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Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden am 15. Januar 1919 in Berlin ermordet. (Fotos: Canva)

Von nichts gewusst

Das Jahr ist noch jung und schon hat die Polizei wieder einen Menschen erschossen, der Katapult-Verlag hatte eine doofe Idee und in Gaza ist eine Waffenruhe in Sicht.  Der Wochenrückblick aus feministischer Perspektive. #KW3

Montag, 13. Januar

Die tödliche Polizeigewalt, die 2024 auf ihrem Höchststand seit 25 Jahren war, geht auch im noch jungen Jahr 2025 ungebremst weiter. In Bruchsal bei Stuttgart erschossen Polizist*innen am Montag einen 48-Jährigen in dessen Wohnung. Wie die meisten Opfer tödlicher Polizeigewalt soll sich auch dieser Mann in einer psychischen Ausnahmesituation befunden haben. Das Amtsgericht in Karlsruhe hatte geurteilt, dass der erkrankte Mann in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden sollte, die Polizei kam, um den Mann abzuholen. Weil dieser die Tür nicht öffnete, drangen die Cops gewaltsam in die Wohnung ein, wo sie auf den Mann trafen, der mit einem „Fleischerbeil“ bewaffnet gewesen sein soll, woraufhin es „zum Gebrauch einer Schusswaffe“ kam, wie es der SWR ausdrückt. Der 48-Jährige starb noch am Tatort.

Dienstag, 14. Januar

Dass die AfD eine rechtsradikale Partei ist, die ihren Erfolg auf Rassismus, Queerfeindlichkeit und Armenhass aufbaut, muss ich euch nicht erzählen. Ihr wisst auch, dass die Partei nicht trotz, sondern wegen ihrer menschenfeindlichen Positionen gewählt wird. Daher sind Aktionen wie die vom Katapult-Magazin vollkommen unangebracht und kontraproduktiv. Katpult-Verleger Benjamin Fredrich hielt es für eine gute Idee, über eine halbe Million „Wahlprogramme“ der AfD zu drucken und zu verbreiten, um über die wahren Ziele der Partei aufzuklären. In dem Booklet sollten Zitate aktueller und ehemaliger AfD-Politiker*innen aufzeigen, wie rechts die Partei ist – als wüssten das nicht ALLE längst. Friedrich glaubt aber: „Selbst erkennen ist nachhaltiger als lange Belehrungen“ und denkt, seine Aktion trüge dazu bei, dass niemand später sagen könne „er hätte von nichts gewusst“. Nun ja, seine Idee kam dann nicht so gut an. Und zwar nicht nur, weil das unkommentierte Verbreiten der Menschenverachtung mehr schadet als nützt, sondern auch, weil die Zitate zum Teil der AfD zugeschrieben wurden, obwohl ihre Urheber*innen gar nicht oder nicht mehr Mitglieder der AfD sind, die Quellen nicht aufrufbar sind oder erst gar nicht angegeben werden. Die ganze Aktion ist somit Wasser auf die Mühlen derer, die behaupten, die AfD werde „unfair“ behandelt. Die Partei, die sich ohnehin permanent zum Opfer macht, triumphiert.

Es braucht keine „Entlarvungen“ mehr, die AfD macht das selbst jeden Tag aufs Neue. Am Dienstag berichteten verschiedene Medien über sogenannte „Abschiebetickets“, die die Partei an Haushalte in Karlsruhe verteilte. Offenbar landeten diese an Flugtickets erinnernden Flyer hauptsächlich in Briefkästen mit nicht deutsch klingenden Namen. Die Idee ist nicht neu, schon in den 1930er Jahren verteilte die NSDAP als „Freifahrkarten nach Jerusalem“ bezeichnete Flugblätter an jüdische Deutsche, auf denen vermerkt war „hin und nicht wieder zurück“. Und auch die NPD nutzte dieses Wahlkampfmittel 2013 und verteilte nach Flugtickets aussehende Flyer mit der Aufschrift „Ab Deutschland – Ziel Heimat“. Was die AfD jedoch in einem Wahlkampf, in dem sich selbst die Grünen für Abschiebungen starkmachen, mit einer Neuauflage dieser rassistischen Idee erreichen wollte, außer migrantisierten Menschen Angst einzujagen, bleibt unklar.

Mittwoch, 15. Januar

Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von rechtsextremen Soldaten erschossen. Die beiden Mitgründer*innen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) waren überzeugte Antimilitarist*innen, was ihren Bruch mit der kriegshungrigen SPD begründete. Spätestens mit der Novemberrevolution wurden Luxemburg und Liebknecht zu den Hauptfeinden von Militärs, Kapitalist*innen und rechten Bürgis erklärt. Zahlreiche Kampagnen riefen immer wieder zu ihrer, insbesondere Liebknechts, Ermordung auf. Am 15. Januar 1919 wurden die beiden von einer Wilmersdorfer Bürgerwehr aufgespürt (vermutlich wurden sie zuvor verraten) und kurz darauf ermordet. Bis heute wird die Verstrickung führender Sozialdemokraten in den Mordkomplott von der SPD nicht aufgearbeitet, bisweilen geleugnet. Die Kommunistin, Autorin und Aktivistin Simin Jawabreh kommentierte anlässlich des Jahrestags auf Instagram: „Das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist keine leere Floskel, sondern eine Mahnung, die bis heute an Aktualität nichts verloren hat. Als konsequente Antimilitarist:innen stellten sie sich im Ersten Weltkrieg mutig gegen die Kriegsbegeisterung und den Imperialismus, während die SPD – einst eine Partei der Arbeiter:innenbewegung den Kriegskrediten zustimmte und damit die Massenschlächterei mittrug, skandierten beide unter der Losung ‚der Hauptfeind steht im eigenen Land‘ die Linie, sich nicht in die unterstützung eines Nationalstaats hinreißen zu lassen.“ Weiter stellt sie fest: „Der Verrat an der Friedensbewegung und unserer Klasse ist kein Relikt der Geschichte. Luxemburgs und Liebknechts Vision eines solidarischen antikapitalistischen Kampfes bleibt deshalb ein unverzichtbarer Orientierungspunkt – ein Wegweiser, der zeigt, dass echter Widerstand gegen Krieg und Unterdrückung möglich ist. Gedenken an sie ist keine Nostalgie, sondern politische Praxis im Hier und Jetzt.“

Donnerstag, 16. Januar

Am Donnerstag wurde eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas verkündet, die am Ende der Woche in Kraft treten sollte. Nach 15 Monaten schwerster Kriegsverbrechen, über 46.600 getöteten Palästinenser*innen und 1.706 getöteten Israelis, und unzähligen Verletzten, Verschleppten, Vertriebenen, Traumatisierten soll das Töten nun endlich enden und die Geiseln, die sich seit dem 7. Oktober 2023 in der Gewalt der Hamas befinden, freigelassen werden. „Doch die Freude kann nur eine getrübte sein“, schreibt Medico International, denn: „Die Konditionen des Waffenstillstands sind in weiten Teilen identisch mit denjenigen, die schon im Mai 2024 im UN-Sicherheitsrat vorgelegt und positiv abgestimmt worden waren und denen die Hamas bereits im Sommer zugestimmt hatte“. Wie viel Leid hätte vermieden, wie viel Zerstörung verhindert werden können, hätte die Weltgemeinschaft, insbesondere die USA und auch Deutschland, mehr Druck auf Israel ausgeübt, einer Vereinbarung zum Waffenstillstand zuzustimmen? „Es bestätigt sich, was Palästinenser:innen, Menschenrechtsorganisationen und Aktivist:innen auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten sagen: Es gibt keine militärische Lösung für die Palästina-Frage“, erklärt Medico. „Mehr denn je zeigt sich, dass nur eine politische Lösung eine Chance hat, Gerechtigkeit und Frieden in der Region zu schaffen.“ Dazu gehört, dass das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung auch für die Menschen in Palästinenser*innen gelten muss.

Freitag, 17. Januar

Am Freitag erschien beim nd ein Interview mit dem Vorsitzenden des Deutschen Mieterbunds NRW, Hans-Jochem Witzke, der darin über die Installation „intelligenter“ Rauchmelder durch den Immobilienkonzern Vonovia spricht. Der Nachrichtenwert des Ganzen liegt dabei nicht darin begründet, dass Vonovia die Kosten für die Geräte (je 136 Euro) auf die Mieter*innen umwälzen will, sondern die Tatsache, dass diese Rauchmelder krasse Überwachungsapparate sind. Die sogenannten Multisensor-Plus-Geräte seien „sehr datenhungrig“, erklärt Witzke, Vonovia könne damit herausfinden, „wie viele Personen sich wann in der Wohnung aufhalten, wie oft gelüftet wird und in welchen Räumen jemand schläft“. Der Immobilienriese Vonovia, zu dem u.a. „Deutsche Wohnen“ gehört, bewirtschaftet 617.343 Wohnungen und geht laut Witzke „oftmals über die Grenze des Erlaubten“. So ließ der Konzern, damals noch „Deutsche Annington“ Wohnungen vollkommen verkommen, Mieter*innen lebten z.B. mit Schimmel und erhielten keine Hilfe. Wenige Jahre später setzte Vonovia dann auf Modernisierungen als Geschäftsmodell und ließ sich von Mieter*innen umfassende Sanierungen finanzieren. So stieg nicht nur der Wert der Immobilien (und der Vonovia Aktie), sondern auch die Miete. Eine geschäftsmäßige Praxis, die sogar ein CDU-Oberbürgermeister als „unanständig“ bezeichnete. Dazu kommen regelmäßige Betrügereien bei Nebenkostenabrechnungen, die in der Berichterstattung meist euphemistisch als „Tricks“ bezeichnet werden. Und auch bei den Rauchmeldern geht es jetzt wieder nur ums Geld. Witzel sagt: „Das Ärgerliche an diesem Fall ist, dass Vonovia mit Wohnwertverbesserung und Sicherheit für die Mieterinnen und Mieter argumentiert. Aber die Leute wollen die Geräte nicht an der Decke hängen haben und müssen dafür auch noch zahlen. Das ist wohl auch der eigentliche Grund der Maßnahme: Zunehmend mehr Leistungen den Mieterinnen und Mietern aufbürden, um mit solchen Nebengeschäften – am besten noch mit konzerneigenen Auftragnehmern – immer mehr Gewinne zu erzielen.“

Das wars für heute, ich schaffe das Wochenende heute nicht und überlege, den Wochenrückblick zukünftig insgesamt zu kürzen. Aber das muss ich mir noch überlegen.

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