Vier Femizide, ein Amoklauf und die Erinnerung an den Bombenanschlag in der Keupstraße. Nur aus der Schweiz gibt es eine gute Nachricht im Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW23
Montag, 6. Juni
Am Sonntag wurden in Istanbul elf LGBTI-Aktivist*innen festgenommen und in Handschellen abgeführt. Die Gruppe demonstrierte zum Beginn des Pride Month für die Rechte von queeren Menschen in der Türkei. Die Polizei soll äußerst brutal vorgegangen sein, auf Fotos zeigen die Festgenommenen Verletzungen an Armen und Beinen. Am späten Abend wurden die Aktivist*innen wieder freigelassen. Vom 20. Bis 26 Juni soll die 30. Istanbuler Pride Week stattfinden, allerdings wird auch in diesem Jahr mit einem Verbot und Massenfestnahmen gerechnet.
Dienstag, 7. Juni
In Treysa (Hessen) hat ein 58 Jahre alte Mann eine 53-jährige Frau in einem Supermarkt erschossen und anschließend sich selbst. Die Frau hatte sich kürzlich von dem Mann getrennt. Laut DPA-Meldung waren die Frau und der Mann von November 2021 bis Februar 2022 ein Paar. Die Frau soll nur wenige Stunden vor der Tat bei der Polizei um Hilfe gebeten und den Mann wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung angezeigt haben. Laut Polizei hätten aber „keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der Frau“ vorgelegen.
Die Zeit nach der Trennung ist statistisch gesehen die gefährlichste überhaupt für Frauen. Die meisten Femizide werden im ersten Jahr nach der Trennung begangen. Während Medien hinterher gerne von „einer Tragödie“ sprechen, könnten viele der Taten verhindert werden, wenn rechtzeitig auf Anzeigen reagiert worden wäre und Warnzeichen erkannt und ernstgenommen würden. „Es ist kein Naturgesetz oder Schicksal, wenn Männer ihre Partnerinnen töten. Viele dieser Frauen könnten noch leben“, schreibt Jan Petter in einem Kommentar im SPIEGEL. Spanien zeigt, dass es auch anders geht. Seit drei Jahren gilt hier der „Pakt gegen geschlechterspezifische Gewalt“, die Regierung versteht den Kampf gegen Femizide als „Staatsauftrag“ und hat ein landesweites Programm gestartet, das dazu beiträgt, Frauen vor gewalttätigen (Ex-)Partnern zu schützen, indem u.a. ein Algorithmus die Gefährdungslage bewertet. Im SPIEGEL heißt es: „Dahinter steckt die Erkenntnis, dass es einen einheitlichen Handlungskatalog braucht, ein konsequentes Vorgehen, zu dem auch die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, regelmäßige Überprüfungen und klare Konsequenzen für Täter gehören. Ob Frauen geholfen wird, soll nicht länger vom Bauchgefühl des Dorfpolizisten abhängen.“ Ich wünschte, Deutschland wurde sich daran ein Beispiel nehmen.
Mittwoch, 8. Juni
Der Schweizer Nationalrat stimmte gegen die Einführung des „Nordischen Modells“, also das sogenannte „Sexkauf-Verbot“. Die EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller hatte den Vorschlag zur Abschaffung legaler Prostitution in der Schweiz eingebracht, jedoch stimmten ihr nur elf Abgeordnete zu. 172 votierten dagegen. Die Forderung, Kund*innen für den Kauf sexueller Dienstleistungen zu bestrafen, wird immer wieder diskutiert, auch in Deutschland sind viele dafür und behaupten, das „Nordische Modell“ schütze Sexarbeiter*innen vor Ausbeutung. Jedoch ist eher das Gegenteil richtig: Die Erfahrungen aus der Praxis, bspw. in Schweden zeigen, dass die Arbeit gefährlicher wird. Denn ein Sexkaufverbot verhindert keine Sexarbeit, sondern macht sie nur unsicherer. „Ein Sexkaufverbot drängt das Sexgewerbe in die Illegalität, schadet den Sexarbeitenden und führt zu einer Verschlechterung ihrer Lebenssituation wie auch der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Ein Sexkaufverbot schützt nicht die Betroffenen, sondern entzieht ihnen ihre Existenzgrundlage“, sagt Lelia Hunziker, Geschäftsführerin der Schweizer Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ).
Auch am Mittwoch
In Hannover wurde eine 57-jährige Frau offenbar von ihrem Ehemann getötet. Die Leiche der Frau wurde mit Stichverletzungen in der Wohnung im Stadtteil Limmer gefunden, der 61 Jahre alte Tatverdächtige wurde vor Ort festgenommen.
Donnerstag, 9. Juni
Am 9. Juni 2004 detonierte um 16.09 Uhr in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe und verletzte 22 Menschen zum Teil schwer. Über sieben Jahre später war dann klar: die Täter waren Rechtsextreme: Mundlos und Bönhardt vom „NSU“. Die Anwohner*innen und Gewerbetreibenden in der Keupstraße überraschte das nicht, sie hatten diesen Verdacht von Anfang an, wurden aber von den Ermittlungsbehörden nicht ernstgenommen, im Gegenteil. Meral Sahin, Sprecherin der Interessengemeinschaft Keupstraße, sprach im November im Interview mit dem Deutschlandfunk über die Ignoranz von Polizei und Verfassungsschutz nach dem Attentat:
„In dieser Zeit, dass man als Opfer zum Täter wird, das auf den Schultern zu tragen, mitten in Deutschland, mitten in Köln, mitten in einer Stadt, wo es bunt, kunterbunt ist, normalerweise auch ein hervorragendes Klima ist, dass wir hier so vernachlässigt wurden, dass man einfach nicht zugehört hat oder nicht in unserem Interesse ermittelt hat, das war das Schlimmste.“
Freitag, 10. Juni
In Weilheim (Bayern) hat ein 84-Jähriger am Freitagnachmittag offenbar seine 82 Jahre alte Ehefrau gewaltsam getötet. Der Mann soll die Tat gestanden haben und wurde festgenommen.
Auch am Freitag
Ein 34-Jähriger Mann hat an der Hochschule Hamm-Lippstadt mehrere Menschen mit einem Messer angegriffen, drei Frauen und einen Mann. Eine 30-Jährige, auf die der Täter mehrmals eingestochen hat, ist lebensbedrohlich verletzt, ein Polizeisprecher sagte am Samstag: „Es ist mit dem Ableben zu rechnen.“ Wie auch beim Amokfahrer in Berlin wird auch dem Täter von Hamm eine psychische Erkrankung attestiert, er „sei seit längerer Zeit in psychotherapeutischer Behandlung gewesen“, heißt es auf stern.de. Die Opfer seien „Zufallsopfer“. Ich bezweifle die Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden nicht, finde aber trotzdem, dass die Analyse von Taten wie dieser einfach zu kurz greift. Die dahinterliegende Logik: Der Täter ist / war psychisch krank, tragischer Einzelfall, es hat nichts mit der Gesellschaft zu tun. Dass die Täter so gut wie immer männlich sind, wird ausgeblendet. Psychotische Erkrankungen (Schizophrenie) treten bei Männern und Frauen etwa gleich häufig auf, aber Frauen werden deutlich seltener gewalttätig als Männer. Bei über 80 Prozent aller Gewaltstraftaten in Deutschland ist der Täter männlich. Amoktaten werden so gut wie nie von Frauen begangen. Und noch eine Statistik ist an dieser Stelle wichtig: Psychisch kranke Menschen werden sehr viel häufiger Opfer von Gewalttaten und Tötungen, als dass sie welche begehen. Medial wird trotzdem jedes Mal wieder das Narrativ vom „gestörten Amokläufer“ bedient und damit das Stigma psychischer Krankheiten genährt. Darüber, dass die Gewalttäter fast immer männlich sind, mag hingegen offenbar niemand reden.
Samstag, 11. Juni
Am frühen Samstagmorgen tötete in Dortmund ein 56 Jahre alter Mann offenbar zuerst seine 42-jährige Ehefrau mit mehreren Schlägen gegen den Kopf und anschließend sich selbst mit einem Sprung aus dem Fenster. Die 12 und 13 Jahre alten Söhne des Paares sollen währenddessen in der Wohnung gewesen sein. Wie t-online berichtet soll der Täter sich zuvor an eine psychiatrische Einrichtung gewandt haben, wo er „um Aufnahme gebeten haben“ soll, „weil er den Drang verspüre, anderen Menschen und sich selbst Gewalt anzutun“. Weiter heißt es: „Die psychiatrische Klinik habe ihn aber wieder fortgeschickt: Er solle sich am Montag an seinen Hausarzt wenden.“
Sonntag, 12. Juni
In Sachsen werden heute landesweit neue Bürgermeister*innen und Landrät*innen gewählt. Ich habe Angst, auch wenn ich kaum glaube, dass mich irgendein Ergebnis noch negativ überraschen könnte. Die taz hat heute einen lesenswerten Longread zu den Kommunalwahlen veröffentlicht: hier entlang.
Ich gehe jetzt wieder raus in den Garten und zupfe noch etwas Unkraut. Es ist heiß, liebe Leser*innen, vergesst nicht, viel Wasser zu trinken und verwendet Sonnenschutz! Bis nächste Woche 😊
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Wieder starker Tobak, aber vielen Dank für die Zusammenfassung!