Beim 566. Mass-Shooting in den USA wurden 18 Menschen getötet, darunter ein Kind, die Ampelregierung will noch mehr und grausamer abschieben und Jens Spahn macht einen auf von Storch. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW43
Montag, 23. Oktober
Und wieder beginnt ein Wochenrückblick mit einem Femizid. In Berlin-Köpenick wurde am Montagmorgen eine 55-jährige Frau auf dem Gehweg direkt vor ihrem Wohnhaus erstochen. Sie starb noch am Tatort an ihren schweren Stich- und Schnittverletzungen. Der Täter ist auf der Flucht. Es war leider nicht der einzige Femizid diese Woche. In der niedersächsischen Gemeinde Hehlen tötete am Dienstagabend mutmaßlich ein 41-Jähriger eine 39 Jahre alte Frau vor einem Wohngebäude. Er fügte der Frau erhebliche Stichverletzungen zu und floh dann zu Fuß. Die Polizei nahm den Verdächtigen am Donnerstag fest. In Leverkusen wurde am Freitag gegen 21 Uhr eine 35 Jahre alte, schwangere Frau auf offener Straße erstochen. Sie erlag den schweren Verletzungen noch am Tatort. Polizei nahm einen 34-jährigen Mann fest, der vermutlich in einer Beziehung mit der Getöteten stand.
Dienstag, 24. Oktober
Wisst ihr noch, als Beatrix von Storch forderte, man müsse auf flüchtende Menschen schießen? „Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer“, schrieb sie damals auf Facebook. „Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen.“ Das war im Januar 2016 und die Empörung war groß. Sigmar Gabriel forderte, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen und Armin Laschet (von dem wir dachten, er wäre schlimmer als Olaf Scholz, nunja…) erklärte: „Wenn die Führungsspitze der AfD auf ausdrückliche Nachfrage erläutert, an der Grenze auch auf Kinder schießen zu lassen, verlässt sie den Verfassungsbogen, der auch extreme Meinungen zulässt“. Jetzt, fast acht Jahre später, ist die Stimmung im Land eine andere. Jens Spahn sagte am Dienstag zum Nachrichtenportal „The Pioneer“, die Abschiebung von schutzsuchenden Menschen reiche nicht aus, die Migration nach Deutschland müsse an den EU-Außengrenzen bekämpft werden, auch „mit physischer Gewalt“. Der CDU-Politiker hat zwar nicht vom Erschießen gesprochen, wie von Storch oder auch Frauke Petry, aber die Botschaft ist exakt die gleiche. Die öffentliche Reaktion darauf allerdings nicht. Ein stellvertretender Ressortleiter von Springers „Die Welt“ findet Spahns Forderung zwar „drastisch“, sie sei „aber eine Selbstverständlichkeit“. Die große Empörung blieb aus, auch von Armin Laschet war diesmal nichts zu hören.
Mittwoch, 25. Oktober
Eine aktuelle Studie der „European Union Agency for Fundamental Rights“ mit dem Titel „Being Black in the EU – Experiences of people of african descent” hat ergeben, dass in Deutschland der Anti-Schwarze Rassismus im Vergleich zu zwölf weiteren EU-Staaten am stärksten ausgeprägt ist. 76 % der in Deutschland befragten Schwarzen Menschen mit mindestens einem afrikanischen Elternteil gaben an, innerhalb der vergangenen fünf Jahre explizit wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe Rassismus erfahren zu haben. In Schweden waren es 25 %, in Polen 20 %. In Deutschland gaben 56 % der Befragten an, innerhalb der letzten fünf Jahren bei der Jobsuche benachteiligt worden zu sein und 74 % machten diskriminierende Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt. Aileen Puhlmann, u.a. Autorin, Speakerin und Antirassismus-Trainerin aus Hamburg schrieb dazu in einer Instagram-Story: „I am sorry…aber wir wissen das. Wir wussten das. Was mich wütend macht ist jede Person die jetzt ganz betroffen tut und sagt ‚was echt?‘ 2020 ist noch nicht so lange her. Seit dem sind viele Bücher erschienen die Schwarze deutsche Realitäten abbilden. Es ist alles gesagt worden. Jetzt so zu tun als hätten wir eine Studie gebraucht ist heuchlerisch. Ich weigere mich auch jetzt wieder ganz traurig aus meinem Leben zu erzählen. No! Joy is what I want. Und das steht mir, uns zu.”
Wo wir schon beim Thema Rassismus sind: Nancy Faesers „Rückführungsverbesserungsgesetz“ wurde am Mittwoch von der Bundesregierung (zur Erinnerung, bestehend aus SPD, Grüne und FDP) beschlossen. Wer „Rückführungen“ sagt, möchte es nach einem höflichen Akt der Bürokratie klingen lassen, oder nach sowas wie Museums- und Stadtführungen vielleicht. Der Begriff lenkt gezielt davon ab, wie brutal, entwürdigend, gewaltsam eine Abschiebung in Wirklichkeit meist vonstattengeht. Aber die Deutschen waren schon immer meisterhaft darin, Unmenschlichkeit in technisch-abstrakte Sprache zu kleiden und den Horror mit deutscher Gründlichkeit und Ordnung zu kaschieren. Also schauen wir uns doch mal genauer an, was die Ampel da unter anderem beschlossen hat:
- Menschen dürfen fortan 28 Tage lang in Abschiebeknästen eingesperrt werden. Menschen können im „Ausreisegewahrsam“ auch ohne Vorliegen von Haftgründen(!) zum Beispiel im Transitbereich eines Flughafens vier Wochen lang festgehalten werden. „In der Praxis wird Ausreisegewahrsam allerdings so gut wie immer in den gleichen Haftanstalten vollzogen wie andere Formen der Abschiebungshaft, also z.B. auch die Sicherungshaft“, erklärt der Informationsverbund Asyl & Migration.
- Menschen, die zu sogrannten „Clanfamilien“ gehören, können abgeschoben werden, „unabhängig von einer individuellen strafgerichtlichen Verurteilung“. Also known as „Sippenhaft“.
- Die Polizei erhält weiträumige Befugnisse zur Durchsuchung. Nicht nur die Wohnungen oder Zimmer in Gemeinschaftsunterkünften dürfen durchsucht werden, sondern auch gemeinschaftlich genutzte Räume, die Smartphones der Betroffenen und so weiter. Die im Grundgesetz garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung und der Privatsphäre wird für geflüchtete Menschen einfach ausgehebelt.
- Abschiebungen sollen künftig grundsätzlich nicht mehr angekündigt werden. Die Menschen werden nachts in ihren Betten überfallen, im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz.
Robert Habeck findet das „Hart, aber notwendig“ und erklärt in bestem Rechtspopulismus, dass wer „nicht arbeiten möchte“ eben abgeschoben wird. „Raus aus den Sozialsystemen, rein in die Arbeit“. Das durchzusetzen, habe die Bundesregierung nun einfacher gemacht. Habeck sagt: „Das ist meine Antwort und ich glaube, das ist die richtige Antwort.“ Was ich glaube, schreibe ich jetzt lieber nicht, aber ich finde es schon „lustig“, dass Habeck seine Haltung als ein „Bekenntnis zu den Rechten“ bezeichnet.
Donnerstag, 26. Oktober
Weil die Integrations-Staatssekretärin Schleswig-Holsteins, Marjam Samadzade, einen Instagrampost der Journalistin und Buchautorin Alice Hasters geliket und geteilt hat, wurde sie von ihren Aufgaben entbunden und musste ihr Amt mit sofortiger Wirkung niederlegen. Der Grund: Der Beitrag sei „israelkritisch“. Alice Hasters hatte in dem Beitrag vom 17. Oktober geschrieben:
„Ich verurteile den Angriff der Hamas zutiefst. Es ist ein unaussprechliches, unerträgliches Leid. Es war ein Massaker. Und immer noch hoffen Familien auf ein Lebenszeichen von mehr als 100 Geiseln. Dieser Angriff war zutiefst antisemitisch. Es gibt hier keine Relativierung. Ich verurteile die Regierung Israels und die uneingeschränkte Solidarisierung internationaler Regierungen ihres Vorgehens. Ich bezweifle stark, dass was gerade passiert, Juden und Jüdinnen auf lange Sicht schützen wird. Die israelische Regierung ist rechts und sie bricht Völkerrecht. Es sind bereits mehr als 1000 Kinder in Gaza gestorben. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem Genozid und Diplomat*innen versuchen die israelische Regierung dazu zu bringen die palästinensische Zivilbevölkerung nicht verdursten zu lassen. Das ist die Situation. Das ist unerträgliches Leid. Auch hier gibt es keine Relativierung.“
Alice Hasters auf Instagram am 17.10.2023
Schleswig-Holsteins Grüne Sozialministerin Aminata Touré sieht darin ein Infragestellen des Existenzrechts Israels und entließ die Staatssekretärin. Sie erklärte: „Unsere Haltung ist klar: Wir stehen an der Seite Israels, das das Recht hat sich selbst zu verteidigen. Israels Existenzrecht darf zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden.“ Inwiefern Kritik am Regierungshandeln pauschal als Absprechen des Existenzrechts Israel verstanden werden kann, bleibt in dem Fall das Geheimnis der Landesregierung.
Apropos Antisemitismus: Nachdem Huber Aiwanger trotz oder (vermutlich eher) wegen des Bekanntwerdens einer von ihm verbreiteten judenfeindlichen Hetzschrift ein gutes Plus an Wählerstimmen verzeichnen konnte, ermittelt die Staatsanwaltschaft Regensburg nun gegen dessen ehemaligen Lehrer, der das antisemitische Flugblatt öffentlich gemacht hatte. Deutscher wird’s heute nicht mehr.
Freitag, 27. Oktober
In Nürnberg wurden mehrere queere Symbole am Magnus-Hirschfeld-Platz zerstört, teilte die Stadt am Freitag mit. So wurden eine Regenbogenparkbank und die Gedenkstele für die homosexuellen Verfolgten im Nationalsozialismus queerfeindlich beschmiert und die Gedenkkugel an die lesbischen NS-Opfer aus ihrer Verankerung gerissen.
Samstag, 28. Oktober
Am Samstag wurde die Leiche von Robert Card gefunden, dem Mann, der Mittwochnacht in der Kleinstadt Lewiston im Bundesstaat Maine 18 Menschen erschossen und 13 weitere verletzt hatte. Der 40-jährige Militärreservist und Schusswaffenausbilder war mit einem Sturmgewehr in ein Restaurant und eine Bowlingbahn eingedrungen. Dem US-Sender ABC zufolge soll seine Schwester den Ermittler*innen gesagt haben, dass Card dort möglicherweise nach seiner Ex-Freundin gesucht haben könnte. Eine US-Studie von 2021 belegt, dass zwei Drittel der „Mass-Shootings“ im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt stehen. Robert Card soll in den sozialen Netzwerken u.a. verschwörungsideologische, rassistische und queerfeindliche Posts von Donald Trump, Tucker Carlson und Elon Musk geliked und verbreitet haben. Card nahm 18 Menschen gewaltsam das Leben, das älteste Opfer war ein 76-jähriger Mann, das jüngste ein 14-jähriger Junge, der mit seinem Vater bowlen war. Seit dem „Mass-Shooting“ in einer Schule in Uvalde, Texas, letztes Jahr, bei dem 19 Schüler*innen und zwei Lehrkräfte getötet wurden, ist das Massaker von Maine das tödlichste. Dem „Gun Violence Archive“ zufolge ereigneten sich in den USA allein in diesem Jahr mindestens 566 „Mass-Shootings“, bei denen vier oder mehr Menschen erschossen wurden.
Sonntag, 29. Oktober
Der Wochenrückblick endet, wie er begonnen hat: mit einem Femizid. In Bielefeld Senne wurde eine 21-Jährige mit einem Messer getötet. Mutmaßlicher Täter ist ein 20 Jahre alter Mann, der zunächst geflohen, später aber festgenommen wurde. Täter und Opfer sollen beide im Rettungsdienst gearbeitet haben und gemeinsam auf einer Party gewesen sein.
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