Mine Pleasure Bouvar Wenzel, Antidiskriminierungstrainer*in und Bildungstrainer*in, sprach am Samstag, 24. September, bei der „TERF Stören“ Kundgebung in Berlin. Sie* hat mir erlaubt, den Redebeitrag hier zu veröffentlichen.
„Was konnten Juden tun, um der Vernichtung zu entgehen und was konnten Transsexuelle tun“. Twitterte jüngst eine gewisse Marie-Luise Vollbrecht. Als ihr daraufhin berechtigterweise Geschichtsrevisionismus vorgeworfen wurde zog sie vor Gericht und sammelt seitdem Spenden für Unterlassungsklagen gegen ihre Kritiker*innen. Marie-Luise’s Behauptung über die privilegierte Position von trans*Personen im deutschen Faschismus sind widersinnig. Doch sie steht in einer festen Tradition der Überschreibung, Auslassung und Weglassung von trans*Perspektiven in geschichtlicher Erinnerung.
So ist ein Schwarz-Weiß-Bild der ersten großen nationalsozialistischen Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 ein weltbekanntes Zeugnis der Gewaltherrschaft des deutschen Faschismus. Unbekannt bleibt jedoch die Tatsache, dass dieses Bild die Vernichtung des Archivs des Berliner Instituts für Sexualwissenschaften dokumentiert.Das Institut unter Leitung des jüdischen, Schwulen Wissenschaftlers Magnus Hirschfeld war Forschungseinrichtung, Communityzentrum und Bildungsstätte der einer ganzen Subkultur selbstbestimmter Lesben, Schwuler, Bisexueller, inter* und trans*Personen im Berlin der 20er und 30er Jahre.
Die Nazis ordneten Hirschfelds Arbeit als Ausdruck des zersetzenden jüdischen Einflusses auf den deutschen Volkskörper – als entartet ein. Darüber schreibt So Mayer, eine jüdische, nichtbinäre Person, Autor*in und Aktivist*in: „In Hirschfeld’s expansive vision of human genders and sexualities – in the abundance of publications and performances and persuasions that he fostered – the Nazi regime found the exact opposite of its own totalitarianism. Hence ist totalizing obliteration.
[…]
This is a history I never learned, because no one taught me: my history. Fascism depends on the inscription of a single story told in linear time. Burned books stay burned. Burned peoples remain ash. I remember an assembly from my final year at school, held on Holocaust Remembrance Day , fifty-one years after the liberation of Auschwitz. The headteacher read an official list of the communities who had been imprisoned and murdered in the camp – omitting only LGBTQ+ people. I remember vividly the feeling of silent fury. A fury silenced my teacher’s silence.”
Die Auslöschung queerer Geschichte, die Auslöschung von trans*, inter* und nichtbinären Kapiteln in der historischen Erinnerung des Nationalsozialismus ist eine kontinuierliche Praxis als Teil der generellen Unsichtbarmachung und Verunmöglichung von selbstbestimmtem, queerem Leben. Dem folgt auch Marie Luise. In ihrem heldinnenenhaften, philosemitischen Einsatz für die Erinnerungskultur macht sie sich dabei zur Gallionsfigur einer Bewegung, die mithilfe antisemitischer Verschwörungserzählungen, kulturkämpferischer Stimmungsmache und unwissenschaftlichem Populismus versucht, trans*Personen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Ich selbst habe dieses Jahr mehrfach erlebt, wie genderkritische, besorgte Feministinnen meine Auftraggeber*innen kontaktierten, mit der Bitte meine Veranstaltungen abzusagen, weil ich zu Gewalt gegen Frauen aufrufen würde.
Im Grunde ist das ein alter Hut. Bereits 1979 schrieb Janice Raynolds in ihrem für trans*feindliche Feministinnen wegweisenden Buch „The Transsexual Empire“ von der „extermination of transsexualism“. Trotz dieser unmissverständlich formulierten Vernichtungsabsicht bleiben Warnungen von trans*Personen vor dieser extremistischen Bewegung des Hasses seit nunmehr über 40 Jahren unbeachtet. Mittlerweile nehmen trans*feindliche Narrative eine zentrale Schlüsselrolle in konservativen, rechten und rechtsextremen Ideologien ein. Die Sorge vor der Genderideologie und der Transsexualisierung der Jugend tauchte dieses Jahr zum Beispiel im Manifest des Buffalo Mass Shooters auf oder zählte zu Vladimir Putins wirren Legitimationsversuchen für seinen brutalen Angriffskrieg. Während dessen springen konservative Politiker auf den fahrenden Zug auf, kriminalisieren die Eltern trans*geschlechtlicher Kinder in Texas oder schmücken ihre Kampagnen zur Wahl der Nachfolge für den britischen Premierminister Posten mit trans*feindlichen Dogwhistles aus.
Ideologische Vorlage dafür liefern die kultischen Echokammern radikaler Feministinnen und Genderkritikerinnen, deren Einsatz für die angebliche Verteidigung von Frauenrechten nicht davor zurückschreckt, selbst den Schulterschluss mit christlichen Fundamentalisten und Rechtsextremen zu suchen, auf Alt-Right Plattformen zu veröffentlichen oder sich vor Gericht von derselben Kanzlei vertreten zu lassen, die auch die AfD vertritt, liebe Marie-Luise. In bester, faschistischer Tradition, wird ein Bild der transsexuellen Bedrohung gezeichnet, das trans*misogyne Stereotype mit den vergeschlechtlichten Zuschreibungen des nationalsozialistischen Antisemitismus vermischt – der feminine Fremde, der sich an „unseren Frauen und Kindern“ vergreift, gleichzeitig schwach und lächerlich sowie übermächtig und bedrohlich, gleichzeitig der impotente Mann im Kleid und der gefürchtete Vergewaltiger im öffentlichen Klo.
trans*Misogynie und trans*Feindlichkeit werden zum Vehikel, um antisemitische Erzählungen wieder aufzuwärmen. Die Erzählungen von der perversen, dämonischen und schattenhaften Elite sind bekannte Beispiele für einen unvollständigen, verkürzten Antikapitalismus, der typisch ist für faschistische und neofaschistische Gruppierungen. Doch genauso wenig, wie meine Transition von George Soros oder Martine Rothblatt finanziert ist, liefert dieser „materialistische“ und „radikale“ Feminismus tatsächliche Lösungen für die patriarchalen und ausbeuterischen Verhältnisse des Kapitalismus. Im Gegenteil sind trans*feindliche Kulturkämpfe ein beliebtes Mittel zur Ablenkung öffentlicher Aufmerksamkeit von eben jenen Strukturen, von denen queere, nicht-weiß rassifizierte, be_hinderte, migrantisierte, arme, prekär arbeitende Menschen am stärksten betroffen sind. Und unter anderem ist es der Ruf zum „Schutz von Frauenrechten“, mit dem staatlicherseits die Erhöhung von Polizeietats und andere Mittel der Aufrechterhaltung bestehender Unterdrückung verteidigt wird.
Doch so furchteinflößend, wie diese faschistoiden Hetzerinnen, mit ihren religiös fundamentalen, rechtsextremen und erzkonservativen Verbündeten erscheinen mögen, dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen. Unsere Angst ist ihr erklärtes Ziel. Wenn wir ihnen die Straßen überlassen, die Deutungshoheit über Diskurse und historische Erinnerungen, dann haben sie gewonnen. Wir müssen dieser zunehmenden Faschisierung entschlossen entgegentreten. Acceptability politics und liberale queervisibility reichen nicht länger aus.
Wir brauchen einen entschiedenen Antifaschismus und einen tatsächlichen, radikalen, feministischen und intersektionalen Antikapitalismus als Antwort auf eine Vernichtungsideologie, an der nichts radikal ist, außer ihrer Aufrechterhaltung und Komplizinnenschaft für einen unterdrückerischen Status Quo.
Alerta! Alerta! Anti-TERFista!