Ich weiß noch genau, was es für ein Gefühl war. Es zu beschreiben ist gar nicht so leicht, ich versuche es trotzdem: von meinem Bauch aus, etwa auf der Höhe des Bauchnabels, breitet sich eine Wärme aus, die langsam den ganzen Körper einnimmt. Ich atme ein und merke, wie ich Luft bekomme, alles in mir scheint sich geweitet zu haben, ich werde weicher, durchlässiger und die Luft und Wärme sorgen dafür, dass ich mich gleichzeitig leicht und fest mit dem Boden verbunden fühle.
Es war wie so oft: In einer dieser „netten Runden“ mit Freund*innen, es wird über die und jenes geplaudert und alles bewegt sich irgendwo zwischen witzig und belanglos, betritt das Gespräch plötzlich vermintes Gelände. Es geht um „politische Korrektheit“, um Gendersternchen, um Komplimente, um „Ausländer“ oder „Frauen“. Ich atme flacher, die Anspannung nimmt zu, ich weiß genau, was kommt. Ich spüre, wie sich meine Schultern immer mehr verspannen, wie sich mein Inneres zunehmend verknotet. Dann passiert es: irgendein Adrian sagt etwas Sexistisches, Rassistisches, Antisemitisches.
Ich hole Luft, bereit zum Widerspruch und bevor ich anfange zu sprechen, sagt sie* etwas. Ich drehe mich zu ihr um, mache wahrscheinlich große Augen und das oben beschriebene Gefühl setzt ein. Es ist das erste Mal, oder mindestens das erste Mal seit langer Zeit, dass ich nicht diejenige bin, die das Wort ergreift, um zu widersprechen.
Ich bin es so sehr gewohnt, die Einzige zu sein, die sich einmischt, die was sagt, wenn – im weitesten Sinne – menschenfeindlicher Bullshit geäußert wird. In der Regel sorgt mein Einspruch für Irritation: „Aber das war doch nicht so gemeint“, oder „Du verstehst ja gar keinen Spaß“ oder „Was regst du dich so auf?“ Und ich muss erklären, warum das Gesagte eben kein „Witz“ war, sondern rassistisch/sexistisch/etc. Das verdirbt dann die Stimmung und ich bin schuld. Dass das ein Scheißgefühl ist, habe ich vor geraumer Zeit in „Spaßbremse 4 Life“ schon beschrieben.
In dem Fall war es anders. Nachdem ich kurz das schöne Gefühl genossen habe, stellte ich mich auf ihre Seite und gemeinsam argumentierten wir, unterstützen uns und ich kann es nicht anders sagen: ich war selig!
Fast immer, wenn ich meine Position allein vertrete, ist da dieses Gefühl im Hinterkopf: Vielleicht übertreibe ich es ja wirklich? Bin ich tatsächlich so nervig? Warum sorge ich immer dafür, dass sich alle unwohl fühlen? Oft höre ich die Sätze erst im Nachhinein, in der Situation selbst bin ich viel zu aufgebracht. Hinterher, in der Bahn nach Hause oder nachts im Bett werden die Stimmen dafür umso lauter.
Zustimmung im Nachhinein ersetzt keine Solidarität
Manchmal kommen Leute nach so einer Situation zu mir und sagen „Ich bin auf deiner Seite“ oder „voll gut, dass du das angesprochen hast!“ Äh, ganz ehrlich: Das hilft mir nicht. Denn mir ist schon klar, dass ich nicht die Einzige bin, die diese Positionen vertritt. Schön für dich, dass du meiner Meinung bist, Michaela. Aber nur, weil ich in der Situation laut widersprochen habe, bist du nicht fein raus und kannst dich entspannt zurücklehnen.
Vielleicht fühlen sich diejenigen, die nachträglich und unter vier Augen ihre Solidarität bekunden, besser, aber mein doofes Gefühl, zu laut, zu extrem zu sein, bleibt. Denn das ist es, was mir die Zustimmung hinterher vermittelt: „Inhaltlich bin ich bei dir, aber ich möchte dich öffentlich lieber nicht unterstützen.“
Ich hab mich längst daran gewöhnt, diejenige zu sein, die anderen den Spaß verdirbt. Umso mehr berührt es mich, wenn sich jemand auf meine Seite stellt und mir das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein. Es mag wie eine Kleinigkeit erscheinen, aber für mich ist es sehr viel mehr als das.
*sie = die Allerbeste (Danke!)
„Man muss das Gute tun, damit es in der Welt sei.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)
Du tust das Gute, dafür Dank und Lob. Sei stark und verzage nicht. Der oben geschilderte „Lichtblick“ soll Dir Mut und Kraft geben.
Danke – für deine Worte und das Ebner-Eschenbach-Zitat ♥