Es geht schon wieder um Rammstein, aber auch um Feine Sahne Fischfilet, deren linkes Pendant – machtmissbrauchstechnisch. Außerdem geht es um Gynäkolog*innen in Schleswig-Holstein, einen übergriffigen HU-Dozenten und den Internationalen Tag gegen Menschenhandel. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW30
Montag, 24. Juli
Ab sofort wird der Wochenrückblick ohne lustige / kluge Tweets auskommen müssen, denn „Twitter“ ist Geschichte. Die Plattform heißt jetzt „X“ und statt des niedlichen Vogels gibt es jetzt nur noch ein hässliches X zu sehen. Elon Musk, der Twitter letztes Jahr für 44 Milliarden US-Dollar gekauft hat, setzt die Zerstörung des Unternehmens munter fort. „Das ist wie wenn man Coca Cola kauft und die ikonische Flasche austauscht, ohne das Produkt zu verändern“, sagte Joshua White, Finanzprofessor an der Vanderbilt Universität, laut Tagesschau. Allerdings: Musk hat das Produkt sehr wohl verändert. Unter dem Vorwand der „Meinungsfreiheit“ ließ er zahlreiche Accounts wieder zu, die zuvor wegen menschenverachtender Inhalte gesperrt worden waren. „Seit seiner Übernahme von Twitter interagiert Musk zunehmend mit radikalsten Vertretern der amerikanischen politischen Rechten, stimmt dabei ihren Verschwörungsmythen zu“, schrieb die Autorin Annika Brockschmidt bereits im Mai in einem Kommentar für den Bayerischen Rundfunk. Nachdem Musk die Plattform übernommen hatte, verdoppelten sich die antisemitischen Tweets und der Milliardär twittert auch selbst regelmäßig judenfeindliche, verschwörungsideologische oder rechtsextreme Beiträge. Meinen Account habe ich noch(!) nicht gelöscht, für die Recherche ist die Plattform momentan noch hilfreich. Ich suche derzeit nach Alternativen. Aber ich möchte „X“ darüber hinaus nicht unterstützen und dementsprechend hier auch nicht mehr einbinden. Vielleicht fällt mir etwas ein, wie ich den Wochenrückblick in Zukunft auflockern kann, ohne das Unternehmen eines Faschisten damit zu pushen.
Dienstag, 25. Juli
Am Dienstag berichtete u.a. die Berliner Zeitung über Vorwürfe gegen einen Dozenten der Humboldt Universität (HU), der über Jahre Studierende sexuell belästigt haben soll. Ein Kollektiv, das sich „Keine Uni für Täter“ nennt schreibt in einem offenen Brief über Dr. Andreas Kohring vom Lehrstuhl Alte Geschichte, er habe „die Uni für alle Menschen in seinen Vorlesungen und an seinem Lehrstuhl durch verbale und körperliche sexualisierte Gewalt zur Hölle“ gemacht. In der Studierendenzeitung „UnAufgefordert“ kommen betroffene Studentinnen zu Wort und schildern ihre Erfahrungen mit dem Dozenten und auch im ND erzählen Betroffene von erlebten Situationen. Das Schlimmste ist: Es ist seit Jahrzehnten bekannt. Andreas Kohring ist seit 1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HU. Die ersten Vorwürfe gab es spätestens 1997. Trotzdem wurde nichts oder kaum etwas unternommen, um Student*innen zu schützen. Im Mai dieses Jahres entschied die Hochschulleitung, dass „Studentinnen […] an der Sprechstunde ausschließlich nach Voranmeldung bei der stellvertretenden dezentralen Frauenbeauftragte der Philosophischen Fakultät, Frau Victoria Hegner, teil“ nehmen dürfen, so steht es unter dem Dozentenprofil von Kohring auf der HU-Webseite. Der Referent*innenrat der Humboldt Universität bezog auf seiner Webseite Stellung und fordert: „Dozierenden, die sich übergriffig verhalten haben, muss ihre Machtposition umfassend entzogen werden. Dies ist umso wichtiger bei Dozierenden, bei denen diese Übergriffigkeiten ein seit Jahrzehnten anhaltendes Vorgehen sein soll.“ Das Gremium macht zudem öffentlich, dass Andreas Kohring 2007 „unfreiwillig“ als Studiendekan zurückgetreten sei: „Auslöser soll eine Abmahnung wegen sexueller Belästigung durch den damaligen Präsidenten der HU, Christoph Markschies, gewesen sein“. Als Dozent durfte er weitermachen. Kohring selbst äußert sich bislang nicht öffentlich zu den Vorwürfen. Die Humboldt Uni veröffentlichte am Dienstag eine Stellungnahme. Darin heißt es u.a.: „Für die Universitätsleitung hat der Schutz der Betroffenen und die Aufklärung der Vorwürfe oberste Priorität.“ Die Unileitung erwartet von Betroffenen, sich zu melden: „Sollte es weitere, uns bisher unbekannte Sachverhalte geben, bitten wir alle Betroffenen, sich an die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten oder direkt an die Hochschulleitung oder auch an die Studierendenvertretungen zu wenden. Nur gemeinsam können wir die Universität als einen diskriminierungsfreien Ort des Lernens und Forschens gestalten.“ Eine Lehrveranstaltung mit Andreas Kohring im kommenden Wintersemester ist nach wie vor geplant.
Mittwoch, 26. Juli
Am Mittwoch fand das erste von zwei ausverkauften Rammstein-Konzerten in Wien statt, nachdem am Montag auch aus Österreich Vorwürfe gegen Frontmann Till Lindemann öffentlich wurden. Eine Frau, die „Beate H.“ genannt wird, erzählte dem ORF von sexualisierter Gewalt, die ihr Lindemann angetan habe. Die Situation ereignete sich nach Angaben der Betroffenen im Rahmen der Tour, die seit 2019 läuft. Sie berichtet davon, wie sie von Alena M., Rammsteins „Casting Director“, zu einer Party vor dem Konzert eingeladen worden sei und dort dazu aufgefordert wurde, mit anderen zu dem Musiker ins Hotelzimmer zu gehen. Nach einigem Zögern sei sie mitgegangen: „Ich habe mich sehr unangenehm gefühlt. Auf einmal stand er vor mir und meinte: ‚Komm, ich will Sex mit dir haben‘“, erinnert sich Beate H. laut ORF, sie habe mehrfach „Nein“ gesagt: „Nein, will ich nicht. Bitte nicht.“ Lindemann habe erwidert: „Doch, du bist jetzt hier“ und sie aufs Bett geworfen. Der ORF berichtet „Lindemann habe sie mit dem Gesicht nach unten aufs Bett gedrückt, ihren Rock hochgeschoben und sie so stark geschlagen, dass Handabdrücke auf ihrem Gesäß zu sehen gewesen seien – es habe keine Zustimmung ihrerseits gegeben, sogar eine eindeutige verbale Ablehnung“. Die Anwält*innen Lindemanns bestreiten die Vorwürfe erwartungsgemäß. Beim Konzert am Mittwoch demonstrierten laut Veranstaltenden rund 1.800 Menschen (die Polizei spricht von 400) gegen den Auftritt der Band im Ernst-Happel-Stadion. Immer wieder wurden sie von Fans beleidigt, bedroht und mit Bier überschüttet (hier ein Augenzeugenbericht vom österreichischen Moment Magazin). Nach der Show wurde ein Kamerateam des ORF zunächst antisemitisch beschimpft und kurz darauf körperlich angegriffen. Den Rammstein-Fans ist das alles ziemlich egal. Auch das Konzert am Tag darauf war wieder ausverkauft.
Donnerstag, 27. Juli
Eine am Donnerstag vom NDR veröffentlichte Recherche ergab, dass immer mehr Ärzt*innen in Schleswig-Holstein, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, bedroht werden. Insbesondere, wenn sie auf ihren Webseiten darüber informieren, dass sie Abtreibungen anbieten, steigt das Risiko für verbale und physische Gewalt. Das führt dazu, dass viele gynäkologische Praxen das Angebot nicht öffentlich machen, aus Angst vor Angriffen. In Flensburg führen acht Gynäkolog*innen Schwangerschaftsabbrüche durch (von insgesamt 32), doch nur eine Praxis ist in einem bundesweiten Register eingetragen. Die Schwangeren können sich somit oft nur durch Beratungsstellen oder über Mundpropaganda informieren, wo eine Abtreibung möglich ist. Das zeigt, dass die viel gefeierte Streichung des Paragraf 219a im Strafgesetzbuch zwar symbolisch wichtig, für die Realität ungewollt Schwangerer allerdings kaum relevant ist. Denn jetzt dürfen Ärzt*innen zwar öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren („werben“ wie es Konservative bezeichneten), tun es aus Angst aber nicht, weil laut Paragraf 218 Abtreibungen nach wie vor verboten sind (und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleiben). „Politisch fühlt es sich für mich nach wie vor so an, dass es um die Macht von Männern über Frauen geht. Die Frau soll nicht selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden“, sagt die Wedeler Gynäkologin Britta Hildebrand zum NRD. Hildebrand erhält auch Drohschreiben: „Da steht dann zum Beispiel drin, dass auf uns eine Bestrafung wartet. Unsere Arbeit wird aber auch mit Mord verglichen.“
Freitag, 28. Juli
Am Freitag veröffentlichte die Frankfurter Rundschau eine lesenswerte Recherche von Baha Kirlidokme über „Nius“, das neueste Nachrichten (und Populismus-) Portal um Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt. „Nius“ ist nach eigenen Angaben „Die Stimme der Mehrheit“, arbeitet sich inhaltlich vor allem an allem ab, was dem erzreaktionären Kern des Mitte-Rechts-bis-ganz-Rechts Publikum ein Dorn im Auge ist: Klimaschutz, körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, Antidiskriminierung und basale Menschenrechte. Der FR-Artikel stellt die verschiedenen Personalien vor, die sich aktiv für dieses Rechtsaußen-Projekt ins Zeug legen: vornehmlich ehemalige Springer-Leute und / oder Journalist*innen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu rassistisch sind. „Im Endeffekt wissen die Beteiligten am Projekt Nius genau, was sie tun. Gerade in der Anfangsphase scheinen sie die Grenzen des Sagbaren auszuloten. Inwiefern sie damit erfolgreich sein werden und ob Deutschland bereit für einen hiesigen Fox-News-Klon ist, wird sich zeigen“, fasst es Kirlidokme zusammen.
Samstag, 29. Juli
Gestern Abend spielten Feine Sahne Fischfilet auf der Parkbühne Wuhlheide ihr (nach eigenen Angaben) bisher größtes Berlin Konzert. Die Band, die ich vor einer Weile bei Spotify blockiert habe (ja, das geht, probiert es gleich aus!), ist so erfolgreich wie nie. Dass mehrere Frauen dem Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow anonym Machtmissbrauch und sexualisierte Übergriffe vorgeworfen haben – vergessen, abgehakt, erledigt. Die Band, sonst ganz „ACAB“, ging juristisch gegen die Betreiber*innen der Instagram-Seite „Niemand muss Täter sein“ vor, von der aus die Vorwürfe veröffentlicht wurden. Ziemlich erfolgreich schafften es Jan Gorkow und Co sich als Opfer einer Verleumdung darzustellen und erklärten dann das Thema mehr oder weniger für beendet: „Es gibt keine Fälle der sexualisierten Gewalt, die von uns ausging[en] oder deren wir bewusst sind“. Angeblich wollten sie sich „weiterentwickeln“ und versprachen: „Sollten Menschen mit konkreten Vorwürfen an uns herantreten, dann werden wir uns mit diesen verantwortungsbewusst auseinandersetzen.“ Die beiden früheren Bandmitglieder, Christoph Sell (ehemals Gitarrist, Sänger und Songschreiber der Band) und Jacobus North (Trompete), veröffentlichten Statements, die zumindest den Verdacht erhärten, dass sie die Band weit weniger reflektiert erlebten. Sell schrieb auf Instagram über seinen Austritt: „Die Entscheidung hängt auch mit einem problematischen Umgang in Bezug auf die Vorwürfe zusammen“. Weiterhin erklärt er: „Oft sehen wir die Mechanismen eines autoritären Umgangs erst, wenn wir Abstand nehmen und die Perspektive wechseln. Ich will selbstkritisch mit mir sein und es geht mir auch nicht darum mich von weiterer Kritik freizusprechen. Ich möchte vielmehr mein Schweigen brechen.“ Jacobus North wurde noch konkreter und schrieb, ebenfalls auf Instagram: „Toxische Männlichkeit und die Grenzüberschreitung als Markenkern zeigen sich mir viel zu spät als Ursache für die nun erhobenen Vorwürfe. Dinge, dir mir nicht auffallen, weil sie mir nicht auffallen mussten. Ich aber bis heute von ihnen profitiere. Wie viel wollte ich übersehen, wie viel konnte ich wegen meiner Position übersehen, wie funktioniert das mit der Konfrontation im engsten beruflichen Umfeld und Freundeskreis? Auch Nichtstun ist Handeln.“
Sonntag, 30. Juli
Heute ist Internationaler Tag gegen Menschenhandel – dieses Jahr unter dem Motto „Reach every victim, leave no one behind“. Menschenhandel bedeutet nach der Definition der UN die „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen“ durch „die Androhung oder Anwendung von Gewalt“, sowie durch „andere Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung und Machtmissbrauch“ mit dem Ziel, Menschen auszubeuten, bspw. „sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit“ sowie “ Sklaverei, sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“. Nicht jede Form von Ausbeutung ist Folge von Menschenhandel. Das sollte niemals gleichgesetzt werden. Auch Menschenschmuggel oder „Schleusung“ ist nicht gleich Menschenhandel, da erstes in der Regel mit Einverständnis geschieht. Laut eines 2018 von der EU-Kommission veröffentlichten „Fortschrittsberichts“ wurden im Jahr 2016 rund 11.300 Opfer von Menschenhandel innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten registriert. Über die Hälfte der Fälle betraf den Bereich sexuelle Ausbeutung (56 Prozent), 25 Prozent entfielen auf Arbeitsausbeutung, meistens von Männern, etwa im Baugewerbe oder der Landwirtschaft. „Menschenhandel ist stark mit der Problematik der – durch die globale soziale Ungleichheit bedingten – weltweiten Wanderungs/Fluchtbewegung und der restriktiven Migrations- und Arbeitsmarktpolitik der Nationalstaaten verknüpft“, erklärt die Berliner Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel „Ban Ying“. Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschnehandel (KOK) fordert zur wirkungsvollen Bekämpfung von Menschenhandel u.a. die „Stärkung der Position der Betroffenen und Durchsetzung ihrer Rechte“, d.h. auch die „Abkopplung aufenthaltsrechtlicher Regelungen von einer Mitwirkung im Strafverfahren, also eine unabhängige und unbefristete Aufenthaltserlaubnis“. Weiterhin fordert das Bündnis die „Anerkennung der Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens Menschenhandel“. Es stellt klar: „Gerade in der öffentlichen und medialen Debatte herrscht oft eine vereinfachte Darstellung, indem Menschenhandel lediglich auf den Bereich sexuelle Ausbeutung reduziert bzw. mit Prostitution gleichgesetzt wird. Dies wird den Realitäten nicht gerecht und zieht oft moralisierende und emotionalisierte Debatten und Forderungen nach sich.“ Alle Forderungen könnt ihr hier nachlesen. Und hier könnt ihr an Ban Ying spenden, wenn ihr heute noch was Gutes tun mögt.
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Wenn FSFF genauso reagiert, wie Rammstein, sollten sich Fans und alle drumherum fragen, ob das tatsächlich ein reflektierter Umgang mit den Vorwürfen ist und ihre Schlüsse ziehen.