Der Wochenrückblick ist zurück und auch nach drei Wochen Pause ist leider alles wie immer. Femizide, Polizeigewalt, üble Takes von Sahra Wagenknecht und der CDU. Das war die #KW36.
Montag, 5. September
In Leipzig demonstrierten am Montag auf dem Leipziger Augustusplatz tausende Menschen gegen die Energiepreise und allgemeinen Teuerungen. Auf der einen Seite der Straßenbahnschienen standen diejenigen, die dem Aufruf der Leipziger LINKEN gefolgt waren, auf der anderen Seite die Rechten und Rechtsextremen, die zur Versammlung der „Freien Sachsen“ kamen. Während rechtsextreme Vordenker und Strategen wie Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek versuchen, die Querfront zu schließen, war es am Montag wieder Mal stabilen Antifaschist*innen zu verdanken, dass sich die Lager auf dem Augustusplatz nicht vereinten. Denn inhaltlich war die Abgrenzung zwischen Rechts und Links nicht immer so deutlich. Olaf Sundermeyer stellte in seiner Analyse für die Tagesschau fest: „Die zentrale Forderung ‚Nord Stream 2 öffnen‘ ist dagegen hüben wie drüben der Straßenbahnschienen sichtbar, auf gleichlautenden Plakaten und Transparenten. Zwar sind die Spitzenfunktionäre der Linken deutlich um Abgrenzung nach rechts bemüht. Aber die Erzählung von der Regierungsschuld an den Preissteigerungen ist links anschlussfähig, nicht nur in Leipzig.“ Um das Schließen einer Querfront zu verhindern und lautstark gegen die Umverteilung von unten nach oben zu demonstrieren, brauchen wir unbedingt ein Protestangebot von links, das sich entschieden von rechter Vereinnahmung abgrenzt. Die Kampagne „Genug ist Genug“ macht mir derzeit Hoffnung, dass linker Straßenkampf nicht nur vorstellbar ist, sondern tatsächlich Menschen mobilisieren kann. Auf der Kampagnen-Webseite könnt ihr euch eintragen, um über Aktionen vor Ort informiert zu werden.
Dienstag, 6. September
In Husum wurde eine 71-jährige Frau in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch offenbar von ihrem 63 Jahre alten Ex-Mann erstochen. Der mutmaßliche Täter hatte die Cops gerufen und behauptet, überfallen worden zu sein. „Tatsächlich hatte er versucht, sich selbst das Leben zu nehmen und wurde zur weiteren Behandlung in eine Klinik gebracht, wo er intensivmedizinisch versorgt werden musste“, erklärte die Polizei laut MoPo. Als die 71-Jährige am nächsten Morgen als vermisst gemeldet wurde, durchsuchten die Einsatzkräfte auch die Wohnung des Ex-Mannes, wo sie die Leiche der Frau auf dem Balkon fanden.
Bereits am Sonntag wurde in Fürth eine 36-Jährige mutmaßlich von ihrem Ehemann getötet. Die Polizei teilt mit, dass gegen 18:30 Uhr ein „heftiger Streit“ zwischen dem Ehepaar gemeldet worden sei. Als die Einsatzkräfte eintrafen, fanden sie die Frau tot auf, sie sei „offensichtlich Opfer eines Gewaltverbrechens“ geworden. Der 33 Jahre alte mutmaßliche Täter wurde noch am Tatort festgenommen.
Ebenfalls am Sonntag tötete ein 23-Jähriger eine 27-Jährige in Berlin-Lichtenberg mit einem Beil oder Küchenbeil. In welcher Beziehung Täter und Opfer zueinander standen ist noch unklar. Die Polizei erschoss den Täter am Tatort.
Mittwoch, 7. September
Wieder tötete die Polizei im Einsatz einen Menschen. Im Leipziger Stadtteil Paunsdorf wurde ein 36-Jähriger in seiner Wohnung durch mehrere Polizeikugeln getötet. Die Polizei schweigt zu den Umständen der Tötung. Der Spiegel berichtet, der Mann stünde „im Verdacht, etwas mit Raubdelikten in einem Einkaufsmarkt zu tun zu haben. Deswegen sollte die Wohnung durchsucht werden, in der sich der Mann aufhielt.“
Donnerstag, 8. September
Die Queen ist im Alter von 96 Jahren verstorben. Und während es sich für viele hierzulande anfühlt, als wäre unser aller Omi gestorben*, fühlen viele Überlebende und Nachkommen von britischen Kolonialverbrechen keine Trauer oder Wehmut. Die britische Krone, deren Oberhaupt Queen Elizabeth II. war, steht für brutalen Imperialismus und Ausbeutung. Das „Britische Weltreich“, das erst ab den 1950er Jahren langsam bröckelte, herrschte 1922 über 458 Millionen Menschen und ca. 33,67 Millionen km², also über ein Viertel der damaligen Weltbevölkerung und über ein Viertel der Landfläche der Erde. Sierra Leone, Südafrika, Nigeria, Bahamas, Jamaika, Sri Lanka, Indien, Papua-Neuguinea, Kanada, Australien, Irland und so weiter. Das Empire unterwarf die Menschen im Namen der Krone, raubte Bodenschätze, Handelsgüter und Kunst. Die Kolonialmacht war brutal, Widerstand gegen die Besatzung wurde mit Gewalt begegnet. Während der Aufstände in Kenia, die letztlich zur Unabhängigkeit führten, inhaftierten die Briten zwischen 1952 und 1961 Hunderttausende Menschen in Straflagern, töteten, folterten und verstümmelten mindestens 90.000 Kenianer*innen. Auch wenn viele ehemalige Kolonien während der Regentschaft der Queen ihre Unabhängigkeit erlangten: Elizabeth II. hat niemals Verantwortung für die Gräueltaten des Kolonialismus übernommen oder um Entschuldigung gebeten. Im Gegenteil, sie und die königliche Familie profitieren bis heute von der Ausbeutung. Über Generationen wuchs der Reichtum der Royals auch Dank der Ausbeutung. Die Kronjuwelen selbst stammen (mindestens teilweise) aus kolonialen Beutezügen bspw. in Indien. „Wie können wir als Gesellschaft nach Gleichheit und einem besseren Leben streben, wenn eine archaische Institution mit einer so schrecklichen Vergangenheit weiterhin das Gesicht dieses Landes ist?“, fragt die UK-Journalistin Naomi Larsson Piñeda in einem Artikel, der für die ZEIT übersetzt wurde. Es ist nicht pietätlos, auf die Kolonialverbrechen des britischen Empires hinzuweisen. Auch die Tatsache, dass die Queen ihren „Lieblingssohn“ Andrew stets schützte, obwohl er wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen beschuldigt wird, muss im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ihren Tod gesagt werden dürfen. Genauso wie der Fakt, dass Großbritannien ein gespaltenes Land ist, in dem die reichsten 100 Personen so viel besitzen wie die ärmsten 18 Millionen zusammen. Auch hierfür war die Queen das Symbol.
*Danke an Sophia Hoffmann, deren schöne Formulierung ich hier gemopst habe.
Freitag, 9. September
In „Wagenknechts Wochenschau“ auf YouTube wirbt Sahra Wagenknecht für eine neue Querfront aus linkem Nationalismus und rechten Antikapitalismus. Die „Wochenschau“ wirkt wie eine Kreuzung aus Eva Hermanns Telegramchannel und KI-generierter Putin-Propaganda und ich habe es nicht geschafft, mir die vollen zwanzig Minuten anzuschauen, trotz des inzwischen dicken Fells, das mir meine Recherchen verschafft haben. Populistische Slogans wie „Selbstbedienungsrepublik Deutschland“, „Halbverrückte bei den Grünen“ oder „Müssen Regierungen so bekloppt sein?“ erwarte ich von Beatrix von Storch oder Attila Hildmann. Aus dem Mund einer Bundestagsabgeordneten der Linkspartei sind sie nur unwürdig und peinlich. Sahra Wagenknecht hatte sich nicht nur im Bundestag Applaus von der AfD abgeholt, auch in ihrer YouTube-Ansprache zeigt sie, wie offen sie für rechte Ideen und Gruppierungen ist. Eine Demo von 70.000 tschechischen Nationalist*innen unter dem Motto „Die Tschechische Republik zuerst“ lobte Wagenknecht als Vorbild für Deutschland: „Wenn wir das in Berlin hinbekämen, würde das politische Spitzenpersonal sich überlegen, ob sie die Menschen weiterhin mit vagen Versprechungen abspeisen und mit wohlfeilen Hygienetipps verhöhnen wollen.“ Bah! Mich schüttelt es jedes Mal, wenn ich daran denke, dass ich Sahra Wagenknecht mal unterstützt habe (lange her, ich schwör‘s!). Während sie früher kluge Analysen zu Bankenkontrolle und gegen Hartz IV ablieferte, hat Wagenknecht mittlerweile nur noch das eine Thema: Russland. Antikapitalistische Antworten auf aktuelle Probleme findet sie keine mehr, stattdessen haut sie ernsthaft folgendes raus, wenn es um die Gründe für die wachsende Armut in Deutschland geht: „Der Kern des Problems ist die verrückte Idee der Ampel gegen unseren wichtigsten Energielieferanten einen Wirtschaftskrieg vom Zaun zu brechen.“ Äh ja genau, nicht Russland hat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, sondern Deutschland hat angefangen. WTF einfach! Doch es gibt Hoffnung. Denn innerhalb der Linken reicht es vielen Genoss*innen jetzt. Am Freitag wurde die Aktion es-reicht.org gestartet. In einem offenen Brief fordern LINKE-Politiker*innen, Mitglieder und Wähler*innen den Parteiausschluss Wagenknechts. „Ob Äußerungen gegen die Aufnahme von Geflüchteten, gegen die europäische Integration, gegen Coronaschutzmaßnahmen oder gegen unsere Bündnispartner*innen aus den antirassistischen, Klima- oder Queerbewegungen: Die Grenze des Erträglichen ist mit Blick auf das Gebaren von Sahra Wagenknecht und ihrer Getreuen schon lange erreicht“, heißt es in dem Schreiben, das ihr hier mitzeichnen könnt.
Samstag, 10. September
Beim CDU-Parteitag in Hannover konnte man live beobachten, wie das erzreaktionäre, christlich-fundamentalistische Gedankengut, das wir zuletzt eher von den US-Republikaner*innen zu hören bekamen, auch in Deutschland Anklang findet. Kristina Schröder, die Mitglied der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist (eine „rechte, antifeministische, evangelikale Vereinigung“, wie Mely Kiyak feststellte), nutzte ihre Redezeit, um sich gegen die Gleichstellung von Frauen und Männern zu positionieren. Im (natürlich rein binären) Weltbild der ehemaligen Bundesfamilienministerin sind Männer und Frauen grundverschieden, „setzen unterschiedliche Prioritäten, haben unterschiedliche Präferenzen“. Sie ist „der festen Überzeugung, dass auch in einer utopischen Welt größtmöglicher Freiheit, in der es keinerlei strukturelle Hürden mehr gibt (…) die Lebenswege von Männern und Frauen unterschiedlich wären.“ Äh, ja, lol, das glaube ich auch. Nur glaube ich im Unterschied zu Kristina Schröder halt nicht, dass alle Frauen die gleichen Prioritäten und Präferenzen haben bzw. sich alle Männer für die gleichen Lebenswege entscheiden. Nach der Schröderschen Logik ist das (binäre) Geschlecht entscheidend für alle Entscheidungen und Vorlieben. Frauen mögen Backen, Männer spielen Fußball. Frauen betreuen die Kinder, Männer stehen am Grill. Ja, okay, Kristina. Für sie ist „Gleichstellung“ sowas wie Kommunismus, also das Schlimmstmögliche Übel. Sie erklärt: „Gleichstellung bedeutet Planwirtschaft in allen Lebensbereichen.“
Naja, CDU halt.
Sonntag, 11. September
Der Kölner Caritas-Direktor Frank Johannes Hensel erklärt zum heutigen Tag der Wohnungslosen: „Viele werden inmitten der Energiekrise die drohenden Nachzahlungen nicht bedienen können und fürchten sich vor Strom- und Gassperren und dem Verlust ihres Wohnraums.“ Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Susanne Hahmann, sagt: „In einer Situation, in der die wirtschaftliche Not vieler Haushalte rasant zunimmt, muss die Zwangsräumung in die Wohnungslosigkeit ein Tabu sein.“ Wir müssen Wohnen als Grundrecht verstehen, dass keinem Menschen verwehrt werden darf. Es ist absurd, dass Vermieter*innen Profite auf Kosten derer machen, die einfach ein Dach über dem Kopf und eine Tür zum Zumachen wollen, um in Frieden zu leben. Klar brauchen wir Energiegeld und Soforthilfen für Alle, die sich Strom und Gas nicht mehr leisten können, aber vor allem brauchen wir auch bezahlbare Mieten und die Enteignung großer Wohnungskonzerne, um für die schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Menschen in Deutschland ohne festen Wohnraum endlich ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Das wars für heute mit dem Wochenrückblick. Wie immer: Danke fürs Lesen. Wenn Du kannst und willst, gibt es via PayPal die Möglichkeit, ein Trinkgeld dazulassen. Oder du wirst heute Fördermitglied auf Steady und hilfst mir dabei, meine Arbeit dauerhaft zu finanzieren.