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Berliner Sexworker*innen demonstrierten unter dem Motto "Decriminalize the Future" für ihre Rechte. Illustration von mir.

Die Querfront steht

Transfeindlichkeit in Springers Welt und in Ohio, Berliner Sexarbeiter*innen feierten den Hurentag und mich beschäftigte die Frage: Ist Kardinal Müller eine TERF? Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW22

Montag, 30. Mai

Neue Woche, erneut ein Femizid. In Lippstadt (NRW) wurde eine 57-jährige Frau durch „stumpfe Gewalt gegen den Hals“ getötet. Tatverdächtig ist der 34 Jahre alte Sohn der Getöteten, der mit der pflegebedürftigen Frau in einem Haus lebte.

Ebenfalls am Montag fand die Polizei in Hagen bei Neustadt am Rübenberge (Region Hannover) die Leichen eines Ehepaars in dessen Haus. Die Opfer, eine 53-jährige Frau und ihr 59 Jahre alter Ehemann, wurden mit mehreren Messerstichen getötet. Die Ermittlungen konzentrieren sich derzeit auf den 27 Jahre alten Sohn der Frau.

In Lauchhammer (Brandenburg) starb am Dienstag eine 71-jährige Frau offenbar in Folge einer Gewalttat. Die Polizei nahm den 81 Jahre alten Ehemann fest.

Dienstag, 31. Mai

Das extrem rechte Bündnis aus Neonazis, christlichen Fundis und konservativen Traditionalist*innen „Demo für Alle“ ist wieder da. Nachdem es eine Weile ruhig war um die misogynen und queerfeindlichen Hetzer*innen aus Süddeutschland, meldeten sie sich nun mit einem Video auf YouTube zurück. Titel: „Transgender ist ein Verbrechen an Kindern“. Das Video ist ein Interview mit dem katholischen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehemals Bischoff von Regensburg, ist 45 Minuten lang und der Geistliche verbreitet darin allerlei antifeministischen, queer- und transfeindlichen Bullshit. Natürlich wurde die Veröffentlichung von einschlägigen rechten Onlineportalen begierig aufgegriffen. Überraschend für mich: in radikalfeministischen Kreisen blieb es ruhig, dabei vertritt der Kardinal exakt die gleichen Thesen wie die 2. Welle Feminist*innen um Alice Schwarzer, Chantal Louis oder Rona Duwe. Zum Thema trans sagte der 74-Jährige: „Das ist ein großes Verbrechen an der Menschheit und an jungen Kindern“ – könnte so auch in der EMMA stehen. Genauso wie das hier: „Sie [Politiker*innen] definieren einfach die Wirklichkeit anders und hetzen jedem dann die Richter auf den Hals und wollen mit Gewalt [er sagt „Gewaaaalt“] das Denken der Leute ändern im Sinne ihrer Ideologie. Aber trotzdem bleibt ein Mann ein Mann und eine Frau bleibt eine Frau“.  Das gleiche gilt für die Bewertung des Katholiken der Leihmutterschaft: „Sklavenhandel“ ist das für ihn, „Menschenhandel“. Ich warte nur auf den offiziellen Schulterschluss von „EMMA“ und „Demo für Alle“, Zeit wird’s.

Mittwoch, 1. Juni

Pünktlich zum Start des Pride Month veröffentlichte Springers Schmutzblatt Welt.de einen Artikel mit dem Titel „Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen“. Illustriert war das ganze mit der Maus aus der „Sendung mit der Maus“ und einer Regenbogenflagge, auf die das nicht-binär-Symbol montiert wurde. Der Text, ein Gastbeitrag von verschiedenen Autor*innen, unter denen sich auch der transfeindliche Kinderarzt Alexander Korte befindet, wurde hinter eine Paywall gesetzt, was gut ist, denn so lesen weniger Menschen dieses gefährliche Hasspamphlet. Laut queer.de liest sich der Text wie „empörte Berichterstattung von ‚Demo für alle‘, AfD oder ‚Junger Freiheit‘“. Der „Volksverpetzer“ urteilt: „Was wir hier sehen, ist die Wiedergabe rechtsextremer Positionen im publizistischen Mainstream Deutschlands.“ Der Text ist im Großen und Ganzen eine Zusammenfassung eines „Offenen Briefs“, der vor der „Sexualisierung“, „Indoktrinierung“ und „Umerziehung“ von Kindern warnt und auf der Webseite des transfeindlichen Grünen-Mitglieds Eva Engelken veröffentlicht wurde. Im Welt-Artikel heißt es: „Eltern wissen in der Regel nicht, was mit solchen Sendungen den Kindern angetan wird und mit welchen Botschaften diese indoktriniert werden. Niemand hat den ÖRR beauftragt, Kinder im Sinne einer ideologisch motivierten Agenda umzuerziehen.“ Es ist die uralte rechtsextreme Erzählung, ein bisschen Verschwörungsideologie hier, ein bisschen Demokratiefeindlichkeit da. Es vergeht kein Wochenrückblick, ohne dass ich auf den wachsenden Hass gegen trans Personen aufmerksam mache. Das Thema geschlechtliche Vielfalt bietet Faschist*innen aller Schattierungen ein ideales Bonding-Moment – und das international. Von vermeintlich links (wie bspw. Sahra Wagenknecht) über die selbsternannte Mitte (z.B. Leni Breymaier, SPD) bis nach rechts (die gesamte CDU) und ganz rechts (z.B. Björn Höcke), die Querfront steht geschlossen gegen die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung. Unterstützung kommt dabei von TV-Formaten (wie „13 Fragen“, ebenfalls am Mittwoch, wo u.a. besagte Eva Engelken die Existenz von trans Menschen zur Debatte stellen konnte), Stand-Up-Comedians wie Dave Chapelle und eben von Welt-Artikeln.  

Auch am Mittwoch

Das Repräsentantenhaus von Ohio hat am späten Mittwochabend einen Gesetzentwurf verabschiedet, der nicht nur trans Mädchen vom Schulsport ausschließt, sondern darüber hinaus eine ärztliche Bestätigung des Geschlechts vorschreibt, wenn das Geschlecht eines Kindes angezweifelt wird. Wenn das Geschlecht von Schüler*innen „umstritten“ ist, müssten die „innere und äußere Reproduktionsanatomie“, „die normalen endogenen Testosteronwerte“ sowie „eine Analyse des genetischen Aufbaus“ des Kindes ärztlich bestätigt werden. In der Realität würde das bedeuten, dass trans Kinder oder Kinder, die von anderen als nicht eindeutig weiblich oder männlich wahrgenommen werden, einer erniedrigenden und möglicherweise traumatisierenden Untersuchung ihrer Genitalien ausgesetzt würden. Dabei enthält der Gesetzentwurf keinerlei Bestimmungen, die einschränken, wer Zweifel am Geschlecht eines Kindes geltend machen kann bzw. unter welchen Bedingungen. Das US-Magazin „Forbes“ schreibt: „Demnach könnte jedes junge Mädchen, das in Ohio Sport treibt, angezweifelt werden, weil es nicht weiblich genug aussieht oder einfach zu oft gewinnt.“ (Übersetzung von mir.) Der Gesetzesentwurf schließt an keiner Stelle aus, dass z.B. ein gegnerischer Trainer oder auch irgendein random Fan die „Überprüfung“ einfordern kann. Der Senat muss dem Entwurf noch zustimmen.

Donnerstag, 2. Juni

Der 2. Juni ist der Internationale Hurentag und geht zurück auf den Streik von über 100 Lyoner Huren, die am 2. Juni 1975 die Kirche Saint-Nizier besetzten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Nach acht Tagen wurde die Kirche durch die Polizei geräumt und die Hurenbewegung war geboren. In Berlin haben Sexarbeiter*innen (was als Fremdbezeichnung dem stigmatisierenden Begriff „Prostituierte“ vorzuziehen ist) kürzlich ihre eigene Gewerkschaft gegründet. Die Sektion Sexarbeit der Freien Arbeiter*innen Union Berlin bietet Sexarbeitenden eine Plattform zur Selbstorganisation, entwickelt Strategien zu Mobilisierung und zur Interessenvertretung und will Solidarität und Bewusstsein in der Community schaffen. Die zentralen Forderungen der Sexworker’s Union sind:

1. Soziale und institutionelle Entstigmatisierung und Anerkennung von Sexarbeit als Beruf durch Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung.

2. Vollständige Entkriminalisierung und Abschaffung der unterdrückerischen Sonderregelungen gegen Sexarbeiter*innen. Abschaffung des §184 f (StGB) „Ausübung der verbotenen Prostitution“, um endgültig Sperrbezirke abzuschaffen. Abschaffung der Anmeldepflicht für Sexarbeiter*innen und der zerstörerischen Regelungen gegenüber unseren Arbeitsstätten, wie sie im ProstituiertenSchutzGesetz enthalten sind.

3. Gesetzliche Rechte für Sexarbeiter*innen, verfasst von Sexarbeiter*innen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Am Samstag demonstrierten Sexarbeiter*innen und ihre Verbündeten in der City West. Ich war auch dabei und wer bei der Berliner Zeitung genau hinschaut, sieht mich beim Bannertragen.

Freitag, 3. Juni

In der Nacht zu Freitag wurde in Wien der Eingang zur städtischen Bücherei in der Gumpendorfer Straße zugemauert. Es sieht ganz danach aus, dass die Aktion von Rechtsextremist*innen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung geplant und durchgeführt wurde. Am Freitag fand in der Bibliothek eine Kinderbuchlesung mit der Drag Queen „Candy Licious“ statt. Die Mauer konnte allerdings schnell entfernt werden und die Lesung wie geplant stattfinden.

https://twitter.com/msulzbacher/status/1532606849291272194?s=20&t=fhjlNApahPxQa5DmIbGq6A

Auch am Freitag

Das Problem an Deutschland wurde selten so plakativ deutlich wie am Freitag. Während der Bundestag mal eben beschloss, das Grundgesetz zu ändern, um 100 Milliarden für die (von Nazi-Netzwerken durchsetzte) Bundeswehr locker zu machen, wurden Hunderte Menschen von der Bundespolizei aus überfüllten Regionalzügen geholt, die dank des 9€-Tickets mit den Öffis ins lange Wochenende starten wollten. Man stelle sich nur vor wie die viel beschworene „Verkehrswende“ mit 100 Milliarden Sondervermögen gelingen könnte! Kostenfreier Nahverkehr, mehr Strecken, mehr Züge, mehr Personal, ein Traum – nicht zuletzt fürs Klima. Aber nein, lasst uns einfach noch mehr als ohnehin schon in den Krieg investieren, Danke Ampel!

Samstag, 4. Juni

In Frankreich wurde Medienberichten zufolge ein Neonazi wegen mutmaßlicher Anschlagspläne festgenommen. Der 20-Jährige Angel B. soll unter dem Pseudonym „HeinrichHimmler88“ auf Social Media Videos verbreitet haben, in denen er drohte, Schwarze, jüdische und Menschen sowie ganz allgemein Frauen anzugreifen. Er soll zudem Mitglied in rassistischen und Neonazi-Gruppen auf Telegram sein. „Nach einer Cyberinfiltration und einer Überwachungsphase nahmen die Ermittler Angel B. fest, als er gerade Kontakt mit einem Mann aufgenommen hatte, der eine Schusswaffe angeboten hatte“, schreibt das antifaschistische Rechercheportal @affeu auf Twitter.

Warum es das Redaktionsnetzwerk Deutschland immer noch für eine gute Idee hält, Meldungen über Rechtsextremisten mit Springerstiefeln zu bebildern, konnte ich diese Woche leider nicht klären.

Sonntag, 5. Juni

Am 5. Juni 2013 wurde in Paris der 18-jährige Antifa-Aktivist und Gewerkschafter Clément Méric auf offener Straße von Neonazis angegriffen und ermordet. Kein Vergeben, kein Vergessen!

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Jule

    Das Menschen wie Kardinal Müller solche Reden schwingen dürfen und noch immer in der Kirche tätig sind, zeigt wie rückschrittlich es da noch zugeht. Ich bin immer wieder geschockt, wie viel wir als Staat noch auf katholische wie evangelische Kirche hören/ geben / beeinflusst werden …
    Danke fürs Zusammenfassen!

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