Femizide, Reichsbürger, Kinderarmut und „Gender-Verbot“ – eine ganz normale deutsche Woche. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW49
Montag, 4. Dezember
Neue Woche, neue Femizide. In Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) ist am späten Montagabend die Leiche einer 33-jährigen Frau im Keller eines Wohnhauses gefunden worden. Bewohner*innen des Hauses hatten die Polizei verständigt. Die Polizei stellte äußere Gewalteinwirkung fest und geht von einem Tötungsdelikt aus. Mehr wollen die Ermittler*innen nicht öffentlich sagen. Einen Tatverdächtigen gibt es bislang nicht.
In Düsseldorf fanden Polizist*innen am Dienstagnachmittag eine Frauenleiche in einem Maischefass auf dem Balkon einer Wohnung in Flingern-Süd. Bei der Toten soll es sich um eine 36-Jährige handeln, die schon vor geraumer Zeit getötet wurde. Die Leiche soll bereits stark verwest gewesen sein. Die Ermittler*innen fahnden nun nach dem Bewohner der Wohnung, ein 58-Jähriger, der eine Beziehung mit der getöteten Frau geführt haben soll.
Am Mittwoch oder Donnerstag wurde in Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) eine 18-Jährige gewaltsam getötet. Tatverdächtig sind eine 19-jährige Frau und ein 20 Jahre alter Mann, gegen die wegen Totschlag ermittelt wird. Die junge Frau, die in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderungen lebte, war am Mittwochabend als vermisst gemeldet worden. Am Tag darauf wurde ihre Leiche am Rande einer Kleingartenanlage entdeckt.
Dienstag, 5. Dezember
„Es geht aber nicht, dass Sprache am Ende verordnet wird. Es kann nicht sein, dass wir eine Art Gendergesetz oder Genderstrafzettel bekommen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor zwei Jahren. Die Angst vor der „Sprach-Polizei“ ging schon damals um in Deutschland. Tja – mittlerweile ist die „Sprach-Polizei“ offenbar den Innenministerien der Länder unterstellt, denn nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und (möglicherweise bald) Hessen, hat auch Bayern ein „Gender-Verbot“ angekündigt. Das von Söder beschworene „Gendergesetz“ will er nun also höchstpersönlich auf den Weg bringen. Der CSU-Politiker sagte in seiner Regierungserklärung am Dienstag im Landtag: „Für Bayern kann ich Ihnen nur eines sagen: Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir werden das Gendern in Schule und Verwaltung sogar untersagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.“ Diese Clownerie nimmt wirklich immer absurdere Züge an. Nur wenige Sätze zuvor hatte Söder sich noch über „all die Debatten ums Gendern“ beschwert und an die Bundesregierung gerichtet gefragt: „Haben wir denn eigentlich keine anderen Probleme in Deutschland?“
Doch, klar, die haben wir. Eins davon ist der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum rassistischen Terroranschlag in Hanau 2020, der am Dienstag im hessischen Landtag vorgestellt wurde. Dass es überhaupt einen Untersuchungsausschuss gegeben hat, lag am unermüdlichen Engagement der Hinterbliebenen der neun Ermordeten und deren Unterstützer*innen. Denn auch wenn es sich um einen der schwersten rechtsterroristischen Anschläge in der Geschichte dieses Landes handelte, war es den politischen Verantwortlichen nicht sehr ernst mit der Aufklärung der Umstände, die zu dem Tod von neun Menschen und der Zerstörung unzähliger Leben führte. Die „Initiative 19. Februar“ wollte u.a. wissen:
- „Gab es Versäumnisse bei der Ausstellung der Waffenerlaubnisse für den Täter?“
- „Warum war die Notrufnummer 110 am Tatabend für Vili Viorel Păun und andere nicht erreichbar?“
- „Was haben Polizeikräfte an den Tatorten getan, um alle Opfer möglichst schnell zu finden und sie schnellstmöglich ärztlich zu versorgen?“
- „Warum wird das Haus des Täters erst 5 Stunden nach der Tat durch das SEK gestürmt?“
- „Welche Auswirkungen hatte es auf den Einsatz, dass 13 der 20 am Täterhaus eingesetzten SEK-Beamten später wegen Beteiligung an rechtsextremen Chats suspendiert wurden?“
- „Welche Versäumnisse hat es bei dem Umgang mit Überlebenden und den Familien der Ermordeten am Tatabend und danach sowie bei der Obduktion der Leichname gegeben?“
Den jetzt vorgestellten Abschlussbericht nannte die Initiative „vage, wachsweich, beschämend“ und stellte fest: „Der Bericht ist in erster Linie von parteipolitischen Machtinteressen geleitet“. Nichts wurde zufriedenstellend aufgeklärt. Konsequenzen? Fehlanzeige! Der Untersuchungsausschuss, für den die Opfer und Hinterbliebenen so hart gekämpft hatten, war eine Chance zur ernsthaften Aufarbeitung. Diese wurde nicht nur nicht genutzt, die Betroffenen erlebten überdies „nahezu zwei Jahre ein parteipolitisches Theater, das nun mit einem nichtssagenden Bericht mehr als enttäuschend zu Ende geht“.
Mittwoch, 6. Dezember
Nachdem am Dienstag die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie vorgestellt wurden, waren sich die Schwurbler*innen einig, dass die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung daran schuld sind, dass die Deutsch- und Mathenoten deutscher Schulkinder nur noch OECD-Durchschnitt sind. So schrieb bspw. die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder auf der Plattform, die früher Twitter hieß: „Dt. hat Schulen während der Pandemie mit am längsten in Europa geschlossen, für einige Jahrgänge summierten sich Schließungen auf fast ein Schuljahr. Es war immer klar, dass das massive Auswirkungen haben wird. Man hat es billigend in Kauf genommen.“ Wozu Schröder und ihre radikalisierten Gesinnungsgenoss*innen nichts sagen, ist der Bericht des UNICEF-Forschungsinstituts Innocenti, der am Mittwoch präsentiert wurde. Dieser besagt, dass das Risiko, dauerhaft in Armut zu leben, mehr als eine Million Kinder in Deutschland betrifft. Diese Zahl ist seit zehn Jahren nahezu unverändert. „Mehr als jedes siebte Kind in Deutschland macht sich laut des Forschungsberichts permanent oder häufig Sorgen um Geld“, erklärt UNICEF Deutschland in einer Pressemitteilung und fordert „die politisch Verantwortlichen auf, effektiver und nachhaltiger in Kinder und Jugendliche zu investieren“. Die Politik hat es in der Hand, Investitionen in die Sozialsysteme, Kindergrundsicherung, Erhöhung des Mindestlohns, kostenloses Schulessen, gebührenfreie Kitaplätze, Mietendeckel, Mehrwertsteuersenkung – alles Hebel, um die Situation für Kinder in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Stattdessen? Investitionen ins Militär und Steuererleichterung für Vermieter*innen. Es ist daher ein logischer Schluss: Kinderarmut ist politisch gewollt. Die Gala-Veranstaltung „Ein Herz für Kinder“, die am Samstag im ZDF ausgestrahlt wurde, setzte dem Hohn noch die Krone auf. Politiker*innen, die Kinder an EU-Außengrenzen sterben lassen während sie die Kindergrundsicherung verschleppen, verwässern oder gänzlich zu verhindern versuchen, sammeln Spenden für die „Kleinsten unter uns“. Es ist alles so verlogen!
Donnerstag, 7. Dezember
Am Donnerstag vor einem Jahr nahmen Einsatzkräfte bundesweit Reichsbürger hoch, die mutmaßlich einer terroristischen Vereinigung rund um den Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß angehörten. Im Verfahren gelten derzeit insgesamt 69 Personen als Beschuldigte. Eine Recherche von WDR, NDR und „Süddeutsche Zeitung“ beleuchtet den ganzen Komplex ausführlich und macht auf die Verstrickungen von AfD und Bundeswehrangehörigen darin aufmerksam. In der ARD Mediathek gibt es auch eine 45-minütige Dokumentation dazu. Erschreckend ist, wie wenig seitdem passiert zu sein scheint. Reichsbürger*innen werden bis heute meist als harmlose Spinner abgetan. Im hessischen Pohlheim wurden am Mittwoch bei einem Reichsbürger sechs Lang- und vier Kurzwaffen, 5.000 Schuss Munition, 16 Messer sowie zwei Luftgewehre beschlagnahmt. Der Mann ist Vorstandsmitglied im lokalen Schützenverein. Dessen Vorsitzender sorgt sich nur um den Ruf der Szene: „Wir stehen jetzt wieder unter Generalverdacht“, sagte er zum Gießener Anzeiger.
Freitag, 8. Dezember
Die Schlagzeilen vom Freitag: „Zucker ist süß“, „Die AfD Sachsen ist gesichert rechtsextremistisch“ und „Wasser ist nass“. Ernsthaft: das sind doch keine News! Die AfD ist eine rassistische, völkische, national-chauvinistische Partei, die Vielfalt ablehnt und Deutschland von einem autoritären Führer regiert sehen will. Dass der Verfassungsschutz nach vier Jahren Beobachtungen jetzt dieses Ergebnis verkündet, als wäre da irgendwas investigativ aufgedeckt worden, ist schon fast amüsant. Ich hätte diese Prüfung mit einer halben Stunde Googlen auch erledigt. Mir liefert die Meldung allerdings eine willkommene Vorlage, um nochmals darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsschutz kein verlässlicher Partner ist, ganz generell nicht, aber vor allem dann nicht, wenn es um Antifaschismus und die Verteidigung der Demokratie geht. Ich bin auch nicht sicher, inwiefern dieser Feststellung Taten folgen. AfD-Mitglieder arbeiten nach wie vor im Öffentlichen Dienst, sind Lehrer*innen, Polizist*innen, Soldat*innen, Richter*innen. Dass die Einstufung des Verfassungsschutzes aus „wahltaktischen Motiven“ geschehen ist, wie die AfD behauptet, glaube ich übrigens nicht. Denn nach allem, was ich weiß, wählen die Menschen diese Partei eben genau wegen deren Extremismus. Das Siegel als „gesichert rechtsextrem“ wirkt auf die Wählerschaft wahrscheinlich sogar eher als Auszeichnung.
Samstag, 9. Dezember
Ich musste erstmal recherchieren, warum Potsdam Jahr für Jahr eine niederländische Tradition aufleben lässt: Das holländische Viertel in Brandenburgs Landeshauptstadt entstand im 18. Jahrhundert für niederländische Handwerker, die mit niedrigen Steuern hergelockt wurden. Aus diesem Grund wird seit 1996 jeden Dezember der „Sinterklaas“ empfangen, der holländische Nikolaus. Das wäre mir alles sowas von egal, wenn der „Sinterklaas“ nicht auch 2023 noch in Begleitung des „Zwarte Piet“ auftauchen würde. Eine rassistische Tradition, bei dem sich weiße Menschen das Gesicht schwarz oder braun anmalen. Inzwischen sollte auch die letzte Person wissen, dass das „Blackfacing“ ist und damit nichts anderes als menschenverachtend. Aber den Potsdamer*innen ist das anscheinend egal. Sie empfingen den „Sinterklaas“ und mehrere Personen mit Blackface am Samstagnachmittag in der Stadt. „Wir fördern das gerne“, sagt der SPD-Bürgermeister und Potsdams Beigeordneter für Finanzen, Investitionen und Controlling, Burkhard Exner. Jaja, wen interessiert schon Rassismus, wenn er Volksfeststimmung haben kann?
Sonntag, 10. Dezember
In Hamburg hat sich eine Kita entschieden, dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum aufzustellen, was aus Naturschutzgründen definitiv eine gute Idee ist. Für deutsche Wutbürger*innen ist das jedoch erwartungsgemäß ein willkommener Grund, ihren Hass auf jede Form des gesellschaftlichen Wandels oder die individuellen Lebensentscheidungen Einzelner freien Lauf zu lassen. Nachdem die Medien auf das Thema aufsprangen, erhielt die Kita Hass-Mails („Dreckspack!“, „linksgrün verseucht“) und Drohungen („… dann werden wir euch schon deutsche Kultur beibringen“, „linksversiffte Pädagogen. Wir werden euch abschaffen“), es kam zu Polizeieinsätzen und Kamerateams belagerten das Gebäude und filmten durchs Fenster in die Räumlichkeiten, Markus Söder mischte sich ein. Ein findiger Geschäftsmann entdeckte eine „Business-Opportunity“ und „spendete“ der Kita einen Weihnachtsbaum (gegen deren Willen). Er brach nachts auf das Grundstück ein und stellte den Baum und Spielzeug auf. Den Baum kettete er an. Dafür erhielt er umfassende Werbung für sich und sein Unternehmen in der BILD. Linda Köster, im Vorstand des Kita-Trägers sagte zu Zeit Online: „Die letzten Tage waren sehr anstrengend und stressig. Was gerade passiert, ist sehr emotional. Ich schwanke zwischen Traurigkeit und Wut und dann, das muss ich zugeben, spürt man diese Ohnmacht. Und irgendwie auch die Angst.“ Der Einbrecher mit dem Protest-Baum hatte auf Ex-Twitter angekündigt, an der Kita aufzutauchen, um Kekse an die Kinder zu verteilen. „Wissen Sie, das ist keine nette Geste, das ist pure Provokation, die einschüchternd wirkt. Da fragt man sich, was kommt als nächstes?“
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