Rechtsextreme demonstrieren ihre Macht in Washington, in Wien erschießen Cops eine pflegebedürftige Frau und Martin Sonneborn outet sich als Boomer. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW1
Montag, 4. Januar
In Istanbul kam es Anfang der Woche zu Protesten gegen die Ernennung einer neuen Universitätsleitung. An der renommierten Boğaziçi-Universität („Bosporus“-Universität) wehren sich die Studierenden gegen den von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan ernannten Rektor Melih Bulu. Früher wurden Hochschulrektor*innen in der Türkei intern gewählt, doch nach dem Putsch-Versuch 2016 sicherte sich Erdoğan die Macht über die Unis. Bulu hatte 2015 für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP kandidiert, konnte sich in seinem Wahlkreis aber nicht durchsetzen. Er konzentrierte sich auf seine akademische Karriere und war zuletzt Rektor der privaten Haliç-Universität in Istanbul. Der traditionell eher linksliberalen und demokratischen Boğaziçi-Universität stehe die Ernennung Buluts „diametral gegenüber“, schreibt der taz-Korrespondent Jürgen Gottschlich. Bulut solle als „stramm konservativer Finanzwissenschaftler die Uni auf AKP-Kurs bringen“. Lehrende hatten sich in einem offenen Brief geschlossen gegen Bulut positioniert. Bei den Studierenden-Protesten soll es zu 16 Festnahmen gekommen sein, gegen zwölf weitere Personen würde noch gefahndet. „Sollte Erdoğan sich durchsetzen, wird eine der letzten Bastionen der freien Diskussionskultur zerstört. Bereits an den meisten anderen staatlichen Universitäten sind unabhängige Rektoren durch Parteigänger der AKP ersetzt worden“, so Gottschlich.
Dienstag, 5. Januar
In Wien hat die Polizei eine pflegebedürftige 67-jährige Frau in ihrer eigenen Wohnung erschossen. Eine Altenpflegerin hatte die Polizei gerufen, weil die Pensionistin ihr mit einem Küchenmesser in der Hand die Tür geöffnet und ihr gedroht habe. Der Wiener Zeitung zufolge war die Pflegerin schon häufiger bei der Frau zu Hause, die auch früher schon manchmal nicht die Tür geöffnet habe. Die Polizei rückte mit einem Sonderkommando an. Ein Sprecher sagte der Zeitung: „Die Spezialkräfte sicherten das Stiegenhaus und klopften mehrmals an die Wohnungstür. Plötzlich öffnete die Frau und attackierte die Polizisten mit einem Messer in der Hand“. Daraufhin feuerten die Polizeikräfte gleichzeitig einen Taser und einer Dienstwaffe ab. Die 67-Jährige wurde im Oberkörper getroffen und verstarb kurz darauf im Krankenhaus.
Immer wieder werden psychisch kranke Menschen von der Polizei erschossen und nicht selten in ihren eigenen Wohnungen. Im vergangenen Jahr wurde die 33-jährige Maria in ihrer Wohnung in Berlin-Friedrichshain erschossen. Vier bewaffnete Polizist*innen waren in das WG-Zimmer der psychisch kranken Frau eingedrungen, nachdem ihr Mitbewohner wegen eines Streits die Cops gerufen hatte. Auch Maria soll mit einem Messer bewaffnet gewesen sein. Genauso wie der 53-jährige Tarik, der ebenfalls mit einem Messer in der Hand in seiner eigenen Wohnung in Kehl von der Polizei erschossen wurde. Auch er war psychisch krank. Fünf Schüsse aus zwei verschiedenen Waffen seien auf den Afghanen abgegeben worden, schreibt die Badische Zeitung, die anlässlich dieses tödlichen Polizeieinsatzes recherchiert hat, dass von den acht Menschen, die allein in Baden-Württemberg seit 2017 von der Polizei erschossen wurden, fünf psychisch krank bzw. in psychischer Ausnahmesituation waren. In keinem einzigen dieser Fälle hatte es strafrechtliche Folgen für „den ausführenden Beamten“ gegeben.
2017 veröffentlichte die taz ein Dossier zu tödlichen Polizeischüssen. Die Recherche der Tageszeitung ergab, dass zwischen 1990 und 2017 mindestens 269 Menschen in Deutschland von der Polizei erschossen wurden, die meisten männlich und viele psychisch krank. In einem Interview mit der taz sagte Thomas Feltes, Kriminologe von der Ruhr-Universität Bochum, damals, die Polizei habe seiner Einschätzung nach kein Problembewusstsein für den gehäuften Schusswaffengebrauch gegen psychisch kranke Menschen. „Sie tendiert eher dazu, ihr Handeln zu rechtfertigen und Fehler herunterzuspielen oder gar zu vertuschen. Mit der Begründung, in Notwehr gehandelt zu haben, wird der Einsatz dann legitimiert. Dabei wird die eigentliche Notwehrsituation oftmals erst durch den Polizeieinsatz ausgelöst.“ Die Polizist*innen würden den Einsatz häufig selbst lösen wollen, ohne geeignete Fachleute zurate zu ziehen: „Psychisch gestörte Menschen mit gezogener Waffe zu konfrontieren, Pfefferspray oder gar Hunde gegen sie einzusetzen, führt unweigerlich zur Eskalation der Situation“, so Feltes.
Mittwoch, 6. Januar
Was am Mittwoch in Washington passiert ist, hat mich nachhaltig schockiert. Es wurde überall darüber berichtet, wie rechtsextreme Trump-Unterstützer*innen zu Hunderten das Capitol erstürmt haben. Es war ein Umsturzversuch mit Ansage. Donald Trump hatte seine Anhänger*innen über Wochen aufgefordert am 6. Januar, dem Tag, an dem der Sieg der Demokraten offiziell bestätigt werden würde, in die Hauptstadt zu kommen, um den angeblichen Wahlbetrug noch zu verhindern. Trotzdem wurde das Kongressgebäude nicht stärker gesichert als gewöhnlich. Am Mittwoch selbst hatte Trump in Washington vor den Tausenden Demonstrant*innen gesprochen und sie aufgerufen, zum Kapitol zu ziehen. Was dann passiert ist, muss ich hier jetzt nicht nacherzählen.
Allerdings sind mir zwei Punkte wichtig hervorzuheben. Der eine betrifft die hiesige Berichterstattung. Man konnte teilweise den Eindruck gewinnen, als wäre das Ganze einfach ein großer Spaß, eine „Freakshow“, die bekloppten Amis eben. Das war es nicht. Es war ein organisierter Angriff von rechtsextremen Terrorist*innen, die gewaltsam gegen die Demokratie vorgegangen sind. Bei den Eindringlingen wurden zahlreiche Waffen, Sprengstoff und Molotowcocktails sichergestellt. Unweit des Capitols hatten Unbekannte einen Galgen aufgestellt, in einem zwei Blocks entfernt geparkten Auto wurden elf selbstgebastelte Bomben, ein Maschinengewehr und eine Handfeuerwaffe gefunden. Weitere Sprengsätze wurden auch im Kongressgebäude entschärft. Uniformierte Randalierer hatten Kabelbinder dabei, die die Polizei häufig für Massenfestnahmen verwendet. Journalist*innen wurden brutal angegriffen, Kameras wurden zerstört.
Dass hierzulande über die „geistesgestörten Amis“ gespottet wird, ist nicht nur deshalb problematisch, weil damit das Narrativ der angeblich gefährlichen psychisch Kranken reproduziert wird. Es waren keine psychisch Erkrankten, die ins Capitol eingedrungen sind, sondern Verschwörungsgläubige und Rechtsterrorist*innen. Die typisch deutsche Arroganz gegenüber den USA verstellt auch den Blick auf die Gefahr im eigenen Land. Die Q’Anon-Bewegung hat auch in Deutschland zahlreiche Anhänger*innen. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, hält sie für brandgefährlich.
Der zweite Punkt ist ein emotionaler: Zu sehen, wie rechtsextreme white supremacists triumphierend durch das Capitol ziehen, sich dabei so sicher fühlen und unangreifbar, macht mir Angst. Diese unerschütterliche Selbstherrlichkeit, dieses Dominanzgebaren ist unerträglich. Das Bild des Mannes, der sich auf dem Stuhl von Nancy Pelosi breit macht, seinen Fuß auf ihrem Schreibtisch, steht exemplarisch für die rechtsextremen Maskulinisten, die übergriffig in die Sphäre von Frauen eindringen. Diese gewaltsame Verletzung eines Schutzraums, diese Machtdemonstration werde ich wahrscheinlich nicht mehr vergessen. Und das ist genau das, was die Terrorist*innen erreichen wollten. Wir sollen uns nicht mehr sicher fühlen. Nancy Pelosi ist in unvergleichlicher Weise vom rechtsextremen Hass betroffen. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses wird innerhalb und außerhalb der Sozialen Netzwerke aufs Übelste beschimpft. Unzählige Verschwörungsmythen kursieren über die 80-Jährige, die Misogynie und Herabwürdigungen in jeder erdenklichen Form ertragen muss, so schlimm, dass ich sie hier nicht wiedergeben will. Nancy Pelosi ist seit 1987 Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, aber nie musste sie etwas Derartiges erleben. Es macht mich krank, wenn ich darüber nachdenke, wie ich mich an ihrer Stelle fühlen würde. Ich bewundere sie jetzt noch mehr. Denn sie schenkt den Terrorist*innen nicht einen Moment der Schwäche, sie lässt nicht zu, sich gedemütigt zu zeigen. Stattdessen zieht sie Donald Trump zur Verantwortung und fordert erneut ein Amtsenthebungsverfahren. Sie lässt sich nicht unterkriegen und wird weiterkämpfen. Ich wünsche ihr alle Kraft der Welt dafür.
Donnerstag, 7. Januar
Am Donnerstag hat in Hannover ein 50-jähriger Mann seine ebenfalls 50-jährige Ehefrau erstochen. Der Täter gestand die Tat, als er die Polizei anrief, die ihn kurz darauf in der Wohnung festnahm. Dort fanden sie auch die Leiche der Frau und ein Messer, vermutlich die Tatwaffe. „Wir konnten sie nur noch tot in einer Wohnung finden – es handelt sich definitiv um ein Tötungsdelikt“, sagte ein Polizeisprecher.
Dieser Femizid war nicht der erste im noch jungen Jahr. Am Dienstag hat in Ludwigshafen ein 65-jähriger Mann seine 60-jährige Frau und den 14-jährigen Sohn erschossen und anschließend sich selbst. Die Wohnung fand die Leichen der Familie sowie einen Abschiedsbrief in der gemeinsamen Wohnung.
In Berlin-Neukölln hat am Mittwoch offenbar ein 83-jähriger seine zehn Jahre ältere Ehefrau getötet. Der mutmaßliche Tätet hatte selbst die Polizei in die Wohnung gerufen, die nach eigenen Angaben gleich von einem Gewaltverbrechen ausging. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ehemann Mord aus Heimtücke vor und hat einen Haftbefehl erlassen.
Freitag, 8. Januar
Martin Sonneborn, den ich wegen seiner klaren Haltung gegen Nazis und die Abschottungspolitik der EU geschätzt habe und über dessen Humor ich auch oft lachen musste, hat sich auf Twitter als der Boomer geoutet, der er vermutlich schon immer war. So richtig sehen wollte ich das wohl lange nicht. Ich habe der PARTEI bei der letzten Europawahl meine Stimme gegeben, habe über vielfachen Sexismus hinweggesehen, weil diese EU-Politik nur noch satirisch zu ertragen schien und auch weil ich Nico Semsrott irgendwie putzig fand. Dass Sonneborn Rassismus lustig findet, hat er schon mit seinem Blackfacing-Wahlplakat bewiesen, auf dem er – mit braun angemaltem Gesicht – unter dem Slogan „Ick bin ein Obama“ zu sehen ist. Jetzt hat er noch mal nachgelegt und ein Bild von sich getwittert, auf dem er ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift: „AU WIEDELSEHERN, AMLERIKA! abem Sie Guter FrLug runtel! Printed in China für Die PARTEI“.
Haha, wie lustig Asiat*innen sprechen so bescheuert, ich lach mich tot. Gerade, während anti-asiatischer Rassismus dank „Wuhan-Virus“ sowieso schon richtig kickt, haut Sonneborn diesen uralten Take aus der stereotypisierenden Mottenkiste raus. Zurecht weisen ihn viele Twitter-User*innen darauf hin, dass sein Joke nicht witzig, sondern rassistisch ist. Sonneborn reagiert eingeschnappt, löscht das Foto und twittert „Gut, ich ziehe ein Jackett drüber… Smiley!“ Aber so leicht wird er diesmal nicht vom Haken gelassen.
Doch der PARTEI-Vorsitzende ist sich natürlich keiner Schuld bewusst. Er retweetet ein rassistisches Titanic-Cover von 2002 und erklärt: „So, und jetzt bitte schön diskutieren, was Satire darf & soll, die Grenzen bitte nicht vergessen. Merke: der erste Zugriff („Wah! Rassismus!“) ist oft nicht der beste.“ Was Rassismus ist, bestimmen schließlich nicht die Betroffenen, sondern Sonneborn. Der alte weiße Mann hat es ja „nicht so gemeint“ und außerdem darf Satire alles. Nein, Martin. Satire boxt nach oben, sie reproduziert keine rassistischen Klischees.
Samstag, 9. Januar
In Spanien gilt seit dem 1. Januar 2020 eine neue Elternzeit-Regelung.
Sonntag, 10. Januar
In Berlin wurde heute, wie jedes Jahr, an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnert. Am 15. Januar 1919 wurden die beiden von rechtsnationalen Freikorpssoldaten überfallen, verschleppt, misshandelt und schließlich erschossen. Die Leiche von Rosa Luxemburg wurde anschließend in den Landwehrkanal geworfen, wo sie erst Monate später gefunden wurde.
Während Corona-leugnende Verschwörungsgläubige mittlerweile fast täglich und von der Polizei weitestgehend unbehelligt „demonstrieren“ dürfen, griffen die Cops heute wieder einmal hart durch gegen die verhassten Antifaschist*innen.
Ich nehme an der Gedenkdemo für Rosa und Karl seit Jahren nicht mehr teil, weil ich keine Lust auf die vielen Stalinist*innen und Antisemit*innen habe, die sich da jedes Jahr leider auch tummeln, trotzdem gilt meine Solidarität natürlich allen echten Antifaschist*innen. In Zeiten wie diesen, wo rechtsnationale Kräfte Morgenluft schnuppern und insbesondere in Polizei und Militär ihre Netzwerke knüpfen, ist linker Zusammenhalt so wichtig wie vor hundert Jahren.
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