Während die Türkei Kurdistan bombardiert und in Frankreich bald eine Faschistin regieren könnte, heuchelt Xavier Naidoo Reue und hilft Sascha Lobo Huschke Mau bei der Buch-Promo. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW16
Wie so oft beginnt der Wochenrückblick mit den Meldungen von Femiziden. Bereits am Karfreitag wurde eine 79-Jährige in Waiblingen-Hohenacker (Baden-Württemberg) in ihrem eigenen Haus offenbar getötet. Wie die Polizei am Mittwoch mitteilte, gehen die Ermittler*innen von einem Tötungsdelikt aus. Die Obduktionsergebnisse seien „nicht mit einem häuslichen Unfall in Einklang zu bringen“, erklärten die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Polizeipräsidium Aalen.
Am Samstag wurde in Braunschweig eine 53-Jährige mit mehreren Messerstichen und -schnitten getötet. Die Frau hatte Wachdienst am Empfang des Westermann-Verlags, als der Angriff passierte. Die Polizei nahm kurz darauf einen 43 Jahre alten Mann fest, der als tatverdächtig gilt. Ob sich Täter und Opfer kannten, sei nicht bekannt, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Montag, 18. April
„Die Türkei hat eine neue Offensive gegen kurdische Kämpfer im Norden des Irak gestartet“. Diese euphemistische Umschreibung der Tagesschau bedeutet übersetzt: Das türkische Militär greift Südkurdistan mit Bomben und Bodentruppen an und tötete bereits am ersten Tag der Angriffe mindestens 19 Kurd*innen. Im Schatten des völkerrechtswidrigen Kriegs Russlands gegen die Ukraine, kann die Türkei von Deutschland und anderen NATO-Partnerin unbehelligt Kurdistan angreifen und – wie Recep Tayyip Erdoğan es nannte – „Köpfe zermalmen. Im Laufe der Woche weitete die Türkei die Angriffe aus, bombardierte u.a. auch das Stadtzentrum von Kobanê (Rojava / Nordostsyrien). In Rojava kämpften vorwiegend Kurd*innen erfolgreich gegen den IS und riefen 2016 die Demokratische Föderation Nordsyrien aus. Rojava verfügt weltweit über eine der fortschrittlichsten Verfassungen, die an Pluralität, Freiheit, Gleichheit, feministischen Werten und ökologischer Nachhaltigkeit orientiert ist. Seitdem wird das Gebiet immer wieder von der Türkei und deren Verbündeten angegriffen. Expert*innen sprechen davon, dass die Türkei das Ziel einer ethnischen Säuberung der kurdischen Gebiete verfolgt. Trotz allem findet das völkerrechtswidrige Vorgehen der Türkei gegen kurdische Gebiete findet hierzulande kaum Beachtung und erstrecht keine Verurteilung. Im Gegenteil: selbst Annalena „feministische Außenpolitik“ Baerbock bedankte sich kürzlich noch beim türkischen Außenminister Mevlut Çavuşoğlu (der regelmäßig das Zeichen der rechtsextremen „Grauen Wölfe“ zeigt) „für unsere starke deutsch-türkische Partnerschaft!“ und twitterte ein gemeinsames Foto.
Dienstag, 19. April
Am Dienstag wurde in Mainz-Laubenheim eine 41-jährige Frau tot in ihrer Wohnung gefunden. Ein 21 Jahre alter Nachbar steht im Verdacht, die Frau gewaltsam getötet zu haben. Der Verdächtige wurde beobachtet, wie er kurz nach der Tat den Tatort verließ. Er sitzt nun in Untersuchungshaft.
Auch am Dienstag
Die Good News der Woche kamen dieses Mal per Pressemitteilung von der tin*Rechtshilfe. Der Anlass: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat die Berufung der Deutschen Bahn zurückgewiesen und damit ein Urteil des Landgerichts Frankfurt vom bestätigt, „das die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Onlinehandel grundlegend stärkt“. Der Fall: Robin Nobicht, eine nicht-binäre Person, hatte gegen die Deutsche Bahn geklagt, da Kund*innen beim Ticketkauf gezwungen werden, sich für die Anrede „Frau“ oder „Herr“ zu entscheiden. Das Landgericht Frankfurt hatte geurteilt, dass die Deutsche Bahn verpflichtet ist, die falsche, „diskriminierende“ Anrede zu unterlassen und die Bahn angewiesen, ihren Online-Ticketverkauf entsprechend umzustellen. Vor der Klage hatte Nobicht mehrfach versucht, den Kund*innenservice der Deutschen Bahn über die diskriminierende Pflichtauswahl zu informieren. Robin Nobicht freut sich über das Urteil, „nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen nicht-binären Menschen, die mit der Bahn fahren. Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen sich von diesem Urteil dazu inspirieren lassen, ihre nicht-binären Kund*innen richtig anzusprechen“, sagte Nobicht. Friederike Boll, Rechtsanwältin im Verfahren, erklärte: „Die Signalwirkung dieses Urteils ist […] kaum zu unterschätzen. Wir hoffen, dass jetzt im Onlinehandel bald überall die Möglichkeit eingeführt wird, eine geschlechtsneutrale Anrede zu wählen. Dies würde dazu beitragen, die Diskriminierung von trans*, inter* und nicht-binären Menschen im Onlinehandel abzubauen.“
Mittwoch, 20. April
Xavier Naidoo hat mal wieder ein Video veröffentlicht. Nur hat er diesmal kein rechtsextremes Reichsbürgergeschwurbel oder hoch emotionalisierte Verschwörungsideologien verbreitet, sondern so eine Art Distanzierung davon. In einem gemütlichen Setting erzählt der Schnulzensänger mit getragener Stimme, dass er nun erkannt habe „auf welchen Irrwegen ich mich teilweise befunden habe und dass ich in den letzten Jahren viele Fehler gemacht habe“. Gut. Ein guter Anfang imm2erhin. Aber so leicht sollte es ihm die Zivilgesellschaft nicht machen. Xavier Naidoo war nicht nur ein verblendeter Mitläufer, der im Familienchat mal Fake-News gepostet hat. Er war über einen längeren Zeitraum einer der wichtigsten deutschsprachigen Akteure im Bereich der Verschwörungsmythen und der rechtsextremistischen Agitation. Das Bundesverfassungsgericht kam erst im Dezember zu dem Schluss, dass der Sänger öffentlich als „Antisemit“ bezeichnet werden darf. Im Tagesspiegel findet sich eine Liste der Aussagen Naidoos, die so abgrundtief menschenverachtend sind, dass seine Aussage, sich „verrannt“ zu haben und „geblendet“ gewesen zu sein, eine dreiste Verharmlosung seines geschlossenen antisemitischen Weltbilds darstellen. Ich möchte hier nicht die übelsten Takes zitieren; wer starke Nerven hat, kann das ganze Ausmaß des Hasses beim Tagesspiegel lesen. Naidoo, der u.a. ein Video verbreitete in dem der Holocaust als „gelungene historische Fiktion“ bezeichnet wird und der Attila Hildmann einen „Bruder im Geiste“ nannte, sagt jetzt, er habe mit „verstörenden Aussagen irritiert und provoziert“, habe sich „zum Teil instrumentalisieren lassen“. Er spricht von seiner „Wahrheitssuche“ und rechtfertigt damit seine rassistischen, antisemitischen und queerfeindlichen Tiraden, die er über Jahre im Internet und auf Bühnen verbreitete. Es reicht einfach nicht aus, dass er sich jetzt selbst von all dem freispricht, indem er erklärt: „Alle, die mich kennen, wissen wofür ich einstehe. Ich stehe für Toleranz, Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus sind mit meinen Werten nicht vereinbar und ich verurteile diese aufs Schärfste.“ Ferda Ataman, Journalistin und Ex-Söhne-Mannheims-Fan, sagt, Xavier Naidoos Video sei „ein schlechter Witz“ und „taktisch inszeniert“. Sie zweifelt daran, „ob der Sinneswandel echt ist oder ob das Management nicht vielleicht einfach seinen Job behalten will“.
Auch am Mittwoch kam es zu einem Femizid. In Achberg (Kreis Ravensburg) hat mutmaßlich ein 28 Jahre alter Mann seine 88-jährige Großmutter mit einem Messer getötet. Über das mögliche Motiv gibt es derzeit noch keine Informationen.
Donnerstag, 21. April
Der rassistische Massenmörder, der am 19. Februar 2020 in Hanau zehn Menschen tötete, wurde bereits 2018 wegen Bedrohung und Waffenbesitz bei der Polizei in Bayern gemeldet. Eine Sexarbeiterin, die von Tobias R. in einer Ferienwohnung bedroht wurde, informierte einen Bekannten per SMS, die Polizei zu alarmieren, nachdem der Mann ihr neben Waffen auch ein Drehbuch präsentiert haben soll, an dessen Ende eine Frau tot war. Die Polizei kam und sorgte dafür, dass die Frau gehen konnte, jedoch nahm sie deren Aussagen offenbar nicht ernst. Wie die Frankfurter Rundschau berichtet, „sei es vor allem darum gegangen, ob sie rechtmäßig der Prostitution nachgehe, und kaum um ihre Schilderungen. Zudem sei mehrfach erwähnt worden, dass bestimmte sexuelle Vorlieben nicht verboten seien“. Das zuständige Polizeipräsidium will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, die Ermittlungen seien abgeschlossen.
Freitag, 22. April
Auf Twitter gab es diese Woche eine Diskussion über die Herbstprogramme der großen Deutschen Verlage. Losgetreten hatte es ein Tweet der Bestseller-Autorin Jasmin Schreiber, die die Vorschau von Hanser Sachbuch mit den Worten kommentierte: „Ich glaube, ich habe noch nie ein Verlagsprogramm jenseits des Vatikan gesehen, in dem keine Frau zu sehen ist. Wow. Einfach wow. Was soll man dazu noch sagen“. Tatsächlich sind alle Neuerscheinungen Bücher von Männern, mit Ausnahme einer Biografie über W.G. Sebald, die von Caroline Angier verfasst wurde (und von Andreas Wirthensohn ins Deutsche übersetzt). Isabella A. Caldart, Journalistin, Lektorin und Buchautorin, hat sich daraufhin die Mühe gemacht und die Vorschauen der übrigen Verlage unter die Lupe genommen.
Hier eine Auswahl in absteigender Reihenfolge des Autorinnen-Anteils:
- S. Fischer: 20 Männer, 14 Frauen, 1 Duo
- Kiepenheuer & Witsch: 15 Männer, 13 Frauen
- Aufbau: 15 Männer, 9 Frauen
- Piper Sachbuch: 11 Männer, 5 Frauen
- Tropen: 7 Männer, 3 Frauen
- Rowohlt Sachbuch: 5 Männer, 2 Frauen
- Klett-Cotta Sachbuch: 13 Männer, 1 Frau
Samstag, 23. April
In der aktuellen Episode der NDR Talkshow „Deep und Deutlich“ geht es um Sexarbeit. Unter dem Titel „Bordellrepublik Deutschland: Land der unbegrenzten Freier?“ diskutierte Huschke Mau, Ex-Sexarbeiterin, Gründerin des „Netzwerk Ella“ und Autorin des Buchs „Entmenschlicht“ mit Sascha und Jule Lobo. Außerdem war noch die Youtuberin Alicia Joe dabei, die aber nicht wirklich etwas sagte. Huschke Mau ist nicht nur Überlebende sexualisierter Gewalt, sondern auch seit Jahren politische Aktivistin für die „Abschaffung von Prostitution“. Sie fordert die Einführung des sogenannten „Nordischen Modells“ in Deutschland, also ein „Sexkauf-Verbot“, dass vordergründig nur Kund*innen bestraft und nicht die Sexarbeiter*innen. In der Realität sieht es jedoch ganz anders aus, wie Untersuchungen zeigen. „Verschiedene neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass solche Verbote im Kontext von Prostitution das Risiko sexuell übertragbarer Erkrankungen erhöhen. Gewalt steigt, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Menschenhandel verringert sich nicht“, erklärt bspw. Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Auch die Deutsche Aidshilfe, die Diakonie, der Deutsche Frauenrat oder der Juristinnenbund lehnen das „Nordische Modell“ ab und warnen vor einer Verstärkung der Kriminalisierung von Sexarbeit. Diese Position vertrat auch Sascha Lobo in der Talksendung und ging mit Huschke Mau in die Diskussion. Nachdem Sascha Lobo eine Aussage von Huschke Mau als Verharmlosung von sexualisierter Gewalt kritisiert, bricht sie die Aufnahme ab. Sie findet die Runde „überprivilegiert“ und erklärt, dass sie „innerlich grad kotze und jetzt eine Pause brauche“. Sie sei so viel gewohnt, aber nicht „so eine Scheiße“. Sie ist sichtlich aufgewühlt und ich finde, sie hat jedes Recht, die Sendung abzurechen, wenn sie sich in der Runde unwohl fühlt. Allerdings: Huschke Mau ist nicht einfach nur eine Betroffene, die möglicherweise in der Runde eine Retraumatisierung erfahren hat, sie ist eine politische Aktivistin (wie sie selbst mehrfach betont hat). Es muss möglich sein, ihren politischen Forderungen und Aussagen etwas sachlich zu entgegnen. Und nur das ist passiert. Auf Twitter erhält Huschke Mau nun viel Solidarität, Sascha Lobo wird nicht nur des Mansplainings bezichtigt, sondern vielfach einfach als „Freier“ bezeichnet. Weil da gerade ein sehr schiefes Bild dessen existiert, was eigentlich gesagt wurde, habe ich die entscheidende Aussage Sascha Lobos für euch transkribiert:
„Aber du setzt ja gerade Vergewaltigung und Sexkauf gleich und das finde ich echt problematisch, weil das aus meiner Sicht Vergewaltigung verharmlost, wenn du sagst ‚in dem Moment, wo Geld fließt, ist es kein Konsens‘, dann halte ich das für wirklich ganz ganz schwierig, weil kein Konsens ist für mich Vergewaltigung und da gibt es für mich auch gar keine zwei Meinungen: wenn kein Konsens besteht, ist es eine fucking Vergewaltigung und gehört bestraft und meinetwegen auch zehn Mal härter bestraft, als es bisher der Fall ist, da bin ich sofort dabei. Auch was Zwangsprostitution angeht – das ist für mich Vergewaltigung. Aber in dem Moment, wo du sagst, wann immer Geld fließt, ist es eine Vergewaltigung, dann ist genau das Beispiel, was sie gerade gebracht hat [Sexarbeit im Escortservice] auch eine Vergewaltigung und damit habe ich ein Problem, weil es für mich wie eine Verharmlosung von sexueller Gewalt wirkt.“
Wenn ihr mich fragt, ist das noch sehr zurückhaltend formuliert. Der Abbruch der Sendung und die anschließende Entschuldigung von Moderatorin Aminata Belli bei Huschke Mau erschienen mir schon arg überzogen. Die Gästeauswahl zu diesem Thema finde ich definitiv kritikwürdig, aber der verhältnismäßig vorsichtig formulierte Widerspruch gegen eine Aktivistin, die „Prostitution abschaffen“ will, muss im Öffentlich-Rechtlichen möglich sein. Je mehr ich im Nachgang zur Sendung auf Social Media gelesen habe, desto mehr erscheint es mir wie ein sehr geschickter PR-Move für das neue Buch. Das, oder Huschke Mau wurde von den Produzent*innen mit dem falschen Versprechen in die Sendung gelockt, dass sie unwidersprochen Buch-Promo machen darf. Anders kann ich mir diese Szene nicht erklären.
Auch am Samstag:
Am Samstag wurde in Köln eine 30-jährige Frau getötet. Tatverdächtig ist der 39 Jahre alte Lebensgefährte der Frau, der zunächst geflohen war, sich aber am Sonntagmorgen stellte. Wie die Polizei mitteilte, wies die Leiche Spuren massiver Gewalteinwirkung auf.
Sonntag, 24. April
In Frankreich wird gewählt. In der Stichwahl um die Präsidentschaft treten heute die rechtsextreme Marine Le Pen und der amtierende Präsident Emmanuel Macron gegeneinander an. Weil blasierte Linke in den letzten Wochen haderten, sie könnten doch unmöglich einen Neoliberalen wählen, hat die Faschistin ernsthafte Chancen, diese Wahl für sich zu entscheiden. Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid twitterte diese Woche: „Am Sonntag werden Millionen in Frankreich für eine rechtsextreme Straftäterin bei der Präsidentschaftswahl stimmen. Analysen werden diese Stimmen auf ‚Angst‘ oder ‚Protest‘ zurückführen. Was stimmt: Diese Franzosen möchten ihren Rassismus in gewalttätige Politik umgesetzt sehen.“
Ich fühle mich ein bisschen wie 2016, als Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Es ist halt einfach möglich. Und erlaubt mir meinen pessimistischen Realismus: Wir sind in Deutschland nicht weit weg. Wir leben auf dünnem Eis zwischen besorgten Bürger*innen und hohen Spritpreisen. Es braucht nur ein*e charismatische*r Führer*in auftauchen, und schon macht die AfD aus derzeit 11 Prozent schnell 25. Das Potenzial in der Wahlbevölkerung ist da, das belegen Untersuchungen.
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