Am Samstag, 24. September, fand in Berlin eine Kundgebung gegen einen Aufmarsch von transfeindlichen Radikalfeministinnen statt. Es wurden verschiedene Redebeiträge gehalten, die die Gemeinsamkeit der Kämpfe für körperliche Selbstbestimmung deutlich machten. Einen der Redebeiträge hielt Nafas und ich freue mich sehr, dass they mir das Okay gegeben hat, ihn hier zu veröffentlichen:
„Es ist mittlerweile fast eine Woche her, dass Zhina Mahsa Amini, eine 22-jährige kurdische Frau, von der sogenannten Sittenpolizei im Iran ermordet wurde, weil ihr Kopftuch angeblich verrutscht war.
Mit dem Mord an Zhina hat eine feministische Revolution begonnen, die seit 43 Jahren islamischer Republik in den Menschen geschlummert hatte. Seit 43 Jahren bestimmt die islamische Republik über die Körper von Frauen, nicht-binären und transmaskulinen Menschen. Es ist exkludierend, in diesem Kontext nur über Frauen zu reden, wenn in Wahrheit alle Menschen betroffen sind, die von der Regierung bzw. Sittenpolizei als weiblich gelesen werden. Was seit 43 Jahren im Iran passiert, ist, dass Religion von dem faschistischen und patriarchalen Regime dafür instrumentalisiert wird, Macht über Menschen zu haben, in diesem Fall insbesondere Macht über marginalisierte Geschlechter. Der Mord an Zhina ist kein Einzelfall, sondern die Spitze des Eisbergs. Die jahrelang angestaute Wut der Menschen ist jetzt lauter als je zuvor. In ganz Iran und Ostkurdistan gehen Menschen seit Tagen auf die Straße und kämpfen gegen das patriarchale Regime. Menschen, die seit so vielen Jahren die Straßen nur mit Angst und Panik betreten konnten, gehen jetzt ohne Hijab auf die Straße, zünden ihr Kopftuch an. Menschen, die in diesem Moment auf die Straße gehen, wissen, dass sie damit ihr Leben riskieren. Massenhaft werden Protestierende festgenommen, verprügelt, getötet. Zeitgleich hat die Regierung den Zugang zu sozialen Medien manipuliert, seit gestern das Internet landesweit abgestellt.
Für die kurdische und iranische Diaspora ist es mega schmerzhaft, das alles mitzubekommen, aber was noch viel schmerzhafter ist, ist das Schweigen von weißen Feminist:innen, die das alles nicht zu interessieren scheint. Diese Stille ist so unglaublich schmerzhaft. Und wir werden sie nicht vergessen, wenn ihr das nächste Mal lautstark protestiert, wenn es um weiße Menschen geht.
Ich möchte betonen, dass Zhina kurdische Wurzeln hatte. Es ist nicht ok, dass ihre Identität in diesem Kampf einfach immer wieder ausradiert wird. Zhina war ihr kurdischer Name. Im Iran sind kurdische Menschen immer noch extrem marginalisiert und ihre jahrelangen Kämpfe werden unsichtbar gemacht. Die Geschichte des kurdischen Widerstands gegen das Patriarchat und Faschismus müssen sichtbar gemacht werden!
Feminismus ist der Kampf um körperliche Selbstbestimmung. Menschen dazu zu zwingen, Hijab zu tragen, bedeutet Unterdrückung. Menschen nicht zu erlauben, Hijab zu tragen, wenn sie das wollen, ist genauso Unterdrückung. Wir lassen nicht zu, dass die feministischen Kämpfe im Iran dazu genutzt werden, islamophobes und rassistisches Gedankengut zu verbreiten.
Die iranische Regierung ist ein sehr offensichtliches Beispiel für patriarchale Gewalt, aber lasst uns nicht vergessen, dass jede Regierung auf patriarchalen Strukturen basiert, nicht nur die, die Menschen dazu zwingt, Hijab zu tragen. Dass Frauen, nicht-binäre und transmaskuline Menschen überall auf der Welt immer noch für körperliche Selbstbestimmung kämpfen müssen, für eine Welt, in der sie sich so kleiden können, wie sie wollen, ihr Geschlecht so ausdrücken können, wie sie wollen. Für eine Welt, in der Reproduktionsrechte selbstverständlich sind und Sexarbeit entkriminalisiert ist. Die Menschen, die schockiert davon sind, wie gewaltvoll die Polizei gerade gegen Protestierende vorgeht, haben wohl vergessen, dass die Funktion der Polizei auf Gewalt beruht, genauso auch hier. Die Polizei tötet, im Iran und überall auf der Welt.
Es ekelt mich an, dass die Staaten westlicher Länder von Menschenrechten und Frieden reden und sich dann bei dem UN-Treffen mit dem iranischen Präsidenten Raisi an einenTisch setzen. Überraschen tut es mich nicht, aber schmerzhaft ist es dennoch. In diesem Moment werden Protestierende auf den Straßen Irans erschossen und die Regierungen der Welt schauen zu. Wieder einmal der Beweis dafür, dass die Leben von Menschen sie nicht interessieren, besonders nicht wenn sie nicht weiß sind.
Diese Worte können meine Trauer und Wut nicht ansatzweise zum Ausdruck bringen. Mein ganzer Körper ist mit Angst gefüllt, weil mein Kopf nicht aufhören kann, daran zu denken, was die Menschen im Iran in dieser Sekunde durchmachen müssen. Heute um 16 Uhr versammeln sich Menschen am Nettelbeckplatz, um ihre Solidarität zu bekunden und ich hoffe, dass ich einige von euch dort sehen werde. Wir brauchen jede Stimme, wir müssen viele sein und laut.
Die feministische Bewegung, die aus Zhinas Tod hervorgegangen ist, verbindet unterschiedliche Kämpfe miteinander und genau das brauchen wir. Wir müssen Kämpfe miteinander verbinden, denn unsere Unterdrückungen existieren nicht losgelöst voneinander.
Wir werden nicht aufhören, für eine Welt zu kämpfen, in der unsere Körper nur uns gehören.“