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Von Selbstzweifeln und Bescheidenheit

  • Beitrags-Kategorie:Alltag
  • Beitrags-Kommentare:4 Kommentare

Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, ist kein besonders exklusives. Wenn ich andere Frauen frage, bestätigt mir jede, dass sie sich manchmal / häufig / ständig so fühlt. Es ist so normal, nicht genügen zu können, dass das Gefühl selbst gar nicht mehr hinterfragt wird. Stattdessen kreisen die Gedanken darum, wie wir besser werden können, schöner, klüger, schneller, ordentlicher, fitter, erfolgreicher, schlagfertiger. Wie wir uns optimieren, wie wir es schaffen dem Anspruch gerecht zu werden. Woher der Anspruch kommt, wer den an uns stellt und warum, fragen wir uns nicht, wir haben uns so daran gewöhnt. Wir fragen ja auch nicht, warum man Harndrang hat oder wieso es an der anderen Kasse immer schneller geht.

Ich habe diesen Blog auch deshalb gestartet, weil ich mich nicht mit dem Gefühl abfinden möchte, nicht gut genug zu sein. Ich erwarte gar nicht, mich davon frei machen zu können, aber ich hoffe, zu einem entspannteren Umgang damit zu finden. Ich möchte mich nicht immer wieder selbst bremsen, weil der innere Kritiker eine Augenbraue hochzieht.

Schwäche zeigen ist nicht das Problem

Mit den Selbstzweifeln ist es so eine Sache. Auch wenn wir offenbar alle mehr oder weniger stark betroffen sind, reden wir nicht darüber. Ich habe lange geglaubt, das Schweigen hinge mit einer mangelnden Fehlerkultur zusammen, damit, dass wir keine Schwäche zeigen wollten, uns keine Blöße geben. Das mag für Männer zutreffen, kann sein. Bei Frauen beobachte ich allerdings etwas anderes: Schwächen zuzugeben scheint kein großes Thema zu sein, im Gegenteil. Wir sind sogar recht freigiebig damit. Wir machen uns ständig kleiner als wir sind. Die eigene Leistung schmälern wir fast automatisch, indem wir erklären, rechtfertigen, abwiegeln. Lob oder Komplimente winken wir direkt ab: „Ach das ist doch nichts Besonderes“, „Ich hatte nur Glück“, „Ich hab‘ mir gar nicht richtig Mühe geben“ oder „Das war ganz leicht“.  

Komplimente aushalten als Herausforderung

Ein Kompliment einfach anzunehmen ist gar nicht so leicht. Ich habe es versucht. Einfach „Danke!“ zu sagen und sich zu freuen – keine große Sache, könnte man meinen. Die Realität sieht anders aus. Die Worte, die dem „Danke“ folgen wollen, lassen sich schwer zurückhalten.

„Wow, schöne Schuhe“ – „Danke!“ (Die habe ich geschenkt bekommen / Die waren im Sonderangebot / Die habe ich schon ewig…)

„Richtig guter Text! Toll geschrieben“ – „Danke!“ (Findest du ihn nicht zu lang? / Liest bestimmt eh niemand, haha)

„Schmeckt super dein Eintopf“ – Danke! (Eigentlich gehören da Kichererbsen rein / Ich hab das Rezept von XY, die macht ihn viel besser / Nicht zu salzig?)

„Eigenlob stinkt!“

Wir neigen dazu, Komplimente zu entwerten, Lob zu schmälern. Wir haben gelernt, bescheiden zu sein. Bescheidenheit wird (in erster Linie) Mädchen als erstrebens- und liebenswerte Eigenschaft zugeschrieben. Sie gilt als das leuchtende Gegenbild von Prahlerei, Maßlosigkeit, Stolz, Geltungssucht, Eitelkeit. Niemand mag Angeberinnen. Wir sollen uns anstrengen, erfolgreich sein, unser Bestes geben. Aber wir dürfen dafür keine Anerkennung erwarten. Schon gar nicht sollen wir uns selbst loben oder Achtung einfordern. „Eigenlob stinkt“ schallt es uns reflexartig entgegen, wenn wir unsere eigene Leistung positiv hervorheben. Schon in der Grundschule haben wir das Bild unserer Pultnachbarin mit Lob überschüttet, während wir über unser eigenes beschämt den Arm geschoben haben.

Anerkennung ködern

Die fiese Cousine von „Eigenlob stinkt“ ist „Fishing for Compliments“. Und damit meine ich nicht die semi-erfolgreiche Girlband aus den frühen 2000ern sondern die Aussage, jemand wolle durch das Selbst-Schlechtmachen auf das Lob Anderer hinaus. Natürlich wäre es eleganter, ohne den Köder der Selbstabwertung ein Kompliment zu angeln. Aber was sagt es über uns aus, dass wir auf diejenigen herabsehen, die sich nach Lob und Anerkennung sehnen?

Selbstzweifel erscheinen mir als natürliche Reaktion auf die tiefe Verunsicherung über die Frage, wie wir Anerkennung bekommen können, ohne sie uns selbst zu geben („Eigenlob stinkt“) oder sie anderen durch Eigenabwertung zu entlocken („Fishing for Comliments“).

Lobt euch!

Uns wurde von Anfang an vermittelt, dass wir uns für die Achtung anderer anstrengen müssen. Wir sollten dafür besonders lieb, hübsch, fleißig, brav, klug, talentiert, sportlich sein. Aber die Anerkennung wurde uns viel zu oft verwehrt. Der Deal wurde nicht eingehalten. Den versprochenen Preis für die geleistete Arbeit haben wir nicht erhalten. Und dem natürlichen Impuls, sich dieser Ungerechtigkeit zu widersetzen wurde die Bescheidenheit entgegengesetzt. Die Bescheidenheit als Ideal hat der Perfidie die Krone aufgesetzt. Es ist schließlich unmöglich, gleichzeitig bescheiden zu sein und Anerkennung zu fordern.  

Vielleicht sollten wir anfangen selbst viel mehr Komplimente zu verteilen. Loben wir unsere Freund*innen, Kolleg*innen, Zufallsbekanntschaften was das Zeug hält. Geben wir die Anerkennung mit vollen Händen aus, sodass es keinerlei Köder mehr bedarf. Vielleicht lernen wir so, auch mit uns selbst freundlicher zu sein

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Katha

    Das hast du toll geschrieben. 🙂 Aber mal im Ernst: es stimmt schon, wir neigen dazu, uns selbst abzuwerten. Komplimente anzunehmen ist wirklich schwer. Und ich glaube du hast recht, zu selten legen wir den Blick im Alltag auf die positiven Dinge auf das Geschaffte, das Erreichte. Und eigentlich ist es Quatsch so bescheiden zu sein. Er ist wirklich Quatsch. Daher danke für die Anregung, diese alten Verhaltensmuster zu reflektieren und vielleicht irgendwann ablegen zu können.

    1. Ulla

      Danke, Katha, für deinen Kommentar! Ich freue mich, wenn ich zur Selbstreflektion anregen kann.

  2. Elisa

    Dieses Komplimente nicht einfach annehmen können oder zumindest sofort abschwächen zu müssen, beschäftigt mich auch immer wieder. Bei anderen fällt es mir mittlerweile öfter auf und ich versuche dann nochmal zu verdeutlichen, dass die Person Sache xy wirklich gut (oder was auch immer) gemacht hat und dass ich es feier‘. Zugleich merke ich aber an mir selbst, dass ich auch nicht immer einen guten Weg mit Komplimenten umzugehen habe.
    Interessant finde ich es, wie ich dieses Thema bei einer kleinen Gruppe um mich herum wahrnehme, bestehend aus zwei Frauen und einem Mann. Der Mann feiert sich selbst, halb scherzhaft, in der Häufigkeit aber schon auch eher ernst gemeint, meist mit krass patriarchalen Äußerungen (wie z.B. „Der Papa hat das mal wieder geregelt. Höhö.“). Die eine Frau ist eher bescheidener, sagt aber schon auch mal deutlich, wenn sie stolz auf ihre Arbeit xy ist und dass da auch viel Zeit und Kreativität drin steckt. Die andere Frau fordert Komplimente regelrecht ein, für Äußerlichkeiten, Arbeitsschritte etc, was ich oft dann doch auch ein Stück weit übertrieben finde, weil es teils – für mich – um Kleinigkeiten geht. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob das Gefühl so cool von mir ist. Vermutlich eher nicht, weil ich am Ende lieber denke, jeder braucht was anderes und wenn sie sich das einfordern möchte und so vielleicht auch eine Anerkennung bekommt, die anderweitig fehlt, ist das ’ne gute Sache.
    Definitiv alles noch work in progress in meinem Kopf und Alltag.

    PS: Ich find’s richtig gut, dass du den Schritt hier gehst! Du kannst das und ich hoffe, du findest einfach genau dein Tempo und dein Gefühl, was für dich hier richtig ist. Ganz egal was es in diesem Internet noch so gibt, da ist definitiv ein Platz für dich und das hier.

    1. Ulla

      Hi Elisa,
      Danke für deinen Kommentar und die interessanten Gedanken dazu. Die drei verschiedenen „Typen“, die du beschreibst, kann ich mir genau vorstellen. Wer kennt nicht diesen Typ Mann, der sich selber feiert und das gern mit so nem Stromberg-Humor rüberbringt. Wer weiß, vielleicht ist das auch ne Form von Unsicherheit?!
      Danke dir auch für die lieben und ermutigenden Worte im PS. Ich drück dich virtuell <3

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