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Aktion in der Mönchengladbacher Kirche (Foto: Rollender Widerstand)

Übertönt und unterbrochen

Drei Femizide in Berlin, eine Verurteilung in Katar, Diskussionen über Abschiebungen nach Afghanistan und eine Aktion der Gruppe „Rolfender Widerstand“ in Mönchengladbach. Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW23

Montag, 3. Juni

Die Woche begann mit einem Femizid in Berlin. In Köpenick tötete ein 34-jähriger Mann seine gleichaltrige Expartnerin, „aus Eifersucht“ wie die B.Z. berichtete. Aus patriarchalem Besitzdenken wäre die passendere Beschreibung des Motivs. Mann und Frau hatten nach der Trennung noch zusammengelebt, wegen des gemeinsamen Kinds, schreibt die Boulevardzeitung. Die 10-jährige Tochter soll sich während der Tat ebenfalls in der Wohnung aufgehalten haben. Die Rechtsanwältin und Autorin Asha Hedayati schrieb nach der Tat: „viele betroffene, die ich in den letzten jahren beraten habe, konnten sich aufgrund der eskalierten wohnungsmarktlage räumlich nicht von ihren expartnern trennen. femizide ‚passieren‘ nicht in einem luftleeren raum. sie werden ausgeübt, weil die strukturen die gewalt begünstigen&nicht verhindern.“

Wenige Tage zuvor, am 28. Mai, tötete ein 46 Jahre alter Mann eine 44 Jahre alte Frau in Berlin-Wilmersdorf. Der Mann lauerte dem Opfer auf und stach es in einem Hauseingang nieder. Nach der Tat brachte er seine 76 Jahre alte Mutter um und nahm sich anschließend selbst das Leben. Die Leichen wurden am Montag in der Wohnung der Seniorin von der Polizei entdeckt, als der Haftbefehl gegen den Mann vollstreckt werden sollte. Der Täter soll vor einigen Jahren der Fahrlehrer der getöteten Frau gewesen sein.

Dienstag, 4. Juni

Während Femizide meist als „Beziehungstat“ verharmlost und entpolitisiert werden und es maximal zur lokalen Meldung schaffen, sorgt ein getöteter Polizist für bundesweites Entsetzen. Ich will den Vorfall keinesfalls verharmlosen, ein Mensch hat sein Leben verloren, Familie und Freund*innen einen geliebten Menschen, aber der komplett unterschiedliche gesellschaftliche Umgang mit Tötungsdelikten ist schon augenfällig. Vielleicht liegt es daran, dass sich der Fall des Mannheimer Cops, der nach einem möglicherweise islamistisch motivierten Anschlag gestorben ist, als willkommene Vorlage eignet, (antimuslimischen) Rassismus auf großer Bühne auszuleben und über Abschiebung nach Afghanistan zu diskutieren. Es ist noch gar nicht klar, ob der Täter von Mannheim psychotisch war oder politisch motiviert gehandelt hat, aber Olaf Scholz und andere Law-and-Order-Fans fordern, Süleiman A. in ein Land abzuschieben, in dem die Taliban regieren und in dem schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. „Straftäter abschieben“ ist eine schmissige Forderung, insbesondere im Super-Wahljahr, das weiß auch die SPD. Was sie aber auch wissen sollten: die Taliban warten nur darauf, sich mit der Bundesregierung an einen Tisch zu setzen: „ganz sicher würden die Taliban das propagandistisch ausschlachten“, sagt Thomas Ruttig, Mitbegründer des „Afghanistan Analysts Network“ (AAN), im Interview mit der Tagesschau. Bislang hat kein Land die Taliban diplomatisch anerkannt. Offizielle Gespräche mit der deutschen Bundesregierung über mögliche Abschiebungen wären mehr als willkommen. Dass es hier zu einer Einigung kommen könnte, schätzt Thomas Ruttig als absolut unwahrscheinlich ein: „In der Tat gibt es gar keine Möglichkeiten, Leute direkt nach Afghanistan abzuschieben“, erklärt er. „Es sei denn, die Bundesregierung könnte Nachbarländer dazu überreden, daran mitzuwirken. Aber die werden sich das gerade im Fall eines schweren Straftäters auch drei Mal überlegen – und der Preis könnte so hoch sein, dass er vermutlich auch an moralische Grenzen stößt.“ Alles in allem ist die Debatte nichts weiter als populistische Effekthascherei, die Rassismus und Muslimfeindlichkeit befeuert.

Mittwoch, 5. Juni

Manuel Guerrero Aviña ist in Katar zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe worden, nachdem er im Februar bei einem offenbarten inszenierten Grindr-Date verhaftet wurde. Grindr ist eine Datingplattform, die vornehmlich von schwulen und bisexuellen Männern genutzt wird. In Katar ist Homosexualität verboten. Guerrero Aviña, der für Qatar Airways arbeitet und sowohl britischer als auch mexikanischer Staatsbürger ist, hatte sich kurz nach seiner Ankunft in Doha mit einem Mann über Grindr verabredet, wurde an der Tür jedoch von Polizisten in zivil überrascht. Die Familie des Verurteilten geht davon aus, dass das Date eine Falle der Behörden war. Die Verurteilung erfolgte wegen des angeblichen Besitzes und Konsums von Methamphetamin. Guerrero Aviña sagt, die Droge sei ihm nach der Festnahme verabreicht worden. In einer Stellungnahme am Mittwoch erklärte er, in der Haft „Folter und Misshandlungen“ erfahren zu haben. Ihm sei zudem „das Recht auf einen Anwalt oder Übersetzer“ vorenthalten worden. 44 Tage lang sei er „unter unmenschlichen Lebensbedingungen“ festgehalten worden. Manuel Guerrero Aviña ist froh, dass er nach Zahlung der Geldstrafe das Land verlassen darf, verurteilt den „unfairen Prozess“ jedoch. Er erklärt: „Die katarischen Behörden haben mich verurteilt, weil ich schwul bin, und das stellt einen Verstoß gegen meine Menschenrechte dar.“

Donnerstag, 6. Juni

Im letzten Wochenrückblick habe ich über den mutmaßlich rechtsextrem motivierten Anschlag auf eine Einrichtung für behinderte Menschen in Mönchengladbach berichtet. Unbekannte hatten einen Backstein mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“ gegen die Tür geworfen und diese beschädigt. Die „Lebenshilfe“, Betreiberin der Einrichtung, veranstaltete am Donnerstag eine Solidaritäts-Kundgebung in einer Kirche, zu der laut WDR-Angaben, rund 1.000 Menschen kamen. „Viele Organisationen, Verbände und die Kirchen, aber auch Fußballvereine und Parteien wollten so eine Unglaublichkeit nicht unkommentiert lassen“, heißt es im Bericht. Was jedoch gänzlich unerwähnt bleibt: Aktivist*innen der Gruppe „Rolfender Widerstand“ störten die Veranstaltung, nachdem ihnen zuvor eine Rede verweigert wurde. Die Gruppe, die für die Rechte behinderter Menschen und für Inklusion kämpft, kritisierte bereits im Vorfeld der Kundgebung, dass lediglich eine Person auf der Redeliste selbst behindert ist. „Nichts über uns ohne uns!“, forderten die Aktivist*innen und nahmen sich kurzerhand die Bühne. „Schließlich galt der Anschlag, wie an der hinterlassenen Botschaft erkennbar, den Behinderten selbst und nicht den Mitarbeitenden, die Botschaft galt der gesamten Behindertencommunity“, erklärte der Rolfende Widerstand auf seinem Blog. Die Aktivist*innen zeigten zudem ein Banner mit der Aufschrift „Werkstätten abschaffen“, „Behinderten zuhören“ und „Mindestlohn für alle“ und machten auf die Ausbeutung behinderter Menschen in Werkstätten aufmerksam, die auch von der „Lebenshilfe“ betrieben werden. „Die Aktivistis wurden jedoch übertönt und rasch unterbrochen und zur Seite gedrängt. Nichts neues“, heißt es im Blogbeitrag weiter.

„Wir werden nicht aufhören dafür zu kämpfen und sind für die Abschaffung von jeglichen Formen von Aussonderung und Isolation. Assistenz statt Heime! Grundeinkommen für alle und Ende des Kapitalismus! Kampf gegen Rechts ist Kampf um echte Inklusion ohne Sonderwelten.“

Rolfender Widerstand

Freitag, 7. Juni

Ihr kennt ja vermutlich alle den Satz „Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es“, oder?! Nunja, der stimmt so nicht mehr. Es gelingt jeden 2. Tag, alle 2,3 Tage, um genau zu sein. 155 Frauen wurden 2023 von ihrem Partner bzw. Ex-Partner getötet. Die am Freitag vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet einen Anstieg der häuslichen Gewalt um 6,5 %. Unzählige Taten bleiben nach wie vor unsichtbar, weil die Betroffenen sie nicht anzeigen. „Wir registrieren seit Jahren steigende Zahlen von Häuslicher Gewalt. Gleichzeitig werden viele dieser Taten gar nicht angezeigt, so dass die Polizeiliche Kriminalstatistik den tatsächlichen Umfang nur bedingt widerspiegelt“, sagt BKA-Vizepräsidentin Martina Link.

Samstag, 8. Juni

Vier überlebende israelische Geiseln wurden am Samstag aus der Gewalt der Hamas befreit. Die Freude ist riesig, das israelische Militär feiert einen großen Erfolg. Gleichzeitig wurden bei der Befreiungsaktion zahlreiche Palästinenser*innen in einem Flüchtlingslager getötet. Die genauen Zahlen lassen sich nicht verifizieren. Die Hamas nennt 210 Tote, ein israelischer Militärsprecher spricht von weniger als 100. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas fordert eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Besprechung des „grausamen Massakers“, während die IDF sich auf die angeblichen „menschlichen Schutzschilde“ beruft, die die Hamas benutzen würde. Ich finde diese Rede von „menschlichen Schutzschilden“ schon lange höchst problematisch. Weil: was ist die Konsequenz? Dass es legitim ist Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingsheime zu bombardieren? Sind die Opfer weniger wert, keine Menschen mehr, sondern nurmehr „menschliche Schutzschilde“? Im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg nimmt diese Formulierung das israelische Militär aus der Verantwortung für zehntausende Tötungen. So als wären es nicht ihre Bomben und Geschosse, die die Menschen töten. Stellt euch vor, ein Verbrecher hält sich ein Kind vor die Brust – ist es dann okay das Kind zu erschießen, weil es ja als „Schutzschild“ benutzt wurde? In meinem Werteverständnis nicht. Und ich kann auch nicht aufhören darüber nachzudenken, ob wir zehntausende weiße Todesopfer auch mehr oder weniger Schulterzuckend als „menschliche Schutzschilde“ bezeichnen würden. Am Samstag sah die ganze Welt die Gesichter der vier befreiten Geiseln. Lachend, wiedervereint mit ihren Familien. Die Gesichter der getöteten Palästinenser*innen sehen wir nicht. (Und weil es mir sonst garantiert vorgeworfen werden würde: Selbstverständlich bin ich froh, dass die vier befreiten Geiseln lebend nach Hause zurückkehren können. Ich kann mir ihren Horror und den ihrer Angehörigen nicht ansatzweise ausmalen.)

Sonntag, 9. Juni

Weil ich gleich einen Workshop gebe, kommt der Wochenrückblick heute früher als gewohnt. Zum Sonntag kann ich nur sagen: Geht wählen, wenn ihr das Privileg habt, wählen zu dürfen.

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