Über eine Viertelmillionen Menschen in Deutschland ist wohnungs- oder obdachlos, Razzien bringen ein weiteres Nazi-Netzwerk ans Licht und Brittney Griner darf endlich nach Hause. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive #KW49.
Montag, 5. Dezember
In Thessaloniki hat ein Polizist einem 16-järigen Jungen in den Kopf geschossen. Der Teenager befindet sich in kritischem Zustand im Krankenhaus. Der Täter, der 34-jährige Polizist, hatte den Jungen verfolgt, weil dieser eine Tankstellenrechnung von rund 20 Euro nicht bezahlt haben soll. Der Cop sagte aus, der jugendliche Roma hätte angeblich versucht ein Polizeimotorrad zu rammen, deshalb hätte er geschossen. „Das Verbrechen war rassistisch“, ist indes der Leiter eines Roma-Verbands, Panagiotis Sabanis, überzeugt. Laut Tageschau sagte er: „Es gibt gegen uns Rassismus in Griechenland. Es ist nicht der erste Vorfall von Polizeischüssen gegen einen Roma, nur weil er Roma ist.“ Auch Andonis Tasios, Generalsekretär der Roma-Gemeinde, der der Jugendlich angehört, hält Rassismus für das Motiv: „Wenn er kein Roma wäre, hätten sie es nicht getan.“ Nicht nur in Thessaloniki, auch in Athen und anderen Städten Griechenlands kommt es seit Montag zu Protesten der Rom*nja Community.
Auch am Montag
In Illerkirchberg, bei Ulm (Baden-Württemberg), hat offenbar ein 27-Jähriger eine 14-Jährige mit einem Messer getötet und eine 13-Jährige schwer verletzt. Weil der mutmaßliche Täter aus Eritrea geflüchtet ist und in einer Unterkunft für Asylsuchende lebte, ist diese schreckliche Tat ein gefundenes Fressen für Rechtsextremisten im Internet, sogenannte „besorgte Bürger“ und die Springerpresse. Während Hetzer Julian Reichelt den rassistischen Reporter Jan A. Karon in die Gemeinde mit knapp 5.000 Einwohnenden schickt, um Hass gegen Geflüchtete zu schüren, ist dem Stern eine verhältnismäßig gelungene Vor-Ort-Reportage gelungen. Ich bin in Gedanken bei der Familie der getöteten Ece und den Angehörigen ihrer schwerverletzten Freundin. Ich hoffe, das Mädchen erholt sich schnell und zumindest physisch vollständig von diesem Horror.
Dienstag, 6. Dezember
Das Parlament von Indonesien hat am Dienstag einen Gesetzesentwurf abgesegnet, der außerehelichen Sex verbietet und mit bis zu einem Jahr Haft bestraft. Auch dürfen Paare nicht vor der Hochzeit zusammenleben. Sex vor oder außerhalb der Ehe ist in dem Inselstaat ohnehin tabuisiert, nun wird das Verbot mit einem Gesetz manifestiert. Das bedeutet auch, dass nicht heterosexuelle Beziehungen künftig bestraft werden können, auch wenn Homosexualität offiziell nicht verboten ist. Um Tourist*innen, beispielsweise auf Bali, nicht abzuschrecken, wurde ein Kompromiss gefunden: Die Polizei darf nur dann Ermittlungen aufnehmen, wenn ein Familienmitglied die außereheliche Beziehung meldet.
Mittwoch, 7. Dezember
Am frühen Mittwochmorgen stürmten Einsatzkräfte der Polizei mehrere Häuser und Wohnungen von Reichsbürger*innen und Nazis und nahmen 25 Personen fest. Wie die Tagesschau berichtete, wirft die Bundesanwaltschaft „rund 50 Frauen und Männern vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, um die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen und einen Staat nach Vorbild des Deutschen Reichs von 1871 zu errichten“. Die Gruppe um den Immobilienhändler Heinrich Reuß soll unter anderem vorgehabt haben, das Reichstagsgebäude zu stürmen, Politiker*innen zu entführen und Anschläge auf die Stromversorgung zu verüben, um bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen. Viele der Angehörigen der Gruppe sind ehemalige oder noch aktive Soldaten oder Polizisten, aber auch eine Berliner Richterin ist dabei, die bis letztes Jahr für die AfD im Bundestag saß. Ein weitere AfD-Politiker aus Sachsen gehört auch zu den Festgenommenen. „Der Fall zeigt: AfD-Mitglieder, erst recht AfD-Politiker*innen mit Ämtern und Mandaten, haben im Staatsdienst nichts zu suchen. Sie sind eine Hintertür für rechtsextreme Umtriebe bis hin zu terroristischen Anschlägen und Putschversuchen. Das gilt für die Justiz genau so wie für Polizei, Bundeswehr und eigentlich sämtliche sensible Positionen in Behörden“, schreibt Gareth Joswig in einem Kommentar für die taz. Die Partei selbst versucht sich natürlich jetzt von den Verhafteten zu distanzieren, doch es besteht kein Zweifel daran, wie eng AfD-Mitglieder, Querdenker*innen, die Q’Anon-Sekte und Verschwörungsideolog*innen mit der Reichsbürgerszene zusammenhängen. Mittlerweile nimmt sogar der Verfassungsschutz die Reichsbürgerszene ernst. Lange wurden deren Anhänger*innen als „harmlose Spinner“ abgetan, nun sieht auch der Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang „eine anhaltend hohe Gefahr“. Allein im vergangenen Jahr soll die Szene um 1.000 Personen auf 21.000 gewachsen sein. Wie viele davon Angehörige von Polizei und Militär sind, ist unklar. Ronen Steinke, Jurist und Autor, stellte jedoch in Bezug auf die hochgenommene Terrorgruppe treffend fest: „Monatelang haben die Verschwörer offenbar andere Polizisten und Soldaten angesprochen, ob sie vielleicht mitmachen wollen. Manche haben Ja gesagt, andere Nein. Aber kein einziger hat die Courage gehabt, sie zu melden. Das ist das Problem.“
Auch am Mittwoch
In Neukirchen-Vluyn am Niederrhein (NRW) hat offenbar ein 55-Jähriger eine 48 Jahre alte Frau durch „stumpfe Gewalteinwirkung“ getötet. Die Leiche der Frau wurde am Mittwochnachmittag in einem Wohnhaus entdeckt. Kurz darauf fanden die Einsatzkräfte auch den 55-Jährigen, der sich mutmaßlich selbst getötet hatte. Die Polizei gab an, es müsse noch verifiziert werden, in welcher Beziehung die beiden gestanden haben.
Ein weitere Femizid, auch in NRW, ereignete sich bereits am Dienstag. In Menden, im Sauerland, tötete offenbar ein 46 Jahre alter Mann seine 39-jährige Ehefrau und anschließend sich selbst. Die Leichen wurden in der gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus entdeckt. Zuvor hatten die Kinder des Paares einen Abschiedsbrief gefunden.
Und Mittwoch zum Dritten:
Der Bundesverband Frauen gegen Gewalt e.V. (bff) hat sich klar für das Selbstbestimmungsgesetz positioniert. Ein wichtiges Zeichen gegen das transfeindliche Märchen, die Sicherheit von cis Frauen sei durch die Selbstbestimmung von trans Personen gefährdet.
Donnerstag, 8. Dezember
In Iran wurde der (nach offiziellen Angaben) erste Mensch, der sich an den Protesten gegen das Regime beteiligt hatte, hingerichtet. Er war wegen „Krieg gegen Gott“ zum Tode verurteilt worden. Mohsen Shekari wurde 23 Jahre alt. Das iranische Regime hat gegen weitere Demonstranten die Todesstrafe verhängt. Es ist ein niederträchtiger, unmenschlicher Versuch, die Revolution zu stoppen. Die Protestierenden in Iran brauchen weltweite Unterstützung. Die Lippenbekenntnisse der Bundesregierung reichen nicht aus.
Auch am Donnerstag
Brittney Griner ist frei! Als ich die Push-Benachrichtigung der Tagesschau auf dem Handy las, kamen mir direkt die Tränen. Dieser unvorstellbare Horror hat endlich ein Ende, die 32-Jährige darf nach Hause zu ihrer Familie. Nachdem sie im Februar am Moskauer Flughafen festgenommen wurde, verurteilte sie ein russisches Gericht im August zu neun Jahre Haft, weil in ihrem Handgepäck eine geringe Menge Haschisch-Öl gefunden wurde. Zehn Monate verbrachte die Profibasketballerin im Gefängnis. Ihre Ehefrau Cherelle kämpfte währenddessen in den USA für Unterstützung. Es schien von Anfang an klar, dass Brittney Griner von Russland als eine Art Faustpfand festgehalten wurde. Die zweifache Olympiasiegerin sollte als Einsatz für einen Gefangenenaustausch herhalten, was nun auch genauso passierte. US-Präsident Joe Biden stimmte letztlich einem Deal mit Russland zu: Brittney Griner gegen Viktor But. Eine Unschuldige gegen einen internationalen Waffenhändler, der auch „Händler des Todes“ genannt wird. Dass Viktor But frei ist, ist Unrecht. Das steht außer Frage. Aber Brittney Griners Freilassung ist richtig und weder sie selbst noch ihre Familie können etwas dafür, dass ein Verbrecher freigekommen ist. Ihre Erleichterung und Freude sind berechtigt. Manchmal existieren Recht und Unrecht parallel.
Freitag, 9. Dezember
263.000 Menschen in Deutschland haben keinen festen Wohnsitz, 35 Prozent davon sind weiblich. Das geht aus dem Wohnungslosenbericht der Bundesregierung hervor. Rund 178.000 Menschen sind in der sogenannten „Wohnungsnotfallhilfe“ untergebracht, etwa 49.000 Personen sind „verdeckt wohnungslos“, leben bspw. bei Freund*innen oder Bekannten und schätzungsweise 37.000 Menschen leben auf der Straße, sind obdachlos. Die Erfassung verlässlicher Zahlen ist äußerst schwierig, daher gibt der Bericht an, „keinen Anspruch auf eine Gesamtschau“ zu erheben. Tatsächlich wird die Zahl in Wahrheit deutlich höher liegen. Anerkannte Geflüchtete, die keine Wohnung finden und deshalb weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften leben, wurden in der Erhebung bspw. nicht erfasst. Die Wohnungs- und Obdachlosen wurden auch zu ihrer persönlichen Situation befragt. Mehr als die Hälfte von ihnen gab an, „an einer langfristigen Erkrankung oder Behinderung zu leiden, ein Viertel ist suchtkrank“. Was im Bericht (oder der Berichterstattung dazu) nicht erwähnt wird, ist, dass in Deutschland rund 607.000 Wohnungen leer stehen (Stand Ende 2021). Und das sind nur die, die direkt bezugsfertig sind, sogenannter „marktaktiver Leerstand“, keine verfallenen oder heruntergekommenen Immobilien. Und auch der Bund selbst lässt zahlreiche Wohnungen leer stehen. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) vermietet Wohnungen vor allem an Beamte oder tat das zumindest früher, denn inzwischen sind viele der Wohnungen unbewohnt. In Hamburg stehen knapp 22 Prozent aller Wohneinheiten der BImA leer (Stand 31.3.2022). Wohnungslosigkeit ist politisch gewollt. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Staat hier seit Jahren nicht nur nicht aktiv wird, sondern mit Geschenken an die Immobilienlobby zur Verschärfung der Lage auf dem Wohnungsmarkt beiträgt.
Es ist ein schöner Zufall, dass ebenfalls am Freitag die Meldung kam, dass die Expert*innenkommission grünes Licht für die Enteignung großer, profitorientierter Immobilienkonzerne in Berlin gegeben hat. Das Land Berlin hat die nötige Gesetzgebungskompetenz, um das Vergesellschaftungsgesetz zu verabschieden, für das 59 Prozent der wahlberechtigten Berliner*innen beim Volksentscheid gestimmt haben. „Die Kommission hat bestätigt, was für mehr als eine Million Menschen vergangenes Jahr schon klar war: Berlin kann enteignen! Der Senat hat keine Ausreden mehr und kann sich nicht länger hinter der Kommission verstecken. Berlin kann nun Geschichte schreiben“, erklärte Isabella Rogner, Sprecherin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“.
Samstag, 10. Dezember
In Dresden hat ein Mann (Überraschung, uff) erst seine Mutter getötet und anschließend vor bzw. in der Altmarktgalerie drei Personen als Geiseln genommen, nachdem er zuvor noch versucht hatte, gewaltsam in Redaktionsräume einzudringen. Der 40-Jährige David W. aus Heidenau bei Dresden ist beim SEK-Einsatz erschossen worden, die Geiseln, eine Frau und ihr Kind, konnten befreit werden, die dritte Geisel hatte sich zuvor selbst retten können. Die Medien sind schnell damit, den Täter als „psychisch krank“ und „unauffälligen Nachbar“ zu beschreiben, um keinesfalls eine mögliche politische Motivation der Tat zu thematisieren. Doch es muss zumindest in Erwägung gezogen werden, dass hier (auch) politische Beweggründe eine Rolle spielten. David W. hatte versucht die Redaktionsräume eines Radiosenders zu stürmen. Der mdr berichtet, er habe sich im Radio äußern wollen, um zu verhindern, „dass Satanisten die Weltherrschaft übernehmen“. Das kann man natürlich einfach „verrückt“ nennen. Aber erinnert euch an die ersten Berichte über den Attentäter von Hanau, der auch sofort als „psychotisch“ bezeichnet wurde und der ebenfalls von einer angeblichen „satanischen Elite“ fantasiert hatte. Die einflussreiche und international agierenden „Satanisten“ haben eine zentrale Funktion in der rechtsextremen Q’Anon-Verschwörungsideologie, denn sie seien es, die Kinder entführen, foltern und gefangen halten würden, um aus ihrem Blut das Verjüngungsserum „Adrenochrom“ zu gewinnen.
Sonntag, 11. Dezember
Im Conne Island in Leipzig findet gerade ein Vortrag mit dem Titel „Die neue Pseudolinke“ statt, in dem sich die selbsternannte „wahre Linke“ über das „selbstzufriedene grünliberale Milieu“ auslässt und behauptet in der „Pseudolinken“ würden „unter dem Namen des Kampfes gegen die Unterdrückung können Dinge vertreten werden, die haargenau aussehen wie die Unterdrückung, gegen die angeblich gekämpft wird“. Geladener Redner ist Jörg Finkenberger, der auf Twitter Aussagen geteilt hat, in denen politisch aktive trans Personen als „transvestitische Fetischisten“ und „potenziell gefährliche Paraphile“ bezeichnet werden. Ein aktuelles Beispiel bringt er auch mit zur Diskussion: Die Absage einer trans- und sexworkerfeindlichen Veranstaltung im Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Berlin dieses Jahr. Veranstalter*innen waren u.a. Sisters e.V. und der christliche Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“, die sich für das „Nordische Modell“ einsetzen und Sexarbeiter*innen die Selbstbestimmung absprechen. Das Nachbarschaftshaus begründete die Absage damals mit Diskrepanzen „mit Blick auf eine inklusive, macht- und diskriminierungskritische, diversitätsorientierte Haltung unserer Arbeit“, für Sisters e.V. und Co. war es natürlich „Silencing“. Nun fragen sich die SWERFs und TERFs also heute im „selbstverwalteten Jugend-Kulturzentrum“ Conne Island „Ist so etwas heute die Normalität auf der Linken? Warum spielt sich so etwas ab?“. Angekündigt hat sich auch Marie-Luise Vollbrecht, die Biologin, die immer wieder mit ekligster Transfeindlichkeit Schlagzeilen macht. Ein Gegenprotest wurde vor Ort organisiert.
Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.