Bundeswehr zunächst die ausgeflogenen Afghan*innen hingebracht hatte. Isabel Schayani berichtet, dass auch in Moria überwiegend afghanische Geflüchtete gelebt hätten. Sie beginnt ihre Rede bei der Preisverleihung mit den Worten: „Sie können sich vorstellen, dass es schwer in einen Kopf und ein Herz geht, dass man dafür ausgezeichnet wird über das Leid und später über die Evakuierung dieser Menschen zu berichten.“ Isabel Schyani spricht über ihre Erfahrungen in Moria und sagt angesichts der aktuellen Situation: „Jetzt denke ich die ganze Zeit, (…) war das jetzt erst das Präludium, dieses Moria? War das erst der Anfang von dem, was dann kommt?“ Sie bittet das Publikum um zehn Sekunden Stille, aus „Respekt vor diesem Volk, was seit 43 Jahren einen Krieg erlebt. Wo ganze Generationen nur in diesem verdammten Krieg aufgewachsen sind, und dass wir einfach nur sagen: Wir sehen euch.“ Nach dem Schweigen fährt sie fort: „Wir erleben jetzt in Echtzeit dieses Drama in Kabul. Bis Dienstag. Jetzt ist gerade der Peak. As I speak sozusagen. Und die nächsten drei Tage noch. Und was kommt danach? Welche politischen Versprechen werden dann gehalten oder nicht gehalten? Und ich hoffe, ich hoffe wirklich, dass unser Interesse (…) wenn dann ein paar es in die Türkei schaffen, irgendwo an die EU-Außengrenze, wenn sie wieder auf die verdammte Balkanroute kommen. Ich hoffe, dass unser Interesse dann, in zwei oder drei Monaten, wenn wir dann auch erschöpft sind von diesem Thema, weil es ja auch keine einfache Lösung gibt. (…) Dass wir dann noch Interesse daran haben. Denn diese Menschen glauben tatsächlich, die, die sich da auf den Weg machen und diesen verdammt bitteren Preis zahlen, wo man sich wirklich fragt: Verdammt, wie kann so ein Mensch das eigentlich aushalten? Erst diese Heimat, dann diese Flucht, dann diese EU und dann kommst du irgendwann an und sollst Paketbote sein. Und ich hoffe, dass wir das einfach im Blick behalten.“
Samstag, 28. August
Im Rahmen des Bundesdelegiertentag der Frauen-Union diskutierten die Mitglieder am Samstag über einen Leitantrag zu einem Prostitutionsverbot. Die mit großer Mehrheit wiedergewählte Vorsitzende Annette Widmann-Mauz erklärte die Position im Interview mit dem RND: „(…) die Frage ist doch, ob der Staat die Würde der Frau und ihr Intimstes zur legalen Ware macht. Oder ob klar sein muss, dass der Körper – und die Seele – der Frau nicht käuflich ist. In den meisten Fällen wählen Frauen dieses sogenannte älteste Gewerbe der Welt doch gar nicht freiwillig“, so Widmann-Mauz. Sie bedient hier das häufig wiederholte Narrativ, bei der Sexarbeit würde die Frau gekauft. Viele Sexarbeiter*innen widersprechen dem. Nicht die Frau („der Körper“, „die Seele“) würde gekauft, sondern eine Dienstleistung. Dass es Menschen, ja sogar Frauen, gibt, die nichts verwerfliches daran finden, sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anzubieten, ist für Vertreter*innen des Nordischen Modells undenkbar. Für sie sind Huren entweder erniedrigte Opfer von Zwangsverhältnissen oder traumatisierte Überlebende sexualisierter Gewalt, die das selbst nicht wahrhaben wollen. In keinem Fall sind es selbstbestimmte Frauen, die auch über ihren Körper selbst bestimmen. Ein Sexkaufverbot, wie es das Nordische Modell bedeutet, soll die Sexarbeiter*innen angeblich nicht kriminalisieren, sondern nur ihre Kund*innen. In der Praxis führt dies jedoch dazu, dass sich noch mehr Prostitution in der Illegalität abspielt, es deshalb für die Sexarbeiter*innen unsicherer wird, bspw. weil abgeschiedene Orte aufgesucht werden, weil keine Hotelzimmer mehr angemietet werden dürfen. Gegen die von Befürworter*innen des Nordischen Modells geforderten Ausstiegshilfen für Sexarbeiter*innen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Allerdings wären diese auch ohne die Kriminalisierung und Stigmatisierung der Sexarbeit wichtig. Beratung, Aus- und Weiterbildungsangebote und Gesundheitsversorgung sollten nicht Bedingungen geknüpft werden, sondern auch denjenigen Sexarbeiter*innen offen stehen, die ihre Arbeit nicht aufgeben möchten.
Sonntag, 29. August