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Die Wärmelufthalle bietet im kommenden Winter Schlafplätze für 100 Menschen.

Gegen Obdachlosigkeit hilft nur Wohnraum

Die Corona-Pandemie verschlimmert die Lage der Obdachlosen, besonders für Frauen. Die Berliner Politik trägt ihren Teil dazu bei. Was nützt „Stay Home“, wenn man keins hat?

Nachdem am Morgen die letzten Gäste die Notschlafstätte am Containerbahnhof verlassen hatten, haben wir Donnerstagnachmittag mit den Vorbereitungen für die kommende Kältehilfe begonnen. Betten aufgebaut und Matratzen bezogen, aufgeräumt und durchgewischt, die Kleiderkammer sortiert und Müll entsorgt.

Am 1. November öffnet die Wärmelufthalle wieder für obdachlose Menschen und bietet Übernachtungsmöglichkeiten für bis zu 100 Gäste, 16 Betten sind für Frauen vorgesehen. Es waren mal mehr, aber aufgrund des Abstandsgebots, werden nur noch zwei, statt vorher drei Stockbetten in den Räumen aufgestellt. Dafür stehen einige Betten jetzt in den Gängen und am Rand des Aufenthaltsbereichs. Besser dort schlafen als draußen.

Geschätzte 2.500 obdachlose Frauen in Berlin

Trägerin der Notübernachtung ist die Berliner Stadtmission. Neben der Wärmelufthalle hinterm Ringcenter betreibt sie weitere Notunterkünfte im Stadtgebiet sowie Tagesstätten und Nacht-Cafés. Stadtmission und Caritas schätzen, dass etwa 11.000 Menschen ohne Wohnung in Berlin leben, davon 2.500 Frauen. Offizielle Zahlen gibt es keine. Insbesondere wohnungslose Frauen sind häufig unsichtbar. Oft spielt Scham dabei eine Rolle, vielen obdachlosen Frauen sieht man nicht an, dass sie kein Zuhause haben, sie legen viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres, saubere Kleidung und schieben keinen verräterischen Einkaufswagen vor sich her.

Dass die Obdachlosigkeit von Frauen verdeckter abläuft liegt vor allem aber auch daran, dass das Leben auf der Straße gefährlich ist. Sexuelle Gewalt trifft Frauen auch hier häufiger als Männer. Deshalb versuchen Frauen häufig so lange wie möglich bei Bekannten unterzukommen oder wohnen mit Männern zusammen, die als Gegenleistung für die Obdach Sex verlangen.

Corona-Pandemie erfordert besonderen Schutz

Die Corona-Krise hat die Situation von obdachlosen Frauen weiter verschärft. Es fehlen Aufenthaltsmöglichkeiten, wie öffentliche Bibliotheken oder Kneipen, und auch die Hilfseinrichtungen können aufgrund der Abstandsregeln nur eingeschränkte Kapazitäten anbieten. Elke Breitenbach, Berlins Sozialsenatorin, versprach kürzlich, dass es ab 1. November wieder 1.000 Schlafplätze für obdachlose Menschen geben sollte, genauso viele wie im Vorjahr. Doch Sozialarbeiter*innen fürchten, dass die herkömmlichen Konzepte nicht Corona-tauglich sind. Die Menschen brauchen auch tagsüber geeignete Unterkunftsmöglichkeiten. Häufig gehören Obdachlose ohnehin Risikogruppen an, sind älter und / oder vorerkrankt. Sie brauchen in der Pandemie besonderen Schutz.

Notübernachtungen lösen nicht das Problem der Wohnungslosigkeit

Die meisten Angebote, wie auch die Notübernachtung am Containerbahnhof, lindern nur das gröbste Leid und auch nur für die Nacht. Am Morgen verlassen die Gäste die Einrichtung und verbringen den Tag auf der Straße. Für viele Menschen kommen die Notunterkünfte zudem nicht in Frage: zu laut, zu eng, fehlende Rückzugsmöglichkeiten und Alkoholverbot. Suchtkranke Menschen bleiben lieber draußen, als die Nacht ohne Zugang zu Alkohol und Drogen zu verbringen.

Dass das einzige, was gegen Wohnungslosigkeit hilft, Wohnraum ist, sollte auch der rotrotgrünen Landesregierung klar sein. Wohnen ist ein Menschenrecht, doch in Berlin werden dennoch Menschen mit Gewalt auf die Straße gesetzt. Das Profitinteresse von Vermieter*innen wird höher bewertet. Steigende Mieten, Luxussanierungen und generell die Gentrifizierung sorgen für immer weniger bezahlbaren Wohnraum in der Stadt, die Zahl der Obdachlosen steigt. Insbesondere kleine Wohnungen sind kaum zu bekommen. Wenn Menschen die Kündigung wegen „Eigenbedarf“ erhalten, droht nicht selten die Obdachlosigkeit, auch und gerade Rentner*innen, deren soziales Netz nicht ausgeprägt ist.

Leerstand und Verfall statt Wohnraum

Es ist zynisch, dass Berlin auf der einen Seite mit „Stay Home“ Kampagnen zur Pandemiebekämpfung aufruft und auf der anderen Seite Menschen auf die Straße setzt, wie am Donnerstag in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte, wo obdachlose Menschen ein seit Jahren überwiegend leerstehendes besetzt hatten. Nur wenige Stunden später ließ der grüne Bezirksbürgermeister das Haus brutal räumen. Der Senat schaut zu, wie hunderte Gebäude als Spekulationsobjekte leer stehen und häufig verfallen, aber Menschen, die sich während einer globalen Pandemie ein Obdach schaffen wollen, werden kriminalisiert.

Juristisch besteht sogar die Möglichkeit, für die Unterbringung von Obdachlosen Wohnraum zu beschlagnahmen, aber der Berliner Senat ist dazu nicht bereit. Stattdessen wird konsequent die „Berliner Linie“ durchgezogen und jede Besetzung innerhalb von 24 Stunden von der Polizei geräumt.

Über die Notübernachtung am Containerbahnhof:

Die Wärmelufthalle steht seit 2015 am Containerbahnhof in Berlin-Lichtenberg an der Grenze zu Friedrichshain. Seit 2018 ist sie ganzjährig geöffnet, also auch über die Kältehilfe-Saison (vom 1. November bis 31. März) hinaus. Hunde sind willkommen und es gibt ein begrenztes Platzangebot für Rollstuhlfahrer*innen.

Unsere Gäste bekommen neben einem trockenen und warmen Schlafplatz warmes Essen und Frühstück, Salate, Obst, Backwaren, je nachdem, welche Lebensmittelspenden gerade vorrätig sind. Die Gäste können duschen und erhalten in der Kleiderkammer saubere Wäsche und mit etwas Glück ein Paar Winterschuhe, einen Schlafsack oder eine warme Outdoor-Jacke. Mehrmals in der Woche stehen Sozialarbeiter*innen für Beratungen zur Verfügung und helfen ganz konkret und bedarfsgerecht. Ehrenamtliche Mediziner*innen sind regelmäßig vor Ort und tun, was vor Ort möglich ist, wechseln Verbände, versorgen Wunden und helfen mit allem, was eine gut sortierte „Hausapotheke“ zu bieten hat. Manchmal kommen Frisör*innen vorbei und manchmal Fußpfleger*innen. Im Januar haben wir einen „Bewerbungs-Tag“ veranstaltet, mit Hilfe bei der Stellensuche, Lebenslauf und Anschreiben sowie professionellen Bewerbungsfotos inklusive Haarschnitt, Styling und Business-Outfit.

Das Video ist von 2018, aber auch wenn sich seit dem einiges verändert hat, gibt es einen guten Eindruck von der Notübernachtung am Containerbahnhof.

Wer helfen will, kann Geld oder Sachen spenden, wie warme, gut erhaltene Kleidung, Schlafsäcke, neue (neuwertige) Unterwäsche und Socken, Winterschuhe, Rucksäcke oder auch Hygieneartikel. Auch Lebensmittelspenden werden angenommen, frisches Obst und Gemüse, Süßigkeiten (ohne Alkohol!), Saft und Limo, abgepackte Wurst und Käse, Milchprodukte, Konserven und so weiter. Etwas, das in der Notunterkunft am Containerbahnhof tatsächlich immer gebraucht wird ist Kaffee und Waschmittel.

Mehr Infos zu Sachspenden hier.

Mit Geld helfen

Verein für Berliner Stadtmission

IBAN: DE63 1002 0500 0003 1555 00
BIC: BFSWDE33BER (Bank für Sozialwirtschaft)

Hier online spenden

Schickt den Text kalt per SMS an 81190 und unterstützt so die Kältehilfe der Berliner Stadtmission mit 5 Euro (4,83 Euro gehen direkt in die Arbeit der Kältehilfe).

Soli-Pizza

Die Pizzeria „Gegenüber“ aus Berlin-Friedrichshain hat sich eine tolle Aktion überlegt: Ihr könnt hier Soli-Pizzen bestellen, die in die Notübernachtung am Containerbahnhof geliefert werden. So helft ihr nicht nur einem Corona-geplagten, von Frauen geführten Restaurant, sondern macht auch die Gäste in der Notunterkunft glücklich. Denn jede*r liebt Pizza!

Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, findet hier weitere Infos.

Natürlich ist die Berliner Stadtmission nicht die einzige Akteurin in der Obdachlosenhilfe, hier ist eine Auswahl weiterer Initiativen und Hilfsangebote:

Kennt ihr weitere? Schickt mir gerne eine Nachricht, dann ergänze ich die Liste!

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